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Den Krieg verlernen
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27. Oktober 2021 Redaktion Sozialismus.de: DIE LINKE in Existenznöten

Auf der Suche nach der Erneuerung

DIE LINKE steckt nach dem krassen Absturz bei der Bundestagswahl (millionenschwerer Stimmenverlust, die 5% Hürde mit 4,9% gerissen und nur dank dreier Direktmandate im Parlament) in einer existentiellen Krise. Die Partei führe einen »Überlebenskampf«, so die Co-Partei-Chefin Susanne Hennig-Wellsow.

Ähnlich äußerte sich Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. Aber von einer Mobilisierung aller Ressourcen zur Sicherung der politischen Existenz ist bislang wenig zu sehen. Die Parteiführerin Wellsow kündigte an, man werde jeden Stein umdrehen, um die Ursachen der überwiegend hausgemachten politischen Krise aufzuspüren.

Im Parteivorstand und auf den anderen Führungsebenen ist man Wochen nach dem Wahltermin noch mit dem Umdrehen der Steine beschäftigt. Die massiv geschrumpfte Fraktion wählte die bisherigen Vorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali mit knapp 77% der Stimmen wieder. Das Führungsduo sprach von »großer Einigkeit« in der Fraktion und einem Neustart. Zuvor hatte es noch einen dilettantischen Versuch gegeben, einen personellen Neuanfang an der Fraktionsspitze zu erzwingen.

Wie zuvor in einer Klausurtagung des Vorstands Anfang Oktober hatten Kritiker:innen das strategische Bündnis zwischen den ostdeutschen Reformern um Bartsch und der langjährigen Ikone der radikalen Linken, Sarah Wagenknecht, (das sogenannte  Hufeisen) als eine wesentliche Ursache für die konzeptionelle Schwäche und das widersprüchliche Erscheinungsbild der sozialistischen Partei verantwortlich gemacht. Seit 2015 führten Bartsch und Wagenknecht die Fraktion und nach den chronischen Konflikten mit den Parteivorsitzenden Kipping/Riexinger übernahm im November 2019 Amira Mohamed Ali die Position von Wagenknecht.

Die machttaktische Allianz in der Fraktion zwischen den beiden Lagern prägte zusammen mit den Dissonanzen mit der Parteiführung den politischen Auftritt. Mit dem ungebundeneren politischen Agieren von Wagenknecht wurde die Fundamentalkritik am vermeintlichen Verrat an der eigentlichen Basisklientel zugunsten der »Lifestyle-Linken« zum Amüsement der Talk-Runden.

Die Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht holte ihrerseits zur Ursachensuche aus. Verantwortlich für die Schlappe bei der Bundestagswahl sei die Parteiführung und nicht die Bundestagsfraktion: »Es ist schräg, die Fraktionsspitze ausgerechnet jetzt für die Wahlniederlage verantwortlich zu machen.« Der Niedergang der Linken sei ein längerfristiger Prozess, schon bei der Europawahl 2019 habe man nur 5,5% der Stimmen erzielt. »Die Parteiführung hat offenbar damals gar keinen Anlass gesehen, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.« DIE LINKE dürfe nach Ansicht Wagenknechts nicht grüner sein als die Grünen und sollten sich nicht mit Themen beschäftigen, die nur ein enges Spektrum ansprechen – wie etwa »Fridays for Future« oder »Seebrücke«. »Wenn man sich auf solche Themen konzentriert, verliert man Wähler in der Breite.« Wagenknecht sagt, sie spüre, dass es in der Partei ein Umdenken gebe. »Wie kann die Linke zu dem zurückkehren, wofür sie mal gegründet worden ist. Nämlich als das soziale Gewissen dieses Landes.«

Für den Antrag, die bisherigen Fraktionsvorsitzenden zum Verzicht auf ihre Posten aufzurufen, gab es im Parteivorstand keine Mehrheit. Eine Kampfkandidatur um den Fraktionsvorsitz wollten auch die Kritiker:innen vermeiden. Bartsch mahnte die Partei zu Geschlossenheit. »Zerstrittene Parteien werden nicht gewählt.« In einem Beschluss des Parteivorstandes wird konstatiert: »Daher erarbeitet die Partei mit der Fraktion im nächsten Jahr eine Strategie, der dann strategische und personelle Konsequenzen folgen können.«


Bernd Riexingers Analyse der Niederlage

Bernd Riexinger ist Bundestagsabgeordneter der LINKEN. In den Jahren 2012 bis 2021 war es Vorsitzender der Partei, und hat aus der Sicht der Führungsverantwortung nun einen Debattenbeitrag zur Auswertung der krassen Niederlage der Linkspartei bei der Bundestagswahl und erste Schlussfolgerungen vorgelegt.[1] Auch er geht davon aus, dass eine rücksichtslose Debatte über die Gründe dieser Niederlage unverzichtbar ist. Zugleich scheint bei seiner Wortmeldung durch, dass er die Parteiaktivist:innen ermutigen will. »Es hat schon einige Krisen seit der Gründung unserer Partei gegeben. Der jetzige Rückschlag muss nicht von Dauer sein. Schon der Koalitionsvertrag wird in den nächsten Monaten verdeutlichen, wie wichtig eine sozialistische Partei ist. Für Millionen Menschen wird es kaum eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse geben. Die verschiedenen großen Zukunftsfragen können unter den bestehenden ökonomischen und politischen Verhältnissen nicht befriedigend gelöst werden. Wir haben die gemeinsame Verantwortung, DIE LINKE nicht nur einfach über die Zeit zu retten, sondern als Hoffnungsträgerin für Millionen Menschen stärker zu machen. Das wird nicht einfach, ist aber möglich.« Vielleicht ist dieser Optimismus auch ein Teil der Erklärung für den krassen Absturz.

Riexingers Analyse ist mit großem Abstand der umfassendste selbstkritische Beitrag zur Aufarbeitung der existentiellen Krise der sozialistischen Linken in der Berliner Republik. Der frühere Parteivorsitzende will das fatale Beschweigen der Gründe für die katastrophale Niederlage hinter sich lassen. Es gäbe berechtigte Argumente – so Riexinger – dafür, dass es sich nur um einen kurzfristigen Rückschlag handelt. Die Ampelkoalition könne keine Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse auf den Weg bringen. Und von einer Lösung der großen Zukunftsfragen könne schon gar keine Rede sein. Diese oberflächliche Abgrenzung gegenüber Sozialdemokratie und Grünen hat schon die Monate vor der Bundestagswahl dominiert.

1.

Die Behauptung Riexingers, dass fast niemand erwartete habe, »dass die SPD nicht nur die Grünen, sondern auch die CDU überholen wird«, ist mindestens kühn. Immerhin gesteht er zu: »Die SPD hat einen klassisch sozialdemokratischen Wahlkampf in knallrot mit großem Selbstbewusstsein geführt und versprach ›Respekt‹ für die Beschäftigten. Klassisch links-sozialdemokratische Forderungen, wie der höhere Mindestlohn, bessere Pflege, bezahlbaren Wohnraum, gerechte Steuerpolitik hat sich die SPD angeeignet, sie waren in diesem Wahlkampf kein Alleinstellungsmerkmal von uns. Eine bloße Radikalisierung von Forderungen ist keine Lösung.«

Riexinger spricht aus, dass die Sozialdemokratie sich von ihrer früheren »Erzählung« gelöst habe: »Die Agenda-2010-Politik liegt mittlerweile 18 Jahre zurück. Wähler:innen unter 30 Jahren ist das nicht im Bewusstsein verankert. Ich sage das auch deshalb, weil die SPD, auch wenn sie große Teile ihrer Versprechungen nicht einlösen kann, nicht einfach zur neoliberalen Politik zurückkehren wird. Nicht nur, aber auch deswegen wird die eigenständige Positionierung links von der SPD mit einem von ihr unterscheidbaren, auch mit sozialistischen Elementen versehenen Zukunftsentwurf große Bedeutung haben.«

Sicherlich ist die Skepsis berechtigt, ob und inwieweit die Sozialdemokratie in der neuen Ampelkoalition die Verbesserung der existentiellen Interessen der Lohnabhängigen (Mindestlohn, Abbau der Hindernisse für Tarifpolitik, Armutsbekämpfung und Sicherung der Altersrenten) durchsetzen kann. Entscheidend ist aber, dass die SPD mit den Grünen für diese Veränderungen kämpft und die sozialistische Partei schon länger kein »Alleinstellungsmerkmal« in dieser Interessenvertretung hat.

Der frühere Vorsitzende hat sich schon vor den Bundestagswahlen für eine moderne Politik für die Lohnabhängigen eingesetzt, die sich die Partei allerdings nur sehr unvollständig als Leitlinie zu eigen gemacht hat. »Wesentlicher Bezugsrahmen für linke Politik muss auch künftig die Vertretung der Interessen der Lohnabhängigen sein. Es ist kontraproduktiv, Milieus gegeneinander auszuspielen. Es geht um gemeinsame Interessen der verschiedenen, häufig gespaltenen Teile der Lohnabhängigen, also prekärer wie nicht-prekärer Gruppen, Fahrradkuriere im urbanen Milieu, Krankenpfleger:innen, Menschen in der sozialen Arbeit, wie auch Beschäftigte in der Automobil- und Zuliefererindustrie, die gerade besonderem Druck ausgesetzt sind, um migrantischen und nichtmigrantischen Beschäftigten gleichermaßen. DIE LINKE hat mit dem Ansatz der verbindenden Klassenpolitik den richtigen Weg eingeschlagen. Wir sollten unsere Öffentlichkeitsarbeit so weiterentwickeln, dass die verschiedenen Teile der lohnabhängigen Klasse ihre Erfahrungen und Geschichten darin wiedererkennen.«

2.

Wir folgen Riexinger nicht bei seiner These, dass es in der Zeit zwischen der Neuwahl des Parteivorstandes im Februar (2021) und der Bundestagswahl gravierende Verschiebungen im Parteiensystem und extreme Wählerwanderungen gegeben habe. Die Bewertung, dass es »zum Teil blitzartige Umorientierung« bei Teilen der Bevölkerung gab, ist unbegründet und fragwürdig. Die daraus gezogene Schlussfolgerung gefährlich: Denn für Riexinger heißt dies, »dass diese Wähler*innen nicht auf Dauer weg sein müssen. Sie sind zurückgewinnbar, wenn wir gute Oppositionsarbeit machen.«

Die Abwanderung von Wählerschichten hat sich seit längerem angebahnt und die Wählerabwanderungen haben sich letztlich in einer gravierenden Verschiebung des Parteiensystems niedergeschlagen. Zu diesen Veränderungen gehört der Absturz der christlichen Union als dominante bürgerlich-konservative Partei, die wir in anderen kapitalistischen Ländern schon längst gesehen haben. Dazu gehört die selbstkritische Korrektur im politischen Koordinatenkreuz der Sozialdemokratie, die gleichfalls nicht nur auf die deutsche Partei beschränkt geblieben ist. Und dazu gehören auch die Einnistung der modernen Rechtsparteien im Parteiensystem sowie die weitgehende Pulverisierung der sozialistisch-kommunistischen Parteien. All dies ist nicht auf blitzartige Veränderungen im Alltagsbewusstsein von Wähler:innen zurückzuführen.

In der Tat gehören zu dieser Veränderung vor allem die vielfältigen Auswirkungen der Pandemie: »Die gesellschaftliche Situation hat sich seit dem Jahr 2019 mit der Pandemie grundlegend verändert, das Parteiensystem hat sich drastisch verschoben.« Die Diskussionen über diese Strukturveränderungen sind in der Linkspartei kaum aufgegriffen worden und daher ist letztlich das Problem von der spezifischen Ausprägung eines »Interregnums«[2] und die Frage nach der zukünftigen Entwicklung ignoriert worden.

3.

Strittig war während der gesamten Vorstandsperiode von Riexinger/Kipping das Problem des schleichenden, aber beständigen Niedergangs der Linkspartei in den ostdeutschen Bundesländern. Es ist nach unserer Bewertung erheblich verkürzt, die strukturellen Defizite des Vereinigungsprozesses nur als zeitweiliges demographisches Problem misszuverstehen. »DIE LINKE braucht sich nicht neu erfinden, aber sie muss ihr Profil schärfen und erweitern. Das ist durchaus eine existentielle Frage. Wenn wir unser Profil auf Sozialstaat und ›Ostidentität‹ verengen, richten wir uns angesichts der demographischen Entwicklung alleine an älteren Stammwähler*innen im Osten und einem Teil von enttäuschten (ehemaligen) SPD-Anhänger*innen aus. Das ist eine Strategie, die zum Scheitern verurteilt ist – gerade weil die sozialen Themen als Alleinstellungsmerkmal gegenüber neu aufgestellter SPD und Grünen nicht ausreichen. Hier müssen wir die Diskussion miteinander weiter führen.«

Ja, hier müssen wir weiter debattieren. Denn bis heute gibt es Rückwirkungen des Strukturbruchs bei der Transformation zur kapitalistischen Marktwirtschaft, die bei jeder/m zweiten Bürger:in in Ostdeutschland zur Ausbildung des Gefühls, nur ein zweitklassiges Mitglied zu sein, geführt hat. Die Linkspartei hat ihre einstigen Hochburgen in Ostdeutschland an die AfD verloren, weil sie politisch diesen Transformationsdefekt nicht mehr bearbeitet hat.

4.

Selbstkritisch räumt Riexinger ein, dass DIE LINKE dem Schwerpunkt eines neuen Wohlstandsmodells im Einklang mit einer klimagerechten Wirtschafts- und Lebensweise bereits nach der Bundestagswahl 2017 eine hohe Priorität hätte einräumen müssen. Denn es dauere bis die Partei von der Notwendigkeit dieser gesellschaftlichen Transformation überzeugt sei, und dass dies letztlich auch das Außenbild der Partei prägt. »Wenn wir das jetzt nicht konsequent machen, werden uns nicht nur viele Mitglieder und Anhänger*innen von der Fahne gehen, wir werden auch in vier Jahren nicht als Alternative zu den Grünen gelten.«

5.

Zu den von Riexinger benannten Defiziten gehört weiter: »Die Debatte zur Identitätspolitik sollte nach vorne aufgelöst werden. Auch weiterhin muss DIE LINKE klar gegen jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung Position beziehen. Linke Identitätspolitik unterscheidet sich von liberaler und steht nicht im Gegensatz zur sozialen Frage, sondern ist Bestandteil davon.«
Weithin Zustimmung dürfte auch die These finden: Die Linkspartei müsse »an der Außenpolitik Kurskorrekturen vorzunehmen. Richtig daran ist, dass wir die hegemonialen Krisen und neuen Kriegsgefahren auf der Höhe der Zeit analysieren sollten; und richtig ist, dass wir unsere Kommunikation verändern müssen« Wenn die Partei- oder Fraktionsführung weiterhin die Eruption in der politischen Struktur der Weltordnung nicht zur Kenntnis nimmt, wird sie trotz ihrer Abrüstungs- und Friedensrhetorik im Sektenmilieu verbleiben.

Bernd Riexinger hat in der Summe wichtige Punkte zur Erklärung der krassen Niederlage und der unverzichtbaren Veränderungen für die programmatisch-strategische Position der Partei vorgelegt. Gleichwohl plädiert er für Fortsetzung des auch von ihm mitentwickelten Kurses: »Obwohl, von Ausnahmen abgesehen, auch hohes Engagement den übergreifenden Trend kaum bremsen konnte, gibt es mittel- und langfristig einen Zusammenhang zwischen Parteientwicklung, Verankerung in Gesellschaft, Gewerkschaften und Bewegungen und Wahlergebnissen. Der eingeschlagene Weg zu einer linken Mitglieder- und Bewegungspartei, die zu organisierender Arbeit, zu gesellschaftlichen Bündnissen und eigenen politischen Kampagnen in der Lage ist, gilt es weiter zu entwickeln und auf alle Regionen auszudehnen. Besonders wichtig ist eine Strategie zur Gewinnung neuer Mitglieder im Osten, um den nach wie vor ungebrochenen Mitgliederschwund aufzuhalten. Ich habe Zweifel, ob die Wahlergebnisse im Osten hauptsächlich mit der Vernachlässigung der ›Ostidentität‹ zusammenhängen (was immer das in Bezug auf unterschiedliche Generationen und Regionen heute auch ist) oder nicht eher damit, dass die meisten Landtagsfraktionen die organisierende Verankerung in der Gesellschaft und das Ansprechen neuer Wähler*innengruppen nicht als systematische Schwerpunkte ihrer Arbeit und Ressourcen begreifen.«

Dass Riexinger also für Fraktion und Parteiführung nicht für eine Politik des radikalen Neuanfangs plädiert, wird aus dieser Sicht nachvollziehbar. »Deshalb muss im Vordergrund aller auch kontroversen und schonungslosen Debatten stehen, dass wir zusammenhalten und uns zugleich neuaufstellen, um die Partei für die Zukunft zu stärken. Dabei müssen wir uns nicht neuerfinden. Es geht auch nicht in erster Linie um programmatische Fragen, sondern um gemeinsame Schwerpunkte, um das Profil nach außen und die gesellschaftliche Verankerung. Eine neue Grundsatzprogrammdebatte würde uns dabei wenig helfen, sondern lädt eher zu Papierkrieg und Flügelauseinandersetzungen ein.«

Wir folgen Bernd Riexinger in der Betonung der solidarischen Auseinandersetzung, damit der Zusammenhalt der Linkspartei gestärkt wird. Es kann auch nicht darum gehen, eine Grundsatzprogrammdebatte zu fordern, aber eine Neuerfindung wäre der einzige Weg, die Pulverisierung der sozialen Linken in der Berliner Republik abzuwenden. Die personelle Kontinuität in Parteiführung und Fraktion versprechen keinen überzeugenden Einstieg in den Prozess der selbstkritischen Inventur.

Anmerkungen

[1] Bernd Riexinger, Thesen zur Auswertung der Bundestagswahl und erste Schlussfolgerungen, 17. Oktober 2021; www.bernd-riexinger.de/aktuell/.
[2] Siehe dazu Klaus Dörre: Kapitalismus, Natur und die Utopie eines nachhaltigen Sozialismus, in: Sozialismus.de, Heft 5/2021; Joachim Bischoff: Staat der Pandemie und die Defensive der politischen Linken, in: Sozialismus.de, Heft 6/2001; Klaus Dörre: Nach der Wahl – Bonapartismus, Nachhaltigkeit und die Zukunft der Linken und Joachim Bischoff: 2020 – Krisenjahr des Neoliberalismus. Kein Kipppunkt oder Ende des Interregnums, die letzten beiden in: Sozialismus.de, Heft 11/2021 (im Erscheinen).

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