25. April 2014 Günter Busch: Tarifrunden des Öffentlichen Dienstes sind immer politische und öffentliche Veranstaltungen

Verteilungspolitischer Erfolg

Tarifrunden im Öffentlichen Dienst greifen in das Haushaltsrecht der Parlamente ein: Die Haushaltsmehrbelas­tungen und die Belastungen der Sozialversicherungsträger durch den Tarifabschluss 2014 betragen etwa 6 Mrd. Euro, mit der vereinbarten Übertragung des Ergebnisses auf die Beamten noch einmal zusätzlich 4 Mrd. Euro – Mittel, die in dieser Höhe nicht in die Haushalte eingestellt sind.

Um Löhne und Bezüge bezahlen zu können, muss auf steigende Steuereinnahmen gehofft, müssen an anderer Stelle Ausgaben gekürzt, Haushaltsdefizite ausgeweitet oder Steuern erhöht werden. Auch die Einhaltung der Schuldenbremse kann tangiert sein. Tarifrecht bricht Haushaltsrecht. Streiks legen darüber hinaus Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge lahm, Bürgerinnen und Bürger sind betroffen und müssen sich dazu verhalten, ob sie es gut finden oder nicht, wenn die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes mehr Geld fordern und sie ihre Kinder nicht in die Kita bringen können, Busse und Straßenbahnen nicht fahren, Operationen verschoben, Müll nicht abgeholt wird oder der Flug ausfällt. Die Streikenden versammeln sich öffentlich auf Rathausplätzen, ziehen mit Trillerpfeifen durch die Straßen und rufen lautstark ihre Forderungen. In Streik­reden werden die Forderungen begründet und das sture Verhalten der Arbeitgeber kritisiert. Im Gegensatz zu Streiks bei der IG Metall, die meist in den Betrieben stattfinden, besetzt ver.di in ÖD-Runden den öffentlichen Raum.


Öffentliche Streikstrategie

Dies war in der abgelaufenen Tarifrunde für die 2,1 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen in besonderem Maße der Fall. Zwischen den Verhandlungsrunden fanden jeweils bundesweit Warnstreiks statt mit insgesamt 300.000 Streikenden. Dabei ist die öffentliche Aufmerksamkeit, ist die breite Information und Kommentierung in Presse, Rundfunk und Fernsehen und inzwischen auch in den neuen Medien sicher. Und weil in praktisch jeder größeren Stadt etwas stattfindet, reicht die Berichterstattung bis hinunter in die Regional- und Lokalnachrichten.

ver.di baut die erwartete öffentliche Wirkung in die Streikstrategie ein. Die Streiks sollen weniger wirtschaftlichen Schaden anrichten als Aufmerksamkeit erzeugen. Das kann aber nur solange klappen, wie die Streikziele gut begründet und vermittelbar sind und die öffentliche Meinung eher aufseiten der Streikenden ist. Streikschwerpunkte sind daher neben dem öffentlichen Nahverkehr die Flughäfen, die Kindertages­einrichtungen und die Krankenhäuser. Stadtwerke und Müllabfuhr machen zwar mit, können ihre Wirksamkeit aber eher in länger dauernden Streiks zeigen. Polizei und pädagogisches Personal sind über die beteiligten Gewerkschaften GdP und GEW vertreten. Beschäftigte aus Verwaltungen sind kaum dabei. Solidarisch Mitstreikende aus nicht direkt tarifgebundenen Bereichen wie zum Beispiel Diakoniebeschäftigte sind öffentlich präsent. Die mitverhandelnde Tarifunion im deutschen Beamtenbund spielt nur eine geringe Rolle.

ver.di hat die Streikstrategie dieses Mal weiterentwickelt. Bereits während der Verhandlungsphase soll maximaler Druck aufgebaut werden. Die Streiks werden sofort ganztägig ausgerufen, in der zweiten Streikphase waren sogar zweitägige Streiks eingeplant. Ein möglicher Erzwingungsstreik nach Scheitern der Verhandlungen und Schlichtung ist zwar als Option immer noch da, steht aber zunächst nicht im Mittelpunkt.


Ein Abschluss, der Maßstäbe setzt

Mobilisierung und Streikdruck hatten Erfolg. Die Arbeitgeber ließen es nicht auf eine Machtprobe ankommen und haben erst gar nicht versucht, in einer Schlichtung ein ihnen genehmeres Ergebnis zu erreichen. Am 1. April gab es – für viele überraschend schnell – einen Durchbruch mit einem Abschluss, der sich sehen lassen kann.

Ab 1.3.14 3,0%, mindestens jedoch 90,- €;  ab 1.3.15 weitere 2,4% auf das vorher erhöhte Tabellenentgelt
Gesamtlaufzeit: 2 Jahre
Auszubildende: Festbetrag 40,- € ab 1.3.14; weiterer Festbetrag 20,- € ab 1.3.15
mehr Urlaub: 30 Tage für alle; 28 Tage für Auszubildende
Weiteres: 2 x 360.- € Einmalbetrag für Beschäftigte mit entgangenen Aufstiegen.

ver.di beziffert das materielle Ergebnis auf durchschnittlich 3,3% im ersten Jahr. Auf die gesamte Laufzeit bezogen sind es dann 5,8%. Dazu kommen die schwer kalkulierbaren Kostenwirkungen der übrigen Bestandteile, alles zusammen auf jeden Fall über 6%.

Der Mindestbetrag führt zu einer über 3% liegenden Erhöhung in den Entgeltgruppen 1 bis 9. Die Spanne reicht beispielhaft von E 1 Stufe 1 (Eingangsstufe für einfachste Tätigkeiten) = 5,8% über die E 5 Stufe 3 (Facharbeitertätigkeiten nach 3 Jahren) = 3,9% bis zur E 9, Stufe 3 (Fachhochschulqualifikation bzw. Bachelor nach drei Jahren) = 3,2%.

Die soziale Komponente war für ver.di äußerst wichtig und hat in der internen Willensbildung eine zentrale Rolle gespielt. Ein Abschluss ohne Mindest- oder Sockelbetrag wäre nicht vermittelbar gewesen. Die Diskussion um den Mindestlohn hat die Durchsetzung erleichtert, da der gesellschaftliche Diskurs eine Verminderung der Lohnspreizung begünstigt.

Mit dem Ergebnis liegt der Öffentliche Dienst in diesem Jahr über den Erhöhungen des Länderbereichs (2,95%), der Metall- und Elektrobranche (2,4%) und der Chemie (3,1%). Er setzt damit den Maßstab für weitere Tarifabschlüsse. Der Abstand zu den Einkommen in der Privatwirtschaft konnte verringert werden.

Der Nominallohnanstieg von 3,3% in diesem Jahr macht real 1,9% mehr, der verteilungsneutrale Spielraum (prognostizierter Preisanstieg plus voraussichtlicher gesamtwirtschaftlicher Produktivitätszuwachs) wird um 0,7% überschritten. Damit dürfte die Lohnquote in diesem Jahr wieder geringfügig steigen. Im kommenden Jahr wird es zwar noch einen geringen Reallohnanstieg von einem halben Prozent geben, der verteilungsneutrale Spielraum wird jedoch nicht erreicht werden.


Kritik: Nahverkehr und Krankenhäuser

Nicht durchsetzen konnte sich ver.di mit spartenspezifischen Zusatzforderungen im Nahverkehr und bei den Krankenhäusern. Im Nahverkehr hatte ver.di eine Zulage von 70,- Euro gefordert. Die Mitglieder dort beklagen seit Jahren zu geringe Lohnerhöhungen und Benachteiligungen. Die Abschlüsse werden danach der Kampfkraft und der Durchsetzungsmacht nicht gerecht. Absetzbewegungen von ver.di wurden bereits vollzogen oder es wird offen damit gedroht. Aus dem Bereich Nahverkehr gibt es daher starke Kritik am Abschluss. Die Tendenzen, aus den ÖD-Gesamtverhandlungen auszusteigen und regionale Nahverkehrsverhandlungen zu führen, werden größer. Ob allein und regional mehr rauszuholen wäre, ist eine offene Frage. Ohne den Rückhalt der Gesamtorganisation zu verhandeln, kann auch eine Abkoppelung mit einer Tendenz nach unten zur Folge haben.

Durch den guten Abschluss wird wohl das spezifische Tarifvertragsmodell für den Öffentlichen Dienst, bundesweit gleiche Abschlüsse und bundesweit gleich hohe Entgeltniveaus zu haben, noch einmal in die Verlängerung gehen. Bei starken Auseinanderentwicklungen der im Öffentlichen Dienst einbezogenen Branchen und bei zunehmenden regionalen Unterschieden gibt es natürlich starke Fliehkräfte. Ob unter diesen Voraussetzungen und bei unterschiedlichen Privatisierungsgraden in den Bereichen der Daseinsvorsorge (Nahverkehr/Müllabfuhr/Krankenhäuser) das Modell dauerhaft zu halten ist, ist zu bezweifeln. Bisherige Versuche, dagegen mit Ballungsraumzulagen oder jetzt mit Branchenzuschlägen zu reagieren, sind Einzelfälle geblieben (München) oder gescheitert (Stuttgart).

Auch die Forderung nach einer geringen Erhöhung des Nachtzuschlags für Krankenhausbeschäftigte scheiterte am Widerstand des Gruppenausschusses Krankenhäuser. Der beklagte die zu geringe Finanzierung der Krankenhäuser in Deutschland. Die gekündigten Nachtzuschläge werden aber nicht wieder in Kraft gesetzt und könnten ein Aufhänger für weitergehende Forderungen werden.

Die Abschaffung oder Eingrenzung von sachgrundlosen Befristungen scheiterte wie erwartet am Widerstand der Arbeitgeber. Dieses Instrument zur Umgehung des Kündigungsschutzes und zur Disziplinierung der neu eingestellten Beschäftigten gehört zwar auf den Müllhaufen der Geschichte. Tariflich ist dies jetzt erstmals bei der Modekette Zara mit einer Verringerung der Befris­tungsmöglichkeit auf ein Jahr geglückt. Letztlich ist das Thema aber nicht streikfähig.


Mitgliederbefragung

ver.di schließt diese Tarifrunde mit einer Mitgliederbefragung als Teil einer mitgliederorientierten Tarifarbeit ab. An einer breiten Zustimmung besteht kein Zweifel.

Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes gehen jetzt mit gutem Beispiel voran. Hohe Tarifabschlüsse stärken die allgemeine Lohnentwicklung, in Zeiten von Wirtschaftswachstum auch außerhalb von tarifierten Bereichen. Ziehen andere Branchen nach, kann 2014 ein richtig gutes Jahr werden. Dann kann sich die Umverteilung von unten nach oben umdrehen, die Binnenkaufkraft steigen und die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands können sinken. Das wäre auch gut für Europa.

Günter Busch ist stellvertretender Landesleiter des ver.di Landesbezirks Baden-Württemberg.

Zurück