20. Oktober 2024 Redaktion Sozialismus.de: Personalwechsel allein noch keine Lösung
Aufbruch der Linken – wohin?
Die gute Nachricht ist: Im Unterschied zum Landesparteitag der Berliner Linkspartei am vergangenen Wochenende, der nach heftigen Kontroversen über die Haltung zu Israel-Palästina abgebrochen werden musste, ist der Bundesparteitag in Halle an der Saale ohne Eklat und mit viel Hoffnung zu Ende gegangen.
Die Bewertung der Kriegssituation im Nahen Osten war zwar auch dort Thema von Debatten, die aber bereits am Freitagabend nicht zuletzt dank des diplomatischen Geschicks des zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewählten neuen Parteivorsitzenden, Jan van Aken, in dem ausgewogenen Beschluss »Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus« mündeten; außerdem wurde die von namenhaften NGOs initiierte Petition »Für einen gerechten Frieden in Gaza. Waffenexporte stoppen & Hilfsblockade beenden!« unterstützt.
Am nächsten Tag dann wurden Ines Schwerdtner mit rd. 78% und Jan van Aken mit rd. 88% von den Delegierten als neue Vorsitzende der Partei Die Linke gewählt. Nach einer Reihe von Wahlniederlagen hatten ihre Vorgänger Janine Wissler und Martin Schirdewan auf ihre Ämter verzichtet. Verzichtet haben beide in ihren Abschiedsreden auf dem Parteitag allerdings auch auf den Versuch einer Einschätzung, weshalb die Partei in einem traurigen Zustand vor sich hindümpelt.
Einig war man sich nur, dass hinter der Partei ein katastrophales Jahr liegt. Seit der Abspaltung von Sahra Wagenknecht samt ihrem Anhang mit langjährigen Funktionsträgern der Linkspartei, die – folgt man der Beurteilung diverser Redner*innen – »viel früher hätte erfolgen müssen«, wurde allerdings nichts besser für die Linke. Bei allen Wahlen in diesem Jahr hat die Partei massive Verluste erlebt: Europawahl nur noch 2,7%, in den Landtagswahlen in Thüringen 13,1% (2017 war die Linke dort mit 31% noch stärkste Kraft), in Sachsen 4,5% (nur dank zweier Direktmandate noch im Landtag), und in Brandenburg mit 3,0% und ohne Direktmandat ist sie im Landtag nicht mehr vertreten.
Petra Pau, die für Die Linke 27 Jahre Abgeordnete im Deutschen Bundestag war, davon 19 Jahre als Vizepräsidentin, wird im kommenden Jahr nicht mehr kandidieren. Ihr Verzicht sei »kein Abgesang«, denn sie werde weiterhin in der Linken unter anderem für Bürgerrechte und Demokratie streiten, da diese in großer Gefahr sei: Die AfD erhalte bei Landtagswahlen jetzt schon um die 30%, Alarmglocken höre sie jedoch zu wenig.
Aus ihrer Sicht haben sich für den Parteitag in Halle zwei Optionen ergeben: Entweder die Partei rappele sich auf zu einer »gefragten Alternative im 21. Jahrhundert« oder sie stürze in die Bedeutungslosigkeit. Ein Personalwechsel allein helfe nicht. Die Linke brauche eine Erneuerung. Als zentrale Zukunftsthemen benannte Petra Pau neben sozialer Gerechtigkeit die drohende Klimakatastrophe und die Digitalisierung. »Deshalb müssen Linke auch im 21. Jahrhundert Rote sein, aber zugleich Grüne und Piraten, wohlgemerkt: rote Grüne und rote Piraten«, zitierte sie tageschau online vor dem Parteitag.
Die Messlatte für die dort in vielen Redebeiträgen geforderte Erneuerung lautet also: Die Partei Die Linke wird dann den Absturz in die Bedeutungslosigkeit vermeiden, wenn sie neben der enorm gewachsenen sozialen Ungleichheit auch den Klimawandel und Digitalisierung in den Fokus nimmt, Programmatik und Strategie daran ausrichtet und somit die Voraussetzung für breite gesellschaftliche Bündnisse gegen rechts schafft.
Der neu gewählte Parteivorsitzende Jan van Aken vertraut auf das Feuer in der Parteibasis: Die letzten Wahlergebnisse seien zwar »Mist« gewesen, »aber unsere Partei ist viel lebendiger als die Wahlen es zeigen«. Elementar sei allerdings die Fokussierung des politischen Angebots auf wenige Punkte, insbesondere im anstehenden Bundestagswahlkampf: Es sollten »ein bis zwei Kernthemen ins Zentrum«, als mögliche Bereiche nannte er unter anderem die Bürgerversicherung und den Mietendeckel. Die Themen sollten bis Weihnachten feststehen.
Bei dieser Konzentration auf Kernthemen muss es um eine Kampfansage gegen die enorm gewachsene soziale Ungleichheit gehen. Allerdings warnte van Aken zugleich vor zu allgemein gehaltenen Wahlkampfsprüchen: »Soziale Gerechtigkeit ist eine Wolke […] Es muss so konkret sein, dass die Leute wissen, es geht mir morgen besser, wenn das kommt.« Die Partei müsse der Mehrheit im Land eine Stimme geben und sich mit den »unanständig Reichen« anlegen. Dabei komme es darauf an, wieder Hoffnung auszustrahlen: »Ich habe keine Lust mehr, den Menschen zu erzählen, wie scheiße es ihnen geht«, das wüssten sie selbst am besten, unterstrich van Aken in seinen Reden und auch gegenüber den Medien.
Deshalb muss jetzt für die Partei im Zentrum stehen, mit konkreten sozialen Forderungen, die das Leben der Menschen im Alltag verbessern, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Eine ähnliche Richtung hatte am Freitag auch der Noch-Ministerpräsident der Linken in Thüringen, Bodo Ramelow, angemahnt und zugleich darauf verwiesen, mit dem innerparteilichen Kleinkrieg aufzuhören und strategische Fragen nicht außen vor zu lassen, wie das dann in konkrete Politik umgesetzt werden kann.
Bereits vor dem Parteitag hatte Ines Schwerdtner erklärt: »Wir müssen ab dem ersten Tag nach diesem Parteitag in den Wahlkampfmodus überwechseln […] Und dann haben wir noch elf Monate Zeit, um das Ruder rumzureißen.« In ihren Reden betonte sie, die Linke brauche »Klarheit in den Positionen«. Mit diesen und einem »klaren Klassenstandpunkt« – auf diesen als Floskel ohne empirische Grundierung mochten viele Redner*innen nicht verzichten – müsse die Partei dann »auch geeint und geschlossen nach draußen gehen«. Dies gelte auch für Themen wie Migration, Klimaschutz sowie Krieg und Frieden.
Die beiden neuen Vorsitzenden wollen auch einer altbekannten Methode der politischen Arbeit wieder neuen Glanz verleihen und so der Wahlstrategie neuen Schwung verleihen: dem Wahlkampf an den Haustüren. »Wir werden in den nächsten Wochen in ganz Deutschland an hunderttausend Haustüren klopfen und einfach mal zuhören: Wo drückt der Schuh?« Er glaube, das persönliche Gespräch könne durch nichts ersetzt werden – und viele Menschen würden das gar nicht mehr kennen, dass ihnen zugehört wird, so van Aken. Das sei etwas völlig anderes als Populismus aus Lügen und Ängste bedienen.
Die Herangehensweise, den Leuten erstmal zu zuhören, hat einen politischen Scharm, auch wenn bereits entsprechende Umfragen und Analysen existieren. Allerdings müsste in Auswertung dieser Gespräche in der Organisation dann rasch geklärt werden, was die konkreten Vorschläge der Linkspartei zur Überwindung der Wachstumskrise und gegen die Ansätze umfassender Sozialkürzungen sind. Denn irgendwas wird man den Menschen an den Haustüren auch sagen müssen, wenn diese nach Antworten fragen – auch der, mit wem die eigenen Vorschläge in politisches Handeln umgesetzt werden sollen. Vielen wird die leider auf dem Parteitag immer noch zu oft zu hörende Beteuerung »Wir sind die einzige Partei …« als Antwort nicht reichen.
Denn auch die politischen Mitbewerber aus dem progressiven Lager stellen sich der Problematik. Hat die SPD unlängst in einem Strategiepapier zu Recht festgehalten: »Wer immer noch glaubt, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auch noch in Zeiten des Fachkräftemangels auf dem Rücken von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verbessern zu können, hat die falschen wirtschaftspolitischen Konzepte. Lohnzurückhaltung, Sozialabbau, Rentenkürzungen, die Einschränkung des Streikrechts, die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur oder die Streichung öffentlicher Investitionen – diese Konzepte, wie sie vor allem aus der CDU unter Friedrich Merz immer wieder präsentiert werden, sind der falsche Weg für unser Land. Wer die Beschäftigten in Deutschland als faul beschimpft und ihnen gute Löhne und sichere Renten verweigert, der hat den Respekt für die wahren Leistungsträger verloren, die unser Land mit ihrer harten Arbeit jeden Tag am Laufen halten.« Und auch bei den Grünen gibt es ähnliche Überlegungen.
Dies nur mit Hohn und Spott zu überschütten oder mit dem altbekannten »Wer hat uns verraten?« zu kommentieren, wird dem Ernst der von Petra Pau benannten Lage und der Notwendigkeit gesellschaftliche Bündnisse gegen rechts zu schaffen, nicht gerecht. Und auch mit dem in Halle immer wieder angestimmten Slogan, die Linkspartei habe das alleinige Urheberrecht in Sachen sozialer Gerechtigkeit, wird man nicht weit kommen.
Der Bewertung des neugewählten Vorstandes, dass zügig ein qualitativer Rettungssprung notwendig ist, werden die meisten Parteimitglieder folgen. Die Debatten in Halle über den Nahostkrieg, die neue Weltlage nach dem Angriffskrieg Putins, und die Ablehnung des Parteitags, das bedingungslose Grundeinkommen in das Parteiprogramm aufzunehmen, lassen erkennen, dass die Mehrheit der Delegierten sich für kulturvolle, aber nicht endlose Debatten und ausgewogene, praxisnahe Kompromisse einsetzt.
Wenn sich das so fortsetzt und der gesamte Parteivorstand das zu seiner Leitlinie macht, ist das womöglich die wichtigste Botschaft, die von diesem Parteitag ausgeht.