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10. Juni 2017 Hinrich Kuhls: Zum Wahlergebnis in Britannien

Der laute Ruf nach dem Ende der Austerität

Die Konservative Partei und Premierministerin Theresa May hatten als Grund für die um drei Jahre vorgezogene Parlamentswahl angegeben, dass ein stabiles Mandat mit einer größeren parlamentarischen Mehrheit notwendig sei, um gegenüber der Europäischen Union einen harten Brexit durchsetzen zu können. Dieses Wahlziel haben sie eindeutig verfehlt.

Die Labour Party hat entgegen den Voraussagen aller Meinungsinstitute zu ihren bisherigen 232 Mandaten weitere 30 hinzugewinnen können. Sie war mit einem radikalen keynesianischen Programm angetreten, in dem die Vorschläge zusammengefasst sind, mit denen Jeremy Corbyn seit seiner Wahl zum Vorsitzenden für einen Politikwechsel geworben hatte. Ausgangspunkt für das neue Gesellschaftsprojekt ist die Ablösung der jahrzehntelangen Austeritätspolitik durch eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, in deren Mittelpunkt die Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur und der industriellen Basis im Verbund mit einer inklusiven Sozialpolitik steht.

Die Probleme sozialer Ungleichheit und die Notwendigkeit einer Re-Regulierung von Märkten werden auch im Wahlmanifest der Konservativen adressiert. Es ist im Gegensatz zum Labour-Programm jedoch nicht durchgerechnet und konnte von der Tory-Spitzenkandidatin nicht glaubwürdig vorgetragen werden. Vor allem die jungen WählerInnen wurden durch den gegenüber der Parlamentswahl 2015 deutlichen Kurswechsel der Labour Party mobilisiert. Das Ende der Austeritätspolitik und eine Neuausrichtung der Politik verbinden sie mehrheitlich mit einer Labour Party, die von Corbyn repräsentiert wird. Die Vorschläge zur Sozial-, Bildungs-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik erhielten ihre Überzeugungskraft durch sein glaubwürdiges Agieren vor und in der Wahlkampagne.

Bis Mitte April hatte May Neuwahlen strikt abgelehnt, weil sie das Land in der Phase der Brexit-Verhandlungen »destabilisieren« würden. Nach ihrer Kehrtwende im Anschluss an einen österlichen Wanderausflug in Nordwales hatte sie in der Debatte über die Parlamentsauflösung dem Labour-Vorsitzenden auf der Oppositionsbank mehrfach in spitzer Arroganz entgegengeschleudert, sie sei Garant für eine starke und stabile Regierung, er hingegen könne Regierungschef nur als Anführer einer »Koalition des Chaos« werden. Nun muss sie eine Minderheitsregierung bilden mit Duldung der nordirischen Unionisten – eine »Tory-Regierung des Chaos«.

Das Bild einer Regierung, die die Kontrolle über ihre Geschäfte verloren hat, wird durch den Zeitplan der Brexit-Verhandlungen verstärkt. Das durch eine größere parlamentarische Mehrheit angestrebte starke Mandat für die Verhandlungen mit der EU, deren Beginn für den 19. Juni terminiert ist, sollte es der Tory-Regierung ermöglichen, die Gespräche ohne weitere inhaltliche Festlegungen gegenüber Parlament und Öffentlichkeit beginnen zu können.
Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit der Mandate muss sich die Tory-Minderheitsregierung zumindest in einigen zentralen Punkten mit einem Mehrheitsbeschaffer absprechen, um die Regierungsgeschäfte weiterführen zu können. Statt wie erhofft stark und stabil erscheint die Premierministerin nackt und bar jeder Verhandlungsstrategie.

Der Slogan, kein Deal sei besser als ein schlechter Deal, erweist sich als hohle Phrase: Was May unter einem »harter Brexit« versteht, muss sie nun in kurzer Zeit öffentlich und im Detail begründen. Das schwächt die Verhandlungsposition der britischen Regierung – eröffnet aber für die anderen politischen Kräfte, insbesondere die Labour Party, die Tür, um auf die Gestaltung des Austrittsvertrags als auch auf den neuen Kooperationsvertrag mit der Europäischen Union einwirken zu können. Ein geordneter EU-Exit mit einer längeren Übergangsphase ist politisch näher gerückt – sofern der Europäische Rat nicht auf einen harten Schnitt bestehen sollte.


Starke Wählerbewegungen - parlamentarisches Patt

Die politische Volatilität, die den gesamten Wahlkampf begleitet hat, findet ihre Fortsetzung im Wahlergebnis. Das parlamentarische Patt zwischen dem konservativen Lager und dem Lager progressiver Parteien signalisiert, dass die politische Unsicherheit trotz der schnellen Bildung einer Minderheitsregierung permanent die weiteren Entscheidungsprozesse überlagern wird. Die Unsicherheit in der Politik ergänzt und verstärkt die Unsicherheit in Wirtschaft und Gesellschaft, die aus den nicht einschätzbaren Risiken des EU-Exits gespeist wird. Wie bei der Brexit-Entscheidung vor einem Jahr war auch dieses Mal die abrupte Entwertung des Pfunds nur ein Indikator für sich abzeichnende ökonomische Veränderungen.[1]



Zu Beginn des Wahlkampfs waren für die Konservative Partei gegenüber 2015 zwischen 50 und 100 weitere Mandate prognostiziert worden – vor allem auf Kosten der Labour Party, für die teilweise weit weniger als 200 Sitze vorausgesagt wurden. Selbst in allen Meinungsumfragen kurz vor dem Wahltag wurde den Tories eine stabile Mehrheit vorausgesagt – trotz der zahlreichen Fehltritte in der Kampagne der Konservativen Partei und trotz der Wahlkampfunterbrechungen durch die Attentate in Manchester und London, durch die die Reputation der amitierenden Premierministerin wegen ihrer langjährigen Leitung des Innenministeriums weiter beschädigt worden war.

Die ganze Mobilisierungswucht der Labour-Kampagne mit ihren seit 2015 neu hinzugekommen Mitgliedern und AktivistInnen lässt sich daran ablesen, dass der Vorsprung der Tories von 20 Prozentpunkten Ende April bis zum Wahltag auf 2,4 Punkte geschrumpft ist. Mit landesweit gut 40% (12,9 Mio. Stimmen) hat Corbyn an die erdrutschartigen Wahlsiege angeknüpft, mit denen Blairs New Labour zur Jahrtausendwende (1997: 43,2%; 2002: 40,7%) die Tories zum Ende der Thatcher-Ära in der Regierungsverantwortung ablösen konnte. Der jetzt erzielte Zuwachs von 9,5% der Stimmen hatte Labour in den letzten 50 Jahren nie verzeichnen können. In 629 von 650 Wahlkreisen hat Labour einen höheren Stimmenanteil als bei der letzten Wahl verbuchen können. 68,7% der 46,8 Mio. Wahlberechtigten haben gewählt, das entspricht der höchsten Wahlbeteiligung seit 1997.

Die Konservative Partei hat ebenfalls 5,5 Prozentpunkte (13,6 Mio. Stimmen) hinzugewinnen können. Beide großen Parteien haben mehr als vier Fünftel aller Stimmen auf sich vereinigt und damit zusammen so viele Stimmen wie seit 1970 nicht mehr. Hingegen hat die rechtspopulistische UKIP von ihren 4 Mio. Wähler 2015 nur noch gut eine halbe Million binden können. War sie vor zwei Jahren noch drittstärkste Partei, wenn auch nur mit einem Mandatsgewinn, so ist sie heute nach den Liberaldemokraten (2,4 Mio. Stimmen) und der SNP (knapp 1 Mio. Stimmen) nur noch auf Rang fünf kurz vor den Grünen (0,5 Mio. Stimmen), deren Vorsitzende ihren Wahlkreis wiedergewonnen hat.

Der größte Teil der WählerInnen, die 2015 zur Erzwingung des EU-Referendums UKIP gewählt hatten, haben dieses Mal die Konservativen unterstützt. UKIP hatte in vielen Wahlkreisen, in denen dem Tory-Kandidaten als erfolgreichster Mitbewerber ein Brexit-Gegner gegenüberstand, auf die Aufstellung eigener KandidatInnen verzichtet.

Die Konservative Partei ist damit jetzt die Partei, die die Brexit-Befürworter repräsentiert. Das drückt sich auch entsprechend in der Zusammensetzung der neuen Tory-Parlamentsfraktion aus. Nur ein Viertel der WählerInnen, die vor einem Jahr für den Verbleib in der EU votiert hatten, gaben ihre Stimme den Tories.

Die Zugewinne der Labour Party kommen sowohl von den Konservativen als auch in gleichen Teilen von UKIP, den Liberaldemokraten und den Grünen. Etwa zwei Drittel aller Labour-Wähler hatten vor einem Jahr für den Verbleib in der EU gestimmt. Und aus der Sicht des Ergebnisses des EU-Referendums: landesweit 51% der Brexit-Gegner haben 2017 Labour gewählt. Fast die Hälfte der Labour-WählerInnen geben an, dass ein Austritt aus der EU wenn möglich verhindert werden sollte. Ein Drittel der Labour-WählerInnen spricht sich für einen möglichst schnellen Brexit aus, was bei den Tory-WählerInnen hingegen von mehr als zwei Dritteln gefordert wird.[2]

Insofern sind bei den Wählerbewegungen zwei Haupttrends zu konstatieren. Etliche Wählerinnen, die 2015 die Tories gewählt und 2016 für den Verbleib in der EU votierten, haben sich jetzt für Labour entschieden. Die UKIP-WählerInnen von 2015, die nahezu geschlossen für den Brexit gestimmt hatten, sind zum größeren Teil zu den Tories abgewandert, konnten jedoch zu einem nicht geringen Teil auch von Labour wegen des attraktiven sozialpolitisch ausgerichteten Wahlprogramms gewonnen werden.

In einigen Wahlkreisen mit absehbar knappen Mehrheiten konnten die Mandate von liberaldemokratischen oder Labour-Bewerberinnen gewonnen werden, weil Teile der WählerInnen »taktisch« wählten. Die Frage, ob die parlamentarische Mehrheit der Tories bei der nächsten Wahl nur mit einem Bündnis einer Allianz der progressiven Parteien oder durch eine weitere Stärkung von Labour erreicht werden kann, ist mit dieser Wahl nicht vom Tisch.



Die Wahlniederlage ist May und der Konservativen Partei von den jüngeren WählerInnen beigebracht worden. 67% der 18- bis 24-Jährigen haben Labour gewählt, aber nur 18% die Konservativen. Dadurch hat Labour viele Wahlkreise in Universitätsstädten hinzugewinnen können. Bei den 25- bis 34-Jährigen haben sich 58% für Labour und 22% für die Tories sowie bei den 35- bis 44-Jährigen 50% für Labour und 30% für die Tories entschieden (vgl. folgende Abbildung).



Die überdurchschnittliche Mobilisierung der jüngeren WählerInnen ist auch der Grund dafür, dass die Taktik der Tories, vor allem im Nordosten Englands und in den urbanen Gebieten der Midlands der Labour Party Wahlkreise streitig zu machen, gescheitert ist. In Wales und Südengland, vor allem im Großraum London hat Labour deutlich besser als erwartet abgeschnitten und den Konservativen eine Reihe von Sitzen abnehmen können. Dennoch bleibt die Dominanz der Tories im Süden Englands ungebrochen.


Regionale Problemzonen

Die Schottische Nationalpartei hat ihre Zugewinne aus 2015 nicht verteidigen können. Anders als Labour hatte sie den Fokus im Wahlkampf nicht auf soziale Fragen gelegt, sondern auf die Folgen des Brexits für Schottland. Zudem hatte sie während der Debatte über den Antrag zum EU-Austritt ein weiteres Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich im schottischen Regionalparlament beschlossen. Ein großer Teil der schottischen WählerInnen hat das mit einem Wechsel zu den anderen Parteien quittiert. Labour (7), die Konservativen (10) und die Liberaldemokraten (3) konnten in diesem Landesteile Wahlkreise zurückerobern. 20 der bisher 55 SNP-Abgeordneten in Westminster haben ihre Wahlkreise verloren, darunter die Fraktionsspitzen.

In den Fokus gerät jetzt allerdings die Entwicklung in Nordirland. Die beiden großen nordirischen Parteien haben hier alle Wahlkreise gewonnen – bis auf einen, in dem ein unabhängiger Bewerber die meisten Stimmen erzielte. Die überwiegend von Protestanten gewählte Democratic Union Party (DUP) holte zehn, die überwiegend von Katholiken gewählte links-republikanische Sinn Féin sieben Wahlkreise.

Die Zuspitzung in diesem Landesteil hat drei Gründe: Die DUP wird als Mehrheitsbeschaffer von den Tories benötigt. Sinn Féin wird wie bisher ihre Mandate im Unterhaus nicht ausüben. Beide Parteien können sich nicht auf die Bildung einer neuen nordirischen Regionalregierung einigen, wozu sie laut Verfassungsstatut verpflichtet sind.

Die Regierungsneubildung in Nordirland war erforderlich geworden, weil nach einer Regierungskrise infolge eines Finanzierungsskandals, in dem die DUP-Parteivorsitzende Ministerpräsidentin (First Minister) Arlene Foster als vormalige Umweltministerin verwickelt war, im März eine Neuwahl des Regionalparlaments erforderlich geworden ist. Die Neuwahl endete mit einem Patt, die DUP erzielte mit nur 1.200 Stimmen Vorsprung ein Mandat mehr als Sinn Féin.

Während die rechtspopulistische DUP sich für den Brexit stark gemacht hat, tritt Sinn Féin für einen Verbleib des UK in der EU ein. Die Partei ist zugleich als Oppositionspartei im Parlament der Republik Irland vertreten. In der Linksfaktion GUE/NGL im Europäischen Parlament ist sie mit je einem Vertreter aus Irland und Nordirland vertreten.

Durch die Kooperation der DUP mit den Tories und deren Versuch, die Brexit-Verhandlungen so zu beeinflussen, dass eine Grenzregelung gefunden wird, die einem harten Brexit entgegensteht, wird sich nicht vermeiden lassen, dass sich beim irisch-katholischen Bevölkerungsteil die Skepsis verbreiten wird, dass im Gegenzug die britische Zentralregierung die Entwicklung in Belfast zugunsten der DUP beeinflussen wird. Die Bildung einer handlungsfähigen Exekutive in diesem Landesteil scheint auf längere Zeit zumindest erschwert.

Die Brisanz der Situation wird dadurch befördert, dass in der Republik Irland die Stimmen lauter werden, die eine »gesamtirische Lösung« neu thematisieren wollen. Im Zusammenhang mit dem Wechsel im Amt des irischen Ministerpräsidenten von Enda Kenny zu Leo Varadkar am 12. Juni sind auch in den großen irischen Parteien Fine Gael und Fianna Fáil entsprechende Töne zu hören. Die engere Kooperation von DUP und Tories spitzt also nicht nur die Situation in der Nordirland zu, sondern stellt eine zusätzliche Belastung der Austritts-Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU inklusive ihres Mitgliedstaats Republik Irland dar.


Knotenpunkte gesellschaftlicher Entwicklungen


Programmatisch hat die Konservative Partei sich auf eine ausgewogenere Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik festgelegt. Die entfesselten Märkte sollen eingehegt und mit einer »modernen Industriepolitik« strategisch wichtige Branchen gefördert werden. Es ist der Versuch, nach dem Zusammenbruch des neoliberalen Konsenses die Weichen für konservativen Weg der gesellschaftlichen Erneuerung zu stellen. Ob die geschwächte konservative Regierung und vor allem ihre politisch angeschlagene Premierministerin dafür die entsprechenden Haushaltsbeschlüsse organisieren können, wird sich zeigen müssen.

Die Labour Party hingegen kann in der parlamentarischen Auseinandersetzung bei ihren Vorschlägen zur Beendigung des langjährigen Abbaus sozialstaatlicher Leistungen und Einrichtungen darauf verweisen, dass ihre Politik zur Revitalisierung der Ökonomie mit einer realistischen Steuerpolitik finanziert werden kann. Der Erneuerungsprozess der Labour Party und die Reorganisation der Arbeit der Parlamentsfraktion könnten sich gegenseitig positive Anstöße geben. Das ist nach wie vor Voraussetzung, damit der Politikwechsel wie bei dieser Wahl nicht unvollendet bleibt.

Der Historiker Eric Hobsbawm, der vor hundert Jahren am 9. Juni 1917 in Kairo geboren wurde, hatte sich als politischer Publizist zu den beiden letzten Knotenpunkten der britischen Zeitgeschichte engagiert. Nach dem triumphalen Wahlsieg von New Labour warnte er frühzeitig vor den Folgen der falschen Weichenstellungen der Regierung Blair. Zugleich verkündete er vorschnell den »Tod des Neoliberalismus«. (Sozialismus 1-1999)

Vor dem nicht minder triumphalen Regierungsantritt Thatchers 1979 hatte er schon die Frage aufgeworfen: »The Forward March of Labour Halted?« Seine Schlussfolgerungen aus der Analyse der lang anhaltenden Schwächung der Organisationen der Arbeiterbewegung hatte er mit einem optimistischen Ausblick verbunden: »Wir können nicht darauf bauen, dass der Vormarsch der britischen Arbeiterbewegung einfach im Sinne eines historischen Determinismus zurückkehren wird. Das wird nicht automatisch geschehen. Andererseits gibt es keinen Grund, in Pessimismus zu verfallen. Es sind die Menschen, die – wie Marx sagte – die Geschichte machen, wenn auch eingeschränkt von den Umständen und Grenzen, die sie vorfinden.

Wenn aber die Arbeiterbewegung und die sozialistischen Organisationen ihre Seele, ihre Dynamik und ihre historische Initiative zurückgewinnen wollen, dann müssen wir als Marxisten das tun, was Marx sicherlich getan hätte: die neuartige Situation zu erkennen, in der wir uns befinden, um sie realistisch zu analysieren.« (Marxism Today, September 1978)

Der Weg einer postliberalen Gesellschaftsentwicklung – nicht nur in Britannien – ist projektiert, er muss »nur« noch gebahnt werden. Die Jugend Britanniens hat mit der Wahl der Labour Party deutlich gemacht, dass sie nicht nur der Austerität ein Ende bereiten will, sondern in internationaler Kooperation für die Beendigung zerstörerischer Arbeits- und Naturverhältnisse einer entwickelten kapitalistischen Gesellschaft streiten will.

Hinrich Kuhls, Düsseldorf, arbeitet in der Sozialistischen Studiengruppe (SOST) mit. Letzte Beiträge: Wahlkampf in Großbritannien: »Wir glauben nicht an entfesselte Märkte« (Sozialismus 6-2017: S. 19-23); Labours Aufholjagd und ihre Hintergründe (Sozialismus Online, 3.6.2017).

[1] Ausführlicher dazu demnächst in Sozialismus Heft 7/8-2017.
[2] vgl. Lord Ashcroft: How did this result happen? My post-vote survey, 9.6.2017; online: lordashcroftpolls.com/2017/06/result-happen-post-vote-survey/

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