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22. April 2023 Redaktion Sozialismus.de: Umfrage zu einem neuen Grundsatzprogramm

CDU: »Die Partei lebt, die Partei arbeitet, die Partei diskutiert mit, die Partei denkt mit«

Nach 16 Jahren Angela Merkel, einer verlorenen Bundestagswahl und dem ersten Jahr in der Opposition will sich die CDU ein neues Grundsatzprogramm verpassen. Das alte stammt noch aus dem Jahr 2007.

Impulse für die Grunderneuerung sollte eine Mitgliederbefragung liefern. Und 66.000 der rund 372.000 CDU-Mitglieder haben sich beteiligt. Die Niederlage bei der Bundestagswahl 2021 war für die CDU eine historische Zäsur. Der Machtverlust löste auch Kritik seitens der christdemokratischen Partei an der langjährigen Parteivorsitzenden aus.

Merkel habe das Land ruhig und besonnen durch mehrere Krisen geführt, mehr reaktiv als gestaltend. Sie habe die Gesellschaft nur verwaltet. Deutschland sei satt und träge geworden. Das Land sei auf vielen Gebieten weit zurückgefallen, habe an Konkurrenzfähigkeit eingebüßt, die Digitalisierung verschlafen, die Bildungskatastrophe geschehen lassen, die Migration ungesteuert laufen lassen und auch den Kampf gegen den Klimawandel und die ökologische Transformation vertagt.

In dieser eher kritischen Gesamtwertung bleibt unterbelichtet, dass Angela Merkel die Krisenkanzlerin war. Ihre historische Mission bestand darin, Deutschland gut durch große Krisen hindurchzuführen und in unsicheren Zeiten ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. In der Finanz- und Eurokrise, der Flüchtlings- und der Corona-Krise spielte sie ihre Fähigkeiten aus. Gerade diese Krisenbewältigung trägt ihr innerparteilich aber die Etikettierung ein, sie stehe für das Bewahren, nicht für die Veränderung.

Übersehen werden bei dieser Bewertung die gesellschaftlichen Trends, wie etwa die Auflösungstendenzen der »nivellierten Mittelstandsgesellschaft«. Parallel zu diesen Veränderungen vollzog sich der Niedergang der sogenannten Volksparteien. Nicht nur die europäische Sozialdemokratie verlor ihren Rückhalt in den unteren sozialen Schichten und ihren Anspruch auf die Verteidigung und Gestaltung des Sozialstaates im 21. Jahrhundert. Auch die konservativen Mitte-Rechts-Formationen transformierten sich im Verlaufe der 1980er-Jahre und konnten mit ihren christlich-sozialen Wurzeln politisch nicht mehr punkten.

In den hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften setzte sich tendenziell eine neuartige Spaltung zwischen einem kosmopolitisch-liberalen und einem national-protektionistischen Milieu durch. In diesem Prozess der Schrumpfung auch der konservativen Mitte-Parteien wurden neue rechtspopulistische Parteien relevant. In Italien war die hegemoniale Christdemokratie schon in den 1990er-Jahren in dem Schmiergeldskandal »Tagentopoli« untergegangen.

In späteren Jahren unterlagen sozialdemokratische und konservative Parteien insgesamt den beschriebenen Veränderungen. Inzwischen gehören Parteien mit nationalistischen rechten Zielvorstellungen zum politischen Spektrum wie selbstverständlich dazu. Merkel versuchte dagegen über die Stabilisierung der bürgerlichen Mitte-Partei die Perspektiven der liberalen Demokratie ins 21. Jahrhundert zu überführen. Die Überwinterung der bundesdeutschen Christdemokraten als Partei der Mitte war wohl auch ihr Verdienst.


Erneuerung mit neuem Grundsatzprogramm

Einen Tag nach der Landtagswahl in Hessen im Oktober 2018, bei der der Stimmenanteil der CDU um mehr als 11% eingebrochen war, erklärte Merkel den Verzicht auf den CDU-Vorsitz. Die Frau, die immer gesagt hatte, Parteivorsitz und Kanzleramt gehörten in eine Hand, sagte nun: »Ich halte es für vertretbar, dieses Wagnis der Trennung der Spitzenämter einzugehen.«

Gleich nach ihrem Abtritt vom Parteivorsitz wollte sich die CDU gründlich erneuern und aus der Abwärtsspirale herauskommen. Sie sah in einem neuen Grundsatzprogramm einen wichtigen Ansatzpunkt der politischen Erneuerung. Der CDU-Parteitag im Jahr 2022 hatte dann schon eine Grundwertecharta gebilligt, um sich nach der Wahlniederlage bei der Bundestagswahl 2021 ein klareres Profil zu geben. Die Delegierten votierten für eine solche Charta als erstem Schritt, um bis zur Europawahl 2024 ein neues Grundsatzprogramm zu beschließen. Die Verabschiedung eines neuen Konzepts war vor der Bundestagswahl 2021 trotz mehrjähriger Vorbereitungen nicht zustande gekommen.

Der neue Parteivorsitzende Friedrich Merz stimmt seine Partei jetzt auf das Ziel ein, bei der Bundestagswahl 2025 wieder stärkste Kraft zu werden. Mitte Juni soll ein Parteikonvent zum neuen Grundsatzprogramm stattfinden, das dann im Frühjahr 2024 auf einem Parteitag beschlossen werden soll. Inhaltlich geht es Merz darum, das konservative Profil schärfen.

Was aber gehört zur Aufwertung des Konservatismus im 21. Jahrhundert? Der Vorsitzende hat das Thema Zuwanderung für die Partei wiederbelebt und rückt ab vom Merkel-Mitte-Kurs – vor allem im Vokabular. Pragmatischer Populismus war der ehemaligen Kanzlerin fremd, Merz nutzt ihn und polarisiert damit. Im Osten der Republik kommt es gut an, wenn er Flüchtlinge als Sozialtouristen bezeichnet, und Kinder arabischer Migrant*innen kleine Paschas nennt.

Genau das wünschen sich die Konservativen in der CDU: den alten Friedrich Merz, rechts von der Mitte, den Angela Merkel 2002 vom Vorsitz der Unions-Fraktion im Bundestag verdrängt hatte. Er zog sich daraufhin schrittweise aus der Politik zurück, arbeitete als Lobbyist und Wirtschaftsanwalt, bis er 2018 zum ersten Mal das Amt des CDU-Vorsitzenden anstrebte und gegen Annegret Kramp-Karrenbauer unterlag. 2021 kandidierte er zum zweiten Mal, unterlag diesmal Armin Laschet, den er dann nach dessen Niederlage bei der Bundestagswahl im gleichen Jahr beerbte.

Aber welche Schwerpunkte soll die Partei in einem neuen Grundsatzprogramm noch setzen? Dazu sollten sich alle Mitglieder in einer Online-Umfrage äußern. Merz wollte nichts vorgeben. »Ich bin nicht der Vorsitzende, der von oben anordnet, wohin die Partei zu laufen hat«, sagte er. Möglicherweise will die Partei im Osten in eine etwas andere Richtung laufen als im Westen. Die Regionalkonferenzen könnten einen Weg weisen.


Welche neue christdemokratische Erzählung?

Jetzt also eine Mitgliederbefragung mit dem Ziel einer »neuen Erzählung«, so CDU-Vize Carsten Linnemann: »Wir brauchen wieder eine tolle Erzählung für die CDU, eine brennende, eine fesselnde, eine ermutigende Erzählung.« Linnemann hat als Chef der Programm- und Grundsatzkommission klare Vorstellungen von dem Ergebnis: »Ich möchte auf zwei Seiten sehen, was unsere grundsätzlichen Botschaften sind, und was uns unterscheidbar macht von anderen Parteien.«

Die CDU hatte rund 240.000 Mitglieder angeschrieben und um Beteiligung an der Umfrage gebeten. Die Diskrepanz zur Gesamtmitgliederzahl erklärte der Parteivorsitzende damit, dass nur diejenigen kontaktiert wurden, von denen der Partei eine E-Mail-Adresse vorlag. Merz bezeichnete den Rücklauf als »sehr erfreuliches Ergebnis«. Auch Carsten Linnemann lobte die aus seiner Sicht hohe Beteiligung.

Den Teilnehmenden wurden insgesamt 17 Fragen vorgelegt. »Das ist mit einem nicht unbeträchtlichen Zeitaufwand verbunden gewesen«, hob Merz hervor. »Man musste da schon eine halbe Stunde vor dem Rechner sitzen und in Ruhe die Fragen beantworten.«

Die CDU-Mitglieder sollten sich u.a. zu diesen Themen äußern:

  • Herausforderungen für Deutschland,
  • Zukunft Europas,
  • Energieversorgung,
  • Fachkräftemangel,
  • Familienpolitik,
  • Wohnungsmarkt,
  • Rente,
  • die Bedeutung des »C« im Parteinamen der Christlich Demokratischen Union.

Der Tenor der Mitgliederumfrage ist deutlich: Die Partei soll wieder konservativer werden. Das zentrale Ergebnis dieser konservativen Neuausrichtung für den Parteivorsitzenden: »Ich finde es bemerkenswert, dass drei Vierteln unserer Mitglieder wichtig ist, dass wir das ›C‹ im Namen nicht nur haben, sondern dass wir uns daran weiter orientieren. Das ist auch meine persönliche Meinung.« In Zeiten eines drastischen Mitgliederverlustes der christlichen Kirchen ist diese Tendenz mindestens interpretationsbedürftig.

Die CDU-Mitglieder bekennen sich zu den Werten und Überzeugungen, die die CDU im Kern ausmachen, und die sie von anderen unterscheidet, konstatiert Programmchef Linnemann. Die Orientierung von CDU-Politik am »C« ist für mehr als drei Viertel der Mitglieder wichtig. Programm und Handeln sollen sich an christlichen Werten und Überzeugungen ausrichten. Linnemann macht deutlich, dass dazu das echte Bekenntnis zur Freiheit, der Schutz der Würde des Menschen sowie die Grundwerte Respekt, Anstand und Fairness zählen.

Als »besonders wichtig« stuften die Befragungsteilnehmer »Freiheit« (83%) und »Die Würde des Menschen schützen« (81%) ein. Am seltensten wurden »Engagement gegen Diskriminierung«, die »Unterstützung Bedürftiger« und, als Schlusslicht, »Respekt vor religiösen Überzeugungen« genannt. Auch diese Vorschläge erhielten dabei aber jeweils Werte von mehr als 30%. Werden die Einstufungen als »besonders wichtig« und »auch noch wichtig« zusammengerechnet, ergibt sich für sämtliche abgefragten Vorschläge ein Ergebnis von mindestens 83% Zustimmung.

Den Umfrageergebnissen zufolge soll Klimaschutz nicht der oberste Punkt auf der Partei-Agenda sein. Und trotz Atomausstiegs will ein Großteil der Union an der Kernkraft festhalten. In der Umfrage wurden Vorschläge zu politischen Problemfeldern vorgelegt, etwa zur Rente. Demnach wünscht sich bei der Rente knapp die Hälfte der Befragten eine stärkere staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge. Für die Absenkung des Rentenniveaus plädierten nur gut 3%.

Zur Sicherung der Energieversorgung plädierten 66% für Investitionen in neue Technologien wie die Kernfusion, 64% für den deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien und 55% für die dauerhafte Nutzung der Kernkraft. Eine Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken (14%) und ein Ausbau der Erdölförderung in Deutschland (10%) sind besonders unpopulär.


Merz: Kaum Rufe nach mehr Geld für Familien

Die Parteispitze zeigt sich zufrieden mit dem Verlauf und Ergebnissen der Umfrage. Für den Parteivorsitzenden Merz ist dies ein Zeichen, dass die Mitglieder »aktiv teilnehmen wollen«. »Die Partei lebt, die Partei arbeitet, die Partei diskutiert mit, die Partei denkt mit.« Überrascht zeigte sich Linnemann über das Ergebnis bei der Frage, wie »sozial benachteiligte Familien« am besten gefördert werden sollten. Hier forderten 75% eine Vorschulpflicht für Kinder mit mangelnden Sprachkenntnissen. Dagegen wünschten sich nur 10% eine stärkere finanzielle Unterstützung der Familien – hier habe er einen höheren Wert erwartet, sagte Linnemann. Merz sagte wohl auch angesichts der Kindergrundsicherungs-Debatte, dieser Wert habe ihn überrascht »und erfreut«.

Spannend ist der Programmprozess in der CDU auch deshalb, weil es Kräfte in der Partei gibt, die die CDU zu einer konservativen Partei nach dem Vorbild der britischen Torys ummodeln möchten, eine Wirtschaftspartei also ohne sozialpolitischen und christlich gefärbten Klimbim. Der Programmprozess kann verdeutlichen, mit welchem Schmalspurrepertoire die Nationalkonservativen in der Union unterwegs sind, und ob sie damit an den Anforderungen einer modernen, vielfältigen und bunten Gesellschaft scheitern.

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