Trumps Triumph?
Dienstag, 21. Januar 2025 | Berlin | 19:00 Uhr | RLS, Straße der Pariser Kommune 8A (auch Online)
Ingar Solty wird im Gespräch mit der Professorin für Politikwissenschaft Margit Mayer die Thesen seiner Anfang Februar erscheinenden Flugschrift zu den Folgen der US-Präsidentschaftswahlen vorstellen.

Rudolf Hickel
Schuldenbremse
oder »goldene Regel«?

Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
96 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-226-4

Christoph Scherrer/
Ismail D. Karatepe (Hrsg.)
Arbeit in der Lieferkette
Miserable Arbeitsbedingungen auf See und in den Häfen
192 Seiten | € 18.80
ISBN 978-3-96488-220-2

Peter Renneberg
Handbuch Tarifpolitik und Arbeitskampf
5., aktualisierte Ausgabe
232 Seiten | € 19.80
ISBN 978-3-96488-224-0

Hans-Jürgen Urban (Hrsg.)
Gute Arbeit gegen Rechts
Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie – Ausgabe 2024
136 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-225-7

Torsten Teichert
Die Entzauberung
eines Kanzlers

Über das Scheitern der Berliner Politik | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-216-5

8. Dezember 2024 Redaktion Sozialismus.de: AfD-Spitze nominiert Kanzlerkandidatin

Das AfD-Paradox

Der Anspruch Alice Weidels als »Kanzlerkandidatin« signalisiert keine Hoffnung auf ein überragendes Ergebnis bei den vorgezogenen Bundestagswahlen, sondern soll den gestiegenen Machtanspruch der »Alternative für Deutschland« (AfD) verdeutlichen.

Der Bundesvorsitzende Timo Chrupalla fasst die politische Strategie in der Formel zusammen: »Wir müssen die CDU halbieren, und die Grünen müssen verschwinden als gefährlichste Partei.« Die AfD sei bereit, schrittweise Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte 2018 gesagt, er traue sich zu, die AfD zu halbieren. »Merz wollte uns halbieren. Stattdessen haben wir uns verdoppelt«, höhnt Chrupalla. Andere Parteien hätten Angst davor, dass es den Bürger*innen besser gehe, wenn die AfD regiert. Die AfD könne aber nicht nur Opposition, sondern auch Leistung zeigen. »Das werden wir zeigen, in den Kommunen, da müssen wir anfangen, dann in den Landesparlamenten und dann in der Bundesregierung«.

In der inzwischen zwölfjährigen Geschichte der AfD trat die rechtspopulistische Partei von Beginn mit dem Anspruch an, die Regierung anzuführen. Allerdings hatte und hat die AfD aufgrund ihres rechtsnationalen bis rechtsradikalen Profils (siehe hierzu ausführlicher die Flugschrift von Hajo Funke: AfD-Masterpläne)keine Chance, Regierungsverantwortung zu übernehmen, weil keine andere Partei mit ihr koalieren will. Mit Umfragewerten zwischen 18% und 19% hat sie keine reelle Chance auf die Kanzlerschaft.

Bemerkenswert ist die Parteikarriere der nun gekürten Kandidatin, die auf einem Parteitag im Januar bestätigt werden wird. Die 45-Jährige hat eine steile Karriere in der AfD hingelegt. Im Oktober 2013, nur rund ein halbes Jahr nach Gründung der Partei, trat Alice Weidel ein und wurde zwei Jahre später in den Bundesvorstand gewählt. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg kandidierte sie 2016 erfolglos um einen Platz im Landtag. Durch wechselnde innerparteiliche Bündnisse hat sie sich nach oben gekämpft und ist mittlerweile Fraktionsvorsitzende im Bundestag und Sprecherin der Bundespartei.

Die AfD will bei ihrem Antritt für die Bundestagswahl mit Weidel als Kanzlerkandidatin die aktuelle Wirtschaftskrise überwinden und sagt zugleich dem »Steuerstaat« den Kampf an. In der Rede während der Nominierungsprozedur durch die Bundes- und die Landesspitzen der AfD konzentrierte sie sich auf die Themen Wirtschaft, Migration und Außenpolitik. Deutschland sei »der Geisterfahrer in der Energieversorgung«, sagte sie und forderte eine Rückkehr zur Kernkraft, die Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken sowie günstiges Erdgas – »egal, woher es kommt und durch welche Pipeline es geliefert wird«, erklärte sie, ohne Russland explizit zu nennen.

Als Kernpunkte ihrer Konzeption für die Erneuerung des Wohlstands werden deutlich:

  • Senkung der Energiekosten gegen eine »Deindustrialisierung Deutschlands«;
  • eine rigide Flüchtlingspolitik;
  • Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen und Volksabstimmungen;
  • Reaktivierung der abgeschalteten Atomkraftwerke und der Bau neuer Meiler;
  • Abschaffung des Öl- und Gasheizungsverbots;
  • Abschaffung des Verbots von Verbrennern;
  • Streichung der CO2-Abgabe auf Heizöl, Erdgas, Benzin oder Diesel;
  • Erhöhung der Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer auf 50 Cent.

Ein erklärtes Ziel der AfD sei es, die Steuern zu senken und die CO2-Bepreisung abzuschaffen. Diese ist laut Weidel »verfassungswidrig« und sei von einem »gefräßigen Steuerstaat« eingeführt worden. Sie kündigte darüber hinaus an: »Wir streichen sämtliche Sozialleistungen an ausländische Staatsbürger, die zu uns gekommen sind, die nie in unser Sozialsystem eingezahlt haben.« Statt Geldleistungen gäbe es Sachleistungen, käme die AfD in Regierungsverantwortung.

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bewertete die Vorschlage mit der Bemerkung, die AfD wolle den Spitzensteuersatz abschaffen, »wovon die einkommensstärksten 7% der Deutschen profitierten«. Dass man die Erbschaftsteuer »weiter reduziert oder komplett abschafft, auch davon profitieren vor allem Hochvermögende«.

Die rechtspopulistische Spitzenkandidatin der AfD hat sich an anderer Stelle für ein Verbot der Verschleierung bei muslimischen Frauen ausgesprochen: »Kopftücher gehören aus dem öffentlichen Raum und von der Straße verbannt.«, dies müsse gesetzlich festgeschrieben werden. »Ich bin für ein völliges Verbot von Niqab und Burka – überall […] Das Tragen sollte unter eine empfindliche Geldstrafe gestellt werden. Das meine ich ganz ernst.«

Zur Begründung führte Weidel aus, dass Männer und Frauen im Islam nicht gleichberechtigt seien. Das Kopftuch nannte sie ein »absolut sexistisches Symbol« mit dem »die Apartheid von Männern und Frauen« zur Schau gestellt werde. Außerdem gehöre das Kopftuch nicht zu Deutschland. Für ihre ausländerfeindliche Polemik in der Haushaltsrede des Bundestags – »Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern« – kassierte sie einen Ordnungsruf.

Alice Weidel ist in den rechtsextremen Politikfeldern bestens bewandert und gehört zu den konzeptiven Ideolog*innen der modernen Rechten:

  • Asylpolitik: Wie die ganze AfD stellt auch sie die Themen Asyl und Migration in den Fokus ihrer Arbeit und behauptet, dass sich »keine bedeutende Frage unserer Zeit [...] von der Migrationsfrage trennen« lasse. Den Zuzug von Flüchtlingen hält sie für eine unkalkulierbare Zumutung für die Wirtschaft und den Sozialstaat, warnt vor einem angeblichen »Kollaps«. Immer wieder stellt sie Migrant*innen als »kriminell« dar.
  • Kampf dem Steuerstaat und für Deregulierung: In der Wirtschaftspolitik verteidigt Weidel die kapitalistische Wirtschaftsordnung. Sie ist gegen den Mindestlohn und für die Abschaffung der Erbschaftssteuer. Zudem spricht sie sich für den Austritt Deutschlands aus der Eurozone aus.
  • Klimawandel: Den menschengemachten Klimawandel hat Weidel in der Vergangenheit wiederholt geleugnet. Sie glaube nicht, dass »der menschliche Einfluss maßgeblich ist.« Berichte des Weltklimarats kritisierte Weidel als Lobbypolitik. Damit stellt sie sich gegen die große Mehrheit der Klimaforschung, die durch Studien klare Zusammenhänge etwa zwischen Abgasausstoß der globalen Industrie und erhöhten Temperaturen sieht – mit entsprechend fatalen Folgen, etwa dem Anstieg des Meeresspiegels.

In ihrer AfD-Karriere hat es Weidel weit gebracht: In nur zehn Jahren wurde sie zur mächtigsten Frau in der Partei, die sie zusammen mit Chrupalla lenkt. Sie meldete selbst Interesse an, als Kanzlerkandidatin nominiert zu werden. Allerdings üben einige Parteifunktionäre hinter vorgehaltener Hand auch Kritik an ihrem Anspruch und werfen ihr zu wenig Einsatz für die Partei vor.

Das Programm der Rechtspartei, das Weidel im Wahlkampf vertritt, ist ein krasses Beispiel für das Paradox der Rechtsaußen-Parteien: Die Wähler*innen der AfD würden wirtschaftlich und finanziell zu den größten Verlierer*innen von deren Politik gehören. Warum ist das so?

Das ist so, argumentiert DIW-Chef Fratzscher, weil die AfD für Positionen steht, die extrem wirtschaftsfeindlich sind und vor allem feindlich für die eigenen Wähler*innen. »Also AfD-Wählerinnen und Wähler sind eher Menschen, die jetzt nicht Top-Verdiener sind, sondern eher weniger verdienen, weniger Bildung haben, eher in strukturschwächeren, ländlicheren Regionen leben und die AfD beispielsweise will weniger Förderung für strukturschwächere Regionen. Sie hat sich beispielsweise gegen einen Mindestlohn von 12 Euro ausgesprochen, würde also heißen, viele Menschen mit geringem Einkommen würden heute weniger verdienen, wenn die AfD sich durchgesetzt hätte.

Die AfD steht für eine starke europafeindliche Politik, will also wieder Grenzkontrollen einführen, Handel mit Nachbarländern deutlich zurückfahren und das würde sehr viele Millionen Jobs zerstören. Also AfD-Wählerinnen und AfD-Wähler wären die Hauptleidtragenden einer solchen Wirtschafts- und Finanzpolitik.«

Fratzscher fragt selbst »Woher kommt dieses AfD-Paradox? Wieso wählen die Wählerinnen und Wähler für eine Partei, die eigentlich nicht ihre Interessen vertreten?« Er spricht unterschiedliche Erklärungen an: »Es gibt unterschiedliche Theorien, die einen sagen, den Wählerinnen und Wählern ist das egal, die sind einfach auf Protest getrimmt, die wollen einfach die etablierten Parteien nicht und den Denkzettel verpassen und denen ist Identität, also keine Zuwanderung, wir wollen deutsch bleiben, ist es wichtiger und dann sind sie gewillt, den Schaden in Kauf zu nehmen – bezweifle ich, dass das vielen bewusst ist.

Andere sagen, die AfD-Wählerinnen und Wähler haben eine falsche Wahrnehmung, das halte ich für plausibel. Ich glaube, sie realisieren nicht, dass wenn man nach unten tritt, also wenn man Menschen, denen es noch schlechter geht als einem selber, Menschen, die keine Arbeit haben, Menschen, die wirklich wenig verdienen, auch Ausländerinnen und Ausländer, dann geht es einem ja selbst nicht besser. Andere Menschen schlecht behandeln führt nicht dazu, dass AfD-Wählerinnen und Wähler einen Euro mehr in der Tasche hätten und ich glaube, dass denen immer wieder bewusst zu machen, das hilft euch nicht, euch wird es noch schlechter gehen, wenn eine solche Politik vorherrscht, das ist, glaube ich, die wichtige Aufgabe im öffentlichen Diskurs.«

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