14. August 2022 Joachim Bischoff: Ambitioniertes und zugleich abgespecktes Klima- und Anti-Inflationspaket verabschiedet
Befreiungsschlag der Demokraten zur Abwehr des »Trumpismus«?
In den USA wächst die Angst vor einer Rezession – und Präsident Joe Biden und die Demokraten werden dafür verantwortlich gemacht. Bei den Zwischenwahlen im November droht den Demokraten ein Absturz. Laut Umfragen sind nur 10% der Bürger*innen mit der wirtschaftlichen Situation zufrieden. Gelingt den Demokraten mit dem nun verabschiedeten Klima- und Sozialpaket der Ausbruch aus dem Umfragetief?
Die Inflation in den USA fiel im Juli niedriger aus als erwartet. Der Wert von 8,5% lag deutlich unter dem Wert vom Juni (9,1%) und vor allem 0,2% unter den Erwartungen. Niedrigere Energie- und Kerngüterpreise glichen den Anstieg der Kosten für Nahrungsmittel und Dienstleistungen aus. Grund für den Rückgang waren vor allem geringere Benzinpreise. Für die Beobachter der Notenbank Fed ist es entscheidend, dass die Kerninflation nicht wie vorhergesagt gestiegen ist. Könnte sich also die Inflation bereits wieder abschwächen und damit eine weitere Abbremsung der Wirtschaft durch Erhöhung des Zinsniveaus vermieden werden?
Einige Beobachter zeigten sich optimistisch, dass die Inflation in den Vereinigten Staaten ihren Zenit überschritten habe. Allerdings könnte bis zum nächsten Zinsentscheid des Fed im September noch viel passieren. Bisher hat das Fed angedeutet, dass es nicht von der restriktiveren Geldpolitik abweichen werde, bevor es nicht klare Indizien gebe, dass die Inflation hin zu 2% tendiere. Davon sind wir noch meilenweit entfernt.
Warum sind die hohen Steigerungen der Warenpreise gefährlich? Sie schwächen die konjunkturelle Dynamik der Kapitalakkumulation spürbar. Die Fed will zudem die Preisdynamik abschwächen und hat den Leitzins deutlich auf mittlerweile 2,5% erhöht. Die erhöhten Zinsen sowie die Abschwächung des Konsums und der Investitionen bremsen die Wirtschaftsleistung. Die spannende Frage bei dieser Operation bleibt: Vollbremsung mit nachfolgender wirtschaftlicher Talfahrt oder sanfte Landung?
Die aktuelle Verabschiedung des Gesetzespakets mit Milliardeninvestitionen in den Klimaschutz- und Sozialbereichen durch beide Kammern des Kongresses hat daher eine große Bedeutung für die Bekämpfung der Inflation und der Stabilisierung der Ökonomie. Nach langen Auseinandersetzungen auch innerhalb der demokratischen Partei würdigt Präsident Biden die Verabschiedung eines deutlich geschrumpften Pakets als Erfolg des amerikanischen Volkes.
Auf Twitter schrieb er: »Heute hat das amerikanische Volk gewonnen. Familien werden niedrigere Preise für verschreibungspflichtige Medikamente, niedrigere Gesundheitskosten und niedrigere Energiekosten sehen.« Der Name des Gesetzes IRA (Inflation Reduction Act– Gesetz zur Reduzierung der Inflation) ist Programm: Es soll den Übergang in saubere Energie, eine Abschwächung des Klimawandels und vor allem die Senkung der rekordhohen Teuerungsrate bringen.
Der US-Präsident hatte ursprünglich für ein deutlich größeres Volumen zur Finanzierung von Reformen im Klima- und Sozialbereich geworben, musste aber seine Pläne angesichts von parteiinternem Widerstand deutlich zusammenstreichen. Insbesondere wegen der Einwände des demokratischen Senators Joe Manchin, der für eine stärkere Berücksichtigung der fossilen Brennstoffe eintrat, ist das ursprünglich mehr als eine Billion Dollar schwere Gesetzespaket erheblich reduziert worden.
Zentraler Punkt sind 359 Milliarden Dollar, die über zehn Jahre in den Klimaschutz fließen, die Energiesicherheit stablisieren und die Wende von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien vorantreiben sollen. Fachleute sprechen trotz der Streichungen von der größten vom Kongress je gebilligten Klimainvestitionen.
Für ein Gesundheitspaket sind 64 Milliarden Dollar übriggeblieben. Sie sollen 13 Millionen Menschen zum einen dabei unterstützen, in den nächsten drei Jahren ihre privaten Krankenversicherungen zu bezahlen, denn das Reformpaket verlängert zudem Subventionen für Krankenkassenprämien. Zum anderen erlaubt es der Regierung, ab 2026 die Preise bestimmter rezeptpflichtiger Medikamente direkt mit den Pharmafirmen auszuhandeln. Bis 2026 ist es aber erstmal gedeckelt auf zehn Arzneimittel. Gleichwohl soll der Preis für Insulin, dem teuren Wirkstoff gegen Diabetes, ab dem kommenden Jahr nicht mehr als 35 Dollar betragen.
Das nun beschlossene Gesetz stellt die größte Investition im Kampf gegen die Erderwärmung in der US-Geschichte dar und soll Biden helfen, seine ehrgeizigen Klimaziele zu realisieren. Allerding wollten er und seine Demokraten eigentlich noch viel mehr erreichen: Vor einem Jahr sah der Entwurf für das »Build Back Better«-Gesetz staatliche Ausgaben von insgesamt 3,5 Billionen Dollar vor, um in den kommenden zehn Jahren das Klima zu schützen und diverse Sozialprogramme zu finanzieren. Im November verabschiedete das Repräsentantenhaus schließlich nur eine abgespeckte Variante von rund 2 Billionen Dollar, wovon 555 Milliarden für den Klimaschutz vorgesehen waren. Aber selbst dieses Reformpaket scheiterte im Senat.
Das Gesetz sieht auch eine konsequente Mindestbesteuerung von 15% für große Unternehmen vor, zudem sollen Steuerschlupflöcher geschlossen werden. Die Mehreinnahmen sollen zu einer Senkung des Haushaltsdefizits führen. Unter anderem durch diese Gewinnsteuer, den Ausbau einer bislang überlasteten Steuerbehörde und damit der Verbesserung des Steuervollzugs soll der Staat in den nächsten zehn Jahren rund 740 Milliarden Dollar mehr einnehmen. Damit sollen einerseits die 433 Milliarden für die Reformprogramme der IRA finanziert und andrerseits die Staatsverschuldung gesenkt werden.
Wenige Monate vor den Kongress-Zwischenwahlen im November ist die Verabschiedung des Gesetzes auch in seiner abgespeckten Version ein Erfolg für Präsident Biden und die Demokratische Partei. Viele Demokraten und ihre Wähler*innen waren in den vergangenen Monaten frustriert darüber, dass große Teile der vorgesehenen Reformagenda nicht vorankamen.
Gleichwohl sind die Bedenken von Ökonomen gewichtig, die mit Blick auf die praktische Umsetzung dieser Reformen von einem Absinken der US-Ökonomie in eine gefährliche Rezession überzeugt sind. Die USA seien schon aktuell auf dem Weg in eine Rezession, argumentiert etwa Klaus-Jürgen Gern, Leiter Internationale Konjunktur am IfW Kiel, technisch sei schon mit dem leichten Schrumpfen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses im zweiten Quartal 2022 (-0,9%) die Definition für eine Rezession bei zwei aufeinanderfolgenden Quartalen erfüllt.
Und er argumentiert weiter: »Aber auch das für die USA entscheidende Urteil des National Bureau of Economic Research (NBER), das neben der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts insbesondere auch die Entwicklung am Arbeitsmarkt berücksichtigt, dürfte schließlich offiziell einen wirtschaftlichen Abschwung feststellen.
Noch im ersten Quartal konnten die USA einen weiteren kräftigen Anstieg von Konsum und Investitionen verzeichnen. Der Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion zu Jahresbeginn war im Wesentlichen auf Lagerveränderungen und einen stark gesunkenen Außenbeitrag zurückzuführen. Doch im zweiten Quartal ging die Inlandsnachfrage aufgrund der hohen Inflation von zuletzt über 9% und der in der Folge der Leitzinserhöhungen deutlich gestiegenen Zinsen auch für Verbraucherkredite spürbar zurück. Die Zunahme des privaten Konsums verringerte sich deutlich und vor allem die Bauinvestitionen sanken erheblich.
Da für die kommenden Monate mit anhaltenden Realeinkommensrückgängen und weiteren Zinserhöhungen zu rechnen ist, dürfte die konjunkturelle Dynamik schwach bleiben und zunehmend auch den Arbeitsmarkt erfassen. Dieser zeigt sich zwar bisher robust, die Arbeitslosenquote lag im Juni 2022 bei 3,6% und war somit ähnlich niedrig wie vor der Corona-Krise. Der Arbeitsmarkt reagiert jedoch zumeist relativ spät auf konjunkturelle Umschwünge, und es spricht viel dafür, dass sich die Beschäftigungssituation in den kommenden Monaten spürbar verschlechtern wird.
Damit wären die Kriterien für eine Rezession auch nach den Maßstäben des NBER erfüllt. Ein Konjunkturabschwung und steigende Arbeitslosigkeit würden dann auch den Inflationsdruck in den USA mindern und die Notenbank schließlich in die Lage versetzen, die Geldpolitik wieder zu lockern. So gehen die Finanzmärkte inzwischen davon aus, dass der Zinsgipfel bereits im Verlauf des kommenden Jahres überschritten wird.«
Dennoch bleibt die Verabschiedung auch des abgespeckten Pakets nur dreieinhalb Monate vor den Kongress-Zwischenwahlen ein großer Erfolg für den Präsidenten und seine Partei. Obwohl es in den monatelangen Verhandlungen erheblich geschrumpft wurde, umfasst es ein beträchtliches Volumen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und zur Förderung erneuerbarer Energien und anderer Klimaschutztechnologien.
Vor allem mit Steueranreizen sollen die Produktion und der Verkauf von Elektroautos angekurbelt und der Umstieg auf saubere Energiequellen von Privathaushalten erreicht werden. Das Gleiche gilt für die Herstellung von Solarzellen, Windturbinen und Batterien sowie die Förderung von Rohstoffen zur Fabrikation von nachhaltigen Energielösungen. Gleichzeitig werden Erdölfirmen belohnt oder bestraft, je nachdem, wie sie ihren Ausstoß von Methangas handhaben. Knapp 30 Milliarden Dollar fließen zudem in eine »grüne Bank«, um private Investitionen mit öffentlichen Geldern zu ergänzen.
Zugleich konnte Biden den rund 52 Milliarden Dollar schweren »US Chips and Science Act« unterzeichnen. Mit diesem Gesetz soll die Produktion von Halbleitern in den USA angekurbelt werden, ein großer Teil des Geldes fließt demnach in die Forschung und Entwicklung. Der US-Chip-Hersteller Micron kündigte kurz vor der Unterzeichnung des Gesetzes denn auch gleich Investitionen in Höhe von 40 Milliarden Dollar in die Halbleiterproduktion in den USA an.
Die Zwischenwahlen im November sind vor allem ein Referendum über die Arbeit der Biden-Administration, mit der eine große Mehrheit der Menschen nicht zufrieden waren. In den letzten Wochen zeigten sich positive Tendenzen in der Mobilisierung der demokratischen Wählerschaft durch die Verschärfung des Abtreibungsgesetz durch den obersten Gerichtshof. Jetzt können mit der Verabschiedung des Klima- und Sozialpakets wichtige Reformen eingeleitet werden.
Trotz des leichten Rückgangs der amerikanische Inflationsrate nach dem 40-Jahre-Hoch im Juni ist sie von früherer Preisstabilität noch weit entfernt. Die Leute spüren im Alltagsleben täglich, wie Produkte und Dienstleistungen teurer werden, nur eben vielleicht nicht mehr ganz so zügig wie noch vor ein paar Wochen. Für die Frage, ob die beschlossenen Reform- Maßnahmen mit niedrigeren Kosten für Energie und Gesundheit insgesamt zu einem Meinungsumschwungs führen können, wird entscheidend sein, wie zügig deren Umsetzung erfolgt.
Die amerikanischen Unternehmen haben in den letzten Wochen trotz vermehrten Entlassungen im Tech-Bereich überraschend viele neue Stellen geschaffen, die Arbeitslosigkeit liegt praktisch auf Rekordtief, die Anzahl der offenen Stellen ist hoch, und die Lohnstückkosten ziehen so stark an wie letztmals in den 1970er Jahren. Die Notenbank will mit der Erhöhung der Zinsen die Beruhigung der Wirtschaft- und Preisdynamik erreichen, vor allem in der Entwicklung am heiß gelaufenen Arbeitsmarkt.
Die entscheidende Frage bleibt, ob diese Intervention ohne das Abkippen in eine rezessive Talfahrt gelingt. Die US-Wirtschaft kann aus der Globalökonomie und vor allem aus der Akkumulationsdynamik der chinesischen Wirtschaft kaum Impulse erwarten, sondern muss in der zügigen Umsetzung des Klima- und Sozialpakets eine Mischung aus Abbremsung der Dynamik, sanfter Landung und Übergang in einem Akkumulations- und Wachstumszyklus erreichen. Aus Sorge über die inzwischen deutlich zurückgehende Arbeitsproduktivität scheint Fed-Chef Jerome Powell derzeit vor allem das Wachstum der Lohnstückkosten bremsen zu wollen – auch wenn er vor den anstehenden Zwischenwahlen zum Kongress diese Zielsetzung nicht offen kommunizieren wird.
Der Pfad zwischen erfolgreicher Steuerung einer Transformation der Wirtschaft in Richtung einer sozial-ökologischen Lebensweise und einem Absturz in eine tiefe, langanhaltende Rezession ist sehr schmal. Die Demokraten kämpfen um ökologische, soziale und verteilungspolitische Ziele und zugleich um eine Kontrolle der Teuerungsrate. Diese gesellschaftliche Auseinandersetzung ist auch deshalb widersprüchlich und kompliziert, weil er in einen umfassenden Kulturkampf eingewoben ist.
Allerdings könnte den demokratischen Wahlstrateg*innen der aktuelle »Trump-Skandal« in die Karten spielen. Denn jetzt kann man Anti-Trump-Wahlkampf gegen die Republikaner mit der einfachen Botschaft machen: »Donald Trump ist eine Gefahr für die USA« – zumal auch andere republikanische Politiker*innen nicht viel besser sind, wie sich im Nachgang der Razzia in Trumps Florida-Domizil zeigte.
Die amerikanische Gesellschaft ist massiv politisch polarisiert. Es gibt eine gefährliche Radikalisierung auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Der Wahlkampf zu den Zwischenwahlen ist mit einer konfrontativen Logik verknüpft: Nachdem durch eine Hausdurchsuchung in 15 Kisten vertrauliche Dokumente gefunden worden waren, die unter Geheimhaltungspflicht stehen, nahmen die Bundesbehörden in Washington eine Ermittlung auf.
Ex-Präsident Trump bezeichnete die Hausdurchsuchung als »gesetzlose, politische Verfolgung« und »Hexenjagd«. Die USA seien zu einem korrupten Drittweltland verkommen; um ihm und seiner Partei vor den Zwischenwahlen zu schaden. Dem FBI sprach er jegliche politische Unabhängigkeit und Gesetzestreue ab: »Die Demokraten sind in das Haus des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten eingedrungen.« Kein Wunder, dass auch führende Republikaner in diesen Chor einstimmten.
Viele von denen verharmlosen bis heute den Sturm auf das Capitol und bauschen zugleich die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zur Hexenjagd des »Biden-Regimes« auf. Der ehemalige Republikaner und heutige Trump-Kritiker Joe Walsh verurteilte die wütende Rhetorik seiner ehemaligen Parteikollegen als unverantwortlich und gefährlich: »Sie haben nichts aus dem 6. Januar gelernt. Es ist ihnen egal. Sie hetzen Millionen auf. Es wird Gewalt geben.«
Während wegen des Sturms aufs Capitol mittlerweile gegen über 800 Personen Klage erhoben wurde, ist Trump als Anstifter der Attacke strafrechtlich noch ungeschoren geblieben. Angesichts dessen turbulenter Amtszeit mit Lügen, Korruptionsvorwürfen und am Ende einem gewaltsamen Aufstand erscheint mutmaßlich unrechtmäßig aufbewahrtes Regierungsmaterial eher unerheblich. Doch anders als bei den im Zusammenhang mit dem 6. Januar 2021 erhobenen Vorwürfen existiert hier ein klar formulierter Straftatbestand, der einfacher zu klären sein dürfte.
Der ganze Vorgang wird die Fundamente der US-amerikanischen Republik massiv erschüttern. Die Verfehlungen des früheren Präsidenten sind schwerwiegend. In jedem Fall ist eine weitere Vergiftung der politischen Stimmung absehbar. Es bedarf viel Standhaftigkeit, um zu einer Auflösung dieses Knäuels von Problemen zu kommen. Auf jeden Fall ist der »Trumpismus« keineswegs Geschichte und wird die weitere Zukunft der US-Gesellschaft mitbestimmen.