Trumps Triumph?
Dienstag, 21. Januar 2025 | Berlin | 19:00 Uhr | RLS, Straße der Pariser Kommune 8A (auch Online)
Ingar Solty wird im Gespräch mit der Professorin für Politikwissenschaft Margit Mayer die Thesen seiner Anfang Februar erscheinenden Flugschrift zu den Folgen der US-Präsidentschaftswahlen vorstellen.

Rudolf Hickel
Schuldenbremse
oder »goldene Regel«?

Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
96 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-226-4

Christoph Scherrer/
Ismail D. Karatepe (Hrsg.)
Arbeit in der Lieferkette
Miserable Arbeitsbedingungen auf See und in den Häfen
192 Seiten | € 18.80
ISBN 978-3-96488-220-2

Peter Renneberg
Handbuch Tarifpolitik und Arbeitskampf
5., aktualisierte Ausgabe
232 Seiten | € 19.80
ISBN 978-3-96488-224-0

Hans-Jürgen Urban (Hrsg.)
Gute Arbeit gegen Rechts
Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie – Ausgabe 2024
136 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-225-7

Torsten Teichert
Die Entzauberung
eines Kanzlers

Über das Scheitern der Berliner Politik | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-216-5

27. Oktober 2024 John McDonnell: Vor der Haushaltsdebatte in Großbritannien

Das erste Budget der neuen Labour-Regierung

Es sind zwei grundlegende, aber einfache Fragen, die die Überlegungen eines Finanzministers leiten sollten. Die erste lautet: Was für eine Gesellschaft wollen wir schaffen? Die zweite lautet: Welche wirtschaftlichen Maßnahmen tragen dazu bei?

Dieser eigentliche Zweck eines jeden Staatshaushalts scheint angesichts der langen Debatte über mögliche Steuererhöhungen oder eine Abwandlung der Haushaltsregeln im Vorfeld der Vorstellung des Staatshaushalts durch die neue Finanzministerin am 30. Oktober in Vergessenheit geraten zu sein. Aber Rachel Reeves darf die historische Mission der Labour Party nicht vergessen, wenn sie ihren Haushalt vorlegt.

Die historische Mission der Labour Party war und ist es, einen guten Lebensstandard durch angemessene Löhne, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten sowie erschwinglichen Wohnraum zu gewährleisten. Vor allem aber hat sich die Labour Party dem Aufbau einer Gesellschaft verschrieben, in der es keine Armut mehr gibt, indem sie ein Sicherheitsnetz schafft, das die Schwächsten – Kinder, Arbeitslose, Kranke, Ältere und Behinderte – vor Risiken schützt.

Um all dies zu erreichen, hat die Labour Party in der Nachkriegszeit die fortschrittlichste und zivilisierteste Neuerung in der Geschichte unseres Landes eingeführt: den Wohlfahrtsstaat, der durch ein Umverteilungssystem über Steuern finanziert wird. Jeder Haushalt, der seitdem von der Labour Party verabschiedet wurde, musste sich daran messen lassen, inwieweit er zur Erfüllung dieser Aufgabe beigetragen hat.

Zweifellos stellen 14 Jahre konservativer Austeritätspolitik die neue Regierung vor eine große, aber nicht unlösbare Herausforderung. 14 Millionen Menschen, darunter vier Millionen Kinder, leben heute in Armut.[1] Die Löhne stagnieren seit dem Bankencrash 2008, während sich schlecht bezahlte und unsichere Arbeitsverhältnisse wie eine Epidemie ausgebreitet haben. Jahrelange Unterfinanzierung hat unsere öffentlichen Dienste in eine Krise gestürzt.

Dabei sind wir ein immens wohlhabendes Land, die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die Schuldenquote liegt heute knapp unter 100% des Bruttoinlandsprodukts, aber Clement Attlee hatte Ende der 1940er-Jahre eine Schuldenquote von 250% und baute trotzdem den Wohlfahrtsstaat auf. Tatsächlich ist eine Staatsschuldenquote von 100% historisch gesehen ein Durchschnittswert.

Die Frage, auf die diese Regierung eine Antwort finden muss, ist, wie wir die wirtschaftlichen Ressourcen und Kapazitäten nutzen können, um unser Land und unseren Wohlfahrtsstaat wieder aufzubauen. Trotz des ganzen Dramas um den Haushalt liegen die Lösungen auf der Hand. Die Neuinterpretation der Haushaltsregeln für die Verschuldung, die erstmals im Labour-Manifest 2019 vorgeschlagen wurde,[2] wird den Weg für umfangreiche öffentliche Investitionen in die Infrastruktur ebnen, während gleichzeitig ausreichende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, um die Anleihemärkte zu beruhigen.

Es gibt auch eine breite Palette von Steuerreformen, die auf dem Prinzip beruhen, dass die breitesten Schultern die größte Last tragen, und die kumulativ die Mittel bereitstellen würden, um Haushaltslücken zu schließen und den Wiederaufbau unserer öffentlichen Dienste zu ermöglichen. Dies gilt noch vor der unvermeidlichen Debatte über eine gerechte Besteuerung von Vermögen und Grundbesitz. Wenn das kürzlich auf den Weg gebrachte Gesetz zur Neuregelung der Arbeitsbeziehungen vollständig umgesetzt wird, hat es auch das Potenzial, in einigen Jahren das Lohnniveau anzuheben, indem es das Kräfteverhältnis am Arbeitsplatz zugunsten der abhängig Beschäftigten wiederherstellt.

Dieser Haushalt hat daher das Potenzial, den dringend benötigten radikalen Bruch mit den dunklen Jahren der Austerität zu vollziehen. Das wird jedoch vollständig untergraben, wenn die Regierung auch nur in die Nähe von Maßnahmen kommt, die den Angriff der Konservativen auf die Ärmsten unserer Gesellschaft fortsetzen.

Es wird nun berichtet, dass Reeves den Sozialetat um bis zu drei Milliarden Pfund kürzen will, indem sie entweder die Pläne der Vorgängerregierung zur Verschärfung der Anforderungen an die Arbeitsfähigkeitsprüfung (Work Capability Assessment – WCA) für Menschen mit Behinderungen übernimmt oder die Anforderungen an die WCA in ähnlicher Form selbst neu definiert – mit demselben Einsparziel.

Nach Angaben der Resolution Foundation würden 450.000 Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können, jährlich 4.900 Pfund weniger erhalten.[3] Fast die Hälfte der Familien, die Erwerbsunfähigkeitsleistungen erhalten, gehören zu den ärmsten 30% der Haushalte. Die Behindertenhilfsorganisation Scope hat davor gewarnt, dass Tausende von Menschen mit Behinderungen »sich ängstigen und verunsichert fühlen«. Eine Gruppe von Wohltätigkeitsorganisationen, die sich für Armutsbekämpfung, Gesundheit und Behinderung einsetzen, darunter Z2K, Child Poverty Action, Mind und die Joseph Roundtree Foundation, forderte Liz Kendall, die Ministerin für Arbeit und Renten, auf, die Pläne zu verwerfen. Laut den Aktivist*innen sind die bisherigen Verlautbarungen zu der Frage, ob die WCA-Änderungen Teil des Sparpakets des Ministeriums für Arbeit und Renten sind oder nicht, widersprüchlich. Für den 11. Dezember ist außerdem eine gerichtliche Anhörung angesetzt.

Angesichts der Rekordzahl von 2,8 Mio. Menschen, die aufgrund von Krankheit arbeitslos sind, ist erneut die Argumentation bemüht worden, dass Leistungskürzungen kranke und behinderte Menschen dazu motivieren würden, eine Beschäftigung aufzunehmen. Das Office for Budget Responsibility stellte jedoch fest, dass nur etwa 3% der betroffenen Antragsteller*innen, insgesamt 15.400 Personen, eine Arbeit aufnehmen könnten, während alle anderen unter schweren finanziellen Einbußen leiden würden.

Es ist kein Zufall, dass die Kurven in den Diagrammen, die Anstieg der Arbeitsunfähigkeit und die Zunahme der Wartelisten für Behandlungen im staatlichen Gesundheitssystem NHS abbilden, fast deckungsgleich sind. Die Kürzung der Erwerbsunfähigkeitsleistungen wird das Problem des Arbeitskräftemangels nicht lösen. Sie wird die Armutsquote bei Menschen mit Behinderung erhöhen und zu einer stärkeren Belastung des staatlichen Gesundheitssystems, der Pflegedienste und der Einrichtungen für psychische Gesundheit führen, was langfristig zusätzliche Kosten für unsere Gesellschaft mit sich bringt.

Zumindest eines sollte die Regierung aus den heftigen, wütenden Reaktionen auf die weitgehende Streichung der Heizkostenzulage gelernt haben, die ihre ersten Regierungstage so sehr diskreditiert hat: Sie darf die insgesamt positive Ausrichtung ihres Haushalts nicht dadurch konterkarieren, dass sie gegen die Grundprinzipien des Wohlfahrtsstaates verstößt, auf dessen Aufbau die Labour-Bewegung so stolz war und ist.[4]


John McDonnell
ist seit 1997 Abgeordneter für den Wahlkreis Hayes & Harlington im Westen Londons und war von 2015 bis 2020 finanzpolitischer Sprecher (Shadow Chancellor) der Labour-Fraktion. Die Labour-Führung hat ihn am 23. Juli 2024 zusammen mit sechs weiteren Abgeordneten für die Dauer von zunächst sechs Monaten aus der Fraktion ausgeschlossen, weil die Gruppe gegen die Fortsetzung der Beschränkung des Kindergelds und anderer Hilfen auf maximal zwei Kinder pro Familie gestimmt hatte. Seine hier dokumentierte Intervention (Übersetzung: Hinrich Kuhls) erschien zuerst am 25.10.2024 in The Guardian unter dem Titel As she delivers her budget, Rachel Reeves must not forget Labour’s historic mission.

Anmerkungen:

[1] Joseph Rowntree Foundation: UK Poverty 2024. The essential guide to understanding poverty in the UK, Januar 2024.
[2] The Labour Party: Funding Real Change. It's Time for Real Change, November 2019. Zum politischen Kontext des damaligen Finanzierungsvorschlags vgl. Das Regierungsprogramm für die 2020er Jahre, Sozialismus.de Aktuell, 28.11.2019 (Anm. d. Übers.).
[3] Mike Brewer, Louise Murphy: Cutbacks ahead. Considering the impact of proposed changes to disability benefits on living standards and the public finances. Resolution Foundation, Spotlight, 13.10.2024.
[4] Anm. der Redaktion: Vgl. hierzu auch die Beiträge in den diesjährigen Printausgaben von Sozialismus.de: Florian Weis: Never an easy task. Von Ramsay MacDonald 1924 bis Keir Starmer 2024 – Labour an der Regierung (in Heft 6-2024); Kate Alexander-Shaw: Auf der Suche nach dem ökonomischen Narrativ. Unzureichende Kohärenz der Wirtschaftspolitik der britischen Labour-Regierung (in Heft 10-2024); Hinrich Kuhls: Das Kabinett Starmer am Start. Die ersten 100 Tage der neuen Labour-Regierung (im aktuellen Heft 11-2024).

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