Der Versand des Mai-Heftes von Sozialismus.de an die Abonnent*innen erfolgt aufgrund des Tags der Arbeit am 1. Mai erst am Donnerstag, den 2. Mai. Wir bitten um Verständnis.

Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

Margareta Steinrücke/Beate Zimpelmann (Hrsg.)
Weniger Arbeiten, mehr Leben!
Die neue Aktualität von Arbeitszeitverkürzung
160 Seiten | EUR 16.80
ISBN 978-3-96488-196-0

Stephan Krüger
Der deutsche Kapitalismus 1950–2023
Inflation, Beschäftigung, Umverteilung, Profitraten, Finanzkrisen, Weltmarkt
232 Seiten | zahlreiche farbige Abbildungen | EUR 24.80
ISBN 978-3-96488-189-2

Frank Deppe
Zeitenwenden?
Der »neue« und der »alte« Kalte Krieg
176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

2. Oktober 2020 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Aufwärtsbewegung am Arbeitsmarkt?

Foto: Daniel Bagel/flickr.com (CC BY-NC 2.0)

Durch den Corona bedingten gesellschaftlichen »Lockdown« und die weltweite Unterbrechung der Lieferketten ist die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Rezession gerutscht. Das Ausmaß der zu erwartenden Schrumpfung der gesamtwirtschaftlichen Leistung ist weiterhin unsicher, aber die Hochrechnungen für das laufende Jahr 2020 bewegen sich bei einem Minus von rund 5%.

Frühindikatoren zeigen inzwischen Erholungstendenzen, die Talsohle könnte also durchschritten sein, vorausgesetzt, das Infektionsgeschehen kann in den nächsten Monaten kontrolliert werden. Für den Beschäftigungsbereich wird wegen der Unsicherheit auf den Auslandsmärkten und der heraufziehenden Konkurswelle die Belastung weiter anwachsen.

Nach Einschätzung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung[1] setzt die Corona-Pandemie der Konjunktur weltweit weiter zu. Die deutsche Wirtschaft werde noch bis Ende 2021 brauchen, um wieder ihr Vorkrisen-Niveau zu erreichen. Die Erholung verlaufe hierzulande etwas dynamischer als in anderen großen Euro-Ländern und den USA – und etwas schneller als noch vor Kurzem erwartet. Die Ökonom*innen des IMK setzen deshalb – wie die anderen Wirtschaftsforschungsinstitute und die Bundesregierung – ihre wirtschaftlichen Erwartungen herauf, auch wenn sie nach einem starken dritten Quartal 2020 mit einer Abschwächung des Aufholprozesses rechnen. Unter dem Strich wird laut der neuen Prognose das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 5,2% schrumpfen (Juni-Prognose: -6,2%). Für 2021 rechnet das IMK nun mit einem Wirtschaftswachstum von 4,9% – 1,1 Prozentpunkte mehr als im Juni erwartet.

Dass die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Corona bedingten wirtschaftlichen Einbruchs bislang bei allen Härten beherrschbar geblieben sind, rechnen die Wissenschaftler des IMK in ihrer Analyse »zu einem erheblichen Umfang der entschlossenen Krisenpolitik« der Bundesregierung zu. Die Maßnahmen zur Stützung von Konjunktur, Unternehmen und Einkommen, insbesondere durch das Kurzarbeitergeld, haben sich nach Analyse der Ökonomen bislang bewährt.

Auch den Anti-Krisen-Maßnahmen der Europäischen Zentralbank und der EU attestieren die Wissenschaftler*innen eine positive Wirkung. Dabei heben sie besonders den europäischen Recovery-Plan mit einem Volumen von 750 Mrd. Euro und einer gemeinsamen Kreditaufnahme der EU-Länder hervor, »da er wichtige und neue fiskalische Elemente für eine Stabilisierung aller Euroländer und den anstehenden Transformationsprozess beinhaltet«.

Allerdings sieht das IMK erhebliche Risiken, die das wahrscheinlichste Szenario einer kontinuierlichen Erholung infrage stellen können. Dazu zählen neben einer erneuten großflächigen Infektionswelle der Kurs der USA nach den Präsidentschaftswahlen, ein ungeordneter Brexit sowie die Frage, ob die exportabhängigen Bereiche der deutschen Industrie und vor allem die Automobilindustrie aus der Rezession herausfinden, die für sie zum Teil schon vor der Pandemie begonnen hatte.

 

Arbeitsmarkt: Zahl der Arbeitslosen steigt im Juli auf 2,91 Mio.

Logischerweise hat der Wirtschaftseinbruch tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen, auch wenn seit Juli die Rückwirkungen der Corona-Krise nicht mehr so stark auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. So lag die Zahl der registrierten Arbeitslosen im September bei 2,847 Mio. und damit 108.000 niedriger als im August, wie der Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit zeigt. Im Vergleich zum September 2019 ist das aber immer noch ein Anstieg um 613.000 oder 27%. Ein Großteil des Rückgangs seit August erklärt sich durch die übliche Herbstbelebung. Nach der Sommerpause beginnen immer besonders viele neue Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse.

Der Rückgang im Vergleich zum August war diesmal aber auch etwas stärker als üblich. Damit bestätigt sich das seit Juli erkennbare Bild, dass wohl zumindest der Tiefpunkt durchschritten ist. Der Anstieg der Arbeitslosenzahl im Vergleich zum jeweiligen Vorjahresmonat hatte im Juni einen Höchstwert von 637.000 erreicht.

Quelle: FAZ

Außerdem sind aber weiter viele Arbeitnehmer*innen in Kurzarbeit. Laut jüngster Hochrechnung waren es im Juli 4,24 Mio. Das sind 400.000 weniger als im Juni, aber noch dreimal so viele wie in der Finanzkrise 2009. Da im Durchschnitt 38% der Arbeitszeit ausfielen, entspricht der Umfang der Kurzarbeit rechnerisch 1,6 Mio. weiteren Arbeitslosen.

Entlassungen sind indes bisher nur zu einem kleineren Teil direkt für den Anstieg der Arbeitslosigkeit verantwortlich, wie Behördenvorstand Daniel Terzenbach erläuterte. Etwa drei Viertel des Anstiegs um rund 600.000 seien vielmehr dadurch zu erklären, dass Arbeitslose nun deutlich schwerer in neue Arbeit hineinkommen. Gerade dieser Bremsfaktor werde aber länger wirken – solange Betriebe viele Kurzarbeiter*innen haben, werden sie erst deren Arbeitspensum wieder hochfahren, bevor sie neue Mitarbeiter*innen einstellen.

Falls kein neuer Corona-Schock hinzukommt, ist die Bundesagentur aber zuversichtlich, mit ihrer neuen Finanzplanung über die Runden zu kommen. Sie sieht für 2020 nun Rekordausgaben von 62 Mrd. Euro vor, 25 Mrd. Euro oder zwei Drittel mehr, als ursprünglich in ihrem Etat eingeplant war. Allein 19 Mrd. Euro Mehrausgaben entfallen dabei auf den Posten Kurzarbeit. Im Juni hatte die Behörde aber noch ein Finanzszenario vorgelegt, dessen pessimistische Variante für 2020 sogar von mehr als 70 Mrd. Euro Gesamtausgaben ausging.

Es bleibt aber dabei, dass die Arbeitsagentur ihre im Aufschwung angesparte Finanzreserve von 26 Mrd. Euro aus Beiträgen bis 2021 vollständig aufbraucht und zusätzlich Milliardenhilfe des Bundes benötigt. Liefe die Erholung am Arbeitsmarkt zäher als gedacht, hätte sie daher keine Reserve mehr, um Mehrkosten im Jahr 2022 aus eigener Kraft abzufedern.

 

Wende bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung

Im Juli waren nach der Hochrechnung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit 33,25 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte registriert. Gegenüber dem Vorjahr wird ein Rückgang von 106.000 oder 0,3% ausgewiesen, nach -61.000 oder -0,2% im Juni. Im Februar wurde der Vorjahreswert noch um 425.000 oder 1,3% übertroffen. Dabei hat die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung im Juli im Vorjahresvergleich um 186.000 oder 0,8% abgenommen, während die sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung um 80.000 oder 0,8% über dem Vorjahreswert lag.

Nach Branchen ist die saisonbereinigte Beschäftigung gegenüber dem Vormonat überwiegend gestiegen. Die absolut größten Zunahmen verzeichneten das Gastgewerbe (+6.000), das Gesundheitswesen sowie Pflege und Soziales (jeweils +5.000). Rückgänge gab es vor allem im Verarbeitenden Gewerbe (-27.000, davon -20.000 in der Metall- und Elektroindustrie) und in der Arbeitnehmerüberlassung (-4.000).

Im Vorjahresvergleich werden in mehreren Branchen Anstiege ausgewiesen, die allerdings im bisherigen Verlauf der Corona-Krise kleiner wurden. Den absolut größten Zuwachs im Juli registriert das Gesundheitswesen (+52.000 oder +2,1%). Eine relativ stärkere Erhöhung gab es u.a. bei Information und Kommunikation (+32.000 oder +2,8%).

Der Beschäftigungsrückgang konzentriert sich auf drei Branchen: die Arbeitnehmerüberlassung (-120.000 oder -15,8%), die Metall- und Elektroindustrie (-140.000 oder -3,1%) und das Gastgewerbe (-73.000 oder -6,6%). Dabei dürfte der Rückgang im Gastgewerbe allein mit der Verschärfung der Corona-Krise zusammenhängen, während in der Arbeitnehmerüberlassung und in der Metall- und Elektroindustrie die Corona-Krise die schon vorher rückläufige Entwicklung verstärkt hat.

 

Prekär Beschäftigte besonders betroffen

Die sonstigen Formen der Erwerbstätigkeit, für die aktuelle Angaben vorliegen, haben gegenüber dem Vorjahr deutlich stärker abgenommen als die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. So ist die Zahl der Selbständigen (einschließlich mithelfender Familienangehöriger) nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im zweiten Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahr um 140.000 oder 3,4% auf 4,02 Mio. gesunken.

Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnt Beschäftigten hat sich im Juli nach ersten Hochrechnungen der Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Vorjahresvergleich um 324.000 oder 7,0% auf 4,32 Mio. verringert, nach -364.000 oder -7,8% im Juni. Damit ist der negative Vorjahresabstand wieder etwas kleiner geworden.

Auch die Zahl der geringfügig entlohnt Beschäftigten im Nebenjob hat im Vorjahresvergleich deutlich abgenommen. So waren im Juli 2,85 Mio. oder 8,6% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zusätzlich im Nebenjob geringfügig entlohnt beschäftigt, 98.000 oder 3,3% weniger als vor einem Jahr.

Im Zuge der Corona-Pandemie sind allein im Gastgewerbe nach Erhebungen der Meldestelle für geringfügige Beschäftigung bis Ende Juni rund 325.900 Minijobs weggebrochen. Dies ist gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein Minus von fast 36%, wie aus Daten der Minijobzentrale hervorgeht. Dabei gingen fast 184.000 Minijobs allein in Restaurants und anderen Gaststätten verloren. In absoluten Zahlen folgen der wirtschaftliche Dienstleistungsbereich mit einem Einbruch um 96.116 Minijobs, der Handel (minus 73.641) und das verarbeitende Gewerbe (minus 70.181). Insgesamt ist die Zahl der Minijobber*innen den Angaben zufolge bundesweit um 837.004 zurückgegangen. Im Juni 2020 waren es gut 12% weniger als im Juni 2019. Jeder achte Minijob ging somit verloren. Aufgrund der hohen Fluktuation im Minijobbereich tragen sowohl beendete als auch nicht neu begonnene Arbeitsverhältnisse zum Rückgang bei.

 

Tatsächliche Arbeitslosigkeit um fast 500.000 gestiegen

In der Unterbeschäftigungsrechnung nach dem Konzept der BA sind neben den Arbeitslosen diejenigen Personen enthalten, die an entlastenden Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik teilnehmen oder zeitweise arbeitsunfähig erkrankt sind und deshalb nicht als arbeitslos gezählt werden. Damit wird ein umfassenderes Bild über die Zahl derjenigen Menschen gezeichnet, die ihren Wunsch nach einer Beschäftigung nicht realisieren können.

Im Vergleich zum Vorjahr ist die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) um 462.000 oder 15% auf 3.613.000 gestiegen, nach +496.000 oder +15% im August und »nur« +29.000 oder +1% im März. Saisonbereinigt hat sie sich im September um 26.000 verringert, nach +19.000 im August und+11.000 im Juli, aber noch +65.000 im Juni, +176.000 im Mai und +234.000 im April.

Damit haben sich im September erstmals seit Beginn der Corona-Krise sowohl Arbeitslosigkeit als auch Unterbeschäftigung saisonbereinigt verringert. Hauptgrund für die saisonbereinigten Rückgänge im September waren mehr Beschäftigungsaufnahmen von Arbeitslosen und weniger Zugänge von Arbeitslosen aus Beschäftigung.

 

Kurzarbeit bleibt auf hohem Niveau

Durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld bei vorübergehend schwierigen Wirtschaftsbedingungen sollen den Betrieben ihre eingearbeiteten Mitarbeiter*innen und den Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitsplätze erhalten werden, um so Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Aktuelle Daten zur tatsächlichen Inanspruchnahme stehen bis Juli zur Verfügung. Nach vorläufigen Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit wurde in diesem Monat für 4,24 Mio. Arbeitnehmer*innen konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt, nach 4,63 Mio. im Juni, 5,92 Mio. im Mai, 5,95 Mio. im April und 2,58 Mio. im März, aber nur 134.000 im Februar. Im Juli des Vorjahres waren 47.000 konjunkturelle Kurzarbeiter registriert.

Der durchschnittliche Arbeitsausfall belief sich im Juli auf 38%. Damit hat der Einsatz von Kurzarbeit in diesem Monat rechnerisch Arbeitsplätze für ca. 1,59 Mio. Beschäftigte gesichert und deren vorübergehende Arbeitslosigkeit verhindert. Im Juni betrug der Arbeitsausfall ebenfalls 38%, nach 42% m Mai, 48% im April, 33% im März und 25% im Februar.

Im Juli 2020 waren nach vorläufigen Angaben 13% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in konjunktureller Kurzarbeit. Die Inanspruchnahme von Kurzarbeit lag damit weit über den Werten zur Zeit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009. Damals wurde im Mai 2009 ein Höchstwert von 1,44 Mio. Personen in konjunktureller Kurzarbeit erreicht. Das entsprach damals einem Anteil von 5% an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.

Die Behörde geht davon aus, dass die Kurzarbeit noch lange über dem Niveau der großen Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 liegen wird. Damals waren in der Spitze rund 1,4 Mio. Beschäftigte in Kurzarbeit. In diese Richtung deutet ebenfalls eine aktuelle Umfrage des Münchener ifo-Instituts, für die regelmäßig 9.000 Unternehmen befragt werden. Die Zahl der Kurzarbeiter*innen in Deutschland ist demnach im September mit der Erholung von der Corona-Rezession um eine Million gefallen. Insgesamt waren noch 3,7 Mio. Menschen in Kurzarbeit nach 4,7 Mio. im August. Damit sank ihr Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 14% auf 11%. »Der Rückgang der Kurzarbeit schreitet stetig voran«, sagte Ifo-Arbeitsmarktexperte Sebastian Link. »Besonders hoch bleibt aber der Anteil an den Beschäftigten in der Industrie.«

Dort waren im September schätzungsweise noch 1,47 Millionen Menschen in Kurzarbeit, was 21% der Beschäftigten entspricht. Bei den Dienstleistern waren es 1,23 Mio. oder 12%, im Handel 406.000 oder 9%. Im Bauhauptgewerbe wurden dagegen nur 5.000 Kurzarbeiter*innen gezählt, was einem Anteil von 1% entspricht. In den übrigen Sektoren schätzt das Ifo-Institut die Zahl der Kurzarbeiter*innen auf 622.000 oder 5% der Beschäftigten.

 

Krise verschärft soziale Ungleichheit

Der Einsatz von Kurzarbeit sowie die Geschäftsschließungen aufgrund der Corona-Pandemie haben nach Angaben des Statistischen Bundesamts zu einer starken negativen Lohnentwicklung im 2. Quartal 2020 geführt. Das Kurzarbeitergeld ist hierbei allerdings nicht berücksichtigt. Es hat die Einkommensverluste für viele Beschäftigte abgefedert. Bezogen auf die Nominallöhne ist erstmalig seit dem 2. Quartal 2009 wieder eine negative Entwicklung in Deutschland festzustellen, die mit -4,0% noch deutlicher als zu Zeiten der Finanzmarktkrise ausfällt (2. Quartal 2009: -0,7 %). Der Hauptgrund liegt hier vor allem in der stärkeren Verkürzung der Arbeitszeit. Im Vergleich zum Vorjahresquartal sank für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer*innen im 2. Quartal 2020 die bezahlte Wochenarbeitszeit in der Gesamtwirtschaft um 6,2% auf durchschnittlich 36,8 Stunden. Im 2. Quartal 2009 hatte der Rückgang bei 2,1% gelegen. 

Die unteren Leistungsgruppen waren vom Rückgang der Arbeitszeit und somit von geringeren Verdiensten im 2. Quartal 2020 am stärksten betroffen. Bei den un- und angelernten Arbeitnehmer*innen in Vollzeit sanken die bezahlten Arbeitsstunden um 9,8% bzw. 9,4%. Die Verdienste gemessen am Nominallohnindex reduzierten sich für diese beiden Leistungsgruppen um 7,4% bzw. 8,9%. Im Vergleich dazu gingen für Arbeitnehmer*innen in leitender Stellung sowohl die Verdienste gemessen am Nominallohnindex (-2,0%) als auch die Wochenarbeitszeit (-3,0%) unterdurchschnittlich zurück. Da die unteren Leistungsgruppen im Durchschnitt weniger verdienen, fällt ihr eigentlich dominanterer Arbeitszeit- und Lohnrückgang für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Nominallöhne weniger stark ins Gewicht.  Hinzugenommen werden muss, dass prekär Beschäftigte, also vor allem Leiharbeiter*innen und Minijobber*innen, besonders von den Folgen des Wirtschaftseinbruchs auf dem Arbeitsmarkt betroffen sind, weil bei ihnen die Kurzarbeiterregelung nicht greift und viele von ihnen seit Beginn der Corona-Krise entlassen wurden.

Nach einer Online-Befragung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung im Juni,[2] hat bereits über ein Viertel der Erwerbstätigen in der Krise Einkommen verloren. Erwerbstätige mit ohnehin schon niedrigeren Einkommen haben deutlich mehr unter den wirtschaftlichen Folgen zu leiden als Menschen mit höheren Einkommen. Sie haben z.B. deutlich häufiger schon Einkommen eingebüßt, bei Kurzarbeit erhalten sie seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und sie fürchten etwa doppelt so häufig, als Folge der Pandemie ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Generell bessere Perspektiven in der Krise haben Beschäftigte in Unternehmen mit Tarifvertrag bzw. Mitbestimmung: Kurzarbeiter mit Tarifvertrag erhalten beispielsweise zu 54% eine Aufstockung, während es ohne einen solchen nur 31% sind. In Betrieben mit Mitbestimmung existieren zudem deutlich häufiger feste Regeln für das Homeoffice als in solchen ohne Betriebsrat. Gibt es eine solche Vereinbarung, empfinden Befragte die Arbeitssituation zu Hause als weniger belastend.

In der Erwerbsbevölkerung ist der Anteil derjenigen, die bereits Einkommenseinbußen erlitten haben, zwischen April 2020 und Juni 2020 von 20% auf 26% gestiegen. Auch hier zeigt sich eine deutliche soziale Spreizung: In Haushalten mit einem Einkommen unter 1.500 Euro berichten 40% von Einbußen, bei einem Einkommen ab 3.200 Euro sind es 22%.

Zugleich haben die Zukunftsängste im Durchschnitt etwas abgenommen: Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation äußerten im April 2020 70% der Erwerbstätigen, im Juni 58%. Am stärksten sank der Anteil unter den Befragten mit mehr als 3.200 Euro Haushaltsnettoeinkommen, nämlich von 61 auf 47%. Dagegen blieb er in der Gruppe unter 1500 Euro mit 83% bzw. 82% praktisch unverändert und weitaus höher.

 

Vor dem Hintergrund der durch die Corona-Krise gemachten Erfahrungen, dass die, die schon vorher finanziell und sozial schlechter gestellt waren, weiter zurückfallen, nehmen Unsicherheit und Zukunftsängste noch einmal deutlich zu. »86 Prozent der Befragten äußern Sorgen, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland weiter steigt. Wir hätten ein großes Problem, wenn sich der Eindruck festsetzen würde: Der Staat hat die Wirtschaft mit Milliarden gerettet, aber dafür müssen die sprichwörtlichen kleinen Leute zahlen«, so Bettina Kohlrausch, WSI-Direktorin und Soziologieprofessorin an der Universität Paderborn, die die Befragung ausgewertet hat. Die Umfrageergebnisse ließen Anzeichen dafür erkennen, dass sich »nachvollziehbare Ängste und Verschwörungserzählungen« teilweise vermischen können. Der Nährboden für rechtspopulistische Bewegungen verbreitert sich.

 

Was ist in den nächsten Monaten zu erwarten?

Was der massive Einbruch der Wirtschaftsleistung auf mittlere Sicht bedeutet, lässt sich gegenwärtig nur schwer abschätzen. Struktur und Umfang der gesellschaftlichen Wertschöpfung werden sich beschleunigt verändern. Beispielweise rechnen die Automobilunternehmen mit einem langsamen Erholungsprozess bis 2022. Eine auf den nationalen Binnenmarkt Deutschlands konzentrierte Erholung wird es nicht geben, ausschlaggebend bleibt die Rekonstruktion des europäischen Binnen- und des gesamten Weltmarktes. Während die Wirtschaft in der VR China wieder in den positiven Bereich zurückgekehrt ist, muss die US-Wirtschaft einen historischen Konjunktureinbruch verarbeiten. Das BIP ging in den USA im 2. Quartal um auf das Jahr hochgerechnet 32,9% zurück.

In Deutschland stagniert die Arbeitslosenquote bei 6,2%, da sich die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften stabilisiert hat. Das in Deutschland verbreitete, allerdings zeitlich begrenzte Mittel der Kurzarbeit hat sich einmal mehr bewährt, insofern ein großer Anstieg der Arbeitslosigkeit vermieden werden konnte. Allerdings waren im nach Schätzungen des Ifo-Instituts im September immer noch 3,7 Mio. Menschen in Kurzarbeit, das entspricht 11% der der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Wenn es gelingt, dieses Instrument weiter zu verlängern, könnte die Arbeitslosigkeit weiterhin gedämpft bleiben, bis die Wertschöpfung und die Märkte sich erholt haben. Die Zahl der Firmenpleiten ist in den vergangenen Monaten trotz der massiven Wirtschaftskrise auf einem niedrigen Niveau verblieben. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Bundesregierung die Verpflichtung zu einem unverzüglichen Insolvenzantrag bis zum Jahresende ausgesetzt hat. Danach rechnen Ökonom*innen mit einer stärkeren Welle von Insolvenzen. Dies wird sich dann auch schnell am Arbeitsmarkt spiegeln, wo die Zahl der Arbeitslosen dann erheblich in die Höhe schießen dürfte. Die Krise ist noch längst nicht überstanden.

 

Anmerkungen

[1] Sebastian Dullien, Alexander Herzog-Stein, Peter Hohlfeld, Katja Rietzler, Sabine Stephan, Thomas Theobald, Silke Tober, Sebastian Watzka: Rasche, aber unvollständige Erholung nach historischem Einbruch. Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung  2020/2021 (pdf). IMK Report Nr. 161, September 2020.
[2] Corona-Krise verschärfte soziale Ungleichheit, Böckler Impuls 12/2020, 16. Juli. Online: www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-coronakrise-verscharft-soziale-ungleichheit-25092.htm.

Zurück