3. Mai 2021 Bernhard Sander: Strategie der Spannung

»Schlacht für Frankreich«?

Kategorie: Euro-Krise

Da die französischen Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr auf ein Foto-Finish zwischen dem Amtsinhaber und der rechtsnationalistischen Herausforderin Marine Le Pen hinauslaufen, häufen sich nun die Manöver, mit der auf die Wechselstimmung eingewirkt werden soll.

Neben der noch nicht rechtskräftigen Verurteilung des früheren Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy wegen Einflussnahme auf die Justiz, sorgt ein Brief von 20 Generalen im Ruhestand für Unruhe. Die Unterzeichner betonen, es gehe ihnen um die Verteidigung der »abendländischen Zivilisation« in Frankreich und darum prangern sie die »Laschheit« der Regierung gegen die islamistischen Bedrohungen und gegen die »Horden aus den Vorstädten« an.

»Frankreich ist in Gefahr. Wir bleiben Soldaten und können nicht ignorieren, was unserem schönen Land widerfährt«, heißt es in dem Text. Sie erklären sich solidarisch mit der »aus Verzweiflung geborenen« Bewegung der »Gelben Westen« und prangern das öffentliche »Kesseltreiben gegen die Ordnungskräfte« an, die von der Regierung nur zu oft als »Sündenböcke« geopfert würden.

Sollten die politisch Verantwortlichen weiterhin zaudern, dann drohe wachsendes Chaos und »letztlich ein Bürgerkrieg mit Tausenden Toten«. Vor diesem Szenario hatten die Inlandsgeheimdienste bereits zu Beginn der Gelbwesten-Proteste gewarnt. Die Stimmung, gerade unter den pandemiebedingt stillgelegten Kleingewerbetreibenden, rumort heute ähnlich.

»Ehre und Pflichtgefühl« müssten die politische Klasse wieder beseelen. Sollte das nicht geschehen, hätten ihre aktiven Kameraden keine andere Wahl als »in einer gefahrvollen Mission unsere zivilisatorischen Werte und unsere Mitbürger auf dem nationalen Territorium zu schützen«.

Der Brief wurde am 60. Jahrestag des versuchten Putsches gegen Staatspräsident Charles De Gaulle veröffentlicht, mit dem Teile der Armee sich in der Organisation de l’armée secrète (OAS; deutsch Organisation der geheimen Armee; auch Organisation armée secrète, deutsch Geheime bewaffnete Organisation) verschworen hatten, um die Unabhängigkeit Algeriens zu verhindern.

Der Brief wurde initiiert von einem bekannten rechtsextremen Offizier, der sich auf seinen Einsatz in Dien Bien Phu[1] beruft. Er wurde in einem Wochenblatt publiziert, das an jedem Kiosk zu kaufen ist und für die Nähe zum rechtsextremen Rassemblement National (RN) bekannt ist.

Der Geist des alten Le Pen und des Front National, den er 1971 aus rechtsextremen Splittergruppen, Kameradschaften von Fremdenlegionären, monarchistischen Traditionalisten und neuheidnischen Akademiker:innen zusammenschweißte, weht wieder durchs Land. Damit wird zugleich aber die Strategie der »Ent-Diabolisierung« gefährdet, mit der Marine Le Pen im letzten Jahrzehnt so überaus erfolgreich in neue Wähler:innenschichten vorgestoßen ist.

Der Brief wurde mittlerweile von 14.000 Militärangehörigen unterzeichnet, die gegen ihren Patron aufbegehren (in Frankreich handelt es sich um eine Berufsarmee). Der Staatspräsident hatte zu Beginn seiner Amtszeit unter wenig transparenten Umständen einige Armeeführer des Amtes enthoben, darunter als Generalstabschef den Bruder eines Mitbewerbers um die Präsidentschaft, beide haben den Brief nicht unterschrieben. Aber der katholisch-reaktionäre Philipppe de Villiers, zeitweilig als Berater Macrons unterwegs, hat nur wenig Zeit vor dem Brief ein Buch veröffentlicht, das in die gleiche Richtung zielt wie die Generals-Pensionäre und den Titel trägt »Der Tag danach – Signal für der Umsturz«.

Was der Chef des Generalstabes als »nicht hinnehmbaren Versuch der Manipulation der öffentlichen Meinung« bezeichnet, findet die Solidarität des Rassemblement National von Marine Le Pen. Der General meint, »die Armee ist republikanisch, sie ist nicht politisiert und kämpft tagtäglich für unser Land. Sie ist ein Abbild der französischen Gesellschaft … Die Frauen und Männer, die riskieren die Armee zu instrumentalisieren und sie zum Gegenstand von Polemiken zu machen, erweisen der Republik keinen guten Dienst.« Diese Einschätzung trägt Züge der Selbsttäuschung.

In dieser zurückhaltenden und späten Stellungnahme des Generalstabes wird die Tatsache ignoriert, dass seit 2015 beständig über 5.000 Kräfte zur inneren Sicherheit in die »sensiblen Viertel«, vor Moscheen und Synagogen, Bahnhöfe und Flughäfen, also an Brennpunkte geschickt werden, wo sie »ein ungeschöntes Bild von der Bedrohungslage im eigenen Land« entwickelt haben, wie die FAZ meint. Ihre Befugnisse wurden mit der Übernahme von Regelungen des Belagerungszustandes in die normale Gesetzgebung erheblich ausgeweitet.

Hinzu kommen die prägenden Erfahrungen Tausender von Soldaten, die im Rahmen französischer und UN-Einsätzen in der Sub-Sahara-Zone versuchen sollen, frankreich-affine Regime zu stützen und das organisierte Fluchtgewerbe unter Kontrolle zu behalten. Unter den Staatsbeschäftigten hat Marine Le Pen, wie eine Untersuchung 2017 zeigte, eine große Anhängerschaft, bei Angehörigen des repressiven Staatsapparates sogar fast eine Mehrheit.

Die Regierung schweigt bzw. versucht das Ganze als Initiative von ein paar Generälen in Pantoffeln ins Lächerliche zu ziehen. Dabei ist die anschwellende Polemik gegen den »Islamo-Gauchismus«, mit dem die Generäle ihre Putsch-Drohung begründen, Teil des Diskurses von Innenminister Darmin und dem größten Teil der Presse, die islamistische Terrorakte mit der Kritik an der zunehmend illiberalen Gesetzgebung gleichsetzt. Ein neuer Gesetzentwurf sieht vor, dass bereits die im Zuge von Big Data erfassten Verdachtsfälle weggesperrt werden können.

Für die französische Linke, deren erste Sondierungsgespräche über eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatur gerade gescheitert sind, weil die Spitzen von Kommunistischer Partei (Fabien Roussel, PCF) und La France Insoumise (Jean-Luc Mélenchon, LFI) sich durch Adjudanten vertreten ließen, sollte die Lage ein letztes unmissverständliches Warnsignal sein. Man ist noch nicht einmal zu einem gemeinsamen Appell an den Amtsinhaber fähig, ihm die Solidarität zu zeigen, wenn er entschlossen gegen die präsumtiven Putschisten vorzugehen bereit wäre.

Anmerkung

[1] Die Schlacht um Điện Biên Phủ gilt als die entscheidende Schlacht des Französischen Indochinakrieges zwischen den Streitkräften Frankreichs einschließlich der Fremdenlegion und den Truppen der vietnamesischen Unabhängigkeitsbewegung Việt Minh. Der Kampf um die französische Festung im Kreis Điện Biện nahe der damaligen Kreisstadt Điện Biên Phủ begann am 13. März 1954 und endete am 8. Mai mit der Niederlage Frankreichs, die das Ende des französischen Kolonialreiches in Indochina besiegelte.

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