21. November 2012 Berno Schuckart-Witsch: ver.di-Erfolg beim BAG
Auch gegen Kirchen-Arbeitergeber streikfähig!
Die Gewerkschaften dürfen auch in kirchlichen Einrichtungen zu Arbeitsniederlegungen aufrufen. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Dienstag in Erfurt bestätigt. Die Richter wiesen eine Klage der Diakonie ab, die unter Verweis auf ihr grundgesetzlich verbrieftes Selbstbestimmungsrecht ver.di dazu verpflichten wollte, Streikaufrufe an Kirchenbeschäftigte zu unterlassen.
BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt begründete die Entscheidung vor allem damit, dass die Gewerkschaften im so genannten Dritten Weg der kircheninternen Aushandlung von Einkommens- und Arbeitsbedingungen nicht ausreichend einbezogen und dessen Ergebnisse nicht verbindlich seien.
»Das ist ein klarer Erfolg. Die Revision ist abgewiesen, Streiks sind möglich«, betonte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirkse in einer ersten Reaktion auf das Urteil. Keines der diakonischen Werke erfülle derzeit die vom Gericht genannten Voraussetzungen, die eine eventuelle Einschränkung des Streikrechts erlauben würden. In den von der Kirche eingerichteten Arbeitsrechtlichen Kommissionen bestehe »ein ausgeprägtes Machtgefälle«, stellte Bsirske fest. »Von einem fairen Aushandlungsprozess ist dieses Verfahren meilenweit entfernt.« Von Verbindlichkeit könne ebenfalls keine Rede sein. In der Konsequenz seien Arbeitsniederlegungen zur Durchsetzung von Tarifverträgen daher rechtens.
Das BAG hatte zuvor zwar erklärt, dass sich das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen auch auf die Regelung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten erstreckt. Zugleich betonte es: »Die Beeinträchtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts durch einen Arbeitskampf ist nicht ausnahmslos rechtswidrig.« Ein generelles Streikverbot, wie es die Kirchenoberen für die von ihnen geführten Unternehmen reklamieren, besteht also nicht. Ein solches Verbot gelte nur, wenn die Gewerkschaften in das Verfahren zur Aushandlung der Beschäftigungsbedingungen »organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich ist«. Beides ist zurzeit indes nirgendwo der Fall.
Die ver.di-Bundesfachbereichsleiterin Ellen Paschke betonte: »Wir dürfen in kirchlichen Einrichtungen streiken – und das werden wir auch tun, um Tarifverträge durchzusetzen.« Ziel sei es letztlich, einen »Tarifvertrag Soziales« zu erreichen, der allgemeinverbindliche Mindeststandards festschreibe. »Das würde Wettbewerb über Lohndumping ausschließen und dafür sorgen, dass die Konkurrenz stattdessen über die Qualität ausgetragen wird.«
Unklar ist, wie der juristischer Konflikt weitergeht. ver.di sieht nach dem Abweisen der Arbeitgeberklage durch das BAG keinen Anlass, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. »Wir sind mit dem Urteil streikfähig. Wenn die Diakonischen Werke das anders sehen, müssen sie selbst das Bundesverfassungsgericht anrufen«, so Bsirske.
Für ver.di wird selbstverständlich der Kampf um gerechte Löhne und gute Arbeitsbedingungen in der Diakonie und den anderen Wohlfahrtsverbänden weitergehen müssen. Das bisherige kirchliche Sonderarbeitsrecht bietet dafür wenige Möglichkeiten. Ohne das Grundrecht auf Arbeitskampfmaßnahmen nach Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz findet auf Seiten der Arbeitnehmer_innen letztlich ein »kollektives Betteln« statt, so die Prozessvertreter von ver.di.
Weitere Infos unter www.verdi.de oder www.streikrecht-ist-grundrecht.de
Berno Schuckart-Witsch ist Gewerkschaftssekretär in der ver.di-Bundesverwaltung u.a. zuständig für Einrichtungen der Kirchen, Diakonie und Caritas.