Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Jörn Schütrumpf
Deutsche mit Anstand
Der »Bund Neues Vaterland« wird »Deutsche Liga für Menschenrechte«
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxenburg-Stiftung
176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-185-4

Claus-Jürgen Göpfert
»Wer nicht hören will, wird bestreikt!«
Jürgen Hinzers Arbeitskampfgeschichten in der Gewerkschaft NGG seit 1979
Mit einem Vorwort von Freddy Adjan
216 Seiten | viele Farb-Fotos | EUR 16.80
ISBN 978-3-96488-122-9

Cornelia Hildebrandt/Uwe Sattler (Hrsg.)
Vorwärts ohne Gleichschritt
Zwanzig Jahre Europäische Linke
Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 8.00
ISBN 978-3-96488-206-6

Malika Guellil
»Held*innen auf die Barrikaden!«
Care-Proteste als Ausgangspunkt einer gesellschaftlichen Transformationsstrategie
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Kim Lucht/Frank Deppe/Klaus Dörre (Hrsg.)
Sozialismus im 21. Jahrhundert?
Sozialismus-Debatten 1
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ISBN 978-3-96488-173-1

Richard Detje/Dieter Sauer
Solidarität in den Krisen der Arbeitswelt
Aktualität kollektiver Widerstandserfahrungen
160 Seiten | EUR 12.80
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Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

23. November 2012 Thomas Lakies

BAG: (Kein) Streikrecht für Kirchenbeschäftigte

Am 20.11.2012 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) über das Streikrecht der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften bei den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden (Caritasverband, Diakonisches Werk) zu entscheiden. Die Gewerkschaft ver.di fühlt sich als Sieger.

Das Streikverbot sei vom Tisch. Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen und ver.di könnten sich auf die Koalitionsfreiheit und damit auf das Streikrecht berufen, weil der Dritte Weg unzureichend sei, so der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske.[1]

Ganz anders die Stimmen der »Gegenseite«: Die FAZ meint, dass die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbänden die »wohl glücklichsten Verlierer seit langem« seien.[2] Die Deutsche Bischofskonferenz deklariert, dass »das System der partnerschaftlichen Tariffindung in paritätisch zusammengesetzten Kommissionen im Grundsatz bestätigt« worden sei. »Das Urteil stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Kirche.«[3] Richtig ist: Die Gewerkschaft hat formaljuristisch gewonnen – politisch indes verloren.

Der »Dritte Weg« der Kirchen

Das BAG hatte am 20.11.2012 nicht nur über einen Fall zu entscheiden, sondern über zwei Fälle. In dem einen Fall war die Gewerkschaft ver.di beteiligt, in dem anderen die Ärztegewerkschaft Marburger Bund. In dem ver.di-Fall ging es um den so genannten Dritten Weg: Die Arbeitsbedingungen, einschließlich der Arbeitsvergütung, werden bei den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden durch so genannte paritätisch besetzte Kommissionen festgelegt, in denen die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite vertreten sind.

Zudem gibt es für »Konfliktfälle« Schlichtungskommissionen mit einem »neutralen Vorsitzenden«. Die Gewerkschaften haben bislang kein garantiertes Beteiligungsrecht. Das BAG vermerkt in seiner Pressemitteilung hierzu, dass Gewerkschaften bei diesem »Dritten Weg« nicht zu einem Streik aufrufen dürfen, »soweit Gewerkschaften in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich ist«.[4]

Das BAG sieht durch Streiks das kirchliche »Selbstbestimmungsrecht« beeinträchtigt. Dieses werde durch die Verfassung, das Grundgesetz (GG), geschützt.[5] Geschützt sei damit auch die Entscheidung, »die Arbeitsbedingungen der in der Diakonie beschäftigten Arbeitnehmer nicht mit Gewerkschaften durch Tarifverträge zu regeln, sondern entsprechend ihrem religiösen Bekenntnis einem eigenständigen, am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichteten Arbeitsrechtsregelungsverfahren zu überantworten. Das schließt die Befugnis ein, die Regelung der Arbeitsbedingungen einer paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission sowie einer Schiedskommission mit einem unparteiischen Vorsitzenden zu übertragen.«

Dieses – von staatlichen Gerichten nicht zu überprüfende – religiöse Bekenntnis kollidiere zwar mit der durch Artikel 9 Absatz 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit, doch sei insofern eine Abwägung vorzunehmen. Zudem sei der Schutz des Artikel 9 Absatz 3 GG nicht auf die Tarifautonomie beschränkt, sondern erfasse auch »konsensuale Lösungen«. Ein Streik zur Erzwingung eines Tarifvertrags führe zur Auflösung der kirchlichen »Dienstgemeinschaft«. »Er beeinträchtigt in schwerwiegender Weise das diakonische Wirken und beschädigt die Glaubwürdigkeit der Kirche.«

Die vollständige Negierung des Streikrechts sei nur zulässig, wenn sich die Gewerkschaft »innerhalb des Dritten Weges« noch (irgendwie) koalitionsmäßig betätigen könne, die Arbeitsrechtssetzung auf dem Dritten Weg für die Dienstgeber verbindlich sei und als Mindestarbeitsbedingung den Arbeitsverträgen auch zugrunde gelegt werde. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, dann sind allerdings Streiks unzulässig.

Für die Kirchen ist damit ein unschwer gehbarer Weg aufgezeigt: Sie müssen kirchenrechtlich sicherstellen, dass die Gewerkschaften in den »Dritten Weg« »organisatorisch eingebunden« sind und das »Verhandlungsergebnis« der »Arbeitsrechtlichen Kommissionen« muss »als Mindestarbeitsbedingung« verbindlich sein. Die positive Bewertung der BAG-Entscheidung durch ver.di bezieht sich darauf, dass die genannten Bedingungen derzeit im »Dritten Weg« nicht gegeben sind und deshalb zur Zeit Streikmaßnahmen möglich scheinen – das ändert sich indes, wenn die Kirchen entsprechend reagieren. Insbesondere ist ganz und gar unklar, wieweit die »organisatorische Einbindung« der Gewerkschaften gehen muss, um den Anforderungen des BAG gerecht zu werden. Ohnedies steht den Kirchen noch ein anderer Weg offen, wie der zweite Fall deutlich macht, der am 20.11.2012 entschieden worden ist.

Tarifverhandlungen ohne Streikrecht

Das Verbot des Streikrechts für Kirchenbeschäftigte wird noch deutlicher bei dem zweiten Fall, der von ver.di aber wohl deshalb ignoriert wurde, weil dieser die Konkurrenz, nämlich die Ärztegewerkschaft Marburger Bund, betraf. Dort ging es um einen Fall des so genannten Zweiten Weges: Einzelne kirchliche Einrichtungen schließen nämlich, in Abweichung vom »Dritten Weg«, Tarifverträge ab – allerdings quasi zu den Bedingungen der kirchlichen Arbeitgeber; diese machen die Aufnahme von Tarifverhandlungen vom Abschluss eines Grundlagentarifvertrags abhängig, nach dem Streikmaßnahmen zur Durchsetzung eines Tarifvertragsabschlusses unzulässig sind.

Nach einer Schlichtungsvereinbarung entscheidet eine Schlichtungsstelle im Konfliktfall unter dem Vorsitz eines »unparteiischen Schlichters« über das Zustandekommen des Tarifvertrags (Zwangsschlichtung). Wenn sich die Kirche für diesen »Zweiten Weg« entscheidet – so ausdrücklich das BAG – sind Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifforderungen unzulässig: »Dieses bekenntnisgemäß modifizierte Tarifvertragsverfahren schließt den Arbeitskampf aus.«[6]

Bei der »Güterabwägung« (zwischen Streikrecht und kirchlichem »Selbstbestimmungsrecht«) sei zu berücksichtigen, »dass sich eine Gewerkschaft auf dem Zweiten Weg koalitionsmäßig betätigen kann. Zwar kann sie zur Durchsetzung ihrer Tarifforderungen keinen Verhandlungsdruck durch Streikandrohung entfalten. Sie führt aber die Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite autonom und muss keine Rücksicht auf die Interessen von Nichtmitgliedern nehmen. Ihr bleibt ein erhebliches Maß an Einflussnahme. ... Danach hat ihr Streikrecht gegenüber dem im Zweiten Weg zum Ausdruck kommenden kirchlichen Selbstbestimmungsrecht zurückzutreten.«

In einem anderen Zusammenhang hat das BAG zwar früher gemeint, dass Tarifvertragsverhandlungen ohne Streikrecht nichts anderes seien als »kollektives Betteln« – das gilt aber nicht bei den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden. Da reicht »kollektives Betteln« und man darf es gleichwohl als Tarifvertragverhandlungen bezeichnen.

Formaljuristisch gewonnen, politisch verloren

In beiden Verfahren haben die Gewerkschaften aus formaljuristischen Gründen zwar gewonnen (die Einzelheiten sollen hier nicht ausgebreitet werden), aber die Begründungen der Entscheidungen laut den Pressemitteilungen des BAG (die ausführlichen Urteilsgründe sind erst im neuen Jahr zu erwarten) machen deutlich, dass den Beschäftigten und den Gewerkschaften faktisch das Streikrecht verwehrt wird, wenn sich die kirchlichen Arbeitgeber in Zukunft taktisch geschickter verhalten als in der Vergangenheit.

Entweder gehen sie den Weg über Tarifverhandlungen, ohne dass sie bestreikt werden dürfen, oder den Weg über die Arbeitsrechtlichen Kommissionen, in die sie die Gewerkschaften einbinden, die aber letztlich keine Erzwingungsmöglichkeiten haben, weil ihnen das Streikrecht (oder zumindest die Streikdrohung) genommen ist. Das ist (außer in Diktaturen) einmalig in der Welt – einer ganzen Gruppe von Beschäftigten wird mit Billigung des obersten Arbeitsgerichts das Streikrecht genommen.

Thomas Lakies ist Richter am Arbeitsgericht, Berlin

[1] www.verdi.de/presse/pressemitteilungen: Bundesarbeitsgericht bestätigt Streikrecht in der Diakonie, 20.11.2012; so auch Berno Schuckart-Witsch: www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/auch-gegen-kirchen-arbeitergeber-streikfaehig/
[2]
Bingener, Dorniger Dritter Weg, FAZ vom 22.11.2012, S. 1.
[3] Pressemeldung vom 20.11.2012: Bundesarbeitsgericht bestätigt Dritten Weg im Grundsatz, www.dbk.de/presse
[4] Pressemitteilung Nr. 81/12, www.bundesarbeitsgericht.de
[5]
Art. 140 GG verweist insofern auf Artikel 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung: »Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.«
[6] Pressemitteilung Nr. 82/12, www.bundesarbeitsgericht.de

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