Ingar Solty
Trumps Triumph?
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Michael Brie
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Giuseppe Fiori
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Gine Elsner
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ISBN 978-3-96488-214-1

6. Oktober 2024 Redaktion Sozialismus.de: Die VR China beschließt Konjunkturprogramm

75 Jahre Sozialismus mit Aussichten auf ein Sturmtief

Die Volksrepublik China feierte am 1. Oktober den 75. Jahrestag ihrer Gründung. Das Land mit inzwischen mehr als 1,4 Milliarden Einwohner*innen hat vieles durchgemacht – und vieles erreicht. Als Mao Zedong auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Volksrepublik ausrief, war es nach zwölf Jahre Krieg (ein Bürgerkrieg und einer gegen die Japaner) ausgepowert: Die Infrastruktur war zerstört, die geringe Industrie lag am Boden, die Inflation hatte Rekordhöhe erreicht.

In erstaunlich kurzer Zeit beseitigten die Kommunistische Partei und die Volksbefreiungsarmee das Chaos. Sie reparierten Straßen, Brücken sowie Wasserleitungen, und brachten nach und nach Produktion und Industrie wieder ins Laufen. Die Großgrundbesitzer wurden enteignet, die Landwirtschaft kollektiviert und Industriebetriebe in Volkseigentum übergeführt. China hatte sich auf den Weg auf die Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft gemacht. Die Unterstützung seitens der benachbarten Sowjetunion war partiell hilfreich, aber ein Vorbild waren die inzwischen stalinistischen Verhältnisse dort nicht.

Nach der Kulturrevolution, in der der zuvor als Finanz- und stellvertretender Premierminister und Generalsekretär des Zentralkomitees der KP Ch aktive Deng Xiaoping als »kapitalistischer Wegbeschreiter« degradiert und unter Hausarrest gestellt worden war, leitete dieser 1978 eine Reform- und Öffnungspolitik ein. Das war der Grundstein für eine historisch beispiellose wirtschaftliche und soziale Transformation.

Zum 75. Jahrestag wurde ein Bericht des Nationalen Statistikamtes Chinas veröffentlicht. Die Bilanz: Seit der Gründung der Volksrepublik hätten sich die Wirtschaftskraft, die wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten sowie die nationale Macht deutlich erhöht und der internationale Einfluss Chinas sei stark gestiegen. Von 1979 bis 2023 betrug Chinas Wirtschaftswachstum durchschnittlich 8,9% pro Jahr – und damit weit mehr als der Weltwirtschaft von 3% im selben Zeitraum. Der durchschnittliche jährliche Beitrag zum Weltwirtschaftswachstum lag dem Bericht zufolge bei 24,8% und damit an erster Stelle in der Welt.

Gegenwärtig ist allerdings die ökonomische Lage aufgrund einer verschleppten Krise der schwächelnden Immobilienbranche, eines schwächeren industriellen Outputs und geringerer Einzelhandelsumsätze extrem angespannt. Die Regierung strebt für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von rund 5% an. Expert*innen halten dies auch angesichts einer vergleichsweise schwachen Konsumneigung für ein ambitioniertes Ziel. Laut Financial Times war der August ein vergleichsweise schwacher Monat, und es sei deshalb auch nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Regierung nunmehr Konjunkturmaßnahmen eingeleitet hat.

Vielerorts war das Vertrauen auch der Aktienmärkte in die chinesische Wirtschaft einer großen Skepsis gewichen. So lag der Hongkonger Leitindex Hang Seng inzwischen nurmehr bei Werten, wie man sie zuletzt in den Jahren der weltweiten Finanzkrise gesehen hat. Ähnlich schlecht sah es beim CSI 300 aus, der die wichtigsten Unternehmen der Börsen in Schanghai und Shenzhen bündelt.

Die Probleme, vor denen China steht, sind ohne Zweifel gewaltig (siehe hierzu auch die regelmäßigen Analysen von Wolfgang Müller in den monatlichen Printausgaben von Sozialismus.de, im November wird er im Detail auf das aktuelle Konjunkturprogramm eingehen). Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, die Geburten gehen zurück, die ausländischen Direktinvestitionen brechen ein. Auch der private Konsum schwächelt, woran die Reisezeit rund um das chinesische Neujahrsfest im kommenden Januar nur kurzfristig etwas ändern dürfte.

Der Immobiliensektor des Landes – früher ein Garant für starkes Wachstum – steckt tief in der Krise. Eine schwächelnde Weltkonjunktur bremst die auf Export ausgelegte chinesische Wirtschaft. Auch im Inland lässt die Nachfrage zu wünschen übrig. Dazu kommen demographische Probleme: Die Bevölkerung überaltert und schrumpft. Viele junge Leute finden zudem keinen Job. Viele Städte und Kommunen sind hochverschuldet.


Erste Weichenstellungen reichten noch nicht

Auf dem Dritten Plenum des Zentralkomitees der KP Chinas, das vom 15. bis 18. Juli 2024 stattfand und auf dem traditionell die Weichen für die Wirtschaftspolitik der nächsten Jahre gestellt werden, wurde zwar unterstrichen, sich von der früheren Betonung des eines »rohen Wachstums« abzuwenden und sich heute Schlüsseltechnologien als Grundlage für eine neue Ära des Wachstums zuzuwenden. In einem Kommuniqué hieß es weiter, dass »Bildung, Wissenschaft und Technologie sowie Talente als grundlegende und strategische Basis für die chinesische Modernisierung dienen«.

Das dritte Plenum bestätigte den Kurs unter Xi Jinpings »Neuer Ära« – »die Rolle des Marktes zu nutzen, ein faireres und dynamischeres Marktumfeld zu fördern und die Ressourcenallokation so effizient und produktiv wie möglich zu gestalten – und benannte auch die Herausforderungen in den Bereichen Immobilien, lokale Verschuldung und Finanzsysteme, konkrete Bchlüsse zur Stabilisierung der Konjunktur gab es auf dem Treffen selbst aber noch nicht.

Inzwischen hat die chinesische Führung beschlossen, der schwächelnden Wirtschaft ein umfangreiches Konjunkturpaket entgegenzusetzen. Ganz oben auf der Agenda der Beschlüsse der Regierung stehen die Schaffung günstigerer Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft sowie Verbesserungen am Arbeitsmarkt, um den Konsum zu stützen. Gleichzeitig will sie viel Geld für öffentliche Investitionen in die Hand nehmen – in der Hoffnung, dass auch private Finanzierungen folgen. Schon zuvor hatte  die Regierung eine Erhöhung des Rentenalters in Aussicht gestellt, da sonst die Rentenkassen zu sehr belastet würden.

Chinas Zentralbank unterstützt mit eigenen Maßnahmen dieses bislang umfassendste Maßnahmenpaket seit der Pandemie. Wie Notenbankchef Pan Gongsheng mitteilte, soll der Reservesatz (RRR) für Banken um 0,5 Prozentpunkte gesenkt werden. Damit bekommen Geldhäuser umgerechnet rund eine Billion Yuan (knapp 130 Mrd. Euro) an zusätzlichem Spielraum für die Kreditvergabe. Die Notenbank (PBOC) stellte zudem in Aussicht, dass der Satz je nach Liquiditätslage noch weiter gesenkt werden könnte. Auch Hypothekenzinsen sollen um 0,50 Prozentpunkte sinken ebenso wie die Mindestanzahlung auf 15% für alle Wohnimmobilien (rund 70% aller Ersparnisse der Haushalte sind in Immobilien geparkt). Zudem solle der Aktienmarkt angekurbelt werden.

Chinas Börsen reagierten prompt. Der Hang Seng Index in Hongkong zog um rund 4% an, angetrieben von Kursgewinnen bei Immobilientiteln. Die Börse in Shanghai und der Index der wichtigsten Unternehmen in Shanghai und Shenzhen gingen ebenfalls kräftig nach oben. Ziel der Maßnahmen ist es, die Preisentwicklung zu stabilisieren und die Erholung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu fördern. Trotz einer Reihe von Maßnahmen zur Stimulierung der Konjunktur war es der Regierung bislang nicht gelungen, das Wachstum stärker anzuschieben.

Nach Ansicht des Yale-Ökonomen Stephen Roach sind die Maßnahmen der Zentralbank zur Unterstützung der Wirtschaft ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. In einem Artikel in der »Financial Times« argumentiert er, dass Peking diese Konjunkturmaßnahmen durch fiskalische Anreize und strukturelle Reformen ergänzen müsse. Auch Partei- und Staatschef Xi Jinping räumt ein: Trotz neuer Stimuli steht Chinas Wirtschaft vor weiteren schmerzhaften Herausforderungen, deshalb das beschlossene Programm zur Konjunkturförderung.


Gegen »Regentage und Sturzfluten« u.a. Hilfen für Lokalregierungen

In seiner Rede nach dem Beschluss und anlässlich des 75. Jahrestags der Gründung der Volksrepublik warnte Xi vor »Sturzfluten und Stürmen«, unterstrich die Notwendigkeit, sich auch auf Hindernisse vorzubereiten und dämpfte die Vorstellung, dass das Land auf einem sicheren Weg sei: »Der Weg nach vorne wird nicht glatt sein {…] Es wird definitiv Schwierigkeiten und Hindernisse geben und wir könnten auf große Herausforderungen stoßen, wie starke Winde, hohe Wellen oder sogar heftige Stürme.« Die Nation sei erst auf dem halben Weg zu ihren Zielen und zitierte am Ende seiner Rede ein traditionelles Gedicht: »Wir müssen uns auf Gefahren einstellen und uns auf regnerische Tage vorbereiten.«

Die Regierung der Volksrepublik hatte während der Corona-Pandemie drei Jahre strikte Abriegelungen verordnet, die teilweise Unternehmen in den Ruin trieben und die Verbraucher*innen zwangen, den Gürtel enger zu schnallen. Hinzu kam der starke Gegenwind auf Chinas ohnehin schon angeschlagenem Immobilienmarkt. Die Analysten von Barclays schätzten Anfang dieses Monats, dass die Haushalte dort insgesamt 18 Bio. US-Dollar (16,27 Bio. Euro) an Vermögen verloren haben, was im Durchschnitt etwa 60.000 US-Dollar (etwa 54.200 Euro) pro Drei-Personen-Haushalt entspricht. Das ist fast das Vierfache des durchschnittlichen Jahreslohns eines typischen städtischen Angestellten

Dass »die Straße vor uns wird nicht eben sein« (Xi) wird, ist eine nüchterne Einschätzung und Bewertung der gegenwärtigen Konstellation in China. Zwar wuchs die chinesische Wirtschaft gemäß offiziellen Angaben zwischen April und Juni noch um 47%. Doch die Verluste beim Wohneigentum, die Aussichten auf eine Erhöhung des Renteneintrittsalters, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die teils dramatische Situation der Kommunen vermitteln ein anderes und vor allen Dingen dramatisches Bild.

In Peking schließen derzeit reihenweise Restaurants und Läden, weil sie ihre Kosten nicht mehr decken können. Dank der nicht enden wollenden Immobilienkrise schlittern immer mehr Bauunternehmen in die Pleite. Und in vielen Städten und Provinzen kürzen Behörden ihren Mitarbeiter*innen die Saläre oder streichen sie gleich ganz. Partei- und Staatsführung sind deshalb in höchster Alarmbereitschaft. Deshalb das Vorpreschen der Zentralbank mit einem Kreditpaket der Zentralbank und die zwei Tage später erfolgte Sitzung des Politbüros der KP, die im Unterschied zu sonst im September Wirtschaftsthemen diskutierte (was den Ernst der Lage unterstreicht), und den Weg zu den Beschlüssen der Regierung für ein breit angelegtes Konjunkturprogramm ebnete.

Viele Details sind noch nicht bekannt, laut Nachrichtenagentur Reuters soll das Paket einen Umfang von umgerechnet mehr als 280 Mrd. US-Dollar haben und unter anderem Familien mit mehr als einem Kind mit monatlich rund 110 US-Dollar unterstützen. »Wir müssen uns den Schwierigkeiten der Wirtschaft direkt stellen«, heißt es in dem Protokoll der Politbüro-Sitzung, »und entschlossen handeln«. Außerdem wird die Notwendigkeit »einer antizyklischen Fiskalpolitik« unterstrichen. Dass Staats- und Parteichef Xi solche Maßnahmen mitträgt und zugleich das Land auf schwierige Zeiten einstimmt, macht deutlich, wie groß die Probleme sind.

Viele Analyst*innen sehen in den klaren Formulierungen des Politbüros eine Abkehr von den vorsichtigen Stimulus-Maßnahmen der vergangenen zwei Jahre. »Peking scheint entschlossen, die Bazooka in rascher Abfolge aufzufahren«, schreibt etwa Lu Ting, China-Analystin bei Nomura in Hongkong.

Die Zentralregierung plant mit ihrem Konjunkturprogramm auch, den lokalen Verwaltungen bei der Bewältigung ihrer Schuldenprobleme zu helfen, andere Teile des Pakets sollen in Investitionen fließen und der Immobiliensektor stabilisiert werden. So hieß es während der Politbüro-Sitzung, die Behörden würden Neubauten von Wohnungen und Häusern fortan strikt begrenzen und Banken nur noch sinnvolle Bauvorhaben von Immobilienentwicklern mit Krediten unterstützen. »Der Absturz muss gestoppt werden und Stabilität zurückkehren«, heißt es im Protokoll der Politbüro-Sitzung.


Viele Fragen bleiben offen

Gleichwohl bleiben noch viele Fragen offen. So muss abgewartet werden, in welche Investitionsprojekte die staatlichen Gelder fließen sollen. Baut China, ähnlich wie 2009, erneut Straßen, Brücken und Bahnhöfe, von denen es ohnehin schon reichlich gibt, entfacht es vermutlich nicht mehr als ein Strohfeuer. Viele ausländische Analyst*innen glauben zudem, dass die bisher angekündigten Maßnahmen nicht ausreichen werden, zumal die geldpolitischen Maßnahmen dürften nur überschaubare Wirkungen entfalten könnten, denn bereits in der Vergangenheit hätten und private Haushalte Kredite – wenn überhaupt nur zögerlich – angenommen.

Richtig ist, dass die aktuellen Probleme in der Wirtschaft Chinas auf einer Vertrauenskrise beruhen, worauf auch erste Proteste gegen die geplante – gegenüber hiesigen Verhältnissen mäßige – Erhöhung des Renteneintrittsalters hinweisen. Ob es gelingt, durch die anderen bislang noch nicht bekannten Maßnahmen des Konjunkturpakets, die zur Entlastung der chinesischen Privathaushalten beitragen sollen, breites Vertrauen zurückzugewinnen, wird sich zeigen müssen.

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