1. September 2009 Christina Ujma

Welche Zukunft für Italiens Linke?

Man hätte sich Schöneres zum 40. Geburtstag der legendären Linkszeitung Il Manifesto vorstellen können, als diese massive Krise der linken Linken.

Es ist nicht so, als wären die italienische Linke oder Il Manifesto nicht Krisen erprobt, aber diesmal kann man ohne Übertreibung von einer Existenzkrise reden. Nach dem die vereinigte radikale Linke bei den Wahlen 2008 aus dem nationalen Parlament flog, ist im Juni 2009 die gespaltene Linke bei den Wahlen fürs Europaparlament gescheitert. So muss sich Il Manifesto statt mit Feiern einmal mehr mit Krisenlösungsdebatten beschäftigen. Nach einer Phase der Desorientierung, die den Spaltungsprozess Rifondaziones begeleitet und Il Manifesto zeitweise gelähmt hat, besinnt sich die Zeitung nun auf ihre alten Tugenden. Sie pflegt einmal mehr die kontroverse theoretische Debatte über die politischen und strategischen Konsequenzen aus der Niederlage und darüber, wie die fast 10% der Wählerstimmen, die die verschiedenen linken Gruppen bei der Europawahl zusammengerechnet erzielen konnten, in ein erfolgversprechendes Projekt eingebunden werden können.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Bei der jetzigen Manifesto-Debatte repräsentieren viele der Diskutanten die Geschichte der Zeitung, die 1969 von eurokommunistischen Intellektuellen gegründet wurde, um die undogmatische linke Debatte zu führen und den Kontakt mit den rebellierenden jungen Leuten von 1968 zu finden. Diese starke Präsenz ist weniger Traditionspflege als Ausdruck der Tatsache, dass sich in den letzten Jahren unter den BeiträgerInnen von Il Manifesto immer noch die wichtigsten Linksintellektuellen Italiens finden. Die Gründungsdirektorin Rossana Rossanda, immer noch die wichtigste marxistische Intellektuelle Italiens, die sich bereits seit den Wahlen 2008 engagiert um die Neuausrichtung der linken italienischen Linken bemüht, klingt in letzter Zeit zunehmend genervt. Die Machtlosigkeit der Intellektuellen angesichts der Beratungs- und Reflexionsresistenz der Parteien kann auch die kampferprobtesten Persönlichkeiten zur Verzweiflung treiben. Das kommt besonders in dem Beitrag Die Ohrfeige der Wahl zum Ausdruck, in dem sie am 9. Juni das Europawahl-Ergebnis fast sarkastisch kommentiert.

In ihrem Beitrag Zu den Anfängen des Desasters versucht sie der Debatte ein paar Koordinaten vorzugeben und geht dabei weit in die Vergangenheit zurück. Bereits in den späten 1960er, den 1970er und den 1980er Jahren wären mangelnde Offenheit des PCI wie auch der neuen Linken ein Grundproblem gewesen.[1] Beide Formationen waren unfähig, sich den neuen Fragen wie der Frauenfrage oder den ökologischen Problemen zu öffnen. Von Ökonomismus und mangelnder Offenheit sei auch Rifondazione nie frei gewesen, deren Gründung wie schon der Name sagt, ein Versuch gewesen sei, die Vergangenheit wiederherzustellen. Jetzt ist auch Rifon­dazione Communista, die heimatlosen Linken bislang eine Zuflucht geboten habe, zerbrochen. Stattdessen ist man in kurzlebigen Bewegungen und kleinen linken Gruppen organisiert, die sich auf Zusammenarbeit und Kontinuität nicht einigen können bzw. wollen. Als Grundproblem sieht Rossanda, dass sich die Linke von dem aus der französischen Revolution ererbten Grundsatz "Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit bzw. Solidarität" abgewendet hat, den sie durch alle Wirren und Anfechtungen des 19. und 20. Jahrhunderts gerettet hatte. Statt Freiheit zählt nun schrankenloser Individualismus, statt Gleichheit das Recht des Stärkeren, statt Brüderlichkeit die Angst vor dem Anderen. Mit diesem ideologischen Einknicken habe man der italienischen Rechten die Gewinnung der Hegemonie wesentlich erleichtert und den Verfall des Politischen mitbefördert. Das sind die Grundbestandteile der linken Problemlage, sagt Rossanda, wobei ihr Teile der linken Öffentlichkeit ebenso vehement zustimmten wie andere widersprachen. Rossanda wendet sich auch gegen den bei den Resten von Rifondazione und PdCI sehr verbreiteten Hang zum Ökonomismus und den Versuch, eine Klassenpolitik zu machen, wie sie im 19. und frühen 20. Jahrhundert von den militanten Teilen der Arbeiterbewegung betrieben wurde. Diese Linie wird von den an der Manifesto-Debatte beteiligten Intellektuellen aber als museal angesehen, sodass die Partei intellektuell weitgehend an Relevanz verloren hat und auf inhaltliche Debatten augenscheinlich keine große Lust hat.

Vergessliche Linke

Den erneuten Versuchen, eine einige und pluralistische Linkspartei zu schaffen, stehen einige Debattenteilnehmer skeptisch gegenüber. Alberto Asor Rosa,[2] ein anderer altgedienter Linksintellektueller, steht einer neuen Linkspartei eher positiv gegenüber. Er setzt in seinem Artikel Gli smemorati si sinistra/Die Vergesslichkeit der Linken die erfolglosen Einigungsversuche des letzten Jahrzehnts mit der erneuten Linksgründung in Verbindung. Seine intelligenten Schlussfolgerungen fasst er in vier Punkten zusammen: 1. Zwischen den beiden Teilen der linken Linken, Sinistra e Liberta und Rifondazione ist keine Einigkeit oder Zusammenarbeit möglich; 2. die Kräfte, die bei Sinistra e Liberta vereint sind, riskieren es, mit ihrer reformsozialistischen Programmatik ununterscheidbar vom linken Flügel der PD zu werden; 3. Der PD dagegen, als reine mittelinks Sammelpartei, hat keine Identität und keine klare Programmatik, ihr kann es schon allein deshalb nicht gelingen, zum organisatorischen Zentrum einer linken Hegemonie in Italien zu werden; 4. Die Selbstbezüglichkeit und der Autismus der linken politischen Klasse wächst proportional zu deren schrumpfender politischer Relevanz, am Ende interessieren nur noch die eigenen Posten und das Überleben der eigenen Splittergruppe. Eine Antwort auf die Kernfrage, wie man heute in Italien und Europa eine linke Politik organisieren könnte und welche alternativen gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen man verwirklichen wolle, können diese Parteien nicht geben. Von der überzeugenden Antwort auf diese Fragen hänge aber Erfolg oder Misserfolg einer linken Politik ab.

Nie wieder Rufer in der Wüste

Auch Paul Ginsborg, prominenter euromarxistischer Historiker, dessen zu Recht gerühmten Studien zur italienischen Geschichte nur teilweise auf Deutsch erschienen sind, blickt in seinem Beitrag auf diverse linke Einigungsversuche zurück und hat genau wie Asor Rosa keine Lust mehr, Rufer in der Wüste zu sein.[3] Wie in seinen Büchern bleibt er immer klar und verbindlich im Ton, aber seine Analyse ist unmissverständlich, Einigungsmöglichkeiten auf der linken Linken sind nicht vorhanden. Gerade die Kleinparteien der linken Linken würden sich eines Organisations- und Politikstils bedienen, der sie zutiefst unattraktiv machen würde, aggressiv, rechthaberisch, chauvinistisch, überall nur Feinde und Verrat witternd. Je kleiner die Gruppen, desto großmäuliger die Aktivisten. So verwundert es nicht, sagt Ginsborg, dass die linke Basis in den letzten 30 Jahren diesen Parteien zunehmend den Rücken gekehrt hat. Er zählt auf, was die linken Aktivisten stattdessen machen und es ist eine ganze Menge: Basisgruppen, Arbeiterkomitees, Sozialforen, diverse Umweltgruppen und Bürgergruppen. Die linken Parteien sahen in diesem zivilgesellschaftlichen Engagement dagegen immer nur Konkurrenz, Verrat und Abweichung; wenn man Kontakt suchte, dann vor allem um zu dominieren und zu instrumentalisieren. Ein adäquates Verhältnis der Linksparteien zur Zivilgesellschaft wurde dagegen nicht entwickelt, stattdessen wurde Identitätspolitik betrieben, Machoallüren an den Tag gelegt und die Sicherung der Existenz der eigenen Gruppe und damit der eigenen Position über alle anderen Ziele gestellt, womit er klar auf die trotzkistischen Elemente bei Rifondazione und in der PdCI zielt.

Aus seiner Analyse resultieren zwei mögliche strategische Optionen, sagt Ginsborg, einerseits könnte man noch einmal versuchen, eine Linkspartei aufzubauen. Diesmal nicht als Schnellschuss und von oben, sondern im demokratischen Prozess von unten eine Organisation aufbauen, die die innere Demokratie ernst nimmt, die ernsthaft Teil der sozialen und kulturellen Aktivitäten der Basis wird und dabei versucht, ihre eigene Arbeit auch theoretisch zu begleiten und zu fundieren. Die zweite Variante steht der ersten diametral entgegen, sie ist eine, die vor allem vom langjährigen Rifondazione-Vorsitzenden Bertinotti ins Spiel gebracht worden ist. Sie besagt, dass die italienische linke Linke augenscheinlich unfähig ist, etwas Neues zu schaffen und dass man diesbezügliche Versuche besser aufgeben und sich der PD anschließen sollte. Das habe Vorteile, denen sich Ginsborg nicht verschließen mag, schließlich sei die Sammlungspartei so diffus in ihrer Programmatik, dass auf dem linken Flügel genug Platz für alles Mögliche ist. Dies sei allerdings eine riskante Strategie, denn es ist leichter, politisch von einer Partei verändert zu werden als tatsächlich politische Veränderung einer Partei durchzusetzen. Da allerdings die italienische Demokratie durch Berlusconi in akuter Gefahr und die PD nun einmal die einzige Opposition sei, habe diese Option eine gewisse Plausibilität, sagt Ginsborg, obwohl ihm die weitere Arbeit am Aufbau einer Partei der neuen Linken eigentlich als die sympathischere Option erscheint; eines lehnt er allerdings ab: die sattsam bekannten Gründungs- und Fusionsquerellen ein weiteres Mal zu wiederholen.

Was hier nachwirkt, ist die "Hammer-und-Sichel-Debatte", die die trotzkistischen Elemente des Linksbündnisses Arcobaleno im Wahlkampf 2008 gegen die eigene Sammelpartei losbrachen, womit sie nicht nur das hastig zusammengezimmerte Schiff Linkspartei so effektiv torpedierten, dass es nach der Wahlniederlage 2008 sang- und klanglos unterging, sondern auch deren Aktivisten so nachhaltig traumatisierten, dass viele lieber mit der PD zusammengehen wollen als mit den mittlerweile fusionierten dogmatischen Überbleibseln von Rifondazione und PdCI, die Linksbündnisse sowieso als Verrat ablehnen und sämtliche Aufrufe zur linken Einheit als unanständige Anträge und Aufforderungen zum Klassenverrat betrachten.

Revolutionärer Reformismus

Mit Paolo Flores D’Arcais bezieht auch der intellektuelle Anführer der linksbürgerlichen Opposition im Manifesto Stellung; so pluralistisch agierte die Zeitung schon lange nicht mehr, denn D’Arcais repräsentiert eigentlich die Konkurrenz.[4] Dessen ursprünglich als philosophisch und geistesgeschichtlich angelegtes Journal Micro Mega hat sich nämlich in den vergangenen Jahren als Diskussionsforum entwickelt, in dem Berlusconi-Gegner jeglicher Couleur ihre Strategien diskutieren. Er plädiert für einen radikaldemokratischen Reformismus, der angesichts der gegenwärtigen politischen Stimmung revolutionäre Züge tragen würde. Die Verteidigung der Verfassung, der Kampf gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die Ausweitung und Effektivierung des Sozialstaates, die Abschaffung der privaten TV Stationen, Einschränkung der Privilegien der herrschende Kaste, Chancengleichheit, Ende der Subventionen fürs private Bildungswesen – alle diese Forderungen wären auch mit der PD zu machen. Wenn sich also ein Dutzend führender Linksintellektueller dazu entschließen könnte, der PD beizutreten, könnte dies die Basis der PD in Bewegung bringen; wenn es nicht klappt, hätte man höchstens ein paar Euro Beiträge verschwendet, führt D’Arcais ganz pragmatisch aus.

Die PD-Debatte zeigt einmal mehr die organisationspolitische Schwäche der italienischen Linken auf und benennt gleichzeitig ein Dilemma, das nicht nur die Italiener haben: Die Forderungen linkssozialistischer Parteien in Europa sind kein Alleinstellungsmerkmal dieser Gruppen, sondern sind im Mainstream der europäischen Sozialdemokratie genauso anzutreffen. Dort sind sie zwar in der Minderheit und meist politisch nicht durchsetzungs- und mehrheitsfähig. Abgesehen von der Tatsache, dass man in den kleinen Linksparteien weitgehend unter sich bleibt, ist man gesellschaftlich und politisch auch nicht sonderlich mehrheitsfähig, nur dass man sich, statt mit neo­liberalen Rechtssozialdemokraten und Karrieristen mit den meist trotzkistisch angehauchten Verteidigern des wahren Sozialismus/Kommunismus herumschlagen muss, die ihre Politikvorstellungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beziehen. Daraus folgt nun nicht notwendigerweise, dass man sich, wie Bertinotti vorschlägt, der Sozialdemokratie anschließen sollte, sondern endlich weiterkommen muss in der Definition dessen, was Sozialismus im 21. Jahrhundert eigentlich impliziert; das wurde nicht nur von Asor Rosa, sondern auch von jüngeren Debattenteilnehmern wie Giorgio Parisi und Paolo Cacciari angemahnt. Dabei wird gerne auf die von Rossanda vorgegebene Rückkehr zu "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bzw. Solidarität" rekurriert. Abgesehen von vereinzelten Stimmen, die eine Rückkehr zur Klassenpolitik von einst favorisieren, ist die Wiedergewinnung wenn nicht der Utopie, dann doch der Zukunft eine Zielvorstellung, die gerne beschworen wird.

Defizite in der politischen Kultur

Wenn auch von allen Seiten festgestellt wird, dass eine Zusammenarbeit zwischen der traditionalistischen und der neuen Linken, wie sie sich bei Sinistra e Liberta sammelt, nicht aussichtsreich sei, wird doch teilweise zumindest eine punktuelle Zusammenarbeit für möglich gehalten. Linksbündnisse gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, aber auch bei der Verteidigung von ArbeitnehmerInnenrechten sind Gelegenheiten, bei denen man durchaus Gemeinsamkeiten habe. Das stimmt, auf regionaler und lokaler Ebene funktioniert die Zusammenarbeit in Initiativen und Bündnissen gelegentlich sehr ordentlich. Wenn die CGIL, der linke Gewerkschaftsdachverband ruft, dann kommen regelmäßig fast alle linken Gruppen. Damit ist die CGIL die einzige Organisation, die es vermag, die zerstrittene Linke zu einigen, und so ein stabilisierendes Element darstellt. Offiziell ist diese zwar der PD affiliert, aber deren Interesse an Gewerkschaften und Gewerkschaftspolitik ist eher gering. Wenn die CGIL jedoch zu Aktionen und Demonstrationen mobilisiert, dann lässt auch sie sich mitziehen. Dies zeigt einmal mehr, dass linke Politik in Italien gegenwärtig weniger von Parteien als von zivilgesellschaftlich organisierten Gruppen gemacht wird. Die meisten von diesen Gruppen, die CGIL, die Centri Sociali, die Kulturinitiativen und die Umweltgruppen, hätten gerne eine funktionierende Linkspartei; die weniger mit Identitätspflege als mit linker Politik beschäftigt ist. Sie haben sich oft auch in der Gründungsinitiative für eine Linkspartei engagiert, aber die Kungelei und das Proporzdenken der an der Gründung beteiligten Parteien und Politiker stößt viele ab. Exemplarisch sei dafür aus einem Debattenbeitrag des gewerkschaftsnahen linken Onlinejournals Aprile zitiert: "Für unsere sozialistischen Altmeister sollten die Parteien die sozialistische Zukunft präfigurieren. Während für uns, die Erfahrungen im Aktivismus in einer der Parteien der Linken gemacht haben, etwas anderes zählt, Horror vor einer zukünftigen Gesellschaft haben zu müssen, deren Zukunft der Realität einer dieser Parteien entspricht; die sind nämlich gekennzeichnet von Machtkampf, Clan- bzw. Klientelstrukturen, Karrierismus, Narzissmus oder Selbstbezüglichkeit, aber vor allem einem ständigen Mangel an Brüderlichkeit bzw. Solidarität."[5] So lässt sich ein Ergebnis der Debatte schon jetzt festhalten: Die Entwicklung einer neuen politischen Kultur wird die Linkspartei wohl in Angriff nehmen müssen, will sie erfolgreich sein.

Neue Linkspartei in der Zerreißprobe

Der quasi diktatorische Führungsanspruch der alten Parteihäuptlinge wurde wiederholt als kontraproduktiv und schädlich kritisiert. Dafür ist Bertinottis Vorschlag, sich der PD anzuschließen, ein gutes Beispiel. Dieser ist nicht gerade konstruktiv zu nennen, immerhin ist das undogmatische Linksbündnis Sinistra e Liberta, das eigentlich auch von ihm unterstützt wird, nun endgültig dabei, sich als Partei zu konstituieren und hat dabei schon mit genug Schwierigkeiten zu kämpfen. Denn ihr Spitzenkandidat und Aushängeschild Nichi Vendola ist gerade in einen unangenehmen Korruptionsfall verwickelt. Es wird ihm zwar keine persönliche Bereicherung vorgeworfen, aber indirekte Parteienfinanzierung, die er in seiner Funktion als Ministerpräsident der süditalienischen Region Apulien zu verantworten hat. Dass der Skandal gerade zu diesem Zeitpunkt losbricht, könnte damit zusammenhängen, dass die diversen Kräfte, die keine seriöse linke Alternative zur PD sehen möchten, daran nicht ganz unschuldig sind. Damit gerät die­se Formation in eine Zerreißprobe, bevor sie sich überhaupt als Partei konstituiert hat. Ob und wie sie dies überlebt, bleibt abzuwarten. Für den 19.9.2009 ist der Gründungsparteitag ge­plant. Danach fängt die Phase der Bewährung in der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und linken Organisationen des Landes an, deren Ausgang noch offen ist. Denn obwohl viele AktivistInnen und Intellektuelle eine neue linkssozialistische Partei wollen, ist unklar, ob die ProtagonistInnen letztlich die Kraft und die Geduld haben, sich auf den langen Prozess der Parteigründung von unten einzulassen, von dem Paul Ginsborg gesprochen hat.

Immerhin, eine Zeitung hat die Partei schon vor ihrer Gründung, sie heißt L’Altro. Die Zeitung wird vom ehemaliger Chefredakteur des Rifondazione Blattes Liberazione gemacht und kommt für eine Linkspostille ausgesprochen professionell und gut gestylt daher, ohne sich im Design zu erschöpfen. Dadurch, dass sie relativ autonom von Parteivorgaben agiert, hat sie es in wenigen Wochen geschafft, sich zur Stimme der unabhängigen Linken zu entwickeln, die sowohl zu dem linken Flügel der PD ausgezeichnete Kontakte hat, wie auch zu den Linken außerhalb der PD.

Während die linke Linke einmal mehr ihre Zukunft und ihre Existenz diskutiert, macht sich die PD daran, die Urwahlen vorzubereiten, mit denen sie ihren neuen Vorsitzenden bestimmen will. Sollte es für den vom sozialdemokratischen Flügel favorisierten Bersani reichen, dann würde es vermutlich wieder zu einer Zusammenarbeit der Anti-Berlusconi-Kräfte kommen. Die PD mag immer noch eine Massenbasis haben, an Positionen und intellektueller Überzeugungskraft mangelt es ihr jedoch deutlich. Die klugen Köpfe und theoretischen linken DenkerInnen finden sich immer noch eher bei der linken Linken und den unabhängigen Journalen. Die werden auch von den wenigen verbliebenen PD-Intellektuellen benutzt, wenn sie etwas zu diskutieren haben, was nicht allzu oft vorkommt. So rief Luciano Vio­lante kürzlich seine Partei ausgerechnet in L’Altro dazu auf, die eigene politische Kultur zu modernisieren, der Zivilgesellschaft offener gegenüberzutreten und die intellektuelle Auseinandersetzung um eine gesellschaftspolitische Zielsetzung verstärkt zu betreiben. Es komme darauf an, weiterreichende programmatische Visionen zu entwickeln und zu verstehen, dass Reformismus kein Selbstzweck sei.[6] Wenn es etwas gibt, worüber über viele linke Parteigrenzen hinweg Einigkeit besteht, dann ist es die Feststellung, dass die politische und programmatische Kultur diverser Parteien auf den Hund gekommen ist. Wenn es die Linken Italiens tatsächlich schaffen, den vielen Aufrufen Taten folgen zu lassen und ihre politische Kultur auf eine Art zu erneuern, die den linken Organisationen diverser Couleur mehr programmatische Konturen und mehr Ausstrahlung verschafft, dann könnte die sozialdemokratische bzw. sozialistische Sache wieder an Attraktivität gewinnen. Dies wäre dann ein erster Schritt auf dem Weg, Berlusconi in Italien die Hegemonie streitig zu machen.

Christina Ujma arbeitet als Lehrbeauftragte am Otto-Suhr-Institut in Berlin. Sie schreibt in Sozialismus regelmäßig über Italien. Zuletzt erschien "Auf dem 'dritten Weg' gegen die Wand – Anmerkungen zum Europawahlergebnis in Italien und Großbritannien" (Sozialismus 7-8/2009).

[1] Manifesto, 27.6.2009
[2] Manifesto, 17.6.2009
[3] Manifesto, 26.6.2009
[4] Manifesto, 11.7.2009
[5] Felice Besostri, La nuova sinistra tra Scilla e Cariddi, 14 agosto 2009, www.aprileonline.info/notizia.php
[6] L’Altro, 18.8.2009

Zurück