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4. September 2022 Joachim Bischoff: Wie Energiekosten und -preise zustande kommen

Der Strommarkt ist aus den Fugen geraten

Vor Wochen hatte Robert Habeck, der grüne Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, in Anspielung an die noch laufenden Atomkraftwerke erklärt, dass Deutschland ein Gas-, aber kein Stromproblem habe. Mittlerweile steht fest: Das Land hat nicht nur ein Problem mit der Gaspreisexplosion, sondern auch der Strompreis pro Kilowattstunde ist auf ein neues Allzeithoch gestiegen.

Seit Anfang des Jahres kennt der Strompreis in Deutschland nur eine Richtung: Aufwärts. Dabei stammen fast drei Viertel des Stroms von Anbietern, deren Erzeugerpreise nicht gestiegen sind. Trotzdem zahlen Privatkund*innen oft doppelt so viel wie noch vor drei Jahren, und manche Industriefirmen teils das Zehnfache.

Die Erhöhung der Strompreise schockt Verbraucher*innen: Alle Haushaltstypen zahlen rund 50% mehr. Die Kehrseite der massiven Preiserhöhungen für Unternehmen und Verbraucher*innen sind extreme Gewinnsteigerungen bei etlichen Stromanbietern. Die enorme Zusatzbelastung der privaten Verbraucher*innen und der kleinen und mittleren Unternehmen ist zugleich verknüpft mit einer massiven Gewinnsteigerung bei bestimmten Stromlieferanten.

An den Strommärkten führen die bestehenden Regeln zu einer Art politisch gemachten Rendite-Autopiloten. »Dieser Rendite-Autopilot müsse jetzt abgeschaltet werden«, fordert selbst der Finanzminister Christian Lindner (FDP) zur Freude des grünen Wirtschaftsministers, der sich zuvor ebenfalls für staatliche Eingriffe in den Strommarkt ausgesprochen hatte. Damit ist klar: Auch die Bundesregierung geht in die Richtung, die schon mehrere andere europäische Länder eingeschlagen haben.

Sie will die Zusatzgewinne von Energieunternehmen abschöpfen, die von den hohen Marktpreisen profitieren, aber nicht in jedem Fall auch höhere Kosten haben. Auf die Frage, was das Abschalten des Rendite-Autopiloten von einer Übergewinnsteuer unterscheidet, gegen die sich die Liberalen wehren, erklärte Lindner: Mit einer solchen Steuer würden die Gewinne der Unternehmen in den Bundeshaushalt fließen.

Nicht nur die deutsche Bundesregierung ist alarmiert und prüft, wie der Anstieg zu dämpfen ist. Ganz Europa befinde sich in einer »parallelen« Krise, sagte ein Regierungssprecher. Die Stromkosten steigen auf ein noch nie da gewesenes Niveau. Am Strommarkt hat sich »ein echter Sturm zusammengebraut«.


Gründe für den hohen Strompreis

Gleich mehrere Faktoren greifen ineinander und tragen dazu bei, dass der Strompreis zuletzt angestiegen ist – und vermutlich auch in den kommenden Monaten steigen wird. In ganz Europa wird gerade weniger Strom produziert als sonst, weil die riesige Dürre etwa in ganz Südeuropa – in Italien, in Spanien, in Frankreich – dazu führt, dass weniger aus Wasserkraft gewonnen wird. Zugleich sind französische Atomkraftwerke in der Krise: Knapp die Hälfte der AKWs sind derzeit nicht betriebsfähig – wegen Korrosionsschäden oder manchmal auch, weil das Wasser für die Kühlung der Reaktoren zu warm ist oder ganz fehlt. Zudem gibt es langwierige Wartungen und Sicherheitsprobleme wegen Korrosionsrissen.

Die klimatischen Bedingungen – also der Klimawandel – wirken sich auf die Erzeugung aus. Hitze und Niederschlagsmangel beeinflussen die Stromproduktion durch Wasserkraft und Kernenergie, aber ebenso die Kohleverstromung, weil der Brennstoff auf dem Wasserweg transportiert wird. Der Klimawandel beeinträchtigt die Stromerzeugung in etlichen europäischen Ländern. In Italien sind die Auswirkungen der Dürre gravierend, vor allem, weil das Land stark von der Wasserkraft abhängig ist.

Im Mittelunkt der Aufregung steht auch der Gaspreis. Der Rückgang der russischen Gasversorgung schlägt sich auch im Preisanstieg nieder. Grund für den neu angefachten Höhenflug beim Gaspreis ist die erneute Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nach Europa durch die Pipeline Nord Stream 1. Russland hatte angekündigt, wegen Wartungsarbeiten Gaslieferungen über die Ostseepipeline für drei Tage zu unterbrechen. Das heizt die Befürchtungen an, dass Moskau bald komplett den Gashahn zudreht. Die politisch inspirierte Logik des Kreml beim Gaspreis erscheint daher auch als Hauptursache für die Aufwärtsbewegung des Strompreises. Dies trifft den Zusammenhang nur teilweise.

Es sind neben der klimabedingten Knappheit überwiegend hausgemachte Faktoren für die Strompreisentwicklung verantwortlich sind: Laut dem Portal Strom-Report machen die Kosten der Stromerzeugung und des Vertriebs ab Juli 2022 bereits 49% des Strompreises aus – so viel wie in den vergangenen zehn Jahren nicht. Im vergangenen Jahr hat die Stromerzeugung um die 25% zum Endpreis beigetragen, im Januar 2022 schon 37%.

Die Kosten des Stromtransports sowie Steuern, Abgaben und Umlagen machten 2021 drei Viertel der Strompreis-Zusammensetzung aus, ab 2022 schon 63% Prozent. In diese Entwicklung gehen die höheren Netzentgelte ein: Die Stromanbieter müssen den Netzbetreibern bezahlen, dass sie ihre Leitungen zur Verfügung stellen. Diese sogenannten Netzentgelte sind angestiegen, weil die Energiewende – Vorrang für regenerative Energien – auch enorme Investitionen in die Netze verlangt.

Für die Preisexplosion ist neben der aktuellen Knappheit dieser Ware auch eine Besonderheit der Ware »elektrische Energie« verantwortlich. Ihr Preis wird auf Produktbörsen ermittelt und erreicht die Verbraucher*innen durch Netze. Und seit 2003 gibt es einen weitgehend freien europaweiten Markt für elektrische Energie, der von Angebot und Nachfrage bestimmt wird, der aber dennoch staatlichen Regeln unterworfen ist. Eine entscheidende Regel: Die Stromversorgungsunternehmen müssen ihren Strom an der Börse als erstes bei Produzenten von Wind- und Solarstrom einkaufen, dann bei Betreibern von Atomkraftwerken und schließlich bei solchen von Kohle- und Gaskraftwerken.


Strom ist eine europäische Ware

Bis 1998 war der Strommarkt in Deutschland strikt reguliert. Regionale Unternehmen erzeugten und verteilten den Strom, den die Stadtwerke dann den Kund*innen in Rechnung stellten. Dann öffnete Deutschland auf Druck der neoliberalen Kräfte in der EU den Markt, und seitdem gibt es Erzeuger*innen, Händler*innen, Netzbetreiber, Großkund*innen und Privatkund*innen. Bis in die 1990er Jahre wurde die Stromversorgung auch in Europa in der Regel von nationalen oder regionalen staatlichen Monopolisten organisiert, die den Strom in ihren eigenen Kraftwerken herstellten, ihn transportierten und den Endkunden verkauften.

Nachdem zuerst Margaret Thatcher den Stromsektor in Großbritannien zu privatisieren begonnen hatte, startete wenig später auch die EU die Liberalisierung dieses Marktes. Der Staat reguliert allerdings weiter die Übertragungsinfrastruktur, da der Aufbau konkurrierender Hochspannungsleitungen als ökonomisch wenig sinnvoll beurteilt wird.

Strom ist zur Ware geworden, Preise und Mengen werden auf dem europäischen Markt gehandelt. Derzeit kaufen Großkunden, also Industrieunternehmen oder Stadtwerke, etwa die Hälfte des Stroms – meist über spezialisierte Broker – direkt bei den Erzeugern ein, jedoch mit abnehmender Tendenz. Volumen, Preise und Vertragslaufzeit bleiben dabei vertraulich. Die andere Hälfte wird an der Strombörse gehandelt. Hier sind die Vertragskonditionen öffentlich einsehbar, ähnlich wie die Kurse an den Aktienbörsen.

Das bedeutet: Wenn Strom besonders knapp ist – wie im Moment –, dann ist es vor allem die fossile Stromproduktion, die zusätzlich nachgefragt wird. Denn Wind- und Sonnenstrom sind ja bereits verkauft und Kernenergie ebenfalls. Auf diese Weise entsteht der Strompreis an der Börse durch Kohle- und am Ende durch Gaskraftwerke. Und Kohle und vor allem Gas sind seit dem Ukraine-Krieg knapp und extrem teuer – deshalb ist es der daraus hergestellte Strom auch. Der Hauptverursacher für den aktuellen Krisenprozess wird schnell ausgemacht, trifft aber die Verhältnisse nicht: Der Angriff Russlands auf die Ukraine und die ständige Reduktion russischen Gases, das nach Europa fließt, ist nur ein Faktor unter anderem.

Die Festsetzung des Stromes als Ware geht nur mit einem Regulationssystem auf. Das bisherige Regulationssystem ist durch die Krisenfaktoren unterlaufen worden. Am Strommarkt bestimmt bislang dasjenige Kraftwerk den Preis, das gerade noch die letzte Einheit Strom produziert. Oft sind das in Europa fossile Kraftwerke, die mit Erdgas oder Kohle betrieben werden. Beide Rohstoffe sind durch den unvollständigen Transformationsprozess in Richtung regenerative Energien, sowie den Krieg und die erratische Lieferpolitik Russlands viel teurer geworden – Erdgas hat gerade wieder einen Rekordwert erreicht

Den Preis, den Stromanbieter an der Strombörse bezahlen müssen, um kurzfristig an Strom zu kommen, richtet sich immer nach der teuersten Herstellungsart, die noch benötigt wird, um die Nachfrage zu bedienen – also oft nach Strom aus Gaskraftwerken.

Warum ist Strom der Strom europaweit so teuer? Der Grund: An den Strombörsen gibt es einen Einheitspreis – und der wird durch die teuerste Art der Erzeugung bestimmt, die gerade noch gebraucht wird, um den Bedarf zu decken. An der Strombörse wird der Preis mithilfe des Einheitspreisverfahrens bestimmt. Bei diesem bestimmt das letzte Gebot, das einen Zuschlag erhält, den Strompreis. Der Merit-Order-Effekt ist die Verdrängung von Kraftwerken mit hohen Grenzkosten durch Kraftwerke mit geringeren Grenzkosten. Dies wurde insbesondere durch den Ausbau der erneuerbaren Energien sichtbar: Bei hohem Ertrag von Wind- und Solarstrom geht die Restlast zurück und das dann aktive Grenzkraftwerk, üblicherweise ein thermisches Kraftwerk, das den Marktpreis bestimmt, hat bei so einem Systemzustand niedrigere variable Kosten.

Anders ausgedrückt: Schmeißen die Versorger ein Gaskraftwerk an, um mehr Strom zu liefern, kostet nicht nur dieser Strom enorm viel, sondern auch der Strom, den alle anderen Kraftwerke liefern. Was auf den ersten Blick bizarr erscheint, macht aber durchaus Sinn. Tatsächlich profitierten die Verbraucher*innen jahrelang von diesem Mechanismus, der »Merit Order« heißt. Gegenwärtig werden aber durch die »Merit Order« nicht die grünen Energieträger bevorzugt, sondern die Preise der fossilen Rohstoffe nach oben getrieben. Auch wenn Kohle und insbesondere Gas sich stark verteuern, scheint die Sonne weiter zum Nulltarif, und auch der Wind weht »gratis«. Tatsächlich stammten im ersten Halbjahr 51,6% der deutschen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien.


Teuerstes Kraftwerk bestimmt den Preis

Die einheitliche Regelung namens Merit-Order-Prinzip besagt, dass das teuerste Kraftwerk, das noch benötigt wird, um den Bedarf zu decken, den Strompreis bestimmt. Diesen Preis können also auch alle anderen, günstigeren Anbieter vereinnahmen. Daher machen diese zurzeit extreme Windfall-Profite.

In Folge der Liberalisierung bei der Ware Strom kam es zu einer Konsolidierung im Strommarkt, es bildeten sich einige große, europaweit tätige Anbieter wie RWE und E.On in Deutschland sowie EDF in Frankreich. So lagerte beispielsweise E.On 2016 die Stromerzeugung in herkömmlichen Kraftwerken mit Erdgas und Kohle in die Firma Uniper aus und fokussiert sich seither auf Vertrieb und Netze. RWE dagegen legt den Schwerpunkt auf die Stromerzeugung. Entsprechend konnte RWE jüngst von den gestiegenen Preisen profitieren und hat zum Halbjahr die Gewinnprognose für 2022 kräftig erhöht.

Selbst Finanzminister Linder will diese Entwicklung nicht länger hinnehmen: »Wir haben an den Strommärkten Spekulation«, kritisierte er, »und wir haben an den Strommärkten Regeln, die eine Art politisch gemachten Rendite-Autopiloten etabliert haben«. Dieser Rendite-Autopilot müsse jetzt abgeschaltet werden

Die Preisbildung auf dem europäischen Strommarkt funktioniert nach einem europaweit einheitlichen Prinzip. Dabei kommen immer die Kraftwerke zuerst zum Zug, die den günstigsten Preis anbieten können. Lange Jahre führten die Atomkraftwerke diese Einsatzreihenfolge an. Es folgten die Braun- und Steinkohlekraftwerke. Strom mit dem Verbrennen von Erdgas oder gar Öl zu produzieren, war schon immer das teuerste traditionelle Verfahren.

Das Ziel des »Merit-Order-Verfahren« ist es, die Anbieter mit den günstigsten, effizientesten Verfahren zu belohnen und deren Produktion zu fördern. Gleichzeitig sollen aber auch die teureren Kraftwerke, die letztlich eine sichere Stromversorgung gewährleisten, im Markt gehalten werden. Das hat in der Vergangenheit gut funktioniert – und tendenziell auch den Börsenpreis gesenkt. Insbesondere die Anbieter Erneuerbarer Energien tragen dazu bei – wenn denn der Wind weht und die Sonne scheint. Je mehr Ökostrom eingespeist wurde, desto weniger teure Kraftwerke wurden gebraucht.

Doch was als durchaus gute Idee gelten kann, ist im Zuge der Energiekrise des Jahres 2022 zum Problem geworden. Denn die teuersten Kraftwerke – die Gaskraftwerke – sind angesichts der Explosion der Gaspreise noch teurer geworden. Und Strom aus Gas wird immer noch gebraucht. Zuletzt stammten noch rund 10% des verbrauchten Stroms aus Gaskraftwerken. Und deren Kosten schlagen dank des Merit-Order-Prinzips voll auf den Börsenpreis durch.

Zu Recht richtet sich die Kritik auf die grundsätzliche Fehlsteuerung am Strommarkt. Den stark gestiegenen Gewinnen der Betreiber von Windrädern, Solaranlagen und Kohlekraftwerken werden durch wachsende Entlastungspakete für die Verbraucher ergänzt: »Am Strommarkt hat die Politik einen Profit-Autopiloten eingerichtet.« Auf Grund der geltenden Regeln würden die Produzenten von Solar-, Wind- oder Kohlestrom automatisch so bezahlt, als hätten sie teures Gas gekauft. »Die Gewinne steigen zu Lasten der Verbraucher Milliarde um Milliarde.« Weil der Regelmechanismus die Preise derzeit aber so heftig nach oben treibt, müssen die Endverbraucher*innen bei den extrem hohen Strompreisen entlastet werden und es muss der Regelmechanismus überprüft werden.


Weniger Wettbewerb

Traditionell stehen Stromanbieter im Wettbewerb um den günstigsten Strom für ihre Kund*innen. So mancher, der seinen Strompreis zwischendurch erhöhte, musste damit rechnen, dass Kund*innen einfach zu einem günstigeren wechselten.

Doch dieser Mechanismus ist aktuell eingeschränkt: Denn immer weniger Stromanbieter schaffen es, die höheren Einkaufskosten beim Strom zu finanzieren und Kund*innen noch ein günstiges Angebot zu machen. Anfang des Jahres gab bereits erste Insolvenzen und Stromanbieter, die ihre Bestandskunden nicht mehr beliefern konnten. Selbst die vier großen Grundversorger EnBW, Eon, RWE und Vattenfall stehen offenbar unter Druck. Noch ist kein Ende dieser Verteuerungen absehbar.

Anbieter, die sehr kurzfristig Strom nachkaufen mussten (Day-Ahead-Markt), kostete das im Dezember 2021 im Durchschnitt 222 Euro pro Megawattstunde (22,2 Cent pro Kilowattstunde). Das ist fast viermal so viel wie in normalen Zeiten.

Seit über einem Jahr haben wir steigende Preise am Strommarkt. Der erste Preissprung war schon im Juni 2021, ein zweiter folgte im September 2021 und ein dritter mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine. Die Preise ziehen nicht nur in Deutschland, sondern europaweit an. Wir haben auch eine Stromknappheit in Frankreich, weil dort ungefähr die Hälfte der Atomkraftwerke aufgrund von Wartungsarbeiten oder Korrosion nicht am Netz sind.


Mehrere Preistreiber

Das System des Autopiloten in Zeiten von Energieknappheit ist der wesentliche Preistreiber am Strommarkt. Neben dem Klimawandel – Wassermangel etc. – kommt die aktuelle Häufung technischer Probleme bei den französischen Atomkraftwerken, die wegen Wartungsarbeiten derzeit nur rund die Hälfte der installierten Leistung liefern können. Auch die derzeitige Dürre wirkt preissteigernd, insbesondere weil der Kohletransport über die Flüsse angesichts der niedrigen Pegelstände behindert wird, und daher weniger Kohlestrom angeboten werden kann.

Bei den Stromkunden schlagen die hohen Preise glücklicherweise nicht im vollen Ausmaß durch. Denn die Energieversorger kaufen große Mengen langfristig zu festen Preisen ein. Am Terminmarkt der Strombörse EEX ist dies für bis zu sechs Jahre möglich. Aber der Anteil teureren Stroms nimmt naturgemäß schon seit einiger Zeit zu. Die Stromrechnung wird also mittelfristig signifikant höher ausfallen.


Strompreise sollen unabhängiger vom Gaspreis werden

Um die Verbraucher*innen zu schützen, will die Politik daher den Strommarkt reformieren. Die Kritik von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezieht sich auf die Merit-Order, weil diese die Erdgaspreise mit den Strompreisen »verknüpft«. Diese Verbindung soll nun gekappt werden. Es werden verschiedene andere Lösungsmodelle diskutiert. Insbesondere wird ein Mechanismus gesucht, der die Endkundenpreise für Strom vom steigenden Gaspreis entkoppelt. Schon vor einer tiefgreifenderen Reform des Strommarktes, von der Leyen für Anfang 2023 ankündigte, soll es ein »Notfallinstrument« geben, das schon in den nächsten Wochen greift.

Denkbar wäre eine künstliche Verbilligung des Gases, das für die Stromerzeugung verwendet werden muss, was auf eine Subventionierung der teuren und CO2-kritischen Gaskraftwerke mit Steuergeldern hinausliefe. Ein anderer Ansatz zielt auf die viel diskutierten »Übergewinne« der günstigeren Anbieter von Kohle- oder Ökostrom, die man auf die Verbraucher*innen umverteilen könnte – was wiederum eine alte Diskussion aufrührt und teils den Absichten des EEG widersprechen würde.

Brüssel will nun einen Teil der Windfall Profite (auch als »Übergewinn« bezeichnet) abschöpfen und an die unter den hohen Strompreisen leidenden Konsument*innen weitergeben, wie aus einem Papier der EU-Kommission hervorgeht. Die Mitgliedstaaten sollen demnach nicht nur mit Stromsparprogrammen, analog zu der jüngst beschlossenen Nachfragereduktion bei Erdgas, dämpfend auf die Preise einwirken, sondern auch einen Teil der derzeit hohen Gewinne bei den Produzenten von erneuerbaren Energien abschöpfen.

Die Risiken direkter Intervention liegen auf der Hand: Wird der Preis künstlich gesenkt, ist das nicht nur sehr teuer, sondern kann auch dazu führen, dass Konsument*innen ihren Stromkonsum ausweiten und das Problem so verschärfen. Ferner wird die Produktion von Strom aus erneuerbaren Quellen wohl auch nicht gerade attraktiver, wenn er stärker besteuert wird.

Der Problemdruck ist also bei der europäischen Kommission angekommen: Sie will angesichts der hohen Energiepreise die Regeln des Strommarkt überarbeiten. »Die in die Höhe schießenden Strompreise zeigen gerade aus verschiedenen Gründen die Grenzen unseres jetzigen Strommarktdesigns auf«, sagte von der Leyen. Das System sei für andere Umstände entwickelt worden und nicht mehr zweckmäßig. Die Kommission arbeite an einer »Sofortmaßnahme und an einer strukturellen Reform des Strommarkts«. Die explodierenden Strompreise zeigten jetzt die Grenzen des »derzeitigen Strommarktdesigns«. Es müsse kurzfristig eine Politik der Dämpfung und mittelfristig eine grundlegende Reform durchgesetzt werden.

Wie ließe sich die aktuelle Situation lindern? Statt Kompensationspakete zu schnüren wäre die bessere Idee: »Spanien hat den Gaspreis gedeckelt. So müssen die Kraftwerksbetreiber nicht mit den wahren Grenzkosten Strom anbieten. Die Differenz in den Betriebskosten wird aus der Staatskasse erstattet.«

Die Regierungen von Frankreich und Spanien drängen schon lange auf eine grundlegende Reform – am besten mit einem europaweiten Preisdeckel, den es bisher nur in ihren eigenen Ländern gibt. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagt: »Wir schlagen einen automatischen Preisstabilisator vor. Der in dem Moment wirksam wird, in dem die Preise über ein bestimmtes Niveau steigen – sodass verhindert wird, dass ein Preisanstieg für die Stromerzeuger quasi direkt weitergegeben wird an die Netzbetreiber und schließlich an die Privatkunden und Unternehmen.« Es wäre eine grundlegende Reform des Strommarktes, bei dem am Ende möglicherweise die EU die Kosten der gedeckelten Preise tragen würde.

Langfristig wiederum kann nur eines helfen: Die Energiewende wirklich anpacken. Bei der Energiewende lag der Schwerpunkt der letzten Regierungen zu sehr auf dem Ausstieg aus den fossilen Energien. Tatsächlich brauchen wir aber zuerst den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien, bevor wir aus den fossilen Energien aussteigen können.

Das Merit-Order-Modell ist nur zur Berechnung kurzfristiger Effekte geeignet, nicht aber zur Berechnung langfristiger Auswirkungen, weil sich durch erneuerbare Energien längerfristig die Zusammensetzung des Angebots an konventionellen Kraftwerken ändert. Die hohen Investitionskosten für Stromerzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien bleiben in dem alten System ungenügend abgebildet.

Mittel- bis langfristig ist damit zu rechnen, dass die derzeitige Preisfindung nach Merit-Order ergänzt werden muss. Bei einem Einkommen, das allein auf der gelieferten Arbeit beruht, fehlt der Anreiz zum Aufbau und Halten von Reservekapazitäten mit geringer Auslastung. Daher wird über die Gestaltung von Kapazitätsmärkten nachgedacht, die eine leistungsbezogene Vergütung ähnlich dem Regelleistungsmarkt bietet.

Die Erneuerbaren Energien, vor allem also Strom aus Wind- und Solarkraftwerken, spielen eine Sonderrolle. Unter dem Schutz des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG), das eine vorrangige Berücksichtigung dieser Strommengen in der Merit Order vorschreibt, sind die Verfahren immer kostengünstiger geworden. Wind und Sonne zählen heute, je nach Berechnungsmethode, zu den günstigsten Stromlieferanten.

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