20. Dezember 2016 Otto König/Richard Detje: Rückenwind durch Trump
Das europäische Aufrüstungsprogramm
Seit der Wahl von Donald Trump zum neuen Präsidenten wurden wiederholt Befürchtungen laut, die neue US-Administration rüttle an den Grundfesten der transatlantischen Sicherheitsarchitektur. Tatsächlich jedoch war Trumps »Drohung«, sich notfalls aus Europa und der NATO zurückzuziehen, falls die Europäer nicht stärker ihren Bündnisverpflichtungen nachkommen, eine willkommene Steilvorlage.
Noch am Wahlabend äußerte sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zur Notwendigkeit höherer Rüstungsausgaben: »Europa muss sich darauf einstellen, dass es besser selber vorsorgt..., deshalb auch mein Vorstoß…, dass wir stärker in eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion investieren müssen.«[1]
Im Wahlkampf hatte Trump wiederholt den im Vergleich zu den übrigen NATO-Mitgliedern sehr hohen finanziellen Beitrag der USA zum Nordatlantikbündnis attackiert. Der Sache nach griff er allerdings lediglich die von seinem Vorgängiger Barak Obama immer wieder angemahnte Forderung nach einer »faireren« Lastenteilung auf. »Unsere Verbündeten müssen sich an den finanziellen, politischen und menschlichen Kosten unserer enormen Sicherheitsbelastungen beteiligen. … Sollten sie dies nicht tun, müssen die USA bereit sein, diese Länder sich selbst verteidigen zu lassen«, sagte Trump beispielsweise in einer Grundsatzrede im April 2016.
Diese Kritik stärkt in Westeuropa jene Tendenzen, die seit geraumer Zeit darauf hinauslaufen, ein neues Jahrzehnt der Aufrüstung einzuleiten. Europa müsse selbst mehr »Verantwortung« übernehmen, die Rüstungsetats erhöhen und sich stärker als bislang im Ausland militärisch engagieren. Mit dem Verweis auf Trump lässt sich die mit der »Bratislava-Agenda«[2] ins Auge gefasste Militarisierung der EU nun besser als Sachzwang verkaufen.
Mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) waren zuletzt auf dem NATO-Gipfel in Wales 2014 als Leitlinie für die Aufstockung der Rüstungsausgaben beschlossen worden, die innerhalb von zehn Jahren erreicht werden soll. Nur fünf der 28 NATO-Mitglieder erfüllen heute diesen Beschluss – neben den USA sind dies Polen, das hochverschuldete Griechenland, Estland und Großbritannien.
Für den Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, ist die neue Aufrüstung ein längst überfälliger Akt, denn die westeuropäischen NATO-Mitglieder hätten »mehr als ein halbes Jahrhundert lang den Luxus genießen können, dass die USA einen militärischen Schutzschild über uns gehalten haben« (Handelsblatt, 24.11.2016). Die EU-Staaten, allen voran Deutschland, müssten deshalb die NATO-Vereinbarung ernst nehmen, »künftig zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für das Militär auszugeben.« Es gelte die EU auch im militärischen Bereich ins 21. Jahrhundert zu führen.
In Deutschland liegt die Militär-Quote bei 1,22% des BIP. Der Verteidigungshaushalt wird allein im nächsten Jahr um fast 2,5 Milliarden auf nunmehr 36,61 Milliarden Euro aufgestockt und soll bis 2020 auf 39,2 Milliarden Euro anwachsen. Um für zukünftige Kriegs- und Besatzungseinsätze besser gerüstet zu sein, plant die Bundeswehr die Erhöhung der sogenannten rüstungsinvestiven Ausgaben (Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern) um 636 Millionen auf etwas mehr als sechs Milliarden Euro.
Wollte die Bundesregierung jedoch die Zwei-Prozent-Quote erfüllen, müsste sie das Verteidigungsbudget 2017 auf gut 62 Milliarden Euro aufstocken, also 25 Milliarden Euro mehr als jetzt einstellen.[3] Rechnet man ein jährliches BIP-Wachstum von etwa 1,5% pro Jahr (nominal) hinzu, würde das bei der erhöhten Bezugsgröße für das Jahr 2025 einen Rüstungsetat von knapp 71 Milliarden Euro erfordern, fast eine Verdoppelung gegenüber heute.
Auf EU-Ebene wird die im Sommer gestartete Rüstungskampagne fast im Wochenrhythmus durch entsprechende Beschlüsse vorangetrieben. Am 14. November stellte die EU-Außenbeauftragte Frederica Mogherini bei einem Treffen der Außen- und Verteidigungsminister einen »Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung« vor, der an die von ihr im Juni 2016 vorgelegte »Globale Strategie« anknüpft. Danach sollen sich die militärischen Maßnahmen der EU, die im Rahmen der »Gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« (CSDP) innerhalb der außenpolitischen EU-Strukturen durchgeführt werden, künftig auch auf die internationale Sicherheit außerhalb der EU-Grenzen erstrecken.
Wenige Tage später verabschiedete das Europaparlament eine Entschließung,[4] in der gefordert wird, so schnell wie möglich »multinationale Streitkräfte« innerhalb der EU zu schaffen. »Grund-voraussetzung für eine wirksame Planung und Führung gemeinsamer Operationen« sei außerdem »die Errichtung eines operativen Hauptquartiers der EU.« Der von der EU-Kommission veröffentlichte »Verteidigungsaktionsplan« sieht unter anderem die Einrichtung eines »Europäischen Verteidigungsfonds« vor.
Bis 2020 sollen über diesen Fonds jährlich rund 90 Millionen Euro für die gemeinsame Rüstungsforschung bereitgestellt werden, danach gut eine halbe Milliarde Euro pro Jahr. Daneben sieht der Plan bis zu fünf Milliarden Euro im Jahr für gemeinsame Rüstungsprojekte vor. Die Mitgliedstaaten sollen zusammen mit der Industrie an neuen Systemen arbeiten wie zum Beispiel an Drohnen, im Bereich Cybersecurity oder an militärischen Robotern – ein Konjunkturprogramm für die Europäische Rüstungsindustrie.
Das EU-Parlament plädiert im Zusammenhang mit der Militärdebatte »nachdrücklich« für ein »Konzept der strategischen Autonomie« und forciert die militärische Kooperation in der EU. Die Marschroute lautet: Stärkung der GSVP, ohne die NATO zu schwächen.
Auf dieser Linie liegt, dass Anfang Dezember in Brüssel der Ausbau der »strategischen Partnerschaft« zwischen der EU und der NATO paraphiert sowie 42 Vorschläge zur konkreten Zusammenarbeit vereinbart wurden. Es geht dabei um Maßnahmen im Kampf gegen sogenannte hybride Bedrohungen, um den Cyberkrieg, um rüstungsindustrielle Fragen, um gemeinsame Operationen und Manöver. Darüber hinaus ist ein Ausbau des politischen Dialogs und der »Strategischen Kommunikation«, sprich Propaganda, verabredet.
Während die EU-Außenbeauftragte Mogherini den ehrgeizigen Aufbau eng verzahnter EU-Streitkräfte favorisiert, gehen die strategischen Überlegungen militärischer Think tanks bereits weiter. So preschte kürzlich der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Roderich Kiesewetter, vor und forderte, Berlin solle in Paris und in London dafür werben, einen »Nuklearschirm« für die EU zu errichten. Für die Sicherheit dürfe es »keine Denkverbote geben«.
Schützenhilfe bekam er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von deren Mitherausgeber Bertold Kohler, der seinen Kommentar mit das »Undenkbare« überschrieb: Die Folgen eines ganz (oder teilweisen) Wegziehens des US-»Schutzschirms« wären: »höhere Ausgaben für Verteidigung, die Wiederbelebung der Wehrpflicht, das Ziehen roter Linien – und das für deutsche Hirne ganz und gar Undenkbare, die Frage einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit, welche die Zweifel an Amerikas Garantien ausgleichen könnte« (FAZ, 28.11.2016). Dabei geht es Kohler um größere Atom-Kaliber als die Force de Frappe oder die britische Atom-U-Boot-Flotte. Denn die »französischen und britischen Arsenale sind dafür in ihrem gegenwärtigen Zustand zu schwach.«
Berthold Kohler steht für jene, die parallel zur Hochrüstung[5] die politisch-ideologische Mobilmachung verstärken, da die Köpfe der Menschen für diesen Kurs noch immer nicht gewonnen werden konnten. Laut Umfrage von TNS Infratest[6] ist zwar eine Mehrheit von 59% der Befragten dafür, dass Deutschland »seine Führungsrolle in Europa« weiter ausbauen solle, jedoch haben 55% auch die Sorge, dass der Brexit das Gewicht Deutschlands in der EU zu groß machen könne. Doch in einem sind die Ergebnisse der Umfrage nach wie vor eindeutig: Die Deutschen haben immer noch keine große Lust auf militärische Alleingänge. Nur 31% trauen der deutschen Regierung »Lösungskompetenzen« in der Rüstungs- und Verteidigungspolitik zu. 53% der Befragten fordern, dass Deutschland sich mit internationalem Krisenmanagement weiter zurückhalten soll.
[1] Seit der Sicherheitskonferenz 2014 in München werben Vertreter der Berliner gemeinsam mit Bundespräsident Joachim Gauck dafür, dass Deutschland mehr Verantwortung und – als Ultima Ratio – mehr militärisches Engagement übernehmen müsse. Vgl. Otto König/Richard Detje: Gauck fordert Ende der Zurückhaltung. »Zu den Waffen greifen«, SozialismusAktuell, 22.6.2014.
[2] Vgl. Otto König/Richard Detje: Bratislava-Agenda als Fahrplan zur Militarisierung, Militärbündnis EU wird ausgebaut, SozialismusAktuell, 11.10.2016.
[3] Russland, das zurzeit am häufigsten für die NATO Aufrüstungspläne als Argument herangezogen wird, gab im Jahr 2015 insgesamt 66 Milliarden Dollar für sein Militär aus (59 Mrd. Euro). Deutschland würde wegen seiner großen Wirtschaftskraft bei Erreichen der 2%-Vorgabe an dieser Summe mit über 65 Mrd. Euro vorbeiziehen (IMI-Standpunkt, 29.9.2016).
[4] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22.11.2016 zur Europäischen Verteidigungsunion 2016/2052(INI).
[5] Laut dem Branchendienst Jane's stiegen 2016 die Ausgaben für das Militär global um knapp 1,3% auf 1,57 Billionen US-Dollar. Für 2018 rechnen die Experten mit einem Anstieg auf 1,6 Billionen Dollar, 2020 sollen es sogar schon 1,63 Billionen Dollar sein.
[6] Die Deutschen und Europa. Zweifel oder Zuversicht ? Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage von TNS Infratest Politikforschung zur Sicht der Deutschen auf Europa und die Europäische Union.