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2. November 2015 Otto König / Richard Detje: Noch einmal zur Regierungsbildung in Portugal

Coup gegen linke Mehrheit

António Costa

Eine Regierung aus Sozialdemokraten, Linksblock und der von Kommunisten angeführten Allianz CDU schien in Portugal zum Greifen nahe. Das Bündnis Portugal à Frente (Portugal voran) aus liberal-konservativer PSD und konservativer Volkspartei PP hatte bei der Parlamentswahl im Oktober die absolute Mehrheit verloren. Die Chancen, dass in einem weiteren südeuropäischen Staat das Ende der Austeritätspolitik eingeläutet wird, waren gestiegen.

Obwohl der António Costa, Generalsekretär der Partido Sozialista (P), dem Staatspräsidenten Aníbal Cavaco Silva vorrechnen konnte, dass die PS gemeinsam mit dem Bloco Esquerda (BE) und der Allianz CDU mit 121 Sitzen über eine Mehrheit in der Assembleia da Repúblika in Lissabon verfügt, die den Willen der portugiesischen  WählerInnen repräsentiert, ernannte Cavaco Silva seinen konservativen Parteifreund Pedro Passos Coelho zum neuen Premier einer Minderheitsregierung, die sich nur auf 105 von 230 Abgeordneten stützen kann.

Seine Amtshandlung begründete der Präsident in einer Fernsehansprache mit dem Hinweis, dass es seit 40 Jahren in Portugal keine Regierung gegeben hätte, die gegen die Währungsunion, den Fiskalpakt und vor allem für die Auflösung der Nato gewesen seien. Er bezog sich dabei auf Ankündigungen der linken Kräfte, zahlreiche Sparmaßnahmen und soziale Einschnitte überarbeiten zu wollen. Im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Befugnisse sei es seine Pflicht, »alles zu tun, damit keine falschen Signale an die Finanzinstitute, Investoren und Märkte gesandt werden«.

Der wirtschaftsliberale Konservative nutzte seine Position, damit der dem Land aufoktroyierte Sparkurs fortgesetzt werden kann. Diesen Eingriff als Verteidigung der Demokratie auszugeben, pervertiert den WählerInnenwillen. Geht es doch letztlich darum, eine linke Koalition von der Macht fernzuhalten, um »griechische Verhältnisse« zu vermeiden.

Die präsidiale Blockade veranlasste den britischen Telegraph zu Recht zu der Feststellung: »Zum ersten Mal seit Schaffung der europäischen Währungsunion hat ein Mitgliedsstaat unter Berufung auf nationale Interessen euroskeptische Parteien von einer Regierungsbeteiligung ausgeschlossen.« (23.10.2015) Brüssel habe ein Monster geschaffen.

Es kommt einer Realsatire gleich, wenn Pedro Passos Coelho nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten eine »starke Regierung« verspricht. Das von ihm geführte liberal-konservative Bündnis wurde von den WählerInnenn für die rigide Austeritätspolitik abgestraft, d.h. abgewählt. Die Mitte-Rechts-Parteien erreichten nur noch 38,5% der Stimmen, das bedeutet einen verheerenden Stimmenrückgang von 13% im Verhältnis zu den vorhergehenden Wahlen, und damit den Verlust der absoluten Mehrheit.

Die wahren Wahlsieger sind die Parteien der linken Opposition: Die Partido Sozialista (PS), vergleichbar mit den deutschen Sozialdemokraten, errang 32;3% (+4%), der Bloco Esquerda (BE), der der europäischen Linkspartei zugehört, verdoppelte seine Stimmen von 5,2 auf 10,2% und das Wahlbündnis CDU, zusammengesetzt aus der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) und der PEV (Ökologische Partei – Die Grünen) erhöhte seinen Stimmenanteil leicht von 7,9 auf 8,25%.

Damit kommt eine linke Mehrheit auf 122 – Sozialisten 86, Linksblock 19, Allianz CDU 17 und ein Unabhängiger – von den 230 Sitzen im Parlament, während die rechte Koalition PSD/CDS 107 aus sich vereint. Es ist deshalb geradezu absurd, dass der Madrider-Korrespondent Thomas Urban in der Süddeutschen Zeitung am 5.10.2015 verkündete, der Ausgang der Wahl sei ein wichtiges Signal, weil »zum ersten Mal eine konservative Regierung, die ein Sparprogramm durchgesetzt habe, einen Wahlsieg errungen« habe.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die PS sich im Wahlkampf auch von der Austeritätspolitik distanziert hat, lässt sich nach der Wahl schlussfolgern, dass rund 63% der Portugiesen die bisherige Regierung und ihre Politik ablehnen. Es bleibt deshalb wie im Falle der Berichterstattung über Griechenland den deutschen Leitmedien vorbehalten, die Wahlniederlage der Konservativen in einen Wahlsieg und damit in eine Bestätigung der Sparpolitik umzudeuten.

Während in der Presse und im politischen Establishment spekuliert wurde, dass der PS-Chef António Costa nach Aufnahme von Gesprächen mit dem Mitte-Rechts-Bündnis eine große Koalition anstrebe, boten der Linksblock und die grün-kommunistische Allianz der PS an, trotz der bestehender inhaltlichen Differenzen mit der existierenden parlamentarischen Mehrheit eine Regierung zu bilden.

Linksblock und die Allianz CDU stellten ihre radikalsten Forderungen – wie einen Ausstieg aus dem Euro und das Verlassen der Nato – zurück und schlugen vor, sich auf einen Kurswechsel weg vom wirtschaftsliberalen, hin zu einem sozialstaatlichen Programm zu konzentrieren. Die von EU, Berlin und Internationalem Währungsfonds (IWF) geforderte »Privatisierung öffentlicher Betriebe« soll beendet, mehr in »Wissenschaft, Innovation, Bildung und Kultur investiert« und der von der »Troika« dem Lande aufgezwungene »Sparhaushalt« gekippt werden.

Im Mai 2011 hatte die portugiesische Regierung unter Führung von Pedro Passos Coelho einem »Hilfspaket« der Troika zugestimmt und sich im Gegenzug einem drastischen Spar- und Privatisierungskurs mit tiefen sozialen Einschnitten unterworfen. Im Schnitt sind die Löhne durch Abschaffung von Flächentarifverträgen um 20% gekürzt worden. Unbefristete Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst wurden durch flexible Niedriglohnjobs ersetzt.

Die Jugendarbeitslosigkeit stieg auf 34%. Die allgemeine Arbeitslosigkeit sank zwar, die Ursache dafür ist nicht eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, sondern dass rund 600.000 Menschen – vor allem Junge und Qualifizierte – aus wirtschaftlichen Gründen das Land verließen.

Zwar profitiert Portugal vom schwachen Euro, niedrigen Zinsen, günstigem Öl und Rekorden im Tourismusgeschäft, dennoch kommt die Industrieproduktion nicht in Gang. Für das laufende Jahr hofft die nationale Zentralbank auf 1,7% Wirtschaftswachstum. Seit dem ersten Rettungspaket sind die Schulden auf knapp 130% der Wirtschaftsleistung gestiegen. Damit gehört das Land neben Griechenland zu den am höchsten verschuldeten Ländern der Euro-Zone.

Nachdem Portugal im Juni 2014 wieder an den Kapitalmarkt zurückgekehrt war, galt das Land als »Musterschüler« unter den »Programmländern« der EU. Den Erfolgsmeldungen in deutschen Medien, es sei Dank der Austeritätspolitik auf einem »guten Weg«, hält Heiner Flassbeck nüchtern entgegen: »Wenn das Wirtschaftsniveau und die soziale Lage so abgesunken sind wie jetzt, ist irgendwann jede Veränderung eine positiver Trend. Das heißt aber nicht, dass diese geringfügigen Veränderungen ausreichen, um das Land aus der Krise herauszuholen.« (ARD-Sendung »plus-minus«, 13.8.2015)

Mit seinem antidemokratischen Coup verhinderte Staatspräsident Cavaco Silva zunächst die Bildung einer Linksregierung. Der von ihm eigesetzte portugiesische Ministerpräsident Passos Coelho und sein Kabinett wurden inzwischen vereidigt. Diese Regierung habe keine Zukunft, prophezeit die Opposition. Damit dürfte sie am Ende Recht behalten.

Einen ersten Beweis dafür lieferten die linken Parteien bei der Wahl von Ferro Rodrigues (PS) zum neuen Parlamentspräsident mit 120 der 230 Stimmen. Der Kandidat der Konservativen, Fernando Negrão, erhielt nur 108 Stimmen. Die linke Mehrheit im Parlament hat bereits die Ablehnung des Regierungsprogramms angekündigt, das bis zum 9. November präsentiert werden muss.

Verliert Ministerpräsident Passos Coelho die Abstimmung über den angekündigten Misstrauensantrag, müsste er gemäß der Verfassung zurücktreten. In diesem Fall beauftragt der Staatspräsident entweder doch noch den Sozialdemokraten Costa mit der Regierungsbildung, oder er belässt Coelho an der Spitze einer Übergangsregierung bis zu möglichen Neuwahlen Mitte Mai 2016. Damit würde er jedoch die schon instabile Lage im Land weiter verschärfen.

Sozialistenchef Costa steht in den Startlöchern, um in den kommenden Wochen doch noch den Auftrag zur Regierungsbildung zu übernehmen. Die Politikkommission der PS beauftragte ihn mit der Fortsetzung der Gespräche zur Bildung einer linken Regierung. Es wäre die erste linke Koalition in Portugal nach der sogenannten Nelkenrevolution von 1974 und ein weiterer Baustein nach der Wahl und der Bestätigung der Syriza-Regierung in Griechenland zur »Erneuerung Europas«.

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