Ulrich Duchrow
Gerechtigkeit, Frieden, (Über)Leben
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Felix Krebs/Florian Schubert
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Rechte und rassistische Gewalt in den 1980er-Jahren: gesellschaftliche Bedingungen und staatliche Reaktionen
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Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
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Heiner Karuscheit
Der deutsche Rassenstaat
Volksgemeinschaft & Siedlungskrieg:
NS-Deutschland 1933–1945
160 Seiten | € 14.80
ISBN 978-3-96488-237-0

29. November 2011 Horst Arenz: Der Landesparteitag der Berliner LINKEN

Artisten im Hinterzimmer – ratlos?

Die Berliner LINKE hat es auf ihrem ersten Landesparteitag immerhin zustande gebracht, sich ihre Probleme nach der verlorenen Wahl vom Leib zu reden. In einer fast fünfstündigen Debatte kam Etliches auf den Tisch. Die Linke hat auf dem Parteitag Terrain gewonnen.

Auch der Parteivorsitzende und der Spitzenkandidat, Klaus Lederer und Harald Wolf, geizten nicht mit Selbstkritik. Im Gegensatz etwa zu Wolfgang Albers und Elke Breitenbach, die voll des Lobes über die geleistete Arbeit waren, räumten sie offen ein, man habe etliche Anliegen der Menschen nicht richtig eingeschätzt und auch nach innen Fehler gemacht. Wenn sie nun »Butter bei die Fische machen«, könnte das ein hoffnungsvoller Ausgangspunkt sein, um die Partei wieder in die Offensive zu bringen.

Leider sind jedoch Zweifel angebracht. Harald Wolf dokumentierte zwar prononciert seine Bereitschaft, Konsequenzen aus den Fehlern zu ziehen, blieb aber im Allgemeinen. Und auch Klaus Lederer fand starke Worte, bemängelte unter anderem die fehlende »Verankerung unter stadtpolitischen Akteuren« und sprach von »gravierenden Fehleinschätzungen«. Häufig blieb er allerdings nicht nur nebulös, seine selbstkritischen Bekenntnisse (auch zur Mietenfrage) standen teilweise im Widerspruch zu eigenen Äußerungen im Vorfeld des Parteitags. So räumte er zwar ein, dass die Partei zwischen Öffentlichkeit und SPD »zerrieben« worden sei. Dies hinderte ihn aber nicht, in seinen »Gedanken zum Berliner Wahlergebnis« (auf der Webseite der Berliner Partei veröffentlicht und im Folgenden als »Gedanken« zitiert) die Mietenpolitik der Partei, die er auf dem Parteitag als einen der Gründe für die verlorenen Stimmen ausmachte, zu rechtfertigen: »Die Thematisierung von Gentrifizierung und Mietsteigerungen – all das haben wir wohl auf der Habenseite.«

Der Landesverband der LINKEN hat in zentralen Fragen des Alltagslebens der Berliner Bevölkerung die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Nicht zuletzt bedingt durch eine miserable Öffentlichkeitsarbeit und Internetpräsentation war die Partei bei den Themen Wasserpreise/Wassertisch, S-Bahn-Chaos, Müllschlucker, Straßenausbaubeitrags-Gesetz, Zustände an den Schulen, Kampf um gute Arbeit und eben auch Mietenexplosion und Verdrängung kein Faktor in der Öffentlichkeit. An der Mietenfrage ist dies eindrücklich dokumentiert: Harald Wolf hat mit der Parole Wahlkampf gemacht, dass die Mieten in Berlin im Jahr 2007 gekippt seien. Warum stand dann aber die landespolitische Verantwortung erst drei Jahre später auf der Tagesordnung der Frühjahresklausur der Fraktion? Und abgesehen davon sind die Berliner Mieten im Vergleich zu Hamburg und München schon seit 2000 exorbitant schneller gestiegen.

Die Partei- und Fraktionsspitze hat die SPD-Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer, gewähren lassen – »Nicht-Einmischung in die Ressorts« war die Übereinkunft, an die sich die SPD allerdings nicht gehalten hat. Nach landespolitischen Vorstößen der LINKEN gegen die Befreiung der Sozialwohnungen von Belegungsbindungen, gegen die Umwandlung in Eigentumswohnungen und gegen Spekulation mit Wohnungsleerstand und gegen Mietsteigerungen über 20% bei Neuvermietung sucht man vergeblich. Es ist und war den MieterInnen nicht zu vermitteln, warum es die Partei beim Wohnraumgesetz (Harald Wolf bezeichnete es auf einer Fraktionssitzung im Frühsommer als »Pipifax-Gesetz«) unterlassen hat, die Koalition aufzukündigen, wenn etwa der Kündigungsschutz bei Eigentumsumwandlung nicht von sieben auf zehn Jahre verlängert wird.

Eine Quittung dafür hat sie bei der Mieterdemo von 10.000 Menschen, die andere bei der Wahl bekommen. Klaus Lederer hat bislang keine Erklärung dafür geliefert, warum die Partei nicht mitbekommen hat, was an Mietenentwicklung, an Eigentumsumwandlung und an Verdrängungen in verschiedenen Stadtteilen und Kiezen seit Jahren läuft. Sie hat auch nicht registriert, dass Morgen Stanley ganze Straßenzüge aufgekauft hat und wie die Finanzkrise dazu beigetragen hat, dass Berlin zum Eldorado für Immobilienspekulanten wurde.

Die Partei- und Fraktionsführung hat kein Gespür dafür gehabt, was im Alltagsbewusstsein abgeht – obwohl Klaus Lederer sich auf dieses ständig beruft. Dies ist angesichts der dramatisch wachsenden Abwendung der Menschen von der Politik ein schweres Versäumnis.

Eine zweite gravierende Fehleinschätzung der Parteispitze sehe ich darin, dass sie nicht wahrgenommen hat, wie weit die Mobilisierungsfähigkeit der Partei zurückgegangen ist. Führende Mitglieder beklagten sich unter vier Augen, im Wahlkampf alles allein machen zu müssen – um im gleichen Atemzug die träge Parteibasis dafür verantwortlich zu machen! Wenn in den erwähnten »Gedanken« als Grund für das nicht vorhandene jugendpolitische Profil der Partei angeführt wird, dass »der Jugendverband … als Motor für jugendliches Engagement … nicht wahrnehmbar« sei, dann zeigt dies: Die Parteiführung hat »den Knall nicht gehört« und die Herausforderung der beiden zentralen Forderungen der Piraten nach Beteiligung und Transparenz und eigener Verantwortung für die Mobilisierungskrise an der Basis und in der Parteijugend nicht verstanden.

Die Praxis, dass ein enger Kreis der Parteiführung die Landesliste im Hinterzimmer aushandelt, muss ein Ende haben. Es ist nicht mehr hinnehmbar, einerseits die »offene, durchlässige, und aktive Parteikultur« und das »produktive Aushalten der Widersprüche im eigenen Laden« zu fordern, wie es Klaus Lederer in den »Gedanken« tut, und andererseits mit Verweis auf strikte Loyalitätskultur linke KritikerInnen auszugrenzen.

Wer meint, dass es mit der Selbstrechtfertigung so weitergehen könne und wer mit zwei Zungen spricht, signalisiert nur, dass die eigentlichen Ursachen für den anhaltenden Niedergang bei den Wählerstimmen nicht verstanden sind. Und wenn die Verselbständigung der Parteiführung gegenüber den Alltagsfragen der Menschen anhält, wenn sie es nicht schafft, die in der Partei vorherrschende Top-Down-Kultur zu den Akten zu legen, wird sich der Niedergang der Partei fortsetzen.

Stattdessen sollte der Parteivorstand im Vorfeld der für Februar angesetzten Basiskonferenz zu den Konsequenzen aus dem Wahlergebnis zu einer breiten und pluralen Debatte aufrufen, um die Motivierung der Parteibasis zurückzugewinnen. Die signalisierte Bereitschaft des Vorsitzenden, sich in den Gliederungen der Debatte zu stellen, ist dabei sicherlich hilfreich.

Horst Arenz ist Mitglied der BO Kreuzberg der Partei DIE LINKE.

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