1. Februar 2002 Günter Frech

Ziemlich bunt hier

Modern wie sie sein möchte, wirbt die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit schönen Slogans: »Aufregend bunt – beruhigend stark« zum Beispiel. Ganz schön bunt ist das jüngste ver.di-Kind: »ver.di-PUBLIK«, die Zeitung. Doch eher zum Aufregen denn aufregend.

Mit großem Medienauftrieb wollte ver.di das Erscheinen der PUBLIK feiern. So wurde die Medien-Meute extra in die Union-Druckerei nach Frankfurt am Main geladen. Höchstselbst setzte Frank Bsirske den Druck von 400 Tonnen Papier in Gang und verkündete das Ende der publizistischen Bescheidenheit der Gewerkschaften: Mit dem Blatt soll »die Medienlandschaft bereichert« und ein Produkt etabliert werden, »das Diskussionen auslöst«, so der ver.di-Chef. Immerhin: Mit einer Auflage von 2,8 Millionen Exemplaren ist ver.di-PUBLIK nach der »ADAC-Motorwelt« die zweitgrößte hiesige Verbandszeitung, zehnmal im Jahr soll sie erscheinen. »Unter der Voraussetzung, dass die ver.di-Publik-Leser sich ebenso verhalten wie die Gesamtbevölkerung«, [1] lassen sich auf Basis der Allensbacher Werbeanalyse (AWA) folgende Zielgruppen- und Produktpotenziale errechnen: 703.000 haben in den letzten 14 Tagen Vitamintabletten geschluckt, 135.000 Herz- und Kreislaufmittel, 144.000 Mittel zur Verdauungsregulierung. Zudem verfügen die ver.di-Mitglieder über ein »überdurchschnittliches Einkommen«, das wie folgt aufgeschlüsselt wird: 83,4% verfügen über ein persönliches Bruttoeinkommen von mehr als 3.000,- D-Mark, 39% über mehr als 4.000,- D-Mark und 13,6% über mehr als 5.000,- D-Mark. Verschwiegen wird der Anteil der Mitglieder, die weniger als 3.000,— D-Mark verdienen.

Damit die Anzeigenkunden nicht irgendwelche umstürzlerischen Absichten finanzieren, wird ihnen versichert: »ver.di-PUBLIK ist kein gewerkschaftliches Kampfblatt. Es ist nicht dem Klassenkampf verpflichtet«, es sei ein »publizistisches Schaufenster für (Noch)-Nichtmitglieder« und »eine hohe journalistische Qualität bei Text und Gestaltung ist Anspruch und Standard«.

Keine inhaltliche, aber Diskussionen über die Zusammensetzung der Redaktion, das Erscheinungsbild des Blattes und das Format begleiteten die Startphase. Über Monate hinweg machte sich die Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit (bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Redaktionen und Pressestellen der fünf ver.di-Gewerkschaften) und eine Entwicklungsredaktion Gedanken über den künftigen Medienauftritt der Gewerkschaft. »Wir würden es sehr begrüßen, wenn ihr uns an der Debatte über die zukünftigen ver.di-Medien beteiligen würdet«, schrieben freie Journalistinnen und Journalisten, die seit Jahren für die Gewerkschaftspresse arbeiteten, an Bsirske, den Chefredakteur Martin Kempe sowie den ver.di-Sprecher Hermann Zoller [2] und schlugen einen Workshop vor.

Doch statt auf das Anliegen einzugehen, wurden 50 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gewerkschaftspresse ins Hauptquartier eingeladen. [3] Die Geister scheiden sich am Charakter dieser Veranstaltung: »Es gab nichts zu diskutieren, wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt«, so ein Teil und der andere: »Das war doch ganz vernünftig.«

Der noch vor dem Gründungskongress im Winter 2001 als »Kommunikationsmanager« eingestellte Martin Kempe überraschte das Publikum auf dem Gründungskongress mit einem Beitrag im DGB-Infodienst »einblick«: »Ich bin sozusagen der erste ver.di-Mensch ... ver.di soll mit einer Stimme sprechen... die neue Mitgliederzeitung mit einer Auflage von knapp drei Millionen ist das wichtigste ver.di-Medium ... nicht propagandistisch ... ergänzt durch Fachbereichspublikationen ... die ver.di-Identität muss aber schon vom Format her sichtbar sein.« [4] Es gab nicht wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Redaktionen und Pressestellen der fünf ver.di-Vorgänger-Gewerkschaften, die grollend zur Kenntnis nahmen, was der zukünftige Chef da mitzuteilen hatte.

Nur zu einem »geringen Teil« habe Kempe Anregungen von außen angenommen, so Claudia Langen von der Bertelsmann Stiftung. Sie war neben Ex-»Bunte« und »Gala«-Chefin Beate Wedekind, dem Vizechefredakteur der Frankfurter Rundschau, Wolfgang Storz, und Maria Kniesburges von der Evangelischen Medienakademie Berlin in einem Beratungsgremium tätig, mit dem sich Kempe umgab. »Kempe demonstrierte so in Richtung Vorstand, dass er sich kompetente Beratung holt. In Wirklichkeit waren wir eine Alibi-Veranstaltung«, so ein Beiratsmitglied. Andere »Insider-Fachleute« wie der Grafiker Wilhelm Zimmermann [5] oder der Hamburger Hochschullehrer Jürgen Prott von der HWP, der viel über die Gewerkschaftspresse geforscht hat, wurden gleich gar nicht zu Rate gezogen. Das Blatt sei »ziemlich verspielt, es fehlt die Klarheit«, war Kniesburges Fazit nach Inaugenscheinnahme der Nullnummer.

Nun ist sie da, die erste Ausgabe der Zeitung und mit ihren 24 Seiten im kleinen Berliner Format ist sie mit einem wilden Durcheinander von Kästen, Balken und viel Farbe bedruckt. Im ver.di-Hauptquartier am feinen Potsdamer Platz in Berlin wird gelästert, hier habe eine »Billig-Ausgabe« der »Woche« oder eine »Gewerkschafts-taz« das Licht der Welt erblickt. Letzteres ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Kempe einst selbst die »taz« mitbegründet und eine Handvoll Leute aus deren Umfeld in die Redaktion geholt hat.

Spannender Journalismus ist in der Premiere-Ausgabe der PUBLIK eher die Ausnahme. Der gut gemeinten Reportage über den Besuch von straffälligen Jugendlichen aus der rechten Szene in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald fehlt der für die Textlänge notwendige Spannungsbogen. Ein großformatiges Foto eignet sich vielleicht zum Disput im Fotografenseminar. Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul lieferte einen Pro- und Ulrich Ramm, Chefvolkswirt der Commerzbank einen Kontra-Beitrag über eine Devisenspekulationssteuer. Wobei sich Bsirske bereits am 11. September bei einer Pressekonferenz für die Steuer ausgesprochen hat. Diese Info fehlt. Ebenso sucht man vergebens nach einem Beitrag über eine ver.di-Konferenz zu Otto Schilys Sicherheitsgesetzen. Überhaupt fehlt das Thema 11. September und die Folgen. Ebenso Fehlanzeige: Argentinien-Krise. Oder das globalisierungskritische Netzwerk Attac: Keine Zeile.

Dass es seit 1921 in einem Krankenhaus der Diakonie erstmals wieder einen Streik gibt – keine Zeile! Über das New Media-Projekt connexx.av [6] und die Betriebsratswahl beim Multimedia-Unternehmen ID-Media in Berlin heißt es: »In einem Online-Forum konnten die Mitarbeiter offen diskutieren – sehr zum Leidwesen der ID-Media-Aktie.« Das erweckt zumindest den Anschein, als gäbe es zwischen gewerkschaftlichem Engagement und dem Aktienkurs einen Kausalzusammenhang. Die Überschrift »ver.di auf dem Strich« ist wohl witzig gemeint. Ob es aber die 2,8 Millionen Gewerkschaftsmitglieder wirklich interessiert, dass Prostituierte jetzt Mitglied der Gewerkschaft werden können, sei dahingestellt. Eher dröge sind die Beiträge über Tarifrunden und Betriebsratswahl. Dafür aber jede Menge Fotos von sitzenden Menschen!

»Die Mitglieder und ihre Teilhabe an der Gestaltung der Organisationspolitik – das macht die Stärke der Gewerkschaften aus. Diese Teilhabe kann nur offen und damit öffentlich sein. Wo anders als in den eigenen Medien sollen solche Debatten gemeinsam geführt werden können?« merkt Storz in einem Beitrag für den »einblick« zur Funktion der Gewerkschaftsmedien an. [7] Dieser geradezu klassische Lehrsatz für die Funktion der Gewerkschaftspublizistik scheint für einen Teil der PUBLIK-Redaktion eine Leerformel zu sein: Über das Binnenleben von ver.di erfährt man so gut wie nichts. Kein Beitrag, der dazu geeignet wäre, so etwas wie ein »ver.di-Bewusstsein« zu entwickeln.

Neben der PUBLIK mit den drei Büchern [8] soll es als viertes Buch Beilagen der Fachbereiche geben. Wobei diese auch im Magazin-Format beigelegt werden können, so wie das mit den »Zielgruppenzeitschriften« der ehemaligen IG Medien, der medienpolitischen Zeitung »M – Menschen machen Medien«, der kulturpolitischen Zeitung »Kunst & Kultur« und der Branchenzeitung (im Zeitungsformat) »Druck + Papier« geschieht. Ebenso können die Landesbezirke entweder Wechselseiten belegen oder auch eine Beilage beisteuern. Für die Druckerei ist das eine logistische Herausforderung. Aber auch für die Mitgliederdatenverwaltung: Die muss passgenau stimmen.

Daneben soll viermal im Jahr ein monothematisches Magazin und 14-tägig nach Vorbild von »einblick« und »IG Metall-DIREKT« ein »ver.di-News« im Newsletterstil erscheinen. ver.di präsentiert sich also mit einem bunten publizistischen Strauß. Sicherlich braucht es die berufs- und branchenspezifische Ansprache. Das hat aber auch einen Nachteil: Die Gewerkschaftsmitglieder erfahren von dem, was »über dem Gartenzaun des eigenen Fachbereichs« vor sich geht, relativ wenig. Die »Maximallösung« – ein Magazin mit um die 100 Seiten, in dem sich die gesamte »Schnittmenge« der Gewerkschaft wiederfindet und in dem sich jedes Mitglied das heraussuchen kann, was es lesen möchte, war dem Vorstand zu teuer. Ohne Frage hätte auch diese Variante ihre Tücken. »Zielgruppen«- oder Kampagnen-Medien hätte man von Zeit zu Zeit trotzdem gebraucht. Die jetzige Lösung allerdings ist eine vertane Chance. Ein Blatt, das an das Anzeigenwochenblatt, die Wochenzeitung von vergangener Woche oder an die Tageszeitung von gestern erinnert, liegt nicht lange im Haushalt. Recht bald wird sie dem Altpapiercontainer überantwortet. »Einheit bei Beibehaltung der Vielfalt« ist eigentlich auch für die ver.di-Publizistik eine schöne Herausforderung.

Günter Frech arbeitet freiberuflich als Journalist mit Schwerpunkt Gewerkschaften, Medienpolitik und Reportagen aus der Arbeitswelt. Er lebt in Berlin und Hamburg.

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