Hajo Funke
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
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Den Krieg verlernen
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Heiner Dribbusch
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
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20. Januar 2022 Otto König/Richard Detje: Juristische Aufarbeitung des klerikal-faschistischen Putsches in Bolivien

Demaskierung der OAS – doch die Rechte mobilisiert weiter

Boliviens Präsident Luis Arce bei seiner Vereidigung

Lateinamerika blickt auf eine lange und schmerzhafte Geschichte von Staatsstreichen mit ausländischer Unterstützung zurück.

Zu den Jüngsten zählen: 2002 gegen Hugo Chávez in Venezuela, 2009 gegen Manuel Zelaya in Honduras, 2012 gegen Fernando Lugo in Paraguay, 2016 der »kalte« Staatsstreich gegen Dilma Rousseff in Brasilien. Mit dem Putsch der weißen Eliten gegen den indigenen Präsidenten Evo Morales im November 2019 in Bolivien kam ein weiteres Kapitel hinzu.[1]

Rechte Oppositionsführer und hochrangige Militärs hatten den Staatsstreich penibel geplant. Sie wollten verhindern, dass der langjährige und wiederholt in seinem Amt bestätigte Präsident Evo Morales auch die Wahlen von 2019 gewinnt. Es ging darum, die Errungenschaften der indigenen Bevölkerung wieder rückgängig zu machen, alte ethnische und soziale Hierarchien wiederherzustellen.

Der Bericht der interdisziplinären Gruppe unabhängiger Sachverständiger GIEI, der die Vorgänge analysiert, belegt, dass der Putsch gegen die Regierungspartei Movimiento al Socialismo (MAS) und den sozialistischen Präsidenten über mehrere Monate vorbereitet und koordiniert worden war – durch Aufrufe zu Protesten, gewalttätige Aktionen und Missachtung der Ergebnisse der Wahlen. Als sich bei der Auszählung der Stimmen abzeichnete, dass Morales als Sieger aus dem ersten Wahlgang hervorgehen würde, lieferte die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mit ihrem Vorwurf des »Wahlbetrugs« die Rechtfertigung für den Putsch der klerikal-faschistischen Rechten.

Im Wahlprüfungsbericht, den das Büro von OAS-Generalsekretär Luis Almagro noch vor dem Endergebnis herausgab, war von »Unregelmäßigkeiten« bei der Auszählung zu lesen, die jedoch jeglicher Grundlage entbehrten und sich später nachweislich als falsch herausstellten.[2] Die Fake-News waren die Lunte für die gewaltsamen Unruhen der rechten bolivianischen Kräfte. Anstatt die Ausschreitungen einzudämmen, schloss sich die Polizei und das Militär ihnen an.

Laut der Analyse der als linksliberal geltenden Denkfabrik »Center for Economíc and Policy Research« (CEPR) mit Sitz in Washington hat es keine Belege für die Betrugsvorwürfe gegeben. Die Untersuchungen der CEPR-Experten erhärteten stattdessen den Verdacht, dass die von Washington dominierte OAS, die Che Guevara schon als »Kolonialministerium der USA« bezeichnet hatte, die »politische Absicht« verfolgte, einen Regime-Change zu rechtfertigen.

Während die Washingtoner Administration eine Beteiligung an den Putschplänen in Bolivien umgehend bestritt, offenbaren von Wikileaks veröffentlichte Dokumente, dass die US-amerikanische Botschaft in La Paz diesen undemokratischen, subversiven und kriminellen Prozess nicht nur geplant, sondern auch politisch mit angeleitet hat. Der Putsch gegen Morales müsse als »Teil der Hegemoniekrise des globalen Kapitalismus« verstanden werden, so Juan Ramón Quintana, Minister in den drei Regierungen unter Morales. Die US-Regierung verfolge mit der OAS das Ziel, »ihre interventionistische Politik in der Region zu verstärken und den Zusammenbruch der demokratischen Ordnung in mehreren Ländern herbeizuführen«.

Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, trat Morales im November 2019 zurück und verließ mit Unterstützung Mexikos das Land. Die stellvertretende Vorsitzende des Senats und rechtsextreme Politikerin Jeanine Áñez übernahm nach ihrer verfassungswidrigen Einsetzung als Präsidentin für mehrere Monate die Macht. Die kurze Phase der Putschregierung charakterisierten drei Merkmale: »Erstens handelte sie im Interesse Anderer, beispielsweise Washingtons und der Oligarchie; zweitens plünderte sie den bolivianischen Staat schamlos aus; und drittens basierte ihre Macht auf der Ausübung schierer Gewalt durch Polizei und Militär«, so Quintana.

Trotz der brutalen Repression leisteten Mitglieder der MAS gemeinsam mit einem breiten Bündnis aus Gewerkschafts-, Bauern- und indigenen Bewegungen sowie Nachbarschaftsorganisationen massiven Widerstand und forderten Neuwahlen. Als diese unter dem Druck der Massenproteste im Oktober 2020 schließlich stattfanden, errang der MAS-Kandidat Luis Arce, der unter Morales das Amt des Wirtschaftsministers bekleidete, mit 55,1% der Stimmen einen klaren Sieg über seinen nächsten Herausforderer, den ehemaligen Präsidenten Carlos Mesa, der 29% erzielte. Die MAS errang die Kontrolle über beide Kammern des Parlaments. »Wenn wir im Angesicht eigener Niederlagen sagen, ›nicht schmollen, sondern sich organisieren‹, dann kann uns der Erfolg dieser von den Menschen getragenen Politik in Bolivien ein inspirierendes Beispiel sein«, so der Abgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Labour Party, Jeremy Corbyn (Jacobin 28.10.2021).

Im August 2021 übergaben die unabhängigen GIEI-Experten Präsident Luis Arce ihren Bericht über die »schweren Menschenrechtsverletzungen« während des Áñez-Regimes. Der 750 Seiten umfassende Bericht dokumentiert auf erschütternde Weise systematische Folter, sexualisierte und psychische Gewalt sowie Erniedrigungen gegen Gewerkschafter*innen, indigene Aktivist*innen und MAS-Anhänger*innen. Bürgerrechte wurden massiv verletzt sowie außergerichtliche Hinrichtungen vollzogen. Während der rassistischen Massaker, die das Militär und die Polizei in Sacaba und Senkata an indigenen Protestierenden verübten, wurden, 38 Menschen getötet sowie hunderte verletzt (Amerika 21, 23.8.2021).

Drei Tage nach Inthronisierung von Áñez hatten dem Bericht zufolge am 15. November 2019 Soldaten und Polizisten den Befehl, auf der Huayllani-Brücke in Sacaba, Cochabamba, einen Marsch von Kokabauern in die Stadt gewaltsam zu verhindern. Dabei wurden zehn Menschen getötet, vier von ihnen wurden Opfer von Schussverletzungen am Kopf, die übrigen wurden im Bauch- und Brustkorbbereich tödlich getroffen. Laut GIEI liegen Beweise vor, dass Polizei- und Militäreinheiten mit der Absicht gehandelt haben, Menschen bei den Protesten zu töten, auch wenn diese auf der Flucht waren. Vier Tage später wurden am 19. November in Senkata, nahe der oppositionellen Hochburg El Alto und der Hauptstadt La Paz weitere elf Zivilisten getötet und 78 verletzt.

In beiden Fällen handelte es sich um Protestmärsche der Parteibasis der bis dahin regierenden MAS. Im Fall Sacaba versuchten Tausende von mit der MAS sympathisierenden Koka-Bauern in die Stadt Cochabamba einzumarschieren, um gegen den Sturz von Evo Morales zu protestieren. Die Polizei blockierte die Zufahrtswege, schoss erbarmungslos in die Menge und strickte eine Farce, wonach die Morales-Anhänger im Besitz großer Mengen Geld, Schusswaffen und Sprengstoff gewesen seien, um »terroristische Attentate« zu verüben.

Im Fall Senkata wiederholte sich das gleiche rassistische Narrativ: Die »wilden Indianer« hätten die »Gasfabrik und damit das ganze Stadtviertel in die Luft jagen wollen«, so der damalige De-facto-Innenminister Arturo Murillo, der derzeit wegen Geldwäsche in Miami (USA) in Untersuchungshaft sitzt. Tatsächlich waren die Protestierenden so wütend über den Angriff des Militärs, dass sie mit bloßen Händen versuchten, die alte Steinmauer rund um das Gelände des staatlichen Gasvertriebswerk (YPFB) einzureißen. Auf Anweisung der De-facto-Regierung versuchte die Polizei, die Blockade zu brechen. Putschpräsidentin Áñez rechtfertigte das Vorgehen und erließ ein Dekret, das dem Militär »bei Einsätzen zur Herstellung der öffentlichen Ordnung« Straffreiheit einräumte.

Die neue Regierung unter Präsident Luis Arce ist entschlossen, die Verantwortlichen für Verbrechen und Vergehen unter dem Putschregime zur Rechenschaft zu ziehen. Nachdem eine Gruppe von Bürger*innen der Stadt Trinidad im nördlichen Departamento Beni am 23. November Añez daran gehindert hat, ein Flugzeug zu besteigen, um sich nach Brasilien abzusetzen, sitzt die Junta-Präsidentin im Gefängnis von Miraflores in Haft.

Ausgehend von der von ehemaligen MAS-Abgeordneten eingereichten und jetzt von der Generalstaatsanwaltschaft vorangetriebenen Anklage wird Añez Staatsstreich, Verschwörung, Aufruhr und Terrorismus zur Last gelegt. Sie wird beschuldigt, eine der Verantwortlichen der Massaker zu sein. Aus der Zelle twitterte sie zynisch: »Die politische Verfolgung hat begonnen. Die MAS hat beschlossen, zum Stil der Diktatur zurückzukehren. Schade, denn Bolivien braucht keine Diktatoren, es braucht Freiheit und Lösungen.«

Die Staatsanwaltschaft erließ gegen insgesamt zehn Personen Haftbefehle, darunter fünf Minister des Putschisten-Regimes und vier Mitglieder des Oberkommandos der Streitkräfte. Die ehemaligen Minister Álvaro Coímbra (Justiz) und Rodrigo Guzmán (Energie) wurden festgenommen, nach vier Militär- und Polizeikommandeuren wird gefahndet. Die beiden ehemaligen Minister für Inneres und Verteidigung, Arturo Murillo und Luis Fernando López, die wegen des Massakers in Senkata zur Verantwortung gezogen werden sollen, haben sich direkt nach dem Wahlsieg der MAS im Oktober 2020 in die USA abgesetzt.

Mittlerweile hat das Plenum des Obersten Gerichtshofs (TSJ) die Anklageschrift gegen die Junta-Präsidentin im Zusammenhang mit den Massakern von Sacaba und Senkata dem Parlament zur Prüfung übergeben, ob ein Prozess über die Verantwortlichkeiten stattfinden kann. Da das Militär den Putsch und das Putschregime in großen Teilen unterstützte, hat Präsident Arce zügig Änderungen auf der Führungsebene der Streitkräfte vorgenommen, um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass sie sich erneut reaktionären Bewegungen gegen eine demokratisch gewählte Regierung anschließen.

Ehemalige Gefolgsleute und Verbündete der Putschisten versuchen unterdessen eine Bestrafung der unter dem Putschregime begangenen Verbrechen zu verhindern. Oppositionsorganisationen, die von Hauptakteuren des Staatsstreichs von 2019 wie Luis Fernando Camacho und Carlos Mesa angeführt werden, riefen zu einem »Bürgerstreik« gegen die Regierung Arce auf. Unter anderem wird die Wiedereinstellung der am Putsch beteiligten Polizeibeamten und die Einstellung der Ermittlungen gegen die Resistencia Juvenil Cochala, eine paramilitärische Gruppe, die an destabilisierenden Aktivitäten beteiligt war, gefordert. Mesa und Camacho verlangen außerdem die Freilassung von Añez. Camacho drohte Präsident Luis Arce, dass er der »Einschüchterung und Verfolgung« von ehemaligen Politikern und Militärs »nicht tatenlos zusehen« werde. Daraufhin gingen jedoch Tausende von Menschen in verschiedenen Teilen des Landes auf die Straße, um die Regierung zu unterstützen.

Bei ihrem Vorhaben, »Täter zu Opfern zu erklären«, kann die bolivianische Rechte auf Unterstützung aus dem Ausland zählen. Nabila Massrali, Sprecherin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, bezeichnete die Haftbefehle gegen die Putschisten als »besorgniserregende Entwicklungen« und forderte, dass »politische Differenzen durch Dialog und Versöhnung beigelegt werden«. Das State Department in Washington verlautbarte: »Die Vereinigten Staaten verfolgen mit Besorgnis die Entwicklungen im Zusammenhang mit der jüngsten Verhaftung ehemaliger Funktionsträger durch die bolivianische Regierung.« Auch Luis Almagro, heizt den Konflikt weiter an und wirft Boliviens Regierung »Missbrauch von Justizmechanismen« vor. Er forderte »die Freilassung aller in diesem Zusammenhang Inhaftierten, bis unparteiische Prozesse und Mechanismen zur Feststellung der Verantwortlichkeiten« vorhanden seien. Derartige Heuchelei kann man kaum überbieten.

Anmerkungen

[1] Siehe auch: Otto König/Richard Detje: Anti-indigener Staatsstreich in Bolivien. Rollback der Elite, Sozialismus.deAktuell vom 24.11.2019.
[2] Bereits im Dezember 2019 erschien die erste internationale Studie, die die Vorwürfe der OAS fundiert in Zweifel zog. Im Juni 2020 sah die New York Times die These vom Wahlbetrug als entkräftet an und stützte sich auf eine weitere wissenschaftliche Analyse des Wahlprozesses. Das Zentrum für Wirtschafts- und Politikstudien in Washington (CEPR) lieferte mit der Analyse und einem Vergleich der Auszählungsergebnisse von 2019 und 2020 einen weiteren Beleg, dass die OAS 2019 nicht korrekt gehandelt hat.

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