1. Juli 2024 Redaktion Sozialismus.de: Essener Parteitag in einer »Harmonieblase« (tagesschau.de)?
AfD will in die Regierung
Auf dem Parteitag der AfD am vergangenen Wochenende in Essen wurde das bisherige Spitzenduo bestätigt. Die Delegierten der »Alternative für Deutschland haben schnörkellos die beiden bisherigen Vorsitzenden bestätigt. Weiterhin werden Tino Chrupalla und Alice Weidel der rechten Oppositionspartei vorstehen. Gegenkandidat*innen gab es nicht.
Chrupalla bekam 82,7% der Stimmen. Er sprach von einem »überwältigenden Ergebnis«. Weidel wurde mit 79,77% der Stimmen zur Co-Chefin wiedergewählt. 418 von 537 Stimmen waren dieses Mal Ja-Stimmen, 106 Delegierte stimmten mit Nein, 13 enthielten sich. Beim Parteitag 2022 war Chrupalla nur knapp mit 53% zum Co-Chef gewählt worden, Weidel hatte vor zwei Jahren 67% erhalten.
Zuvor hatten die Delegierten mit großer Mehrheit dafür gestimmt, am Modell der Doppelspitze festzuhalten. Laut Satzung wäre auch eine Einzelspitze möglich gewesen. Die Frage, ob es zukünftig einen Generalsekretär geben wird, wurde vertagt, der Konflikt darum durch den Beschluss entschärft, dass es zukünftig auch einen bei zwei Vorsitzenden geben könne.
In ihren Bewerbungsreden hatten die beiden bisherigen Vorsitzenden eine positive Bilanz ihrer Führungsarbeit gezogen. Laut Chrupalla sei die AfD »so stark wie nie zuvor«. Als eine der zentralen Aufgaben ihrer neuen Amtszeit kündigte Weidel an, die »unsäglichen Brandmauern« abreißen zu wollen, mit denen sich andere Parteien von der AfD abgrenzten.
Auffällig war, dass es nach den beiden Bewerbungsreden keine einzige Nachfrage gab. Weidel und Chrupalla dürften diese doppelte Zurückhaltung als Ergebnis der von ihnen forcierten Professionalisierung der Partei deuten. Diese neue Geschlossenheit im »gärigen Haufen« ist vor allem ein Verdienst der mittlerweile mächtigen Netzwerke der Partei.
Die jungen Karrieristen stehen dem völkischen Flügel in Sachen Radikalität in nichts nach, sind aber nicht nur im Osten gut vernetzt, sondern auch mit den Länderchefs im Westen, die nach außen hin lieber ein moderateres Bild abgeben. Die Landesverbände sind mittlerweile treibende Faktoren und räumen politisch-personale Konflikte durch Vorabsprachen aus dem Weg.
Chrupalla betonte in seiner Bewerbungsrede seine Herkunft als Handwerker. Der Malermeister rückte die Interessen der »bürgerlichen Mitte« in das Zentrum seiner Ausführungen, die künftig verstärkt als Zielgruppe der AfD angesprochen werden müsse. Als »Partei der Wertschöpfer«, konkret der Arbeiter und der Arbeitgeber, des Mittelstands und der Handwerker, müsse die AfD in Regierungsverantwortung gelangen, und zwar schon bei den kommenden drei Wahlen im Osten Deutschlands.
Dann, so folgerte der wiedergewählte Co-Parteichef, »wird diese Partei unser Land verändern«, an der Spitze des »Widerstands gegen De-Industrialisierung und Massenzuwanderung«. Er forderte »Widerstand gegen Massenzuwanderung« und kündigte mit einem Höcke-Zitat an, das »Land vom Kopf auf die Füße stellen« zu wollen.
Weidel dagegen fand kritische Worte für das Agieren der Funktions- und Mandatsträger in der Vergangenheit. Sie hatte in ihrer Amtsperiode eine stärkere Qualifizierung des Führungspersonals gefordert und organisiert, musste daher auch Fehlentwicklungen bei der Aufstellung der Kandidaturen im Europa-Wahlkampf einräumen. Parteiarbeit sei Mannschaftssport, manchmal müsse man jemanden vom Feld nehmen.
Die Worte richteten sich an Maximilian Krah und bezogen sich auch auf den von Vielen in der Partei kritisierten Umgang der Parteispitze mit ihm, als dieser nach dem Ausschluss der AfD aus der ID-Fraktion im EU-Parlament wegen SS-Verharmlosung, Korruptions- und Spionageskandal nicht Teil der AfD-Delegation in Brüssel werden durfte, die deutliche Auseinandersetzungen bei Anhängern des ehemaligen völkischen »Flügel« zur Folge hatte. Zugleich baute sie dem inzwischen gewählten Abgeordneten des neuen EU-Parlaments eine Brücke: »Auch talentierte Spieler können sich verrennen […] Wenn jemand auf die Ersatzbank muss, ist er noch nicht aus dem Kader.«
Die ebenfalls wiedergewählte Co-Vorsitzende bemühte sich um eine sachliche Auseinandersetzung und vermied den sonst gern praktizierten jovialen Ton. »Wir erklären noch zu wenig«, mahnte sie ihre Parteifreunde. Damit die Wähler*innen die AfD an ihrem Programm messen und nicht an den Erzählungen der Konkurrenz oder der Medien, müsse die Partei »bei der Kommunikation unbedingt besser werden«. Deshalb wolle sie sich selbst diesem Schwerpunkt zukünftig widmen.
Das Bemühen zeigt offenkundig bereits jetzt Früchte. Der Geschäftsführer eines Meinungsforschungsinstituts konstatiert: »Früher war das AfD-Spitzenpersonal in unserem Politikerranking ganz weit unten. In der vergangenen Woche erreichte Alice Weidel den 14. Platz, vor Olaf Scholz, Christian Lindner und der Linken-Chefin Janine Wissler. Sie genießt eine Akzeptanz über die Wählerschaft der AfD hinaus. Interessant ist auch, dass Frau Weidel bei BSW-Wählern weit überdurchschnittlich beliebt ist und Frau Wagenknecht wiederum bei AfD-Affinen.«
Am Rande des Parteitags in Essen forderte der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke die CDU im Freistaat erneut zur Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Landesregierung auf. Er sagte gegenüber dem Fernsehsender Phoenix, er erwarte für seine Partei bei der Wahl ein Ergebnis von mindestens 30%. Dann könne man die AfD nicht mehr ignorieren. Sollte sich die CDU stattdessen »mit dem BSW, mit der SPD und allem, was vielleicht doch noch im Thüringer Landtag vertreten ist«, in eine Koalition begeben, verliere sie ihr Profil vollständig. Für diesen Fall kündigte Höcke eine »harte Oppositionspolitik« an.
Der Beginn des Parteitags in der Essener Grugahalle war von massiven Protesten Zehntausender Menschen begleitet worden. Laut Polizei gab es seit Freitagabend insgesamt 32 Gegendemonstrationen.