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ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
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100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

18. April 2016 Otto König / Richard Detje: »Staatsaffäre« Böhmermann

Der Skandal

Flüchtlingsdeal versus Pressefreiheit: diese Entscheidung ist ein Skandal. Die Bundeskanzlerin, die schon gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu das »Schmähgedicht« des Satirikers Jan Böhmermann als »bewusst verletzend« bezeichnet hat, »ermächtigte« die Justiz, auf der Grundlage des »Majestätsbeleidigung«-Paragraphen gegen den ZDF-Fernsehmoderator vorzugehen.

Für Verfassungsrichter Michael Bertrams lieferte sie »die Meinungs- und Kunstfreiheit an einen Autokraten und Despoten« aus, »der bürgerliche Freiheiten im eigenen Land auf gröbste Weise missachtet.« (FR, 13.4.2016)

Das Corpus delicti ist Böhmermanns Ansatz, die Grenze zwischen erlaubter Satire und Schmähkritik auszuloten. Sicher: Man kann über Wortwahl und Form streiten, auch kritisch auf eine Tendenz des Comedian-Formats blicken, öffentliche Aufmerksamkeit durch eine polemische Eskalationsstrategie zu erzielen – möglicherweise die Gefahr heraufbeschwörend, andere Satire-Formate zu entwerten und sich möglicherweise selbst in ein Abseits zu manövrieren. Aber unstrittig ist die Notwendigkeit der Kritik an der repressiven Politik des türkischen Staatspräsidenten. Böhmermanns Intervention war eine Reaktion auf den Vorstoß der türkischen Regierung, ein Spottlied auf Erdogan, das die ARD im Satiremagazin »extra 3« ausgestrahlt hatte, zensieren zu lassen. Auch in diesem Text wurde die Einschränkung der Pressefreiheit, die Verfolgung kritischer Journalisten, die Unterdrückung der Kurden und andere Menschenrechtsverletzungen in der Türkei angeprangert. Grund genug für Ankara, den deutschen Botschafter einzubestellen und die Löschung des Videos zu fordern.

Mit seiner Satire löste Böhmermann eine »Staatsaffäre« aus. Rechtsstaatsverächter Erdogan, für den die Vorstellung einer unabhängigen Justiz so unzumutbar ist wie die freie Meinungsäußerung, ließ Berlin per Fax eine Verbalnote zukommen, in der die strafrechtliche Verfolgung des Satirikers gefordert wurde. Bei ihrem Verlangen stützt sich die türkische Regierung auf den antiquierten Strafparagrafen 103, in dem es heißt: »Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt ... beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.«

Dieser Paragraf ist ein unsägliches Relikt aus dem deutschen Kaiserreich. Er schützte gekrönte Staatsoberhäupter wie beispielsweise den persischen Herrscher Mohammad Reza Schah Pahlavi, der sich 1967 darauf berief, um Kritik an seiner Folterdiktatur zu unterdrücken; seither ist vom »Schah-Paragraf« die Rede. 1975 wurden aufgrund dieses Paragrafen Demonstranten verurteilt, die auf Transparenten Augusto Pinochets Militärdiktatur in Chile korrekterweise als »Mörderbande« bezeichnet hatten. Die Bundesregierung hatte in beiden Fällen die Justiz zur Strafverfolgung »ermächtigt«.

Die Schmähkritik Böhmermanns sei ein »schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, tönte der türkische Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus. Schrille Töne aus einem Land, an deren Spitze ein Präsident steht, dem Presse- und Meinungsfreiheit zuwider sind, der kritische Zeitungen unter Zwangsverwaltung stellt, kritische Journalisten mit Terroristen gleichsetzt und kurdische Dörfer und Städte bombardieren lässt. Seit seinem Amtsantritt im August 2014 ließ er rund 2.000 Verfahren gegen kritische BürgerInnen wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes einleiten. Wer Kritik übt – in welcher Form auch immer – ist entweder ein »Terrorist«, ein vermeintlicher Unterstützer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ein »Provokateur« oder »Agent« einer fremden Macht. »Sie können nicht unsere Bürger sein«, sagte Erdogan jüngst bei einem Anwaltstreffen in Ankara.

Tatsächlich hätte Merkel dem Gesuch der Türkei nach Strafverfolgung gegen Jan Böhmermann nicht nachkommen brauchen, denn Erdogan hat auch nach Paragraph 185 des Strafgesetzbuches »Klage wegen Beleidigung« einreichen lassen, der die Staatsanwaltschaft Mainz nachgehen muss. Mit ihrer außenpolitischen Rücksichtnahme zur Abstützung des Flüchtlingsdeals sendet sie ausgerechnet an diejenigen in der Türkei, die im Kampf für demokratische Grundrechte verhaftet und ins Gefängnis geworfen werden, ein entmutigendes Signal. Denn es ist, schreibt die Washington Post, eine potenzielle Ermutigung für autoritäre Regime, »kritische Äußerungen sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Grenzen zu unterdrücken«.

Die Journalistin Dilek Dündar, Ehefrau des angeklagten Cumhuriyet-Chefredakteurs, der über verdeckte türkische Waffenlieferungen an den IS berichtet hatte, [1] erinnerte daran, dass die Bundeskanzlerin bei ihrem Türkei-Besuch im November letzten Jahres »kein einziges Wort über die Pressefreiheit gesagt« hat, während Can Dündar und 30 weitere Journalisten in Haft saßen (DLF, 13.4.2016). Das verletzt nicht nur die Demokraten in der Türkei, mit dieser Politik stellt sie sich auch gegen die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Laut einer Emnid-Umfrage erklärten mehr als zwei Drittel – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven –, Merkel nehme zu viel Rücksicht auf die Begehren der Autokraten in Ankara (N24, 14.4.2016).

In einem Offenen Brief, unterzeichnet von vielen Künstlern, heißt es zu Recht, »Diskussionen über und Kritik an Jan Böhmermanns Erdoğan-Gedicht gehören in die Feuilletons des Landes und nicht in einen Mainzer Gerichtssaal.« Doch genau dort wird nun beurteilt werden, ob es sich bei Böhmermanns Satire um eine von der Meinungs- und Kunstfreiheit nicht gedeckte Schmähkritik gehandelt hat. Die Mainzer Juristen – am Ende vielleicht sogar das Bundesverfassungsgericht – werden zu entscheiden haben, ob sie der Argumentation im Rechtsgutachten des ZDF folgen, in dem es heißt: Die »grundgesetzlich garantierte Satirefreiheit« umfasse »gerade im Zusammenhang mit Angelegenheiten von öffentlichem Interesse auch den Einsatz grober Stilmittel«. Es liege im Wesen der Satire, »durch gezielte Überzeichnungen, die auch darauf angelegt sind, Emotionen und Reaktionen beim Publikum auszulösen, auf ein Thema aufmerksam zu machen und Kritik zu üben.«

Eines hat Jan Böhmermann schon heute erreicht: Die Berliner Koalitionsregierung hat nach einem handfesten internen Krach angekündigt, dass sie den Paragrafen 103 – den Ehrenschutz für Präsidenten und Staatsoberhäupter – noch in dieser Legislaturperiode streichen werde. Die Vorschrift sei »entbehrlich«.

[1] Otto König/Richard Detje: Verhaftungen, Zwangsverwaltung & Zensur. Erdogans Krieg gegen die Medien, SozialismusAktuell, 12. März 2016.

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