26. Juni 2020 Klaus Busch
Wiederaufbaufonds – Rettung der EU?
Die Europäische Union hat sich im Frühjahr dieses Jahres in einer der größten Krisen seit Beginn des Integrationsprozesses befunden.
Sichtbare Zeichen dieser Krise waren das Scheitern der Vorschläge Macrons zur Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) in Richtung Fiskalunion, die Uneinigkeit der Staaten über obligatorische Verteilungsschlüssel in der Flüchtlingspolitik, der weitgehend ungestrafte Abbau von Rechtstaat und Demokratie in Polen und Ungarn, wachsende Tendenzen zum Rechtspopulismus in vielen Mitgliedstaaten, vor allem in Italien, sowie der Austritt Großbritanniens aus der EU.
Im April dieses Jahres verschärfte sich diese Krise massiv, weil die besonders von der Corona-Pandemie betroffenen Staaten Frankreich, Italien und Spanien zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie die Einführung von Corona-Bonds forderten, die nördlichen EU-Staaten unter Einschluss von Deutschland dies jedoch als vertragswidrig strikt ablehnten. In Italien nahm daraufhin die Kritik an Deutschland nie zuvor gekannte aggressive Töne an und der Rechtsblock unter Führung Salvinis stand in Hab-Acht-Stellung, um nach einer weiteren Zuspitzung der Konflikte in Europa in Rom die Macht übernehmen zu können.
In dieser Situation wurde mit großer Erleichterung aufgenommen, dass der französische Präsident Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Merkel auf der Basis von Vorarbeiten der Finanzminister Le Maire und Scholz Mitte Mai vollkommen überraschend einen Plan zur Bekämpfung der Corona-Wirtschaftskrise vorlegten, der im hohen Maße die Forderungen der südlichen Mitgliedstaaten berücksichtigte. Danach soll die EU-Kommission Euro-Anleihen im Umfange von 500 Mrd. Euro aufnehmen, die sie im Rahmen des neuen EU-Haushalts als Wiederaufbaufonds zur Förderung insbesondere der Wirtschaft in den stark von der Pandemie gebeutelten Südstaaten nicht als Kredite, sondern als verlorene Zuschüsse ausschütten soll. Dieser Vorschlag wurde von der Mehrheit der EU-Staaten und der europäischen Öffentlichkeit mit Enthusiasmus aufgenommen, weil
- die zuvor stark zerrüttete deutsch-französische Achse wieder funktionierte und dabei Macron, der von der Regierung Merkel durch die Ablehnung seiner Sorbonne-Pläne zur Vertiefung der WWU sehr düpiert wurde, jetzt seine Ideen durchsetzen konnte und
- die Regierung Merkel ihre zuvor sehr ablehnende Haltung zur Koppelung von EU-Anleihen (durch die Europäische Kommission) und deren Weiterreichung in Form von Zuschüssen (nicht als Kredite) an die Südstaaten aufgegeben hat.
In der europäischen Öffentlichkeit wurde dieser Vorschlag als Überwindung der Existenzkrise der EU fünf vor Zwölf gefeiert. Angela Merkel muss im Verlauf des April/Mai gelernt haben, dass ohne ein Entgegenkommen gegenüber den Südstaaten die Eurozone bzw. die EU auseinanderfallen kann und dies in keiner Weise den objektiven Interessen Deutschlands entspricht, das ökonomisch existenziell auf den einheitlichen Binnenmarkt und die Eurozone angewiesen ist.[1]
Klaus Busch ist Professor (im Ruhestand) für Europäische Studien an der Universität Osnabrück und war bis 2019 europapolitischer Berater der Gewerkschaft ver.di. Letzte Buchveröffentlichung (gemeinsam mit Joachim Bischoff und Hajo Funke): Rechtspopulistische Zerstörung Europas?, VSA: Verlag Hamburg 2018. In Heft 5/2020 erschien von ihm der Beitrag: »Die Corona-Pandemie führt die EU in eine Existenzkrise«.
[1] In ihrer Regierungserklärung vor dem Gipfel am 19. Juni 2020 hat Angela Merkel selbstkritisch in einem Ton über die EU gesprochen, wie er zuvor von ihr nie zu hören war. Die Europäische Union stehe »der größten Herausforderung in ihrer Geschichte« gegenüber. Die Folgen der Krise vertieften die Ungleichheiten in der EU. Noch nie zuvor seien Solidarität und Zusammenhalt in Europa so wichtig gewesen wie heute. Es dürfe nicht zugelassen werden, »dass sich dauerhaft ein tiefer Spalt durch Europa zieht«. Zur Gefahr durch den Rechtpopulismus sagt sie: »Wir dürfen nicht naiv sein, die antidemokratischen Kräfte, die radikalen autoritären Bewegungen warten nur auf ökonomische Krisen, um sie dann politisch zu missbrauchen.« Sie räumt ein: »Die ersten Reflexe, auch unsere eigenen, waren eher national und nicht durchgehend europäisch.« Dies sei zu kritisieren, denn die globale Krise verlange »gemeinsames Handeln und gegenseitige Unterstützung«. Vgl. Süddeutsche Zeitung, 19.6.2020 : »So nüchtern kann Liebe sein«; sz.de/1.4940553