24. Juni 2014 Otto König / Richard Detje: US-Einmischung in Lateinamerika
Dem Imperium droht sein »Hinterhof« verloren zu gehen
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts setzte in Lateinamerika ein politischer Wandel ein. Länder wie Argentinien, Brasilien und Uruguay strebten einen unabhängigeren Weg an. Nicht nur in Venezuela, auch in Bolivien, Ecuador und Nicaragua kamen durch Wahlen linksgerichtete Regierungen zum Zuge. Diese politischen Umwälzungen wurden durch Volksbewegungen erkämpft, die sich gegen das neoliberale Wirtschaftsmodell der herrschenden Eliten richten.
Statt Privatisierung setzen sie auf die (Re-)Nationalisierung der Wasser- und Stromversorgung, der Telekommunikation sowie auf eine stärkere Kontrolle transnationaler Konzerne. Angesichts der dramatischen Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Besitz räumen die neuen Regierungsformationen der sozialen Frage und der Neuorganisierung der Arbeits- und Sozialpolitik große Bedeutung ein.
Staatliche Einnahmen werden zum Aufbau von Sozialsystemen und zum Umbau der Binnenökonomien genutzt. Transformationsprozesse werden mit der Nationalisierung der Naturressourcen (Bolivien) und Agrarreformen (Venezuela) vorangetrieben, um nicht zuletzt die Emanzipierung vom »reichen« Norden zu beschleunigen. Regionale Projekte wie die Gründung neuer, auf Integration ausgerichteter Institutionen wie die UNASUR (Union Südamerikanischer Nationen) und die Banco del Sur[1] werden vorangetrieben.
Befreiung aus der Bevormundung
Die politischen Umwälzungen tragen dazu bei, dass sich die lateinamerikanischen Staaten schrittweise aus der politischen Bevormundung der Hegemonialmacht USA lösen. Sie wehrten erfolgreich die von den USA präferierte kontinentale Freihandelszone (Free Trade Area of the Americas) ab und riefen das Bündnis CELAC (Communidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños) ins Leben, dem sich inzwischen 33 lateinamerikanische und karibische Staaten angeschlossen haben. Darunter selbst Länder wie Mexiko, Honduras, Kolumbien und Uruguay, die eine eher USA-freundliche Haltung pflegen.[2]
Diese Zusammenschlüsse zielen auf die Stärkung gleichwertiger Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten. Im Januar 2014 erklärten die CELAC-Staaten ihre Region zu einer Zone des Friedens, die auf der Achtung der Prinzipien und Normen des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen beruhen soll. In der Deklaration bekräftigen die Teilnehmerstaaten ihre Verpflichtung, Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln zu lösen, die Androhung und die Anwendung von Gewalt in der Region zu bannen und sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.
Die Völker der lateinamerikanischen Staaten haben genug von der US-amerikanischen Vorherrschaft. Die Menschen erwarten, dass die durch demokratische Prozesse entstandenen Veränderungen in ihren Ländern respektiert werden, die Aufgabe der Blockade gegen Kuba und das Abgehen von militärischen Interventionsplänen. Sie wissen nur zu gut, was US-amerikanische Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihrer Staaten bedeutet hat. Sie sind sich seit der Intervention in Guatemala (1954), der Unterstützung des faschistischen Putsches in Chile (1973), der andauernden Blockadepolitik gegen Kuba und des Putschversuches gegen Hugo Chavez (2002) der Konsequenzen bewusst, die sich aus diesen Eingriffen ergeben.[3]
So forderten die Länder der Bolivarischen Allianz »Alternativa Bolivariana para América Latina y Caribe« (ALBA)[4] in der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Frühjahr die USA und die NATO auf, die »Doktrin des Regimewechsels« aufzugeben, die legimitiert, dass Regierungen, die ihren Interessen entgegenstehen, gestürzt werden. Die Destabilisierung legitimer Regierungen und Verstöße gegen den Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Nationen sei ein zunehmender Trend. Millionen von Dollar für Desinformationskampagnen würden gegen gewählte, aber ungenehme Regierungen eingesetzt, berichtete das Portal Amerika21.de (31.3.2014).
Die »Smart-Power« der Obama-Regierung
Nicht nur die Republikaner unter Bush, auch die Obama-Regierung sieht ihre geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen und der ihnen verbundenen transnationalen Konzerne bedroht. Deshalb greift die US-Administration wie eh und je zur Sicherung ihres Einflusses auf dem Subkontinent auf ein breites Arsenal politischer, kultureller, wirtschaftlicher und militärischer Methoden zurück.
Die maßgeblich vom State Department, dem Pentagon und der CIA bestimmte Strategie wird als »Smart power« bezeichnet. Die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton beschrieb sie im Januar 2010 vor dem »Zentrum für Globale Entwicklung« mit den Worten: »Wir werden die Kraft der Erfahrungen unserer Diplomaten und unserer Militärs im Namen der Entwicklung nutzen, die drei D´s müssen sich gegenseitig stärken, d.h. defence, diplomacy, development – Verteidigung, Diplomatie und Entwicklung.« Dabei geht es um die Bekräftigung des globalen Führungsanspruchs der USA.
Dass die USA ihre Einmischungspolitik keineswegs ad acta gelegt haben, bestätigte US-Außenminister John Kerry im April dieses Jahres vor dem US-Senat damit, Lateinamerika sei noch immer der »Hinterhof der USA« (Die Tageszeitung, 3.5.2014). Diese Sichtweise wurde untermauert durch aktives Handeln wie die Unterstützung des Rechtsputsches in Honduras,[5] den Abschluss des Vertrages über die Eröffnung neuer Militärbasen der USA in Kolumbien im Jahr 2009 und die Beteiligung US-amerikanischer Akteure beim »kalten Putsch« in Paraguay 2012.[6]
»Soft Coup«
Vor allem in Staaten wie Venezuela, Bolivien, Ecuador und Kuba, die aus Sicht der Vereinigten Staaten deren geopolitische Interessen und wirtschaftliche Strategien bedrohen, setzt die US-Administration auf verdeckte Einflussnahme – »die modernen Putsche finden nicht mehr mit Panzern statt« (Ignacio Ramonet). Über Stiftungen und Institutionen werden finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt und Beraternetze zur langfristigen Absicherung der Einflussmöglichkeiten, Ressourcen und Positionen auf dem lateinamerikanischen Kontinent[7] gespannt.
In diesem Zusammenhang geriet vor allem die Tätigkeit der Entwicklungshilfeagentur »United States Agency for International Development« (USAID) ins Visier der linksgerichteten Regierungen in Bolivien, Ecuador und Venezuela. 1961 gegründet, setzt sie als Vorfeldorganisation der US-Neocons in Zusammenarbeit mit dem State Department und dem Auslandsgeheimdienst die Politik der USA u.a. in Südamerika um. Gemeinsam mit der Stiftung »National Endowment for Democracy« (NED) finanzierte sie in diesen Ländern neoliberale Oppositionsgruppen mit hunderten von Millionen US-Dollar.
Mit dem Vorwurf, sie mische sich in die innenpolitischen Angelegenheiten ein, verwies die bolivianische Regierung USAID schon 2013 des Landes. Und nachdem Ecuadors Regierung ihren Rückzug aus allen Kooperationsprojekten mit USAID bekannt gab, verkündete die Organisation die Schließung ihrer Büros im September 2014 in diesem Land. »Wir brauchen keine Wohltätigkeit oder Almosen, die USAID oft klientelistisch verteilte. Der Staat kann sich selber helfen. Was wir brauchen, ist Technologietransfer, Investitionen und Zugang zu Märkten«, begründete Präsident Rafael Correa, warum seine Regierungen kein neues zwischenstaatliches Abkommen zwischen Ecuador und den USA über die Kooperation unterzeichnet habe (Amerika21.de, 22.5.2014).
In Venezuela agierten USAID und die Stiftung NED gemäß den Maximen des »Soft Coup«:[8] Die realen wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden übertrieben oder gar selbst provoziert. So wurden in Venezuela bestehende Lieferschwierigkeiten monatelang dadurch verschärft, dass Händler Waren bewusst zurückhielten; die von den Behörden entdeckten Lagerhallen waren voller Waren des täglichen Bedarfs. Die durch die verschlechterte Versorgungslage geschaffene Stimmung sollte genutzt werden, um die staatlichen Institutionen zu schwächen und damit die Voraussetzungen für einen Sturz der Regierung zu erzeugen. Über Wochen mobilisierte die rechte Opposition für den Sturz der Maduro-Regierung.
Anfang des Jahres deckte die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) nach umfangreichen investigativen Recherchen ein geheimes »Social-Media-Project« des Office of Transition-Initiatives (OTI), einer Abteilung der USAID, gegen Kuba auf. Aus den AP vorliegenden Dokumenten geht hervor, dass mit dem Twitter-Klon »ZunZuneo« (umgangssprachliche Umschreibung für das Zwitschern eines kubanischen Kolibri) von 2009 bis 2012 jugendliche Kubaner geködert wurden, kostenlos Handy-Mitteilungen auszutauschen. Auf diese Weise sollten sie mit fingierten SMS-Meldungen gegen ihr Land aufwiegeln und zu Protesten nach dem Modell »Arabischer Frühling« aufstacheln mit dem Ziel, einen Systemwechsel herbeizuführen respektive zu unterstützen (Amerika21.de, 8.4.2014).
Souveränität – Voraussetzung für sozialen Fortschritt
Die Abkehr von der neoliberalen Politik in Lateinamerika erweitert die Handlungsspielräume der Staaten. Die Zukunft des Subkontinents wird jedoch davon abhängen, ob es den linken, demokratischen Akteuren gelingt, diese verbesserten Bedingungen zu nutzen und ihrerseits politischer Verselbständigung und der Entfremdung gegenüber sozialen Bewegungen entgegenzuwirken. »Bunkermentalität« in einer Lage fortgesetzter Angriffe kann dazu führen, dass sich neue politische Klassen herausbilden, die sich abschotten, statt partizipativ Politik und Gesellschaft zu öffnen.
In Lateinamerika sind die Hoffnungen gering, dass künftige strategische Entscheidungen der Obama-Regierung zu einem neuen Anfang in den Beziehungen führen könnten – ohne Einmischung und Bevormundung. Deshalb setzen die Regierungen und die sie unterstützenden politischen Bewegungen vorrangig auf Integration, die auf den Prinzipien der Souveränität der Staaten und ihrer Völker und der internationalen Solidarität beruht.
Und auf den weiteren Kampf für soziale Gerechtigkeit: »Wir sind das Volk, das früher an den Rand gedrängt, erniedrigt und gedemütigt wurde und wie ich, wegen meiner indigenen Herkunft, keine Stimme und keine Möglichkeit hatte, eigene Vorschläge zu machen« (Juanita Ancieta, die Generalsekretärin des Verbandes der indigenen Bäuerinnen Boliviens). Mit dem politischen Wandel gelang es, der indigenen Bevölkerung sowie den Armen und Bedrängten in den lateinamerikanischen Ländern ihre Stimme, Würde, Hoffnung und ein neues Selbstwertgefühl zurück zu geben.
[1] Vgl. Eine Einschätzung der USA-Politik gegenüber Lateinamerika und die Obama-Administration, Rosa Luxemburg Stiftung, März 2010.
[2] CELAC, der die USA und Kanada nicht angehören, ist das Gegenstück zu der mehr oder weniger von den USA dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die ihren Sitz in Washington hat und 1962 Kuba ausschloss.
[3] Außenministers Henry Kissinger rechtfertigte die massive Unterstützung des faschistischen Putsch in Chile mit den Worten: »Ich sehe nicht ein, weshalb wir zulassen sollten, dass ein Land marxistisch wird, nur weil die Bevölkerung unzurechnungsfähig ist.«
[4] ALBA-Mitglieder sind Bolivien, Ecuador, Kuba, Nicaragua, Venezuela, St. Lucia, Dominica, Antigua und Barbuda, St Vincent und Grenadien.
[5] Der Militärputsch, durchgeführt von den führenden Militärs Honduras, ging mit Kenntnis des Südkommandos der US-Armee von der Militärbasis der USA, Soto Cano, aus. Der Botschafter der USA, Hugo Llorens, nahm an der entscheidenden Zusammenkunft der Militärs zur Planung des Putsches teil. In: »Der Staatsstreich in Honduras – die neue Politik der USA«, Rosa Luxemburg Stiftung, Dezember 2009.
[6] Zu den Akteuren des »kalten Putsches« zählen neben der Landoligarchie, dem Agrobusiness und der rechten Opposition auch US-amerikanische Saatgutunternehmen wie Monsanto und Cargill (Amerika21.de, 28.6.2012).
[7] Vgl. Otto König/Richard Detje: Venezuela: Bolivarische Revolution zwischen Wirtschaftskrise und Destabilisierung von außen, in: Sozialismus 5/2014.
[8] Ebenda.