22. März 2018 Bernhard Sander
Gemeinderatswahlen in den Niederlanden – der Aufstieg des verrohten Bürgertums
Kategorie: RechtspopulismusGroenLinks ist der klare Gewinner der Kommunalwahlen in den Niederlanden mit landesweiten 8,4% gegenüber 5% in 2014, während der Niedergang der Sozialdemokraten (PvdA) und der Sozialisten (SP) sich fortsetzt. Die Wahlbeteiligung war mit 55% etwas höher als bei den letzten Wahlen (53,8%).
Es wurde in 355 der 380 Gemeinden gewählt. Landesweit erzielten örtliche Wahlverbindungen den höchsten Stimmanteil mit 32,7%. Die Zersplitterung der niederländischen Parteienlandschaft hat damit einen neuen Höhepunkt erreicht. Praktisch bedeutet dies, dass in den meisten Kommunen sich mehr als fünf Parteien zusammenfinden müssen, um sich auf eine Konzeption für die Zukunft der jeweiligen Kommune zu verständigen. Konsensfindung jenseits von Gruppenegoismen scheint dadurch zunehmend schwieriger.
Die rechtsliberale VVD des amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte kann sich bestätigt fühlen, da sie landesweit ihren Anteil um 1,4% auf nun 13,2% steigern konnte. Die ebenfalls an der Regierung beteiligten Christdemokraten der CDA stagnieren bei 13,5%. Zu den Verlierern zählt die liberale Regierungspartei D66 (die in Amsterdam, Harlem, Den Haag und Utrecht nicht mehr die stärkste Kraft ist) und zu den Gewinnern die aus der Sozialdemokratie hervorgegangene Migrantenpartei Denk.
Der Gemeinderat hat Budget-, Aufsichts- und Verordnungsgewalt und wählt die Beigeordneten. Sie kommen in der Regel aus den Parteien vor Ort, dürfen aber nicht gleichzeitig dem Gemeinderat angehören. Zusammen mit dem Bürgermeister, den die Reichsregierung ernennt, bilden sie die Gemeinderegierung. Allerdings wird der Gemeinderat vor der Ernennung des Bürgermeisters gehört und hat in der Regel den entscheidenden Einfluss. Die Bürgermeisterposten in den größten Städten des Landes werden hingegen teilweise nach den Machtverhältnissen im nationalen Parlament vergeben. Erst kürzlich wurde auf diese Weise Erik Roemer, der populäre Ex-Vorsitzende der SP, zum Bürgermeister von Heerlen. Wahlberechtigt sind die InhaberInnen einer niederländischen Staatsbürgerschaft oder eines anderen EU-Mitgliedsstaats oder EinwohnerInnen, die mindestens fünf Jahre legal in den Niederlanden sesshaft sind.
Besonderes Augenmerk gilt den Großstädten. Hier erzielte DENK die größten Erfolge, die sich auf türkischen und marokkanischen Migranten-Organisationen und Wohnquartiere stützen kann. Für die erstmalige Kandidatur bei Gemeinderatswahlen sind je drei Sitze in Amsterdam und Rotterdam ein Achtungserfolg, ebenso zwei in Utrecht und Zaandstad, je einer in Eindhoven, Amersfoort und Lelystadt.
In Amsterdam und Utrecht löst GroenLinks die liberale D66 als stärkste Kraft ab; in Utrecht sind allein sechs weitere Listen mit je zwei Sitzen vertreten. Das rechtspopulistische Forum voor Democratie trat nur in Amsterdam an und holte prompt drei Sitze, was dem »Islamkritiker« und wegen Anstachelung zum Rassenhass verurteilten Geert Wilders nie gelungen war. Im ehemaligen roten Bollwerk Amsterdam wurden die Sozialdemokraten halbiert (von 10 auf 5 Sitze) und in Utrecht und Rotterdam sind sie nun kleiner als die Neulinge von DENK. In Amsterdam liegt der Anteil der ausländischen Wahlberechtigten bei 13,2%. Die Tierschutzpartei und die bisher zusammen mit D66 an der Stadtregierung beteiligte SP landeten bei je drei Sitzen.
In Rotterdam verlor die noch von Pim Fortuyn gegründete Liste »Lebenswertes Amsterdam«, die an der Stadtregierung beteiligt war, drei ihrer Sitze, bleibt aber mit nun 11 von 45 stärkste Fraktion im Rat. Die Verluste gingen vermutlich auf die PVV zurück, die ihre bisherige Unterstützung aufgegeben und selbst kandidiert hatte, mit zwei Sitzen aber enttäuschte. In Rotterdam kollabierte kurz vor der Wahl ein Bündnis von SP, PvdA und GroenLinks mit einer lokalen islamischen Liste (Nida), weil nach dem Auftauchen von israel-feindlichen Tweets aus dem Umfeld dieser Liste von 2014 die Sozialdemokraten und Grünen ausstiegen. CDA, 50plus, SP und Nida kamen auf je zwei Sitze, während GroenLinks dennoch auf 4 Sitze kamen (ebenso wie D66 und DENK).
In Utrecht (wie in Terneuzen und anderen Städten) haben sich Lokal-Parteien vor der Wahl zum Bündnis mit der PVV bereiterklärt (u.a. Sozialdemokraten). Die SP ging in dieser Universitätsstadt in die Knie (von 5 auf 2 Sitze). GroenLinks erzielte einen Stimmanteil von 25% (Anstieg um 8%), wohl auf Kosten der PvdA und der liberalen D66, die mit 20,5% nur noch neun ihrer vormals 13 Sitze erreichte. Auch hier halbierte sich die sozialdemokratische Fraktion.
Der Rechtspopulist Geert Wilders, der mit seiner PVV in dreißig Städten antrat, schnitt durch die Konkurrenz mit dem erfolgreichen rechtspopulistischen Forum für Demokratie und rechten Lokal-Listen eher schlecht ab. In Den Haag rutschte man von sieben auf zwei Sitze und in Almere verlor man zwei Sitze. Zahlreiche lokale Listen mit zum Teil erheblichem rechtspopulistischen Potenzial erzielten hohe Stimmanteile. Auf Landesebene hat sich dieses Potenzial keineswegs verflüchtigt, sondern ausdifferenziert und gruppiert sich weiter um.
Der mit Modernität und alten Werten kokettierende Thierry Baudet vom »Forum für Demokratie« ist buchstäblich der Neue Player, posiert der 35-Jährige medial doch immer wieder mit einem Konzertflügel, um seine Verbundenheit mit den Werten des 19. Jahrhunderts zu symbolisieren. Er besitzt kein Fernsehgerät und hielt seine erste Parlamentsrede auf Latein. In den nationalen Umfragen liegt Baudets Forum mit Wilders PVV fast gleichauf. Er profitiert davon, dass im Parlamentswahlkampf rechte Argumentationsfiguren durch Ministerpräsident Rutte enttabuisiert wurden, um das Duell gegen Wilders wütenden Antiislamismus erfolgreich bestehen zu können. Rutte hat damit offenbart, dass Teile des wirtschaftsliberalen Bürgertums nur um den Preis gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einzubinden waren, aber offenbar jenseits bestimmter Konstellationen zu neuen Ufern streben.
Die britische Financial Times [1] charakterisiert Baudets politischen Ansatz so: Er wolle »den National-Staat wiederaufrichten in den Formen des 19. Jhd. in Abgrenzung zu inneren und äußeren Feinden. Befreit von Euro-Bürokraten, muslimischen Einwanderern, Feministinnen, geht es um den Kulturkrieg der amerikanischen Alt-Right, getränkt in europäischer Geistesgeschichte.«
Dabei unterscheide er sich von Wilders in seinem Stil-Bewusstsein, das nicht länger nur mit islamophobem Frust und wütenden rhetorischen Tabubrüchen das Erregungsniveau der Zielgruppen hochhält. Das Forum für Demokratie, aus einem Think Tank hervorgegangen, der unter anderem das erfolgreiche Referendum gegen das EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen initiiert hat, sieht sich selbst als solide intellektuell aufgestellt an. Schlüsselbegriff in der Programmatik ist die »Oikophobie« (ein Begriff, den der konservative britische Philosoph Roger Scruton geprägt hat). Damit wird der angebliche Selbsthass auf alles Heimische, eine »pathologische Aversion« gegen die autochtone Kultur und Geschichte bezeichnet. Man verehre statt der Tradition lieber Kultur-Marxismus, moderne Kunst, Globalisierung, Feminismus. Bei Baudet hört sich das konkret so an: Er wolle sich »nicht vorschreiben lassen, wie man Dinge neuerdings nennt und was man essen darf«.
Ein Ansinnen, das er zum Streitthema machte, war, ob die Denkmäler von Helden aus Seeschlachten mit Hinweisen ausgestattet werden sollen, die auf die Gräueltaten dieser Männer hinweisen. Baudet redet viel über die politische Korrektheit, die »alles was uns vertraut ist, zerstört«. Er wünscht sich in Interviews eine dominante weiße Rasse in Europa und warnt vor einer »homöopathischen Ausdünnung« des niederländischen Volkes durch Einwanderer. [2]
Dies erweitert Wilders immigrations-zentrierten Diskurs und wird damit für die oberen Mittelschicht und Bildungsbürger attraktiv, die sich von Wilders blutrünstiger Bürgerkriegsrhetorik eher angewidert fühlen – vor allem bei der jüngeren Generation, die fünf Euro Eintritt für einen Wahlkampfauftritt bezahlt. Für sie sind Wohnungsfragen, Gentrifizierung und Strukturwandel in den Industriemetropolen wie Rotterdam eher Verliererthemen.
[1] https://foreignpolicy.com/2018/03/20/the-new-dutch-disease-is-white-nationalism/
[2] FAZ Printausgabe vom 21.3.2018.