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1. Mai 2020 Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Negativrekorde bei der Lohnarbeit

Corona-Rezession auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Die Bundesregierung geht von einem massiven Einbruch in der Wirtschaftsleistung aus (-6,3% für 2020) aus. Ein Großteil der Industrie leidet unter einem gravierenden Einbruch der Nachfrage im In- und Ausland sowie Störungen der Lieferketten. Auch viele Dienstleistungen werden krisenbedingt nicht oder deutlich weniger in Anspruch genommen.

Außerdem kommt es zu Arbeitsausfällen, etwa weil Schulen und Kindertagesstätten geschlossen sind und berufstätige Eltern ihre Kinder nun selbst betreuen müssen.

Auch die globale Einschränkung der gesellschaftlichen Arbeit hat drastische Konsequenzen für den Welthandel und die internationalen Wertschöpfungsketten. Es kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, dass die Situation in der Weltwirtschaft zu einer systemischen Krise eskaliert. Während China Produktion und Handel bereits wiederbelebt, steht der Höhepunkt der Krise in den USA erst noch bevor. So musste das Land bereits im 1. Quartal 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 4,8% hinnehmen. Der Konsum allein ging um 7,6% zurück, die Investitionen sogar um 8,6%. Ökonomen erwarten, dass das 2. Quartal noch deutlich schlimmer ausfallen wird.

Beim weltweiten Handelsvolumen wird mit einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr um ein Viertel gerechnet. Die Welthandelsorganisation WTO hält in einem Negativszenario sogar Rückgänge um mehr als 30% für möglich. Die deutschen Exporte werden dabei stärker sinken als die Importe, wodurch der Außenbeitrag deutlich zurückgeht.

Mit Blick auf diese Fakten erwartet das Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) für das Jahr 2020 in Deutschland eine Schrumpfung des realen BIP von 8,4%, und ist damit ähnlich wie die OECD noch deutlich skeptischer als die Bundesregierung, die mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 6,3% rechnet. Der Einbruch im zweiten Quartal liegt laut IAB bei 14,6%. In der Folge komme eine Erholung in Gang, das BIP im zweiten Halbjahr 2020 liege aber immer noch um 6,8% unter dem Wert des Vorjahreszeitraums.

Deshalb ist mit drastischen Verschlechterungen bei Beschäftigung und einer deutlichen Erhöhung der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Neu sind vor allem die Ausfälle von Wirtschaftstätigkeit in Bereichen, die üblicherweise weniger von Konjunkturschwankungen betroffen sind. Insbesondere bei eher kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen, Einfacharbeitsplätzen und Minijobs, die in vielen der vom »Shutdown« betroffenen Bereiche stark vertreten sind, ist eine Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses eher schwieriger.

Unternehmen in Deutschland greifen unter dem Kostendruck auf die sozialstaatlichen Überbrückungs- und auf Entlassungsmaßnahmen zurück. Vor allem die Kurzarbeit soll Arbeitnehmer*innen mit staatlicher Hilfe im Job belassen und Entlassungen vermeiden. Auch in der Zeitarbeit, die häufig als Puffer für konjunkturelle Schwankungen dient, ist mit einem starken Einbruch zu rechnen. Schließlich sind die Unternehmen mit Neueinstellungen und Ausbildungsverhältnissen aktuell sehr zurückhaltend. Der massive Druck auf die Beschäftigungsverhältnisse zeigt sich im neuen Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) für den Monat April.


Dramatischer Anstieg der Kurzarbeit

Die Zahl der Kurzarbeiter in Deutschland dürfte bereits jetzt den Höchststand aus der Zeit nach der Finanzkrise 2008/2009 um ein Vielfaches überschritten haben. Laut der BA haben von bis einschließlich vergangenen Sonntag 751.000 Betriebe Kurzarbeit beantragt– für insgesamt bis zu 10,1 Millionen Menschen. Das entspricht einem Anteil von 30% an allen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.

Auch wenn das »nur« von den Unternehmen angezeigten Personen sind, sei das laut BA eine »im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten nie da gewesene Zahl«. Zum Vergleich: Im gesamten Krisenjahr 2009 gingen bei den Agenturen für Arbeit Anzeigen für 3,3 Mio. Beschäftigte ein.

Unternehmen können in Krisenzeiten für die Beschäftigten Kurzarbeitergeld bei der BA beantragen, das den fehlenden Lohn teilweise ausgleicht – eine sozialstaatliche Brückenfunktion, um in den Krisenmonaten die Belegschaften zusammenzuhalten. Nach Branchen wird Kurzarbeit am häufigsten im Gastgewerbe (92%), in der Metall- und Elektroindustrie (44%) und bei Sonstigen Dienstleistungen (43%) angemeldet.

Trotz des Rückgriffs auf dieses sozialstaatliche Instrument ist auch die Zahl der Arbeitslosen im April wegen der Corona-Krise kräftig angestiegen – im Vergleich zum März um 308.000 auf insgesamt 2,644 Millionen Menschen.

Sowohl das Arbeitslosen- als auch das Kurzarbeitergeld wird über die BA finanziert, die in den zurückliegenden Jahren Überschüsse ansammeln konnte. Allerdings sind bei solch drastischen Einbrüchen am Arbeitsmarkt die Reserven der Arbeitslosenkasse von immerhin 26 Mrd. Euro begrenzt. Die BA hat intern drei Szenarien für die Entwicklung der Kurzarbeiterzahl und die entsprechenden Kosten durchgerechnet. Für den Extremfall geht sie von acht Mio. Kurzarbeiter*innen in der Spitze und 2,6 Mio. Kurzarbeiter*innen im Jahresdurchschnitt aus.

Bei diesem Szenario bräuchte sie schon in diesem Jahr einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt. Der Beschluss von Union und SPD, das Kurzarbeitergeld – gestaffelt nach der Bezugsdauer – auf bis zu 80% und mit Kindern auf bis zu 87% zu erhöhen, ist hier noch nicht eingerechnet. Bislang kommt die Arbeitslosenkasse für 60% beziehungsweise 67% des ausgefallenen Nettolohns auf.

Mitte März hatte das Bundesarbeitsministerium noch geschätzt, dass nur bis zu 2,35 Mio. Kurzarbeiter geben werde und dafür mit Kosten von rund 10 Milliarden Euro. Zum Vergleich: In Folge der großen Finanz- und Wirtschaftskrise hatte die BA zwischen 2009 und 2012 rund 8,5 Mrd. Euro ausgezahlt.


Einbruch bei Arbeitsstellen und Stellenzugängen, deutlicher Anstieg der Arbeitslosen

Ein wichtiger Indikator für die Veränderungen am Arbeitsmarkt ist der Bestand an gemeldeten Arbeitsstellen bzw. Stellenzugängen. Laut BA hat der Bestand an gemeldeten Arbeitsstellen im April saisonbereinigt um 66.000 abgenommen, nach -10.000 im März und -6.000 im Februar. Der Bestand im April belief sich auf 626.000 Stellen. Das waren 169.000 oder 21% weniger als vor einem Jahr.

Die Stellenzugänge, die ein besserer Indikator für die Einstellungsbereitschaft der Betriebe sind als die Bestandszahlen, haben im April erheblich stärker abgenommen als der Stellenbestand. Sie sind von März auf April um 79.000 gesunken. Nach den Ursprungszahlen wurden im April 76.000 Stellen gemeldet, das waren 109.000 oder 59% weniger als im April des Vorjahres. Ausschlaggebend für den Rückgang waren weniger Stellenmeldungen aus der Arbeitnehmerüberlassung (-33.000 oder -57%), aus dem Handel (-12.000 oder -61%), aus dem Gastgewerbe (-8.000 oder 55 Prozent) und von Qualifizierten Unternehmensdienstleistern (-8.000 oder -89%). Mehr Stellenmeldungen gab es nur aus der Land- und Forstwirtschaft (+200 oder +24%).

Zugleich ist die Zahl der Arbeitslosen im April kräftig gestiegen: um 308.000 auf 2,644 Mio. Anfang April war BA-Chef Detlef Scheele noch davon ausgegangen, dass sie im Laufe des Monats »nur« um 150.000 bis 200.000 steigen könnte – dieser Wert wurde deutlich übertroffen. Die Arbeitslosenquote kletterte auf 5,8%. »Die Corona-Pandemie dürfte in Deutschland zur schwersten Rezession der Nachkriegszeit führen. Dadurch gerät auch der Arbeitsmarkt stark unter Druck«, sagte Scheele am Donnerstag in Nürnberg.

Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit), die auch Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik und kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt, hat sich im April saisonbereinigt um 244.000 erhöht. Dass die Arbeitslosigkeit saisonbereinigt deutlich stärker gestiegen ist als die Unterbeschäftigung, hängt vor allem damit zusammen, dass infolge der Kontaktbeschränkungen der Einsatz entlastender Arbeitsmarktpolitik deutlich zurückgegangen ist und weniger Arbeitslose kurzzeitig in die Arbeitsunfähigkeit abgemeldet wurden.

Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Arbeitslosen im April um 415.000 oder 19% erhöht. Die Unterbeschäftigung (ohne Kurz-arbeit) ist gegenüber dem Vorjahr um 271.000 oder 8% gestiegen.

Die Anstiege von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung im April sind laut BA maßgeblich durch die Corona-Krise bestimmt. Der Corona-Effekt wird für die Arbeitslosigkeit auf 381.000 geschätzt. Dieser Effekt kann in folgende Komponenten zerlegt werden:

  • Anstieg der Arbeitslosigkeit um 113.000 (30% an dem Corona-Effekt), weil mehr Personen ihre Beschäftigung verloren oder ihre Selbständigkeit aufgegeben haben.
  • Anstieg der Arbeitslosigkeit um 82.000 (22%), weil weniger Personen ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung oder Selbständigkeit beenden konnten.
  • Anstieg der Arbeitslosigkeit um 140.000 (37%), weil weniger Personen eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme absolvieren oder nicht als kurzfristig Arbeitsunfähige er-fasst und stattdessen als arbeitslos geführt werden.
  • Anstieg der Arbeitslosigkeit um 46.000 (12%) aus sonstigen Gründen. Hierunter fallen vor allem weniger Abmeldungen aus Arbeitslosigkeit, weil aufgrund der geringeren Kontaktdichte von Vermittlern und Arbeitslosen weniger Verfügbarkeitsüberprüfungen durchgeführt wurden.

Die Arbeitslosigkeit ist in allen Bundesländern von März auf April angestiegen. Auch im Vergleich zum Vorjahr sind im April durchweg Anstiege zu verzeichnen. Die größten Zuwächse gegenüber dem Vorjahr gibt es in Bayern und Baden-Württemberg mit jeweils +33%. Die geringsten Zuwächse weisen die ostdeutschen Flächenstaaten auf, die im März noch unter ihren Vorjahreswerten lagen. Den geringsten Vorjahresanstieg gab es in Brandenburg mit +8%.

Bemisst man den Corona-Effekt als Anteil an der Arbeitslosigkeit, waren in Deutschland 14% der Arbeitslosen vom April aufgrund der Corona-Krise arbeitslos. Dieser Anteil reicht von 10% in Bremen und im Saarland bis zu 21% in Bayern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anteil des Corona-Effekts in Ländern mit niedriger Arbeitslosigkeit wie Bayern und Baden-Württemberg tendenziell höher und in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit wie Bremen und Saarland tendenziell niedriger ausfällt.


Perspektiven

Das IAB rechnet damit, dass die Zahl der Erwerbstätigen in den kommenden Monaten um rund eine Mio. Menschen sinken und die Zahl der Arbeitslosen auf über drei Mio. steigen wird. Ob es im 2. Halbjahr zu einem Rückgang bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit kommen wird, hängt davon ab, ob die Corona-Pandemie weiter eindämmt werden kann, und von der Dimension eines staatlichen Konjunkturprogramms, das einen wesentlichen Beitrag zur Wiederankurbelung und Reorganisation der gesellschaftlichen Wertschöpfung leisten muss. Zu einem solchen Programm müssten auch massive Investitionen in die soziale Infrastruktur (Krankhäuser, Schulen, Wohnungen) sowie Maßnahmen zur Eindämmung prekärer Beschäftigung z.B. durch die Erhöhung des Mindestlohns, sowie die Verbesserung der sozialen Mindestsicherung gehören.

Kurzarbeit sichert Arbeitsplätze, die sonst in der Krise verlorengehen würden, was für die Zeit danach wichtig ist. Auch Einführung der Erhöhung des Kurzarbeitergeldes ist richtig, weil sie Menschen hilft, ihre Miete oder auch Kreditraten bezahlen zu können- Darüber hinaus stärkt das Kurzarbeitergeld die Nachfrage – jeder Euro, der in der Krise ausgegeben wird, hilft, dass das Land nicht noch tiefer abstürzt.

Kurzarbeit ist eine Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal. Insofern ist die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes in möglichst vielen Branchen auch weiterhin eine wichtige Zielsetzung. Allerdings werden mit der beschlossenen gesetzlichen Aufstockung die existenziellen Nöte der Beschäftigten im Niedriglohnbereich kaum verhindert werden können. Sie setzt erst ab dem vierten Monat des Bezugs ein, kommt zu spät und fällt zu gering aus. Zahlreiche Betroffene werden vorher in die Grundsicherung rutschen und mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken müssen.

Benötigt wird eine Regelung, die vor allem Geringverdiener*innen eine höhere Zahlung garantieren würde. Außerdem muss die Zahlung von Kurzarbeitergeld auf Minijobber*innen und neu eingestellte Mitarbeiter*innen ausgeweitet werden. Und Kurzarbeit darf nicht zum Allheilmittel verklärt werden, mit dem die gegenwärtigen wie zukünftigen Herausforderungen am Arbeitsmarkt – und derer gibt es neben den Folgen der Corona-Krise diverse (Stichworte: Transformation und Digitalisierung) angegangen oder auch nur abgefedert werden können.

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