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1. Oktober 2020 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Arbeitsmarkterholung auf prekärer Grundlage

Foto: andreas160578/pixabay

Trotz wieder steigender Zahlen an Corona-Neuinfektionen ist die deutsche Wirtschaft nach der massiven Rezession auf dem Weg der Besserung. Die bundesdeutsche Ökonomie durchlief im ersten Halbjahr einen historischen Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Diese Einschätzung der Wirtschaftsforschungsinstitute und Bundesregierung[1] wird jetzt auch in einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB) zur Konjunkturentwicklung und ihrer Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt[2] geteilt. »Die Covid-19-Pandemie ließ die deutsche Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte massiv schrumpfen. Im ersten Quartal 2020 nahm das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 2,0%, im zweiten Quartal sogar um 9,7% gegenüber dem jeweiligen Vorquartal ab. Dieser Einbruch ist vor allem auf die Eindämmungsmaßnahmen im Frühjahr in Deutschland und weltweit zurückzuführen. Infolge der schnellen und weitgehenden Lockerungen kam aber bereits zum Ende des zweiten Quartals eine deutliche Erholung in Gang. Daher rechnen wir für das zweite Halbjahr mit einem starken Aufschwung, der sich gegen Ende dieses Jahres abflacht, sodass das Vorkrisenniveau auch bis zum Ende des nächsten Jahres wohl noch nicht erreicht werden wird. Insgesamt erwarten wir für das Jahr 2020 einen Rückgang des BIP um 5,2 Prozent, gefolgt von einem Anstieg um 3,2 Prozent im Jahr 2021.«

 

Exporte und Importe hätten sich nach dem starken Einbruch im zweiten Quartal momentan wieder erholt. Die Exporterwartungen deuteten ebenfalls eine kräftige Erholung im laufenden Jahr an. Risiken sieht das IAB vor allem in einem mögliche Scheitern des Handelsabkommens nach dem Brexit sowie die jüngst in vielen Ländern der Welt wieder steigenden Infektionszahlen. Im Falle erneuter Shutdowns bei wichtigen Handelspartnern Deutschlands könnte es auch hierzulande wieder zu Lieferengpässen und Nachfrageeinbußen kommen. Außerdem sei das Insolvenzrisiko global deutlich erhöht, was zu Lieferausfällen führen und damit die Erholung verlangsamen könnte.

Am stärksten habe die Corona-Krise den Konsum gedämpft. Während der Eindämmungsmaßnahmen gab der private Konsum massiv nach, da weite Teile des öffentlichen Lebens zum Stillstand kamen. Die schnellen und weitgehenden Öffnungen führten aber in vielen Bereichen zu einer raschen Erholung. »Der Staatskonsum stützte die Wirtschaft durch ein umfangreiches Konjunkturpaket. Allerdings ist für bestimmte Wirtschaftsbereiche absehbar, dass Einschränkungen noch bis weit ins nächste Jahr bestehen bleiben, was zu einem durchschnittlichen Ausfall der Bruttowertschöpfung um 2,4% in diesem und 1,2% im nächsten Jahren führen könnte. Einkommenseinbußen durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Kurzarbeit verlangsamen die Erholung des Konsumklimas. Die Unsicherheit über das weitere Infektionsgeschehen und mögliche wirtschaftliche Folgen mindert ebenfalls die Dynamik im Konsum.«

Durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bleibe unklar, wie viele Unternehmen aktuell tatsächlich insolvent sind und mit dem Auslaufen der Aussetzungsfrist ein Insolvenzverfahren beginnen. Wenn die Zahl der Insolvenzen auf die BIP-Änderung ähnlich stark reagiere wie in der Vergangenheit, wären im Vergleich zum Vorjahr 3.000 Insolvenzen mehr zu erwarten, verbunden mit 40.000 Jobverlusten.

Abwärtsrisiken für die Konjunktur und damit auch den Arbeitsmarkt sieht das IAB vor allem durch das außenwirtschaftliche Umfeld, das weitere Infektionsgeschehen und eine mögliche Insolvenzwelle. Allerdings werden in der IAB-Prognose die Risiken für die deutsche Exportwirtschaft und ihre Wirkung auf den Arbeitsmarkt deutlich unterschätzt.

Es ist zwar richtig, dass Europas größte Volkswirtschaft bislang besser durch die Corona-Krise gekommen ist als viele andere große Nationen. Der BIP-Rückgang im Frühjahr war zwar mit 9,7% so stark wie noch nie, die Lage in Frankreich (-13,8%), Großbritannien (-20,4%) und Italien (-12,8%) ist aber deutlich schlimmer. Auch in Spanien, ebenfalls ein großer Markt im Euroraum, ist die wirtschaftliche Erholung vom Jahrhunderteinbruch ins Stocken geraten. Nicht besser sieht es in den USA aus, bis zur Krise der größte Absatzmarkt der deutschen Wirtschaft. Hinzu kommen die Folgewirkungen vor allem des zerrütteten Verhältnisses zwischen den USA und China auch auf die bundesdeutsche Ökonomie. Hier findet mit den Präsidentschaftswahlen in den USA Anfang November eine enorm wichtige Weichenstellung statt. Deshalb ist die Unsicherheit gerade für den Exportweltmeister Deutschland hoch, und eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau allenfalls Ende kommenden Jahres zu erwarten. Der Export hat sich vom Wachstumsmotor zur Achillesferse der deutschen Wirtschaft entwickelt.

 

Arbeitsmarkt in der Talsohle

Der drastische Einbruch der Wirtschaftsleistung hat logischerweise den Arbeitsmarkt und damit die Lohnarbeit massiv unter Druck gesetzt. Dabei war der größere Teil des Anstiegs der Arbeitslosigkeit direkt auf die Eindämmungsmaßnahmen zurückzuführen und kam sowohl durch zusätzliche beendete als auch durch weniger neu begonnene Beschäftigungsverhältnisse zustande. Dennoch ist der Arbeitsmarkt nicht ins Bodenlose gestürzt. Die Zahl der Kündigungen blieb vergleichsweise begrenzt. Vor allem die schnellen und umfassenden Stützungsmaßnahmen für Betriebe und Beschäftigung, also vor allem Liquiditätshilfen und Kurzarbeit, haben dazu beigetragen.

Dennoch ist es zu deutlichen Verschlechterungen bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit gekommen. Die Neueinstellungen sind stark zurückgegangen. Neu ist zudem, dass vom Einbruch der Wirtschaftsleistung auch Bereiche betroffen sind, die üblicherweise weniger Konjunkturschwankungen ausgesetzt sind. In diesen Bereichen gibt es einen hohen Anteil prekär beschäftigter Lohnabhängiger (kurzfristige Beschäftigung, Einfacharbeitsplätze und Minijobs sowie Zeitarbeit), die nicht von der Kurzarbeiterregelung profitiert haben und arbeitslos geworden sind.

Vor allem durch die Kurzarbeit ist die Arbeitszeit drastisch gesunken. Die Arbeitszeitreduktionen schmälern in der Folge des Konjunktureinbruchs zwar die Wirtschaftsleistung und teilweise auch die Einkommen, tragen aber letztlich zur Beschäftigungssicherung bei. »Über sinkende Arbeitszeit wurde ein noch deutlich größerer Teil des Einbruchs aufgefangen als in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009, der Rückgang der Arbeitsproduktivität infolge geringerer Kapazitätsauslastung blieb eher begrenzt.«

Nach Einschätzung des IAB hat der Arbeitsmarkt mittlerweile die Talsohle durchschritten. So habe sich das Niveau bei den Kündigungen nach den kurzfristigen Kriseneffekten insgesamt normalisiert. Auch die schnelle Aufhebung der Corona-Einschränkungen hat dazu beigetragen, dass dies zügig möglich war. Das IAB rechnet für dieses und das nächste Jahr mit einer schrittweisen Erholung, was durch die aktuellen Zahlen zum Arbeitsmarkt im September bestätigt wird. Das Institut geht dabei davon aus, dass Insolvenzen nach Auslaufen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die Erholung des Arbeitsmarkts zwar verzögern, aber nicht zu einem weiteren Einbruch führen.

Trotz der einsetzenden Erholung ist die Zahl der Erwerbstätigen deutlich niedriger und die Zahl der Arbeitslosen deutlich höher als in der Vorkrisenzeit.

  • So rechnet das IAB damit, dass die Zahl der Erwerbstätigen im Jahresdurchschnitt 2020 um 400.000 niedriger liegen wird als im Vorjahr. »Dafür ist auch ein starker Rückgang bei Minijobbern verantwortlich, die nicht von der Kurzarbeitsregelung profitieren. Zudem haben sich hunderttausende Personen vom Arbeitsmarkt zurückgezogen. In dem Maße, wie diese nicht wieder aktiviert werden können, sinkt das Beschäftigungspotenzial entsprechend.« Gerade für die nächsten Monate fällt ins Gewicht, dass die erhebliche Zahl der Kurzarbeiter*innen deutlich zurückgeht, was die Beschäftigung nicht erhöht, da diese bereits als erwerbstätig zählen. Im Jahresschnitt 2021 soll die Erwerbstätigkeit nach der IAB-Prognose dann wieder um 130.000 Personen steigen. 
  • Die Zahl der Arbeitslosen wird auf Basis der Prognose wieder zurückgehen. Auch wenn es im Sommer saisonbereinigt keine weiteren Zunahmen gab, ist eine starke Trendwende nach unten bisher ausgeblieben. Für den Jahresdurchschnitt 2020 ergibt sich eine Zunahme der Arbeitslosigkeit um 440.000 Personen im Vergleich zum Vorjahr. Dabei ist auch relevant, dass Übergänge von Arbeitslosen in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Fortbildungskurse nur eingeschränkt stattfanden oder etwa kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsmeldungen von Arbeitslosen in geringerem Umfang als gewohnt erfolgten. Auch diese Effekte gehen allmählich wieder zurück. »Für das Jahr 2021 erwarten wir, dass die Arbeitslosigkeit um 100.000 Personen sinkt. Sie liegt damit aber noch deutlich höher als vor der Pandemie.«

 

Kurzarbeit auf historischem Höchststand

Die Corona-Krise hat zu einem drastischen Rückgang der Jahresarbeitszeit geführt: Pro Beschäftigten wird die Arbeitszeit laut IAB-Prognose im laufenden Jahr um 3,1% auf 1.289 Stunden abnehmen, so kräftig wie nie zuvor. Im Jahr 2021 soll dann die Arbeitszeit wieder deutlich zunehmen, erreicht aber noch nicht den Stand von vor der Krise.

Neben mehr Freistellungen ist die Arbeitszeit im laufenden Jahr vor allem durch Kurzarbeit, Abbau bei Arbeitszeitkonten und weniger Überstunden gesunken. Den Großteil macht die Kurzarbeit aus – die Entlastung bei den Lohnkosten spielt für viele Betriebe eine entscheidende Rolle und hat die Wucht der Corona-Krise zum großen Teil abgefangen. Die Zahl der konjunkturellen Kurzarbeiter*innen ist ab März 2020 sprunghaft gestiegen und lag im April 2020 mit rund sechs Mio. Personen auf einem historischen Höchststand. »Ab dem zweiten Halbjahr 2020 dürften viele Betriebe wieder zu normalen Arbeitszeiten zurückkehren. Die Zahl der konjunkturellen Kurzarbeiter wird sich im Durchschnitt des Jahres 2020 schätzungsweise auf durchschnittlich rund 2,7 Mio. Personen belaufen und im Jahr 2021 weiter auf 740.000 Personen sinken. Zusammen mit der Saison- und Transferkurzarbeit erwarten wir rund 2,8 Mio. Kurzarbeiter im laufenden und rund 840.000 im kommenden Jahr.«

 

Seit geraumer Zeit ist die Zahl der Lohnabhängigen, die mit einem Zweitjob ihr Einkommen aufbessern müssen, deutlich gestiegen. Diese Entwicklung wurde in 2020 erstmals unterbrochen. 3,87 Mio. Beschäftigte gehen 2020 einer Nebentätigkeit nach, rund 3% weniger als 2019. Im kommenden Jahr soll ihre Zahl laut IAB-Prognose wieder steigen, erreicht aber mit 3,91 Mio. Personen im Jahresdurchschnitt noch nicht wieder das Vorkrisenniveau.

Der Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens infolge der Corona-Krise ist beträchtlich: Das Produkt aus durchschnittlicher Arbeitszeit und Erwerbstätigenzahl sinkt im Jahr 2020 auf 60,15 Mrd. Stunden (-3,9 %), im Jahr 2021 nimmt es mit wieder steigender Erwerbstätigkeit und Arbeitszeit auf 62,02 Mrd. Stunden zu (+3,1 %). Der größte Teil des BIP-Einbruchs von -5,2% im laufenden Jahr spiegelt sich in einem Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden wider, ein kleinerer Teil in einer sinkenden Produktivität pro Stunde.

 

Unterschiedliche Betroffenheit der verschiedenen Formen der Lohnarbeit

Die Covid-19-Pandemie schlägt sich auch in der Entwicklung der Erwerbsformen deutlich nieder. Der langjährige kräftige Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wird zumindest in diesem Jahr weitgehend ausgebremst. Die Zahl der Selbstständigen und insbesondere die der Minijobber sinkt deutlich.

  • Im Jahr 2019 waren 74% der Erwerbstätigen oder 33,52 Mio. Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Ihre Zahl ist seit zehn Jahren überproportional gestiegen, ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung ist inzwischen wieder genauso hoch wie Mitte der 1990er Jahre. Corona hat den Aufwärtstrend im Frühjahr dieses Jahres gestoppt. Zum ersten Mal seit der Finanzkrise 2009 sank 2020 die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Dennoch kann sie im Jahresdurchschnitt 2020 aufgrund eines hohen statistischen Überhangs noch um 50.000 Personen auf 33,57 Mio. zulegen. Eine durchgreifende Erholung wird es laut Prognose erst im nächsten Jahr geben. »Für 2021 erwarten wir ein deutlicheres Plus von 320.000 auf dann 33,89 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.«
  • Gut 11% der Erwerbstätigen oder 5,20 Mio. Personen gehörten 2019 zur Gruppe der marginal Beschäftigten, vor allem Minijobber*innen. Anders als die Finanzkrise 2009 trifft die Corona-Krise diesmal auch sie, wodurch der sowieso schon rückläufige Trend noch verstärkt wird. Für dieses Jahr zeichnet sich eine kräftige Abnahme um 340.000 auf 4,86 Mio. prekär beschäftigte Lohnabhängige ab. Für den Jahresdurchschnitt 2021 ergibt nach der IAB-Prognose ein deutlich kleineres Minus von 70.000 Personen auf 4,79 Mio. Minijobber*innen.
  • Rund 9% der Erwerbstätigen oder 4,15 Mio. Personen waren im Jahr 2019 Selbstständige oder mithelfende Familienangehörige. Ihre Zahl ist seit acht Jahren rückläufig. Die Covid-19-Pandemie stellt diese Erwerbsform vor neue Schwierigkeiten, die der Gesetzgeber bis dato mit Gegenmaßnahmen, zum Beispiel der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht oder Liquiditätshilfen, einzudämmen versucht. »Es verbleibt aber ein erhebliches Risiko zumindest für die Zeit nach Auslaufen dieser Maßnahmen. Für dieses und kommendes Jahr erwarten wir im Schnitt 4,02 beziehungsweise 3,90 Mio. Selbstständige, was Rückgängen von jeweils knapp 130.000 Personen entspricht.«

 

Arbeitslosigkeit bei Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung

Arbeitslose werden in Deutschland entweder im System der Arbeitslosenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch III (SGB III) oder in der Grundsicherung nach dem SGB II erfasst. Das Versicherungssystem umfasst vor allem Personen, die ihre Beschäftigung erst kürzlich verloren haben; sie sind oft formal besser qualifiziert als die SGB-II-Arbeitslosen und finden leichter eine neue Stelle. Zur Grundsicherung nach dem SGB II gehört ein großer Teil des verfestigten Kerns der Arbeitslosigkeit. Weil Personen im SGB-III-Bereich stärker an die Beschäftigungsentwicklung gebunden sind, wirken sich konjunkturelle Schwankungen dort meist stärker aus.

  • »In der aktuellen Rezession ist die Arbeitslosigkeit im Lauf des zweiten Quartals 2020 im SGB III um 270.000 Personen gestiegen (nicht saisonbereinigt). Im Vorjahresquartal war dort die Zahl der Arbeitslosen noch um 84.000 gesunken. Im SGB-II-Bereich ist die Arbeitslosigkeit im zweiten Quartal 2020 um 246.000 gestiegen.«
  • Ausgehend von der Entwicklung im bisherigen Jahresverlauf wird die SGB-III-Arbeitslosigkeit im Jahr 2020 voraussichtlich 1,14 Mio. Personen umfassen; das sind 310.000 mehr als im Jahr 2019. Die SGB-II-Arbeitslosigkeit steigt um 130.000 und beträgt im Jahresdurchschnitt 1,57 Mio. »Für das Jahr 2021 erwarten wir eine SGBIII-Arbeitslosigkeit von 1,09 Mio. Personen und eine SGB-II-Arbeitslosigkeit von 1,52 Mio. Personen.«

Die Konjunktur wird sich im weiteren Verlauf der Jahre 2020 und 2021 erholen. »Dies wirkt sich im SGBIII-Bereich stärker aus als im SGB II. Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen werden im SGB II stärker zunehmen als im SGB III. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen wurde der Maßnahmeneinsatz im Frühjahr 2020 zurückgefahren. Das wird sich im Jahr 2021 wieder normalisieren. Da Maßnahmeteilnehmer nicht arbeitslos, sondern erwerbstätig sind oder zur Stillen Reserve gehören, sinkt insbesondere die SGB-II-Arbeitslosigkeit aufgrund des zunehmenden Einsatzes von Maßnahmen stärker.«

 

Fazit

Die Welle der akuten Krisenwirkungen am Arbeitsmarkt ist vorerst weitgehend ausgelaufen. Die Wirtschaftsentwicklung hat sich im Vergleich zum Tiefpunkt im April wieder deutlich verbessert. Auch fünf Monate nach Aufhebung des Shutdowns ist die wirtschaftliche Aktivität aber noch stark gedämpft. Risiken in Bezug auf das Infektionsgeschehen verbleiben weiterhin ebenso wie die Unsicherheiten in der außenwirtschaftlichen Entwicklung, die wegen der großen Exportabhängigkeit Deutschlands auch für die Entwicklung am Arbeitsmarkt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung haben. Während sich das Entlassungsniveau wieder normalisiert hat, liegt die Neueinstellungsdynamik noch immer deutlich unter Vorkrisenstand. Dies birgt erhebliche Risiken einer Verfestigung von Arbeitslosigkeit und eines Corona-Jahrgangs bei den Berufseinsteigern, eines Rückzugs vom Arbeitsmarkt und einer Schwächung beruflicher Aufwärtsentwicklung über Jobwechsel.

Ob es im zweiten Halbjahr 2020 und dann im nächsten Jahr zu einem Rückgang bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit kommen wird, hängt erstens davon ab, ob die wirtschaftliche Belebung weiter zunimmt, und zweitens von der Wirkung des von der Bundesregierung aufgelegten staatlichen Konjunkturprogramms mit einem Volumen von 130 Mrd. Euro, das einen wesentlichen Beitrag zur Wiederankurbelung und Reorganisation der gesellschaftlichen Wertschöpfung leisten soll. Dazu gehören drittens auch massive Investitionen in die soziale Infrastruktur (Krankhäuser, Schulen, Wohnungen) sowie Maßnahmen zur Eindämmung prekärer Beschäftigung z.B. durch die Erhöhung des Mindestlohns, sowie die Verbesserung der sozialen Mindestsicherung. Durch diese Investitionen könnte auch ein wichtiger Beitrag geleistet werden, um die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft vom Außenhandel abzumildern.

Kurzarbeit sichert Arbeitsplätze, die sonst in der Krise verloren gehen würden. Dieses Instrument nützt den Unternehmen, weil dadurch der betriebliche Arbeitskörper zusammengehalten wird. Und Kurzarbeit hat für die Lohnabhängigen eine Brückenfunktion, weil die Rückkehr aus der Arbeitslosigkeit in ein Beschäftigungsverhältnis mit mehr Hürden verbunden ist. Eine solche Arbeitslosigkeit verursacht außerdem gesellschaftlich weit höhere Kosten als das Kurzarbeitergeld. Betriebe können mithilfe der Kurzarbeit ihre Fachkräfte im Unternehmen halten. Das ist auch für die Zukunft wichtig. Auch die gestaffelte Erhöhung des Kurzarbeitergeldes ist trotz der zusätzlichen Kosten richtig. Erstens hilft sie Menschen, ihre Miete oder auch Kreditraten zu bezahlen. Niemand konnte damit planen, dass die Corona-Krise kommt und er in Kurzarbeit muss. Darüber hinaus stärkt das Kurzarbeitergeld auch die Nachfrage. Jeder Euro, der in der Krise ausgegeben wird, hilft, dass die Wirtschaft nicht noch tiefer abstürzt.

Die Akzeptanz der Kurzarbeit könnte nach der Krise verstärkt werden. Kurzarbeit ist die wichtigste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal. Insofern ist die Verbesserung des Kurzarbeitergeldes auch weiterhin eine wichtige Zielsetzung. Die beschlossene Verlängerung des Kurzarbeitergeldes soll mit Weiterbildung verbunden werden. Das ist sinnvoll. Gerade in den Branchen, in denen Transformationsprozesse stattfinden, müssen Beschäftigte weiter qualifiziert werden.

Bei der gegenwärtigen Regelung besteht trotz der im Mai beschlossenen Aufstockung und der vor Kurzem beschlossenen Verlängerung die Gefahr, dass Menschen aufgrund von Kurzarbeit in die Grundsicherung abrutschen können, also bei der Arbeitsagentur aufstocken müssen. Wir brauchen also eine Staffelung, die Geringverdiener*innen eine höhere Zahlung garantieren würde. Außerdem muss die Kurzarbeit auf Minijobber*innen und neu eingestellte Mitarbeiter*innen ausgeweitet werden. Gleichwohl kann die Kurzarbeit nicht zum Allheilmittel werden, das alle Folgen der gegenwärtigen Krise abzufedern vermag. Entscheidend für die Belebung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses bleibt, ob durch die staatlichen Fördermaßnahmen nicht nur Brücken gebaut und Kaufkraft bei den Lohnabhängigen stabilisiert wird, sondern die gesellschaftliche Wertschöpfung wieder Fahrt aufnimmt.

Anmerkungen:

[1] Siehe Joachim Bischoff, Die Ökonomie kriecht langsam aufwärts, Sozialismus.deAktuell vom 3. September 2020.
[2] Anja Bauer, Johann Fuchs, Hermann Gartner, Markus Hummel, Christian Hutter, Susanne Wanger, Enzo Weber und Gerd Zika, Arbeitsmarkt auf schwierigem Erholungskurs, IAB-Kurzbericht 19/2020.

 

 

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