24. Februar 2023 Klaus Bullan
Wohin treibt Italiens Rechtsregierung?
Seit Ende 2022 ist in Westeuropa erstmals eine Regierung im Amt, die von einer Partei der radikalen Rechten angeführt wird. Die Fratelli d’Italia, die Brüder Italiens, stellen als mit Abstand stärkste Partei in einer Rechtskoalition die Regierungschefin. Giorgia Meloni führt ihre Partei an, die in der Tradition des italienischen Neofaschismus der Nachkriegszeit steht.
Die ersten Monate im Amt erscheinen auf den ersten Blick unspektakulär, und es setzt sich mancherorts der Eindruck fest, dass die Aufrechterhaltung einer »Brandmauer« gegenüber der radikalen Rechten in Europa, die in Italien schon zuvor durch die Aufnahme der Alleanza Nazionale in die Berlusconi-Regierung gefallen war, übertrieben ist. Dass die schlimmsten Befürchtungen (noch) nicht eingetreten sind, führt zu den Überlegungen, ob Giorgia Meloni nur als Wölfin im Schafspelz auftritt, um die günstigste Gelegenheit abzuwarten, um Italien und die EU mit ihrer rechtsradikalen Politik zu überziehen, oder ob es sich nicht einfach um einen ganz normalen Prozess der Läuterung rechtsradikaler Parteien zu modernen Konservativen handelt, weil sie nur so dauerhaft wirkliche Mehrheiten im Land gewinnen können, und die Regierungsbeteiligung zu realistischer Politik zwingt.
Beide Sichtweisen bleiben oberflächlich, wenn nicht genauer betrachtet wird, welche Gründe zu welchen politischen Entscheidungen der Meloni-Regierung führen, und was die Wählerbasis von dieser Regierung erwartet.
Vor Kurzem hat die die Regierung unter Führung von Giorgia Meloni die ersten 100 Tage ihrer Amtszeit hinter sich gebracht. Die erste Frau an der Spitze einer italienischen Regierung führt als jüngstes Kabinettsmitglied eine Regierung zusammen mit der rechtspopulistischen Lega und Forza Italia an. Entgegen manchen Erwartungen spielen die alten Schwergewichte von Lega und Forza Italia – Matteo Salvini und Silvio Berlusconi – keine bedeutende Rolle mehr in dieser Regierung. Meloni ist es in Rekordzeit gelungen, eine Regierung zu bilden und einen Haushalt zu verabschieden, wobei sie die Zustimmung zum Haushaltsgesetz mit der Vertrauensfrage verknüpfte.
Das ist auch darauf zurückzuführen, dass Melonis Partei mehr Wahlprozente und Parlamentssitze hat als Lega und Forza Italia zusammen. Die kleinen Koalitionspartner haben die Wahlen beim Erdrutschsieg Melonis klar verloren und können nur wegen des Erfolgs der Fratelli d’Italia überhaupt mitregieren. Einige politische Beobachter*innen hatten erwartet, dass die Regierung Meloni rasch in Schwierigkeiten kommt angesichts der zahlreichen Krisen, vor denen auch Italien steht. Neben den Folgen des Ukraine-Krieges, der hohen Inflation und der Energiekrise durch den Wirtschaftskrieg sind das die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Ökonomie, die traditionell hohe Staatsverschuldung Italiens, die zunehmenden Flüchtlingszahlen und die wachsende Ungleichheit vor allem zwischen Nord- und Süditalien sowie die hohe Jugendarbeitslosigkeit.
Die zentrifugalen Kräfte der drei Rechtsparteien innerhalb der Regierung würden die Arbeit der Regierungschefin schnell behindern und sie zu Formelkompromissen und Klientelpolitik nötigen, wie die italienischen Wähler*innen das gewohnt seien. Die »Entzauberung« der Fratelli d’Italia als einziger Oppositionskraft während der Vorgängerregierung unter Mario Draghi werde als Regierungskraft zügig vorankommen.
Die 100-Tage Bilanz der Regierung zeigt, dass keine dieser Erwartungen eingetroffen ist.
Klaus Bullan ist Mitherausgeber von Sozialismus.de.