26. Oktober 2022 Dierk Hirschel: Zur Tarifrunde im öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen)

Zusammen geht mehr!

Ein Paukenschlag! Erzieher*innen, Müllwerker, Busfahrer*innen und Feuerwehrleute fordern 10,5% mehr Gehalt – mindestens aber 500 Euro.

Die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes – Bund und Kommunen – ist die zweitgrößte Tarifbewegung der Republik. Ab Januar 2023 verhandelt ver.di für 2,5 Millionen Beschäftigte. Der Abschluss hat Signalwirkung für nachfolgende Tarifverhandlungen.

Vor fast 50 Jahre nahm die Gewerkschaft ÖTV letztmals einen ganz großen Schluck aus der Pulle. Damals forderte ÖTV-Chef Heinz Kluncker 15% mehr Lohn, eine Mindesterhöhung um 185 D-Mark und ein Urlaubsgeld von 300 D-Mark. Nach einem harten Arbeitskampf erstritt die ÖTV ein historisches Plus von elf Prozent. Die 1970er-Jahre waren Krisenzeiten. Im Herbst 1973 drehten Algerien, Irak, Libyen, Saudi-Arabien & Co den Ölhahn zu – in Reaktion auf die Unterstützung Israels durch den Westen im Jom-Kippur-Krieg. Der Preis für das schwarze Gold kletterte in wenigen Wochen um über 70%. Der explodierende Ölpreis trieb die Inflation auf 7%. Die Ölkrise erwischte die fossile deutsche Industrie mit voller Wucht. Im ersten Quartal 1974 wuchs die deutsche Wirtschaft nur noch um 1,5%. Die Zahl der Arbeitslosen verdoppelte sich in wenigen Monaten auf 620.000.


Aktuelle Wirtschaftslage

Auch heute wird das Einkaufen, Tanken und Wohnen immer teurer. Der russische Angriffskrieg, die EU-Sanktionen, Lieferkettenengpässe und marktmächtige Konzerne treiben die Preise. Die Inflation wird 2022 voraussichtlich bei 8% liegen. Das ist die stärkste Teuerung seit 40 Jahren. Und auch nächstes Jahr bleibt der Preis heiß. Die Inflation wird 2023 mit großer Wahrscheinlichkeit auf hohem Niveau von 6–8% verharren. Durch eine Gas- und Strompreisbremse könnte sie etwas abgemildert werden. Erst 2024 dürfte sich der starke Preisschub wieder abschwächen. Nach aktuellen Schätzungen steigen die Preise dann um nur noch 3%.

Die hohen Preise belasten die wirtschaftliche Entwicklung. Teures Öl und Gas schwächen die Kaufkraft der privaten Haushalte und erhöhen die Energiekosten der Unternehmen. Die Einfuhr von Öl, Gas und Kohle aus dem Ausland kostet die deutsche Volkswirtschaft inzwischen rund 280 Mrd. Euro im Jahr. Im Herbst 2022 sind dunkle Wolken am Konjunkturhimmel aufgezogen. Die heimische Wirtschaftsleistung wird in den nächsten Monaten schrumpfen. Dieses Jahr wird die Wirtschaft zwar noch um über 1% wachsen. Nächstes Jahr steht der Republik jedoch eine konsumgetriebene Rezession bevor. Die professionellen Auguren gehen davon aus, dass die heimische Wirtschaftsleistung 2023 zwischen 0,1% und 1,75% zurückgehen wird.

Wie stark der Wachstumsmotor tatsächlich gedrosselt wird, ist aber auch abhängig von der nationalen Finanz- und Wirtschaftspolitik, der EZB-Geldpolitik und der Lohnentwicklung. Ein gutes politisches Krisenmanagement und steigende Reallöhne können der Konjunktur schnell wieder Beine machen.

Dierk Hirschel ist ver.di-Gewerkschaftssekretär, Vorstandsmitglied DL 21, Mitglied in der SPD-Grundwertekommission und im wirtschaftspolitischen Beirat des SPD-Parteivorstandes.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

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