24. Januar 2017 Joachim Bischoff / Norbert Weber: HSH Nordbank vor einem Desaster
Das Milliardengrab
In der deutschen Öffentlichkeit bekommen die italienischen Banken und der Finanzsektor Italiens sehr schlechte Noten. In der Tat sind die Sanierung der Bankbilanzen in Italien und eine Redimensionierung des Finanzsektors längst überfällig. Italien verfügt über keine Polster, um externe ökonomische Schocks verarbeiten zu können.
Dies wird deutlich, wenn wir den Anteil fauler Kredite (Non-performing loans, NPL) in den Bankbilanzen ausgewählter Staaten in den Blick nehmen (siehe die beiden folgenden Abbildungen). Der starke Anstieg der faulen Kredite belegte eine chronische Verwerfung der italienischen Wirtschaft – eine Zeitbombe, die die Eurozone bedroht.
Anteil fauler Kredite in den Bankbilanzen
Im Zentrum der italienischen Debatte steht die Bank Monte Dei Paschi, die laut EZB einen aktuellen Kapitalbedarf von 8,8 Mrd. Euro hat. Prinzipiell sollen marode Banken nach den Regeln der neuen EU-Bankenabwicklungsrichtlinie BRRD abgewickelt werden und haften sollen dafür nicht die SteuerzahlerInnen, sondern Aktionäre und Gläubiger. Diese generelle Bail-in-Regel greift in einem speziellen Ausnahmefall nicht, auf den sich Italien beruft. Demnach ist eine »vorsorgliche Kapitalerhöhung« des Staates für eine prinzipiell solvente, in einem Negativszenario aber gefährdete Bank möglich. In diesem strittigen Fall muss der italienische Staat insgesamt etwa sechs Mrd. Euro in die Bank investieren. Zwei Mrd. Euro werden durch institutionelle Anleger beigesteuert.
Aber nicht nur für die italienische Monte Dei Paschi wird nach einem Rettungsweg unter Umgehung der geltenden Bank-Gesetze in Europa gesucht. Auch die portugiesische Novo Banco und die deutsche HSH Nordbank sind auf der Suche nach einem Käufer. Sollten sie nicht fündig werden, könnte aus Sicht von Experten erneut eine Debatte über staatliche Hilfen losbrechen. Novo Banco, der gesunde Teil des kollabierten Instituts Espirito Santo, muss auf Druck der EU-Kommission bis August verkauft werden. Sollte dies nicht gelingen, sei auch eine Verstaatlichung nicht ausgeschlossen, hat der portugiesische Finanzminister Mario Centeno schon mal prophylaktisch erklärt.
So kritisch wurde bis vor Kurzem über die HSH Nordbank nicht informiert und debattiert, obwohl es bei dieser Bank um weitaus größere Summen geht. Laut dem Ökonomen und Bankexperten Martin Hellwig gibt es für diese eigentümliche Verdrängung eine eindeutige Erklärung.[1]
Erstens: Die Bank hat in ihren Abschlüssen seit 2009 regelmäßig mit Gewinnmeldungen Optimismus verbreitet. Diese Gewinne standen freilich nur auf dem Papier, weil die Abschreibungen auf faule Kredite nicht der Bank, sondern den Garantiegebern – den Bundesländern Hamburg und Schleswig-Holstein – zugerechnet werden.
Zweitens: »Eine öffentliche Diskussion haben die Verantwortlichen in der Bank und den Regierungen erfolgreich unterbunden, durch Vertuschen, Beschönigen und Verweigern von Antworten.«
Drittens: Die Stützungsbeschlüsse seitens der beiden Nordländer von 2009, 2013 und 2015/2016 beruhten auf erkennbar fehlerhaften Prognosen. So hieß es 2013, die Schifffahrtskrise werde bis Ende 2014 beendet sein, und das, obwohl die Überschusskapazitäten und der Druck auf die Margen immer noch erheblich wuchsen.
Viertens: Der einstmals größte Schiffsfinanzierer der Welt verstand nicht oder wollte nicht verstehen – ähnlich der Experten in den staatlichen Verwaltungen –, wie die Märkte der HSH-Kreditnehmer funktionieren.
Im Januar 2017 bricht das Schweigekartell zusammen. Das Hamburger Abendblatt und die »Zeit« berichten kritischer und die Schleswig-Holstein- Zeitung ist alarmiert. »Die Krise der HSH Nordbank spitzt sich weiter zu. Die Landesbank will Garantien der Länder in Höhe von zehn Milliarden Euro schon in diesem Jahr ziehen.«
Jetzt reden PolitikerInnen der etablierten Parteien überraschend deutlich über die Verluste, die sich in der Tat seit Jahren abzeichnen. Man streitet über die Höhe der Verluste, und wann diese von den öffentlichen Hauhalten getragen werden müssen. Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hat eine Größenordnung von bis zu 16 Mrd. Euro genannt. Der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki geht von mehr als 20 Mrd. Euro aus, die nach der Schlussabrechnung mit der Bank als Extra-Schulden in die Haushalte der beiden Eigentümerländer übernommen werden müssen.
Die »Zeit« ist erschüttert und doch optimistisch: »Im schlimmsten Fall drohen Hamburg und Schleswig-Holstein bei der Pleite der Bank also Verluste von etwa 24 Milliarden Euro – wenn man alle Posten zusammenrechnet. Dass diese Maximalsumme erreicht wird, erscheint allerdings als unwahrscheinlich. Selbst wenn die Bank nicht verkauft, sondern abgewickelt wird, fallen für die Reste Erlöse an. Würde die Bank sogar einen Kaufpreis erzielen, könnte der Verlust auch unter die von Hellwig prognostizierten 17 Milliarden Euro fallen.«
Versuche, ein wenig mehr Licht in den Schuldensumpf zu bringen
Die HSH Nordbank wurde 2003 durch Fusion der beiden Landesbanken Hamburg und Schleswig-Holstein gegründet. Das Geschäftsmodell war ein reines Margengeschäft zwischen Mittelherkunft und Mittelverwendung. Man »besorgte« sich Gelder am Geld- bzw. Kapitalmarkt und legte diese sofort wieder aus als Wertpapiereigengeschäfte. Die Bank saugte sich regelrecht voll mit Geldern. Alles war automatisch unterlegt mit der sogenannten Gewährträgerhaftung durch Bürgschaft der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein.
Das Ende des internationalen Casinos kam 2007 aus den USA mit der Immobilienkrise. Was machten die Banken damals, die diese Risiken loswerden wollten? Man packte die Hypothekenkredite zu den Immobilienfinanzierungen als »Sträuße« und schnürte sie zu »strukturierten« Wertpapieren mit eigenem Börsenhandel und -kurs zusammen. Ergänzend blühte in dieser Zeit der weltweite Kreislauf mit sogenannten CDS (Credit Default Swaps), also Kreditausfallversicherungen.
In Deutschland war der Handel eigentlich verboten, jedoch öffnete die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer die Tore für diese Zockerpapiere. Diese sogenannten Kreislaufgeschäfte rotierten immer schneller, ein weltweites Riesenroulette. Der weltfünftgrößter Player war die Deutsche Bank. Diese »fixte« auch die meisten deutschen Landesbanken an sowie die IKB und die Hypo-Real-Estate.
2007/2008 kam es, wie es kommen musste: Durch die Lehman-Pleite wurde das Riesenroulette jäh unterbrochen – die HSH Nordbank erwies sich als eine der anfälligsten Banken weltweit, eben weil sie 90 % ihres Geschäftsvolumens mit diesen Giftpapieren machte. Die Hypo Real-Estate sowie IKB wurden mit Steuergelder gerettet, beides unter Verhandlungsführung der Deutschen Bank. Auch die HSH Nordbank wurde gerettet. Sie war vermeintlich »systemrelevant«. Allerdings wurde die Rettung mit Auflagen verknüpft: Weniger US Dollar-lastiges Geschäft, weniger Schiffsfinanzierungen, kein Flugzeuggeschäft und keine geschlossenen Fonds mehr.[2]
Die politische Klasse in Hamburg und Kiel entschied 2009: Die Bank wird saniert. Die HSH Nordbank wurde nach Abschreibungen auf toxische Wertpapiere in Höhe von 2,3 Mrd. Euro durch drei Maßnahmen vor der Insolvenz bewahrt:
- ein Bürgschaftsvolumen von 30 Mrd. Euro beim Sondervermögen SoFFin, das auch anderen Banken in der Krise beisprang;
- die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein stellten jeweils 1,5 Mrd. Euro neues Eigenkapital zur Verfügung; da sie selbst klamm waren, wurde eine öffentliche Anstalt »HSH Finanzfonds AöR« gegründet, die diese Mittel aufnahm;
- außerdem erhielt die Bank eine Zweitverlustgarantie zur Abschirmung von Kreditausfallrisiken bis zu einer Höhe von maximal 10 Mrd. Euro in einem definierten Referenzportfolio mit einem Buchwert in Höhe von rund 185 Mrd. Euro zum Stichtag 1. April 2009 (Sunrisegarantie).
Die HSH Nordbank AG muss seither alle Kreditausfälle im Referenzportfolio im Rahmen einer Erstverlusttranche bis zu einem Schwellenwert von 3,2 Mrd. Euro selbst tragen. Die Sunrisegarantie der Länder schirmte Verluste in der Tranche zwischen 3,2 Mrd. Euro und 13,2 Mrd. Euro ab. Sie verbesserte damit die Kapitalquote der HSH Nordbank AG.
Ohne diesen Rettungsschirm und die zeitgleich beschlossene Kapitalaufstockung um drei Mrd. Euro hätte der HSH Nordbank 2009 das Aus gedroht – mit womöglich noch fataleren Folgen für die Länderhaushalte. Die nämlich hatten als einstige Gewährträger ihrer Landesbank(en) Ende 2008 noch für 65 Mrd. Euro zu haften.[3]
Die Jahresabschlüsse der Bank seit dem Krisenjahr 2008 sahen oberflächlich positiv aus, weil ja die Abschreibungen auf faule Kredite nicht der Bank, sondern den Garantiegebern – den Bundesländern Hamburg und Schleswig-Holstein – zugerechnet werden. Außerdem sollten die von Hamburg und Schleswig-Holstein im Jahre 2009 zur Stabilisierung der Bank gewährten Garantien nicht vor 2025 gezogen werden. Die Ziehungswahrscheinlichkeit war zum damaligen Zeitpunkt mit »unter 50 Prozent« angenommen worden. Andernfalls hätte die Garantie aus haushaltsrechtlichen Gründen gar nicht gewährt werden dürfen.
Prof. Dr. Peter Nippel,[4] Betriebswirtschaftler an der Universität Kiel, hatte sich im Sommer 2016 nicht an das Schweigekartell gehalten und war aus der Analyse der Jahresabschlüsse der hsh finanzfonds AöR für 2009 bis 2015 zu folgender Zwischenbilanz gekommen: Bis Ende 2015 sei von Gesamtkosten zu Lasten der Länder in Höhe von 8.323 Mio. Euro auszugehen. Diese Kosten sind in den Landeshaushalten noch nicht berücksichtigt, obwohl die Länder de facto entsprechende zusätzliche Verbindlichkeiten haben. In dieser Höhe haften sie für Verbindlichkeiten der hsh finanzfonds AöR und müssen letztlich die in der Rechnungslegung der hsh finanzfonds AöR bereits eingeplanten Zahlungen aus der Garantie schultern.
Anfang Dezember 2016 teilte die HSH Nordbank dann mit, dass sie die Verlustgarantie der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein wohl voll in Anspruch nehmen werde. HSH-Vorstandsmitglied Oliver Gatzke musste auch einräumen, dass diese Summe bereits im Jahr 2017 fällig werde.
Erneut stehen seither die Kosten für die Steuerzahler im Mittelpunkt. Zur Abschätzung der Verluste müssen fünf Ebenen auseinandergehalten werden:
- Die Abschreibungen auf das Eigenkapital der Bank. Dagegen gerechnet werden müssen die erhaltenen Dividenden und die früheren stillen Einlagen der Gesellschafter. Bis auf die Rekapitalisierung über drei Mrd. Euro aus dem Jahr 2009 ist das Eigenkapital schon finanziert und abgeschrieben.
- Das Garantiegeschäft, also die 10 Mrd. Euro minus der von den Gesellschaftern vereinnahmten Garantiegebühren.
- Die Finanzierungs- und Verwaltungskosten für den Finanzfonds zur Bereitstellung der Garantie (dazu kommen weitere Zweckgesellschaften im Zusammenhang mit dem Verkaufsdeal).
- Die verbleibenden Belastungen aus der Gewährsträgerhaftung auf frühere Kredite.
- Und mögliche Abwicklungsaufwendungen bei Verkauf oder Schließung der Bank.
Professor Hellwig hat gegenüber der betriebswirtschaftlichen Analyse von Prof. Nippels Ergänzungen vorgenommen: Er taxiert die Garantie der Länder nach Abzug der dafür gezahlten Prämien auf knapp 7,4 Mrd. Euro. Die Prämien betragen also 2,6 Mrd. Euro, was genauer geprüft werden muss. Als Totalverlust sieht er ferner die ca. 9,2 Mrd. Euro an, die die Länder seit Gründung der Bank an eigenen Mitteln eingebracht haben (abzüglich Dividenden). Auch hier müssen die Werte noch geprüft werden.
Hinzu kommen die Belastungen aus dem Ankauf von notleidenden Schiffskrediten, um den Verkauf der Bank überhaupt in die Nähe der Realisierbarkeit zu bringen. Im Dezember 2015 hat eine Mehrheit der Landesparlamentarier in Hamburg und Kiel den Milliarden-Kreditermächtigungen (16,2 Mrd. Euro) zugestimmt, ohne auch nur im Ansatz genaue Informationen oder eine belastbare politische Begründung erhalten zu haben. Die Behauptung der Regierenden in Hamburg und Kiel: Es gehe nicht um neue Risiken, sondern um den Abbau der alten. Mit den Maßnahmen werde die HSH stabilisiert und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, sie 2018 verkaufen zu können.
Fakt ist: Die Landesregierungen haben ein neues Sanierungs- und Abwicklungsgesetz unterlaufen, das für konkursreife Geldinstitute geschaffen wurde. Die Behauptung, in diesem Fall sei eine Beteiligung der Investoren der Bank nicht zum Vorteil der SteuerzahlerInnen, ist nicht einmal geprüft worden.
Fakt ist weiter: Die auf 10 Mrd. Euro aufgestockten Garantien werden komplett gezogen werden. Und: Zur eigenen Entlastung hatte das Institut im Sommer vergangenen Jahres faule Schiffskredite mit einem Volumen von fünf Mrd. Euro an die Portfoliomanagement (PoMa), eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) beider Länder, ausgelagert. Die Übertragung weiterer solcher Kredite im Umfang von 1,2 Mrd. Euro hatte die EU-Kommission der Bank zugebilligt. Ziel der Operation ist es, die Chancen zum Verkauf der HSH Nordbank zu verbessern.
Außerdem versucht die Bank, Schiffskredite im Umfang von insgesamt zwei Mrd. Euro am Markt zu platzieren. Gelinge dies nicht, werde man mit den Ländern über eine Übertragung von 1,2 Mrd. Euro an die PoMa verhandeln müssen. Die »Abwicklungsanstalt« wird also einen beträchtlichen Teil der Kreditermächtigung von 6,2 Mrd. Euro zum Abbau der notleidenden Schiffskredite einsetzen und auch hier steht fest, dass ein beträchtlicher Teil der öffentlichen Gelder verloren ist. Vorher war aber von über 15 Mrd. Euro an faulen Krediten die Rede. Die bei der Bank verbleibenden Problemkredite werden die bis Februar 2018 angestrebte Privatisierung verhindern, es sei denn, die Länder entschädigten die Käufer für etwaige Verluste.
Die Belastung für die Haushalte in Hamburg und Kiel
Das haftende EK gemäß KWG setzte sich zum 31.12.2003 wie folgt zusammen: (in Mio. Euro)
Das Volumen der stillen Einlagen und die ausbezahlten Zinserträge müssen noch ermittelt werden.
Also 10.679 Mio. Euro haftendes Eigenkapital minus 354 Mio. Euro gezahlte Dividenden an öffentliche Eigentümer plus 3.500 Kapitalerhöhung: Saldo 13.825 Mio. Euro = Verlust für die öffentlichen Eigentümer zum 31.12.2016, da die Aktienwerte auf Null herabgesetzt sind.
Fest steht, dass zu diesen Verlusten weitere hinzuzurechnen sind:
- Dazu gehören die aus der Umwandlung von stillen Einlagen mit Kapitalerhöhung 2008 resultierenden zwei Mrd. Euro.
- Die Gebühren auf die Garantie von 2009 bis 2016 (Grundprämie) belaufen sich auf 2.899 Mio. Euro.
- Außerdem gab es eine weitere Provisionsverpflichtung der HSH Nordbank auf die Garantie-Zusatzprämie. Diese wurde jedoch nie ausbezahlt, sondern in Besserungsscheine in Höhe von 1.020 Millionen Euro umgewandelt, die aus dem irgendwann anfallenden Gewinn eingelöst werden sollten.
- Verloren sind die Garantien von 10 Mrd. Euro minus Gebühren.
- Verloren gehen wird ein Teil des Geldes für die angekauften Schrottpapiere in einer vorsichtigen Größenordnung von ca. 2,4 Mrd. Euro.
Das haftende Eigenkapital von 2003-2009 ist von den Bundesländern aufgebracht worden. Der Großteil der Position seit der Sanierung 2009 ist kreditfinanziert und wird in den nächsten Jahren im Rahmen der öffentlichen Haushalte aufgebracht werden müssen.
Die HSH muss auf Druck der EU bis 2018 veräußert oder abgewickelt werden. Das Institut sieht »sehr gute Voraussetzungen« für einen Verkauf. Experten gehen jedoch davon aus, dass die HSH nur in zwei Teilen verkauft werden kann: Die profitable Kernbank, zu der u.a. das Immobilien- und Firmenkundengeschäft in Norddeutschland gehören, und die Abbaubank, in der die notleidenden Schifffahrtskredite in Milliarden-Höhe gebündelt sind. Falls es für die Abbaubank keine akzeptablen Offerten geben sollte, halten Insider auch eine Lösung unter Einbeziehung der HSH-Mehrheitseigner Hamburg und Schleswig-Holstein für denkbar.
Im Finanzausschuss Schleswig-Holstein soll sich die Finanzministerin Monika Heinold bereits dahingehend geäußert haben, dass es möglicherweise sinnvoller gewesen wäre, die Bank im Oktober 2015 abzuwickeln. Ein späte Einsicht, eher zu spät.
Die heute politisch Verantwortlichen schieben dieses Desaster den früheren politischen Akteuren und Bankverantwortlichen zu. Die Ausflucht ist naiv. Bei der Wiederaufstockung der Garantie von sieben auf 10 Mrd. Euro im Jahr 2013 war die Gründungsgeneration der HSH Nordbank längst ausgeschieden. Prof. Hellwig hat damals die Fahrlässigkeit des Beschlusses deutlich kritisiert:
- Die Vorlage des Senats an die Bürgerschaft biete keine ausreichende Informationsgrundlage für eine sachkundige Beratung und Beschlussfassung in der Bürgerschaft. Die Bürgerschaft solle daher die Vorlage zurückweisen und die Beschlussfassung vertagen, bis eine Unterlage vorgelegt wird, die hinreichend informativ und verlässlich ist.
- Die Vorlage erwecke den Eindruck, die haushaltsrechtlichen Risiken der vorgeschlagenen Maßnahme seien gering. Dies werde nicht glaubhaft begründet. Ausführungen der Vorlage zu erwarteten Entwicklungen und Risiken verwiesen im Wesentlichen auf Aussagen und Modellrechnungen der Bank und würden ansonsten nicht weiter begründet oder belegt. Die Vorlage enthalte nicht einmal eine konsistente und nachvollziehbare Darstellung der voraussichtlichen Entwicklung der relevanten Kennzahlen der Bank.
- Die Einschätzungen der Bank zur weiteren Entwicklung der Schifffahrtskrise seien unrealistisch.
- Rückstellungen bzw. Abschreibungen für Schiffskredite, soweit aus den veröffentlichten Zahlen erkennbar, blieben deutlich hinter den Rückstellungen bzw. Abschreibungen anderer Banken zurück und das, obwohl das Engagement der HSH bei Schiffsfinanzierungen deutlich größer sei als das anderer Banken.
- Die Vorlage versuche, den Eindruck zu erwecken, dass die Garantie nicht benötigt werden wird und dass die Risiken für den Steuerzahler vernachlässigt werden können. Eine solche Aussage sei nicht damit zu vereinbaren, dass die Garantie den Wert der risikogewichteten Anlagen der Bank reduziere. Eine solche Reduktion sei überhaupt nur möglich, wenn eine positive Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass die Garantie in Anspruch genommen wird, die hsh finanzfonds AöR also für mehr als sieben Mrd. Euro an Verlusten des Sunrise-Portfolios aufkommen müsse.
- Die in der Senatsvorlage angesprochene Möglichkeit, dass hsh finanzfonds AöR Wertpapiere aus dem Sunrise-Portfolio »zu Marktwerten« kauft und die Verluste unter der Sunrise Garantie abrechne, sei sowohl unter EU-Rechtlichen Aspekten wie unter ökonomischen Gesichtspunkten fragwürdig.
Alle Warnungen wurden nicht nur ignoriert, sondern jede öffentliche Diskussion behindert und blockiert. Jetzt ist das Resultat eindeutig – mindestens rund 10 Mrd. Euro müssen die beiden Bundesländer jeweils schultern. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig hat erklärt, dass die Länder diese Last ohne Unterstützung des Bundes und der EU nicht tragen könnten. Wie eine solche Unterstützung aussehen könnte, hat Albig nicht erläutert. In Hamburg dagegen hegt niemand Hoffnung auf Hilfe von außen zur Bewältigung der absehbaren Finanzprobleme.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erteilte Forderungen nach Hilfen des Bundes oder der EU eine klare Absage. Ein Sprecher Schäubles verwies auf die europäische Verständigung auf ein Regelwerk zur Sanierung und Abwicklung von Finanzinstituten sowie ein gemeinsames Beihilferecht. Demnach seien künftig »die Eigentümer und Gläubiger einer Bank bei einer Schieflage heranzuziehen«. Diese Regeln »gelten für alle und müssen verlässlich eingehalten werden«.
Die Politiker aus Hamburg und Schleswig-Holstein haben sich in höchst unprofessioneller Manier in eine fatale Situation hineinmanövriert. Und das ohne wirkliche Not, denn eine echte Alternative mit einer Überführung der HSH Nordbank in ein geordnetes Sanierungs- und Abwicklungsverfahren nach dem Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (kurz SAG) hätte es gegeben.
Mehrfach haben wir so argumentiert und für diese Alternative geworben, die wohl Klarheit sowie ein absehbares Ende der hausgemachten und sündhaft teuren Leidensgeschichte HSH Nordbank gebracht hätte. Abgesehen vom materiellen Schaden ist hier seit Jahren eine massive Verletzung der Demokratie praktiziert worden.
Übrigens: Vor dem Hintergrund der für die HSH Nordbank erforderlichen Milliarden-Dimensionen erscheinen die benötigten Mittel für die Monte Dei Pasci wie »Peanuts«, um ein geflügeltes Wort eines ehemaligen Deutschbankers zu bemühen.
[1] Martin Hellwig, Verantwortlichkeit in der Demokratie, in: Wirtschaftsdienst Heft 1/2017.
[2] Vgl. Joachim Bischoff/Knut Persson/Norbert Weber, Tatort HSH Nordbank. Über »Bankenrettungen«, Landesbanken und Schlammschlachten, Hamburg 2010 sowie Joachim Bischoff/Norbert Hackbusch/Björn Radke/Norbert Weber, Finanz-Zombie: Drama HSH Nordbank, Supplement der Zeitschrift Sozialismus 1/2016.
[3] Dieses Argument wird immer wieder gern angeführt, um die damalige Rettungsaktion zu rechtfertigen. Ein einfaches Rechenbeispiel zeigt, wie unglaubwürdig es ist: Die Bank kommt von einer Bilanzsumme über etwa 208 Mrd. Euro und lässt sich sogar dafür feiern, dass die Bilanzsumme um 119 Mrd. Euro auf derzeit etwa 89 Mrd. Euro zurückgeführt worden ist. Die Bank hat natürlich nicht nur auf der Passivseite ihre Verbindlichkeiten reduziert, sondern natürlich gleichermaßen ihre werthaltigen Assets auf der Aktivseite. Zieht man die 65 Mrd. Euro von den 119 Mrd. Euro an werthaltigsten Assets ab, so zeigt sich schon an den Zahlen, dass die Bank seit 2008/2009 54 Mrd. Euro Wertsubstanz faktisch durch den seit 2009 immer unrentablen Weiterbetrieb verpulvert hat. Es steht immer noch die Frage im Raum, warum man diese Gelder nicht besser zur Schadensbegrenzung und Risikominderung zu Gunsten der Länder verwendet hat.
[4] Prof. Peter Nippel, Die HSH Nordbank und die Kosten für den Steuerzahler, Juli 2016.