1. Dezember 2005 Hermann Dworczak

Wahlen in Wien: böse Überraschung

Die Wiener Gemeinderatswahlen haben – im Wesentlichen – die allgemein erwarteten Ergebnisse gebracht und die gegenwärtigen Stimmungstrends in Österreich bestätigt: leichte Stimmengewinne für SPÖ, ÖVP, Grüne und KPÖ.

Allerdings gab es eine böse Überraschung: Die offen fremdenfeindlich und rassistisch agierende FPÖ erreichte mit einem Stimmenanteil von 15% und damit lediglich einem Verlust von fünf Prozent gegenüber den letzten Wahlen, ein nicht (mehr) für möglich gehaltenes Ergebnis.

Wahlergebnisse und Gewinne / Verluste in %

2005

2001

ggb. 2001

SPÖ

49,09

46,91

2,18

ÖVP

18,77

16,39

2,38

FPÖ

14,83

20,16

-5,33

Grüne

14,63

12,45

2,18

KPÖ

1,47

0,64

0,83

BZÖ

1,15

1,15

Die Ursachen für die "Beständigkeit" der "Freiheitlichen", die nach einer Serie von Wahlniederlagen von manchen schon für politisch tot erklärt worden waren, sind kurz gefasst in folgenden Faktoren zu sehen:

  Haiders BZÖ (Bewegung für die Zukunft Österreichs) erweist sich immer mehr als das, was sie realiter ist: ein abgehobenes, nicht mehr mit Basisstimmungen vermitteltes Reißbrett-Konstrukt. Haider hatte mit seinem geschickt vorgetragenen Rechtspopulismus (also nicht bloß dem traditionellen, altbackenen Rechtsextremismus!) die FPÖ auf schwindelerregende 27% Stimmenanteil gebracht. Seit dem Regierungseintritt der FPÖ ("Wende"kabinett Schwarz-Blau, jetzt Schwarz-Orange) geht es jedoch ständig bergab. Haider & Co. betrieben und betreiben entgegen allen populistischen Phrasen neoliberale Abbaupolitik plus Aufrüstung und büßen ständig WählerInnen ein. Der "Rettungsversuch" durch Abnabelung von den rechtsextremen Hardlinern (Haider nannte sie sogar "Talibans") und Schaffung der BZÖ, ging – mit Ausnahme von Kärnten, wo Haider Landeshauptmann blieb – gründlich daneben. In Wien kam die BZÖ auf ganze 1,2%.

  Den jüngsten pseudoliberalen Anwandlungen Haiders fehlt jegliches politisches Fundamentum. Bereits zu Kaisers Zeiten verschwand der politische Liberalismus nach einem kurzen Aufflackern schnell wieder in der Versenkung. Im 20. Jahrhundert war er zumeist stramm deutschnational mit allen bekannten Folgen. Nach 1945 war die FPÖ fast ausschließlich ein Auffangbecken für Ewiggestrige. Haider selbst hatte den kurzzeitigen wirtschaftsliberalen FPÖ-Chef Norbert Steger in den 1980er Jahren in die Wüste geschickt. Das "Liberale Forum", das sich von der Haider-FPÖ abspaltete, ist mittlerweilen nahezu gänzlich von der Bildfläche verschwunden. Die Liste der liberalen Flopps ließe sich beliebig fortsetzen.

  In Österreich und speziell in Wien gibt es ein fremdenfeindliches und rassistisches Potenzial und das wird von der "alten", blauen FPÖ und nicht vom konturlosen "orangenen" BZÖ angesprochen. Der jetzige FPÖ-"Führer", Strache, agiert wie eine Haider-Kopie: noch dreister und dümmer ("Stephansdom statt Moschee", "Wien darf nicht Istanbul werden", "Deutsch statt Nix verstehn" usw.) und erhielt erschreckende 15% der Stimmen. In den klassischen ArbeiterInnenbezirken Floridsdorf und Simmering kam die FPÖ gar an die 20%.

  Dieses Potenzial wird durch die neoliberale Offensive und der von ihr ausgelösten Woge der – kollektiven wie individuellen – Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit beständig genährt.

  Der "Neoliberalismus light" der Sozialdemokratie und der Grünen kann dem kaum etwas entgegensetzen. Wer dauernd soziale Kälte erfährt, greift nur allzugern nach den "Heimat" vorgaukelnden rechtsextremen und rechtspopulistischen Identifikationsmustern.

Für die Linke bedeutet der (relative) Erfolg des Rechtspopulismus in Wien einmal mehr thematisch am Ball zu bleiben und klug und konkret vermittelte Alternativen aufzuzeigen. FPÖ-"Führer" Strache ist auf allen Ebenen bemüht, mit seinem Wiener "Erfolg" zu punkten. Er sucht Haider selbst in Kärnten das Wasser abzugraben. Eine Koalition mit der ÖVP wird nicht ausgeschlossen, wenn auch – derzeit – "nicht mit Schüssel". International ist man bemüht, die rechtsextreme und rechtspopulistische Szene zusammenzuführen. Am 12. / 13. November 2005 gelang es, ein breites west- und osteuropäisches Treffen zu organisieren, bei dem zum ersten Mal auch der Front National vertreten war – ein Kunststück, das in der Vergangenheit selbst Haider verwehrt blieb.

Die Antworten von links dürfen sich nicht in Aufklärung und Ideologiekritik erschöpfen. "Radikalität" im Marxschen Sinne ist gefragt, d.h. die Probleme dort anpacken, wo sie letztlich herrühren. Es gilt die Profitlogik, die alles zur Ware machen will und damit auch das Bedürfnis nach reaktionären Seelenwärmern schafft, ins Visier zu nehmen.

Hermann Dworczak ist Sozialwissenschaftler und Gewerkschaftler und lebt in Wien.

Zurück