1. Januar 2021 Otto König/Richard Detje: Über die abenteuerliche Auffassung, dass Kurzarbeit auf Kosten des Strukturwandels gehe

Zombifizierung der Wirtschaft?

Trotz wirtschaftlicher Erschütterungen infolge der andauernden Corona-Pandemie ist es in Deutschland zu keinem sozialen Erdbeben gekommen. Der massive Einsatz von Kurzarbeit hat einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosenzahlen verhindert.

Wesentlich stärker als in früheren Krisenphasen ist Kurzarbeit zum kurzfristig effektivsten beschäftigungspolitischen Instrument geworden, das zugleich hilft, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage – wenn auch auf einem deutlich abgesenkten Niveau – vor weiteren Deflationsschüben abzustützen. Ein Prozess des abgrundtiefen »Hineinsparens« in die Krise konnte mit der Auszahlung von Kurzarbeitergeld als einem sozialstaatlichen Stabilisator abgeblockt werden. Dies gelang nicht zuletzt deshalb, weil die Unternehmerverbände daraus den Vorteil ziehen, qualifizierte Fachkräfte an Bord zu halten.

Bereits in der Großen Krise 2009/10 diente die Kurzarbeit als arbeitsmarktpolitisches Brückeninstrument – in der Spitze gab es im Frühjahr 2009 mehr als 1,4 Millionen Kurzarbeiter*innen, im Jahresdurchschnitt 2009 waren es 1,1 Millionen. Schwerpunkte der Kurzarbeit waren die Metallbranche, der Maschinenbau und die Automobilindustrie. In den darauffolgenden Jahren wurde in den europäischen Nachbarstaaten immer wieder das »German-Beschäftigungswunder« gepriesen.

Im März dieses Jahres, zu Beginn der Corona-Krise, lag die Zahl der Kurzarbeiter*innen mit 2,5 Millio­nen deutlich über dem Höchststand aus dem Frühjahr 2009. Für den April 2020, auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle, nannte die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Zahl von fast sechs Millionen Kurzarbeiter*innen oder 18% aller Anspruchsberechtigten, deren durchschnittlicher Arbeitszeitausfall bei 48% lag. Zugleich hat sich der Einsatzschwerpunkt von Kurzarbeit deutlich verlagert. »In der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 entfielen 76% aller Kurzarbeiter*innen auf das konjunkturreagible Verarbeitende Gewerbe; im Juni 2020 waren es dagegen lediglich 31%«, heißt es in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung.[1] Zudem änderte sich die personelle Zusammensetzung der Kurz­arbeiter*innen. Vor allem Frauen arbeiten in der aktuellen Krise wesentlich häufiger kurz als in vergangenen Krisen; die Quote lag im Juni 2020 mit 13,2% noch leicht oberhalb jener der Männer (12,8%), während sich die Quoten im Vergleichszeitraum 2009 mit 2,3% und 6,3% noch deutlich unterschieden hatten. Ausschlaggebend hierfür ist, dass aktuell Dienstleistungsbereiche mit hohen Anteilen weiblicher Beschäftigter die Arbeitszeit verkürzen, vor allem das Gastgewerbe mit einer Kurzarbeiterquote von 45% oder der Handel mit immerhin knapp 13%«, so Pusch und Seifert.

Otto König ist Mitherausgeber, Richard Detje Redakteur von Sozialismus.de. In Heft 12/2020 erschien von ihnen der Beitrag: »Tarifauseinandersetzung in der Krise. Tarifrunde 2021 in der Metall- und Elektroindustrie«.

[1] Toralf Pusch/Hartmut Seifert: Kurzarbeit in der Corona-Krise mit neuen Schwerpunkten, WSI-Policy-Brief 9/2020.

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