Antonio Gramsci: Kämpfer gegen den Faschismus
Donnerstag, 12.  Dezember 2024 | Frankfurt a.M. | 19:00 Uhr | DenkBar, Spohrstr. 46a
Gerade sind zwei Bücher zu Gramsci neu erschienen: Die Biografie von Giuseppe Fiori »Das Leben des Antonio Gramsci«, herausgegeben von Christoph Nix, und »Gramscis Geist« geschrieben von dem Juristen, Schriftsteller, Regisseur und Wissenschaftler Nix, der mit Claus-Jürgen Göpfert zu beiden Büchern sprechen wird.

China verstehen in Zeiten der Rivalität
Sonnabend, 14. Dezember 2024 | Neubrandenburg | 10:00 Uhr | Brigitte-Reimann-Literaturhaus, Gartenstr. 6
Michael Brie liest aus seinem Buch Chinas Sozialismus neu entdecken und diskutiert darüber. Moderation: MdL Torsten Koplin (Die Linke).

Projekt »Schönes China«
Mittwoch, 15. Januar 2025 | Online (Zugangsdaten später an dieser Stelle). Im Gespräch mit Hartmut Obens von der Sozialistischen Linken Hamburg wird Michael Brie seine neue  Studie über die ökologische Modernisierung der Volksrepublik vorstellen.

Rudolf Hickel
Schuldenbremse
oder »goldene Regel«?

Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
96 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-226-4

Ingar Solty
Trumps Triumph?
Gespaltene Staaten von Amerika, mehr Nationalismus, weitere und neue Handelskriege, aggressive Geopolitik
Eine Flugschrift
120 Seiten | 20. Januar 2025 | im Warenkorb vorbestellen | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-238-7

Christoph Scherrer/
Ismail D. Karatepe (Hrsg.)
Arbeit in der Lieferkette
Miserable Arbeitsbedingungen auf See und in den Häfen
192 Seiten | € 18.80
ISBN 978-3-96488-220-2

Michael Brie
Projekt »Schönes China«
Die ökologische Modernisierung der Volksrepublik
Eine Flugschrift
120 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-232-5

Peter Renneberg
Handbuch Tarifpolitik und Arbeitskampf
5., aktualisierte Ausgabe
232 Seiten | € 19.80
ISBN 978-3-96488-224-0

Christoph Nix
Gramscis Geist
Ein Sardisches Tagebuch
Mit Zeichnungen von Katrin Bollmann und Fotos von Sebastiano Piras
144 Seiten |  EUR 14.00
ISBN 978-3-96488-223-3

Hans-Jürgen Urban (Hrsg.)
Gute Arbeit gegen Rechts
Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie – Ausgabe 2024
136 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-225-7

Giuseppe Fiori
Das Leben des Antonio Gramsci
Herausgegeben von Christoph Nix
304 Seiten | EUR 19.80
ISBN 978-3-96488-218-9

Gine Elsner
Die Ärzte der Waffen-SS und ihre Verbrechen
144 Seiten | Hardcover| € 16.80
ISBN 978-3-96488-214-1

5. November 2024 Bernhard Sander: Französische Haushaltsberatungen

Auf der Suche nach Geld und Mehrheiten

Links: Charles de Courson, Berichterstatter für den Staatshaushalt in der Nationalversammlung.

»Wenn wir nichts tun, würde das Defizit im Jahr 2025 auf etwa 7% des Bruttosozialprodukts steigen« sagte der französische Finanzminister Antoine Armand bei der Einbringung seines Haushaltsentwurfes. Die Gründe für das wachsende Defizit werden unterschiedlich gesehen: Die bürgerliche Mitte wirft Macron vor, den Gelbwesten- und Bauern-Protesten gegenüber allzu nachgiebig gewesen zu sein. Die Linke beklagt Steuergeschenke für Unternehmen in der Pandemiezeit und Steuerbetrug.

Der Austeritätsplan der Regierung von Ministerpräsident Michel Barnier, um die Neuverschuldung im kommenden Jahr 2025 auf 5% zu begrenzen, sieht zu etwa einem Drittel Steuerhöhungen und zu zwei Dritteln Haushaltskürzungen vor. Der Staatskonsum, vor allem aber Kaufkraft und Lebensstandard der privaten Haushalte werden darunter leiden. Diese Senkung der gesellschaftlichen Gesamtnachfrage verringert die Investitionsneigung und führt nicht vom De-Growth-Pfad weg, auf dem sich die französische Wirtschaft schon seit Jahren befindet.

Während die Debatte über den Entwurf des Haushaltsgesetzes 2025 aufgrund parlamentarischer Kakophonie ins Stocken zu geraten drohte, verdüstern sich die wirtschaftlichen Aussichten Frankreichs. Die Zweifel am Wachstumstempo werden immer größer. Der Arbeitsmarkt verlangsamt sich. Das Geschäftsklima verschlechtert sich, insbesondere in der Industrie. Der Konsum schwächelt und das Vertrauen der französischen Haushalte sinkt. Zu diesem ohnehin schon düsteren Bild kam Ende Oktober noch zusätzlicher Druck von der amerikanischen Ratingagentur Moody's hinzu. Die Ratingagentur beließ ihr Rating für Frankreich zwar bei Aa2, stellte es aber mit »negativem Ausblick« ein, was die Tür für eine weitere Herabstufung öffnete.

Le Monde sieht das Land bereits vor dem Eintritt in einen Teufelskreis. Dies ist eine gefährliche Zone, da eine weitere Herabstufung die französischen Schulden bei vielen Anlegern disqualifizieren würde. Die internen Regeln der Investmentfonds beschränken oder verbieten sogar den Besitz von Anleihen, die unter AAA oder AA eingestuft sind. Es wäre viel schwieriger, Käufer für französische Schulden zu finden, und diejenigen, die bereit wären, sie zu kaufen, würden dies nur mit einem erheblichen Risikoaufschlag tun, d.h. zu viel höheren Zinsen. S&P wird sich am 29. November äußern.

»Das Vermögen von Frankreichs 500 reichsten Familien hat sich in den vergangenen sieben Jahren verdoppelt. Barnier muss nun einen besonders von der EU angemahnten Sparkurs einschlagen, der den Sozialstaat weiter aushöhlen dürfte. Schon jetzt darben Bildungs- und Gesundheitssystem. Von Defiziten in der Infrastruktur ganz zu schweigen, wenn fortan klamme Kommunen fünf Milliarden weniger zugeteilt bekommen.« (NZZ vom 10.10.2024)

Neben ihren strukturellen Schwächen bekommt die französische Wirtschaft allmählich auch die Schwierigkeiten Deutschlands, ihres wichtigsten Handelspartners, zu spüren. Die Industrie ist mit einer schwachen Nachfrage, anhaltend hohen Energiepreisen und einer verschärften Konkurrenz aus China konfrontiert. Die Unsicherheiten im Zusammenhang mit den Steuererhöhungen und Einsparungen, die in der Haushaltsdebatte zur Sprache kommen, tragen dazu bei, das Vertrauen weiter zu schwächen, und bieten weder Anreize für Konsum noch für Investitionen.

Kritische Ökonomen stellen folgenden Vergleich an: Das Volumen des Austeritätsplans entspricht etwa 2% des französischen BIP oder dem Volumen des Sparprogramms, das Griechenland im März 2010 aufgenötigt wurde.[1] In diesen Abwägungen zeichnet sich eine politische Vision, ein Gesellschaftsprojekt ab.


Der umstrittene Haushaltsentwurf

»Wir haben eine Mehrheit, den Haushalt volksfront-kompatibel zu machen. Deshalb wird es zu einer Notverordnung nach Artikel 49.3 kommen«, prognostizierte Eric Coquerel (LFI), der im Parlament den Finanzausschuss leitet, schon vor Beginn der Beratungen. Das weiß auch der Premierminister Michel Barnier und macht deshalb Druck. Dieser und seine Ministerien verfolgen verschiedene Ansätze vorrangig im Sozialbereich, bei den Gebietskörperschaften und der ökologischen Transformation.

In der Sozialpolitik werden 17 Mio. Rentner*innen den Gürtel sechs Monate enger schnallen müssen, weil die Rentenanpassung vom 1. Januar 2025 auf den 1. Juli verschoben wird. Erwarteter »Gewinn« für die Konten der Sozialversicherung: 3,6 Mrd. Euro. Für eine/n Rentner*in, die/der »der eine Altersrente von 1 500 Euro bezieht«, würde der Einnahmeverlust »in den sechs Monaten von Januar bis Juni 15 Euro pro Monat betragen«, rechnet der Präsident des Renten-Orientierungsrats, Gilbert Cette, vor. Diese Kürzung wurde im Ausschuss fast einstimmig gestrichen und im Plenarsaal wird das gleiche Schicksal in Aussicht gestellt.

Haushaltsminister Laurent Saint-Martin schloss deshalb nicht aus, »den Entwurf zu überarbeiten«, um »kleine Renten besser zu schützen« mit einem »Ausgleich« für Renten unterhalb einer Schwelle von »z.B. 1200 Euro«. »Ich erwarte auch Sparvorschläge« und brachte die Erhöhung der Karenzzeit von einem auf drei Tage ins Spiel und die schlechtere Bezahlung von Krankschreibungen bei Beamten, um etwas mehr als eine Mrd. Euro wieder einzusparen. Der RN-Vorsitzende Jordan Bardella erklärte am Montag, er sei »dafür«, um »Maßnahmen zur Förderung der Kaufkraft zu finanzieren«.

Die Steuer auf den Endverbrauch von Strom wird für alle Bürger*innen deutlich steigen. Dies könnte zu höheren Rechnungen für die sechs bis acht Mio. Haushalte führen, die nicht den regulierten Tarif haben. Für die anderen dürfte der Effekt durch die für den 1. Februar vorgesehene Senkung des regulierten Tarifs mehr als abgefedert werden, wobei ihre Gesamtrechnung garantiert um 9% sinken wird. Diese Abgabenerhöhung könnte mehrere Milliarden einbringen, doch die Einnahmen wurden bisher nicht beziffert.

Die Senkung des Erstattungssatzes für Arztbesuche durch die Sozialversicherung und der Stellenabbau im öffentlichen Dienst (man spricht von 4.000 Lehrer*innen weniger im Kindergarten und in der Grundschule, dafür aber generelles Handy-Verbot im Klassenraum) werden ebenfalls die kleinen Einkommen und ihre Kaufkraft treffen.

Die Regierung erwägt auch einen »Sonderbeitrag« der 400 größten Unternehmen und der 65.000 wohlhabendsten Steuerzahler*innen. Geplante Einnahmen: acht bzw. zwei Mrd. Euro. Diese Sondersteuer für die Reichsten (mit begrenzter Laufzeit maximal drei Jahren) wird nur halb so viel einbringen wie die von Macron abgeschaffte ISF (Solidarische Vermögensabgabe). Die Linke rechnet vor, dass innerhalb von fünf Jahren das Vermögen der Reichsten von 200 Mrd. Euro auf 1,2 Bio. Euro gestiegen ist.

Staatschef Macron ließ die Steuersätze für Unternehmen von 33,3 auf 25% senken. Er setzte eine »Flat tax« von 30% auf Einnahmen aus Dividenden und Kapitalzinsen durch. Die Vermögensabgabe strich er gänzlich und ersetzte sie durch eine Immobiliensteuer. Unter dem Strich hat das Mindereinnahmen in Höhe von 62 Mrd. Euro zur Folge, wie der Rechnungshof analysierte. Im Gegensatz zu den Streichungen im Sozialbereich soll das Budget der Armee um 3,3 Mrd. Euro erhöht werden; auch das der Polizei soll um fast 700 Mio. Euro (+3,4%) steigen.

Die parlamentarischen Beratungen ließen den Entwurf nicht ungerupft, z.B. bei der Rentenkürzung. So bestätigten die Abgeordneten auch die Einführung einer Sondersteuer auf hohe Einkommen erst nachdem sie diese, wie schon im Ausschuss, geändert hatten. Während Ministerpräsident und Finanzminister dafür eintreten, diese Mindeststeuer auf drei Jahre zu begrenzen, stimmten die Abgeordneten dank Änderungsanträgen der Linken und der MoDem, die immerhin zur Regierungskoalition gehört, dafür, sie dauerhaft zu verankern. Diese Steuermaßnahme, die 0,1 % der wohlhabendsten Haushalte betrifft, wurde in Artikel 3 des Haushaltsgesetzentwurfs (PLF) auf der Einnahmenseite mit 191 Ja- und 35 Nein-Stimmen angenommen. Die meisten Stimmen kamen von der Neuen Volksfront (NFP) und dem Rassemblement National (RN).

Die Fraktionen des Regierungslagers (Ensemble pour la République, EPR; Droite républicaine, DR; Mouvement démocrate, MoDem; Horizons) waren sich uneinig über eine der wenigen Maßnahmen des Etat-Entwurfs 2025, die auf Haushalte abzielt, deren steuerliches Referenzeinkommen 250.000 Euro pro Jahr für eine alleinstehende Person und 500.000 Euro für ein Paar ohne Kinder übersteigt.

Der Widerstand kommt aus den Reihen der Präsidentenfraktion Ensemble, die sich ebenso wie die Gruppe Horizons gegen jede Steuererhöhung »auf den Faktor Arbeit« wenden. Als Koalitionäre Barniers sehen sie das Wachstum in Gefahr, das bisher von einer gesenkten Unternehmenssteuer profitiert habe. Barnier nähere sich »sozialistischen Praktiken«.

Der frühere Innenminister Gérard Darmanin lancierte stattdessen den Vorschlag weiterer Privatisierungen. Noch verfügt der französische Staat über Unternehmensbeteiligungen in Höhe von rd. 180 Mrd. Euro, wovon etwa 50 Mrd. Euro auf direkte Beteiligungen an börsennotierten, also rasch veräußerbaren Unternehmen entfallen. Da diese Maßnahmen sich aber auf industriepolitisch und militärisch relevante Konzerne der Telekommunikation, Luft- und Raumfahrt, Energie und Verteidigung beziehen, wäre weiterer Streit im Regierungslager vorprogrammiert.

Ebenso umkämpft werden die Maßnahmen auf Kosten der Gemeinden sein. Der Rechnungshof, der per Generalvollmacht und nicht durch Einzelbeschluss der Regierung oder der Nationalversammlung damit beauftragt ist, Einsparungen zu ermitteln, um das öffentliche Defizit in Einklang mit den europäischen Vorgaben zu bringen, legte dazu einen Plan vor.

Gebietskörperschaften (Gemeinden, Departements, Regionalverwaltungen), die insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Lage bereits unter Haushaltsdruck stehen, machten 2023 rd. 17,8% der Staatsausgaben aus. »Die Personalausgaben, die ein Viertel der Ausgaben der Gebietskörperschaften ausmachen, verzeichnen ein anhaltendes Wachstum, das mehrheitlich vom kommunalen Block verursacht wird.« Deshalb sei es erforderlich, die Zahl der Beschäftigten in den Gebietskörperschaften wieder auf das Niveau von 2010 zurückzusetzen. Konkret würde dies den Abbau von 100.000 Stellen und 4,1 Mrd. Euro Einsparpotential bis 2030 bedeuten.

In seinem Ausblick für 2024 schätzt der Rechnungshof, dass die Betriebsausgaben der Gebietskörperschaften in den ersten acht Monaten des Jahres um 5,4% gestiegen sind. Personalkosten, Preissteigerungen im Einkauf und die Sozialkosten infolge der fortschreitenden Prekarisierung der Lebensverhältnisse werden als Ursachen benannt. Auch die Investitionsausgaben beschleunigen sich aufgrund des »Kommunalwahlzyklus«, bei dem die zu Beginn des Mandats beschlossenen Projekte logischerweise noch schnell umgesetzt werden.

Auf der Einnahmenseite werden die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer, die die Wohnsteuer auf Hauptwohnsitze ersetzen sollte, nicht so gut ausfallen wie erhofft, so dass der Finanzpfad der Gebietskörperschaften »immer mehr« von dem abweicht, was im Gesetz zur Planung der öffentlichen Finanzen 2023-2027 vorgesehen war, warnt der Rechnungshof. Gleiches gelte wegen rückläufiger Immobilienverkäufe für die dabei erhobene »Handwechselsteuer«.

Der Bericht empfiehlt, die Einkäufe der Gebietskörperschaften zu bündeln und zusammenzulegen, was ein Einsparungspotenzial von fünf Mrd. Euro pro Jahr darstellt, und ihre Investitionen auf den ökologischen Wandel auszurichten. Der Grüne Fonds, der die Gebietskörperschaften in diesem Bereich unterstützen soll, wurde jedoch bereits einmal vom Staat gekürzt und könnte auch im Haushalt 2025 wieder gekürzt werden.

Die Kommunalwahlen im März 2026 sind der letzte Stimmungstest vor den Präsidentschaftswahlen. Die letzten Ergebnisse waren durch den Höhepunkt der Pandemiekrise beeinflusst. Der brisante Vorschlag ist ein Echo auf den Vorschlag von Emmanuel Macron, der zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2017 plante, 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst zu streichen. Die Auswirkungen werden direkt im Jahr vor der Wahl spürbar werden.

»Das territoriale Personal kann nicht auf eine buchhalterische Frage reduziert werden«, meint der Präsident des Verbands der französischen Bürgermeister (AMF), David Lisnard, in seiner schriftlichen Antwort und erinnert daran, dass den interkommunalen Verbänden »Kompetenzen übertragen werden, die nicht immer zuvor von den Gemeinden ausgeübt wurden«, das Konnexitätsprinzip mithin verletzt sei. Die AMF verurteilte die »Brutalität dieser Vorschläge«, die ihrer Meinung nach »zu einer beispiellosen Schwächung der Handlungsfähigkeit der kommunalen Familie« führt.

Nicht sehr weit wird Barnier bei der Bekämpfung des Sozialbetrugs kommen, der statistisch geschätzt ziemlich hoch ausfällt. »In Anbetracht der verfügbaren Daten kann man davon ausgehen, dass der durch Betrug verursachte Gewinnausfall für die Sozialversicherung etwa 13 Milliarden Euro beträgt«, heißt es in dem Bericht des Hohen Rat für die Finanzierung des Sozialschutzes, der als Material für die Haushaltsberatungen dient.[2] Wenn man sich diese Zahl im Detail ansieht, stellt der Bericht fest, dass eine große Mehrheit dieses Betrugs nicht von Sozialversicherten begangen wird.

Zwei Drittel des Sozialbetrugs gehen auf das Konto von Unternehmen insbesondere im Baugewerbe und allen Branchen, die sich auf eine Infrastruktur von Subunternehmen stützen, Selbstständige und freiberufliche Angehörige der Gesundheitsberufe. Im Gegensatz zum Sozialneid, den vor allem Le Pen schürt, sind die Täterkreise nicht in den migrantischen und armen Bevölkerungsschichten zu suchen. Es handelt sich um einen erheblichen Verlust für die öffentlichen Finanzen, der jedoch weitaus geringer ist als der Steuerbetrug, der auf 60 bis 80 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt wird.

Die ökologische Transformation wird deutlich verlangsamt, wo sie eigentlich Investitionen erfordert. So schlägt die Regierung von Michel Barnier in Entwurf für das Haushaltsgesetz vor, 1,9 Mrd. Euro im Bereich Ökologie zu kürzen. Drei zentrale Maßnahmen sind bedroht.[3]

Das erste Opfer der von der neuen Regierung angestrebten »Ausgabenbremse« ist eine Fördermaßnahme für die energetische Renovierung von Wohnungen, die bereits zu Jahresanfang von der Vorgängerregierung auf der Suche nach Einsparungen in Höhe von 10 Mrd. Euro um eine Mrd. Euro gekürzt wurde, weil sie von der Exekutive als ineffizient angesehen wurde (nicht genügend Anträge von Privatpersonen, Fachkräftemangel etc.). In einem im Sommer veröffentlichten Bericht hatte die NGO Oxfam France auf die »unzureichenden Bemühungen« der staatlichen Unterstützung angesichts der 5,2 Mio. thermisch renovierungsbedürftigen Altbauwohnungen des Landes hingewiesen.

Auch der »grüne Fonds« wird Federn lassen. Dieser Fonds, der von Elisabeth Borne (der damaligen Regierungschefin) im höllisch-heißen Sommer 2022 angekündigt wurde, ist ausschließlich für die Finanzierung des ökologischen Wandels der Gebietskörperschaften bestimmt. Von der Exekutive als Hauptinstrument zur Beschleunigung von »lokalen« Projekten mit Vorbildcharakter gepriesen, wird seine Mittelausstattung von 2,5 Mrd. Euro auf eine Milliarde Euro reduziert. (Es handelt sich um eine Kürzung um 60% im Vergleich zu den im Haushaltsgesetz 2024 bewilligten Mitteln).

»Das ist ein schlechtes Signal«, kommentierte der ehemalige Minister für den ökologischen Übergang, Christophe Béchu. Das Problem bei der Ökologie sei, »dass man nie über die Kosten der Untätigkeit spricht. Nur, wenn wir beispielsweise nicht investieren, um den Anstieg der Ozeane und die Erosion der Küstenlinie zu verhindern, wird das, was es uns am Ende kosten wird, wenn wir nichts tun, zehnmal teurer für die öffentlichen Finanzen sein.«

Die dritte »Umwelthilfe«, die von den Kürzungen der Regierung betroffen ist, sind die Prämien für den Kauf von Elektrofahrzeugen (der sogenannte Bonus), die notwendig sind, um die Treibhausgasemissionen im Land zu senken (der Verkehrssektor ist derzeit für 34% der nationalen Emissionen verantwortlich). Im Haushaltsentwurf 2025 möchte die Exekutive die finanzielle Unterstützung für Strom-Autos um ein Drittel kürzen – von 1,5 Mrd. Euro im Etat-Gesetz 2024 auf eine Mrd. Euro.

Die parlamentarischen Beratungen sollten entsprechend der Gepflogenheiten schon im Oktober abgeschlossen sein, ziehen sich aber hin, da Premierminister Barnier keine eigene Mehrheit hat. Das Kabinett Barnier bindet keinen der vermuteten Präsidentschaftskandidaten im Jahr 2027 ein, was das Geschäft der Mehrheitsfindung erschwert. Zur Flankierung muss Barnier also weiter auf Le Pen und den sozial-nationalistischen RN zurückgreifen. Dessen Sprecher Jean-Philippe Tanguy warnte bereits: »Wir haben sieben Milliarden (Kürzungsmaßnahmen) für die mittleren und armen Klassen registriert und nur zwei Milliarden für die Privilegierten. Das ist mit uns nicht zu machen.«

Um sich die Stimmen der RN-Fraktion zu sichern, arbeitet das Innenministerium bereits mit Hochdruck an einem neuen Gesetzespaket zu Migration und Innerer Sicherheit, das die verfassungsfeindlichen Bestimmungen wieder einbringt, die im letzten Jahr vom Verfassungsrat noch beanstandet wurden. Auf diesem Feld ist die Neue Volksfront keineswegs so hegemonial wie zurzeit in den sozialen Fragen.

Die Regierung wird sich argumentativ auf die Neue Mehrheit im Senat berufen können, dem der Haushalt ebenso zugeleitet wird. Die Senatoren rechnen damit, dass bei der Prüfung des Haushaltsgesetzentwurfs im »Oberhaus« Ende November eine Barnier-kompatible Version des Textes gegen die von der Versammlung angenommene Version durchgesetzt werden kann. Die Konfrontation zwischen den Voten des Parlaments und des Senats wird die politischen Institutionen weiter fragilisieren.

Auch wenn es immer wieder gelingt, der Regierung Barnier in Einzelhaushalten Niederlagen mit Unterstützung von RN-Abgeordneten beizubringen, wächst damit paradoxerweise die Wahrscheinlichkeit, dass der Staatspräsident sich bei der Gesamtabstimmung des Notstandsparagrafen 49.3 der Verfassung bedient, der die Diskussion der etwa 3.000 Änderungsanträge in der Nationalversammlung abbricht und das Etat-Gesetz durch Präsidentenerlass in Kraft treten lässt. Wenn parlamentarische Prozeduren übergangen werden, schwächt die eh schon geschrumpfte bürgerliche Mitte die Glaubwürdigkeit des politischen Systems.

Im kommenden Jahr hat Emmanuel Macron erneut die Gelegenheit, das Parlament aufzulösen, um die Mehrheitsverhältnisse zu seinen Gunsten umzugestalten. Entscheidend für den Verlauf dann wird jedoch auch sein, wie die EU-Kommission, die Rating-Agenturen und Finanzmärkte die Fortschritte in der Haushaltskonsolidierung beurteilen werden.

Das französische BIP stagniert seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Arbeitslosenquote sinkt nur aufgrund immer neuer politischer Einschnitte in den sozialen Besitzstand, während die Produktivität stagniert. Erweiterte Verteilungsspielräume oder Anreize für beschäftigungschaffende Umwälzungen in der gesellschaftlichen Betriebsweise entstehen durch diesen Haushalt nicht.

Quellen: OECD, Eurostat, US Bureau of Labor Statistics

Der von Macron Anfang des Jahres konstatierte Abstand des europäischen Wirtschaftsraums gegenüber USA und VR China wächst eher, als dass er überwunden wird, zumal auch der wichtigste EU-Handelspartner, Deutschland, unter dem Diktat einer Drei-Prozent-Partei kaum noch Wachstumsraten generiert. Frankreich geht auch ohne die Unklarheiten nach der US-Wahl mit trüben Aussichten ins neue Jahr.

Anmerkungen

[1] https://x.com/dav_cayla/status/1841446551807312116.
[2] https://www.politis.fr/articles/2024/09/securite-sociale-fraude-sociale-le-rapport-hcfips-qui-contredit-des-annees-de-discours-stigmatisants/
[3] https://www.liberation.fr/environnement/maprimrenov-fonds-vert-et-bonus-pour-voiture-le-budget-2025-ou-le-coup-de-rabot-ecolo-20241010_FFYMYKWM7JEVPNHDEYS4UFTFFA/#mailmunch-pop-1146266.

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