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ISBN 978-3-96488-210-3

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Peter Wahl
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Heiner Dribbusch
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

18. September 2014 Otto König / Richard Detje: Neue gesetzliche Restriktionen gegen Migranten

»Armutsmigration«: Zündeleien mit Ressentiments

Missbrauchskampagnen gehören nicht nur aber insbesondere zur politischen Tradition der bayerischen CSU. Da werden Flüchtlinge als »Asylbetrüger« abgestempelt, MigrantInnen aus Rumänien und Bulgarien, die seit Anfang des Jahres volle Freizügigkeit in der EU haben und auf der Suche nach Arbeit und einem »besseren« Leben sind, wird pauschal »Sozialtourismus« unterstellt.

Die »antiziganistische« Kampagne gipfelte in dem Slogan »Wer betrügt, der fliegt«. »Armutsmigration« ist in der bundesdeutschen Gegenwart zu einer »Chiffre für Roma« geworden, Angehörige einer Minderheit, die »pauschal zu Bettlern und Betrügern abgestempelt werden« (Daniel Bax, taz, 31.8.2014). Dass diese Menschen seit Jahrhunderten diskriminiert und im Nationalsozialismus Opfer von Verfolgung und Vernichtung wurden, wird entweder bagatellisiert oder dient selbst noch zur Aufladung von Ressentiments.

Das Schüren von Ängsten vor der angeblichen »Masseneinwanderung in die Sozialsysteme« bedient nicht nur den rechten Rand in der Bevölkerung, sondern fällt auf fruchtbaren Boden der schwarz-roten Koalitionäre in Berlin. Die CSU-Kampagne mündete Ende August in ein Gesetzespaket der Großen Koalition, dessen Hauptpunkte sind:

  • Wenn Migranten aus EU-Staaten arbeitslos sind, soll ihnen künftig nach sechs Monaten der sichere Aufenthaltsstatus entzogen werden;
  • bei »Missbrauch von Sozialleistungen« sollen befristete Einreisesperren von bis zu fünf Jahren verhängt werden können;
  • verstärkt wird auf Scheinselbständigkeit hin geprüft;
  • außerdem soll der Bezug von Kindergeld einschränkt werden – Geklärt wird die rechtliche Möglichkeit, ob die Höhe der Zahlungen an den meist niedrigeren Kindergeldbetrag der Aufenthaltsländer der Kinder angepasst werden kann.

Das Gesetz ist zwar nicht so drakonisch ausgefallen, wie es die CSU gefordert hatte, doch es bedient Pauschalurteile, die »Vorurteile und Diskriminierung salonfähig« machen (Caritas-Präsident Peter Neher). So begründen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und Bundesinnenminister Thomas de Maizière die geplanten gesetzlichen Regelungen vorwiegend mit dem Ausnutzen der Sozialleistungen durch EU-Zuwanderer.

Doch selbst der von beiden Ministern präsentierte 133-seitige Abschlussbericht des Staatssekretärsausschusses liefert dafür keinen überzeugenden Beleg.[1] Aus dem Bericht geht u.a. hervor, dass im April 2014 12,9% der sich in Deutschland aufhaltenden bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II bezogen. Damit liegen sie 3,4 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der Ausländer, die in Deutschland leben, wenn auch 5,4 Prozentpunkte über den Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Zu beachten ist dabei: In den meisten Fällen handelt es sich um so genannte Aufstocker, deren Arbeitslohn nicht zur Existenz reicht – verdeckte Lohnsubvention statt migrantischer Griff in Sozialkassen.

Auch Arbeitsmarktforscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) haben festgestellt, dass die zugewanderten bulgarischen und rumänischen EU-BürgerInnen im Durchschnitt zwar geringer qualifiziert sind als andere, dennoch falle die Quote der Arbeitslosen und BezieherInnen von Transferleistungen unter ihnen deutlich geringer als bei anderen Migrantengruppen aus.[2]

Sie rechnen auch künftig nicht mit einem signifikanten Anstieg der Zahlen und widersprechen der verbreiteten Auffassung, es gäbe eine anschwellende Welle von »Armutseinwanderung«. Offensichtlich werden die Zuwanderer aus den ost- und auch wieder vermehrt aus den krisengeschüttelten südeuropäischen Staaten nicht von einem »großzügigen« Sozialstaat, sondern vom weniger angespannten Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angezogen.

Migration ist seit Mitte der 1950er Jahre in erster Linie Arbeitsmigration: auf der Suche nach Beschäftigung verbunden mit der Hoffnung auf ein besseres Leben, das die sozialen und politischen Zustände in den Herkunftsländern nicht ermöglichen. Die von den Konservativen über Jahrzehnte favorisierte Formel, Deutschland ist »kein Einwanderungsland«, entsprach noch nie der gesellschaftlichen Realität: weder bei den so genannten Gastarbeitern aus Italien, der Türkei, Spanien und Portugal, noch 30 Jahre später bei Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien, »Spätaussiedler« aus verschiedenen osteuropäischen Ländern eingeschlossen.

»Mediale Skandalisierung« gehörte immer dazu, auch in seriösen Presseorganen. Anfang der 1970er Jahre schrieb der »Spiegel«: »Fast eine Million Türken leben in der Bundesrepublik, 1,2 Millionen warten zu Hause auf die Einreise. Der Ansturm vom Bosporus verschärft eine Krise, die in den von Ausländern überlaufenen Ballungszentren schon lange schwelt. Städte wie Berlin, München oder Frankfurt können die Invasion kaum noch bewältigen: Es entstehen Gettos, und schon prophezeien Soziologen Städteverfall, Kriminalität und soziale Verelendung wie in Harlem.«[3]

»Populistische Debatten, die Zuwanderer pauschal des Sozialmissbrauchs beschuldigen, sind nicht nur brandgefährlich, sondern lenken ab vom deutlich größeren Problem: dem Sozialmissbrauch und Lohndumping durch Unternehmen« (Dominique John, Leiter des DGB-Projekts Faire Mobilität). Der DGB kritisiert unter anderem, dass eine differenzierte Analyse der Arbeitsmarktsituation von EU-Bürgern im Bericht der Bundesregierung fehlt.[4] Spätestens seit dem Tod der beiden rumänischen Werksvertragsarbeiter auf der Papenburger Meyer-Werft und der Aufdeckung der skandalösen Arbeitsbedingungen der »Lohnsklaven der Schlachthöfe«[5] rückten die Arbeits- und Lebensbedingungen der Zuwanderer und das Geschäftsmodell »Ausbeutung durch Lohndumping« in den Fokus der Öffentlichkeit.

Die regionale Verdichtung von Migration aus Osteuropa (EU-10) und Rumänien/Bulgarien (EU-2) findet in Städten wie München Duisburg, Frankfurt, Hamburg und Mannheim statt. Doch auch hier sind die Proportionen relevant: »Bezogen auf die Einwohnerzahl wiesen im Jahr 2013 die Städte Offenbach und Duisburg den höchsten Pro-Kopf-Zuzug von Personen aus EU-2 und EU-10-Staaten auf. Unter den großen Städten haben Dortmund und Hamburg die geringste Pro-Kopf-Zuwanderung«.[6] Letztlich ist es die Finanzkraft der Kommunen, zumal vor dem Hintergrund eines deindustrialisierenden Strukturwandels, die für die politische Brisanz eines Themas sorgt, für das MigrantInnen allein in die Verantwortung genommen werden.

Die Bundesrepublik ist ein weltoffenes Land, heißt es im Koalitionsvertrag der Großen Koalition.[7] Man wende sich gegen »jede Form der Diskriminierung«, gegenüber Migranten herrsche eine »Willkommens- und Anerkennungskultur«. In deren Genuss kommen jedoch nur hochqualifizierte ArbeitsmigrantInnen, die in jene »Facharbeiterlücken« passen, die Unternehmen durch Desinvestitionen in Aus- und Weiterbildung aufreißen – aus der Sicht von Unternehmen und Bundesregierung ist deren Zahl jedoch viel zu gering. Die »Gestrandeten« der Weltpolitik (Robert Castel) haben in diesem Land keinen Status – da stehen ein weitgehend undurchlässiges Asylrecht und Gesetze gegen »Masseneinwanderung in Sozialsysteme« davor.

[1] Abschlussbericht des Staatssekretärausschusses zu »Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch angehörige der EU-Mitgliedstaaten«, August 2014.
[2] Vgl. Herbert Brücker/Andreas Hauptmann/Ehsan Vallizadeh: Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien: Arbeitsmigration oder Armutsmigration? IAB-Kurzbericht, 16/2013.
[3] »Die Türken kommen – rette sich, wer kann«, in: Der Spiegel, 30.7.1973.
[4] Zusammenfassende Bewertung des DGB zum Abschlussbericht des Staatssekretärausschusses zu »Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch angehörige der EU-Mitgliedstaaten«.
[5] Otto König/Richard Detje: Lohnsklaven der Schlachthöfe. Fleischindustrie – Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Entlohnung, Sozialismus Heft 12/2013.
[6] Abschlussbericht Staatssekretärsausschuss…, S. 24.
[7] Vgl. Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, Berlin 2013.

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