21. Dezember 2016 Rainer Butenschön: Der Aufklärer und Sozialist Eckart Spoo ist gestorben
»Dass die Menschen die Wahrheit erfahren«
»Was tun?!« Diese Frage hatte Eckart Spoo mit seinen Freunden und Mitstreitern am 19. Dezember 2016 anlässlich seines 80. Geburtags diskutieren wollen. Während eines politisch geprägten Empfangs im »Haus der Demokratie und Menschenrechte« in Berlin hatte er einmal mehr über die vordringlichen Aufgaben zur menschenwürdigen Gestaltung unserer Zukunft kollektiv nachdenken wollen. Dazu ist es nicht gekommen: Vier Tage zuvor, am 15. Dezember 2016, ist Eckart Spoo gestorben.
Wir verlieren mit ihm einen großen kritischen Journalisten und Publizisten, einen leidenschaftlichen Streiter für eine friedliche, durch und durch demokratische, eine sozialistische Gesellschaft.
Sich selbst hatte Spoo in dem 1988 von ihm herausgegebenen Sammelband »Wie weiter? Plädoyers für eine sozialistische Bundesrepublik« mit den Worten vorgestellt: »Geboren 1936, ohne Vater aufgewachsen (er wollte im Zweiten Weltkrieg den Sozialismus niederkämpfen, aber die überfallenen Sowjetvölker wehrten sich, und er starb an einem Bauchschuss), seit der Studentenzeit an vielen Aktivitäten der Linken beteiligt, von Beruf Journalist, aktiver Gewerkschafter. Das war zunächst nicht selbstverständlich: dass sich Journalisten gewerkschaftlich organisieren. Ich wollte, dass es selbstverständlich wurde. Auch Schriftsteller und Künstler sollten sich ihrer Abhängigkeit vom herrschenden Kapital bewusst werden und sich der Arbeiterbewegung anschließen.«
36 Jahre lang schrieb Spoo als Korrespondent der Frankfurter Rundschau (FR) Zeitungsgeschichte. Ohne ihn und seine pointiert-kritischen Artikel hätte der herrschende Block sorgloser agieren können, so mancher Skandal wäre ohne seine Recherchen nicht öffentlich beleuchtet worden. Vielen Bedrängten leistete dieser Aufklärer publizistischen Beistand getreu seiner Berufsauffassung, dazu beitragen zu wollen, »dass die Menschen die Wahrheit erfahren«.
1971 erhielt er vom damaligen FR-Verleger und -Chefredakteur die Kündigung, da er sich gewerkschaftlich engagierte. Die offizielle Begründung für den Rausschmiss war eine wahrheitsgemäße Aussage in einer Fußnote über einen leitenden FR-Wirtschaftsredakteur in dem von Eckart Spoo herausgegebenen Sammelband »Die Tabus der bundesdeutschen Presse.« Anders als vielen anderen gewerkschaftlich aktiven Journalisten, die damals Anfang der 1970er Jahre für mehr Mitbestimmung zu streiten gewagt hatten und von den Verlegern reihenweise auf die Straße gesetzt worden waren, gelang es Spoo, sich zurückzuklagen.
Von 1970 bis 1986 war Eckart Spoo Bundesvorsitzender der Deutschen Journalisten-Union in der IG Druck und Papier (heute dju in ver.di). Im Presserat, den er in den 1980er Jahren angesichts der dortigen Verlegerblockaden gerne durch einen Journalistenrat ersetzt hätte, stritt er vergeblich dafür, die Ächtung des Angriffskrieges in den journalistischen Ehrenkodex aufzunehmen.
Neben dem gewerkschaftlichen Kampf für radikale Verkürzung und Umverteilung der Erwerbsarbeit, den Spoo in den vergangenen Jahren immer wieder vergeblich anmahnte, warb er für die Demokratisierung der Massenmedien als eine der aktuell vordringlichsten Aufgaben. Unermüdlich stritt er für innere Pressefreiheit und die damit erforderliche Abschaffung des Tendenzschutzparagraphen im Betriebsverfassungsgesetz. Dieser ist ein Relikt, ein Verleger-Privileg aus vordemokratischen Zeiten, ein Kriegskind des Kaiserreiches, das nicht anzutasten zuletzt Kriegskanzler Gerhard Schröder den Verlegern versprochen hat. Der hatte zuvor gerade mit Rückendeckung fast aller deutschen Konzernmedien den dritten deutschen Angriffskrieg auf Serbien im 20. Jahrhundert mit den Worten geführt: »Wir führen kein Krieg.«
Während dieses 78tägigen Bombardements der NATO-Flieger war Spoo demonstrativ mit einer vom Hamburger Schauspieler Rolf Becker gegründeten Gewerkschafter-Initiative zu den Angegriffenen ins Kriegsgebiet gereist, unter anderen nach Karagujevac, wo die Nazi-Wehrmacht das größte Massaker in Jugoslawien während der deutschen Okkupation verübt hatte. Täglich hatte die Gewerkschafter-Gruppe Berichte nach Deutschland gesendet, um hierzulande über den »Feind« und über das, was von den Medien verschwiegen wurde, aufzuklären. Schon 1981 hatte Spoo in einem Buchbeitrag (»Alle Kriege beginnen mit Lügen«) gemahnt: »Es gibt keine Wahrheit, die so wichtig wäre, wie die Wahrheit über die andere Seite. Die Wahrheit über die eigene Seite ist billig. Die Wahrheit über die andere Seite kostet mehr. Sie kostet Mut.«
Daran hat es ihm nicht gemangelt. Die »Fackel der Wahrheit« auch durch »Gedränge« zu tragen (Karl Kraus), hat er sich nicht gescheut. Dass eine immer mächtiger werdende Bewusstseinsindustrie die veröffentlichte Meinung unter privaten Umständen produziert, sah Spoo als Gefahr für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Die Monopolisierung der Medienlandschaft und die damit einhergehende Vereinheitlichung und Verflachung des publizistischen Angebots prangerte er unermüdlich an. Trotz schwindender Kräfte übernahm er bis zuletzt in Weltnetz.tv die regelmäßige Medienkritik. Er sah die Pressefreiheit vom Grundrecht für alle Bürger zum Privileg einiger weniger Eigentümer von Multimedia-Konzernen verkommen. Deren Medien, da stimmte er mit den Diagnosen von Ignacio Ramonet und Noam Chomsky überein, agierten wie »Wachhunde der etablierten Ordnung« (Ramonet), sie schützten nicht etwa die Demokratie, sondern »als aufmerksame Wächter die Privilegiengesellschaft vor der Bedrohung durch öffentliche Einmischung« (Chomsky).
In der Konsequenz gründete Eckart Spoo mit publizistischen Freunden 1997 eine eigene Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft: »Ossietzky«. Die füllt inzwischen seit 20 Jahren die Lücke der aufgegebenen »Weltbühne« bravourös. Sein Anspruch: »Jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen verschleiernde Sprachregelungen, gegen die Gewöhnung an den Krieg und an das vermeintliche Recht des Stärkeren.«
Er hatte zusammen mit seinen Mitstreitern »Erfolg«, schrieb er 1988 im Vorwort des von ihm herausgegebenen Buches »Wie weiter?«. »Aber«, so seine damalige Bilanz: »Ich erlebte auch Enttäuschungen, die mich krank und nachdenklich machten: Auf wen und auf was kann ich mich verlassen? Welche Erfahrungen gelten? Welche Meinungen müssen revidiert werden? Welche Möglichkeiten und Perspektiven gibt es für Sozialisten hierzulande? An gesellschaftlichen Problemen, die zu lösen wären, fehlt es nicht. Aber wer packt zu? Wer bleibt dran? Wem kann man vertrauen?«
Diese Fragen haben Spoo immer wieder umgetrieben. Entlang dieser Fragen hat er eine Vielzahl von Mitstreitern zum Mitmachen motiviert. Mit zahllosen publizistischen und politischen Projekten hat er wirkungsmächtig praktische Antworten formuliert – und diese, dem Zweifel gehörte sein Lob – immer wieder auf ihre heutige Gültigkeit hinterfragt: »Was bedeutet heute z.B. links?« war eine dieser Fragen. Ihnen ging er u.a. während eines von ihm inititierten fröhlichen Revolutionsfestes rund um die Marktkirche in Hannover am 14. Juli 1989 nach. Aus Anlass des 200. Jahrestages der französischen Revolution hatte er am selben Tag unter dem Motto »Freiheit, Gleichheit, Mitmenschlichkeit« die »Bürgerinitiative für Sozialismus« gegründet.
Da mit dem Begriff auch die Sache verloren zu geht droht, hielt Spoo mit ihr auch nach dem Fall der Mauer die rote Fahne des Sozialismus hoch. Mit Tagungen zu Themen wie Menschenrechte, Selbstbestimmung, Wirtschaft von unten, Geld ist genug da, Rüstungsindustrie, Wirtschaftskriminalität, hat diese Initiative die Waffe der Kritik am mörderischen Kapitalismus geschärft, hat versucht Utopie und Realismus zusammen zu bringen. Jahrhundertbilanzen der Arbeit von Gewerkschaften, Kommunisten und Sozialdemokraten wurden unter seiner Regie erarbeitet und in Büchern des VSA: Verlags dokumentiert.
Mit nimmermüder Tatkraft hat sich Eckart Spoo – gemeinsam mit seiner Frau Lydia, die 56 Ehejahre lang stets unauffällig und bescheiden an seiner Seite gearbeitet hat – für eine bessere Welt eingesetzt. Er hat gestritten für eine Welt ohne Hunger, ohne Krieg und ohne Knechtschaft. Er hat sich nicht geschont. Mit großer Freundlichkeit hat er entschlossen gekämpft – sein Leben lang bis zum Schluss. Er zählt, wie Bert Brecht sagt, zu den Wertvollsten!
Eine Gedenkfeier für Eckart Spoo findet statt am 13. Januar 2017 (Beginn 15 Uhr), in der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Münzenbergsaal), Franz-Mehringplatz 1, 10243 Berlin (nahe Ostbahnhof).
Rainer Butenschön ist politischer Redakteur in Hannover, stellv. Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der Madsack Mediengruppe und Vorsitzender des Fachbereichs Medien im ver.di-Landesbezirk Niedersachsen/Bremen.