Claus-Jürgen Göpfert
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Rechte und rassistische Gewalt in den 1980er-Jahren: gesellschaftliche Bedingungen und staatliche Reaktionen
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Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
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Heiner Karuscheit
Der deutsche Rassenstaat
Volksgemeinschaft & Siedlungskrieg:
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160 Seiten | € 14.80
ISBN 978-3-96488-237-0

12. Mai 2025 Redaktion Sozialismus.de: Zum Linken-Parteitag in Chemnitz

»Die Hoffnung organisieren«

Unter diesem Leitthema hielt die Partei Die Linke ihren Bundesparteitag ab, auf dem es schwerpunktmäßig um die Auswertung des Wahlerfolgs bei den Bundestagswahlen im Februar und die Schlussfolgerungen für die zukünftige Arbeit ging. Die mehr als 500 Delegierten stimmten mit großer Mehrheit dem Leitantrag »Wir sind die Hoffnung« zu, der die Schwerpunkte auf die Themen Verbraucherpreise, Mieten und Steuern legt.

Die Parteiführung sieht die weitere Zukunft darüber hinaus in einer programmatisch-strategischen Reform: Die Linke soll »zu einer kraftvollen sozialistischen Mitgliederpartei für das 21. Jahrhundert« weiterentwickelt werden, »die auch jenseits von Wahlen in der Lage ist, Kampagnen durchzuführen und sogar zu gewinnen«.

Diese Betonung der Kampagnenfähigkeit, das deutliche Gewicht auf den Alltagsproblemen und die ersten Schritte einer Organisationsreform sind unbestreitbar eine Erdung für die komplizierteren Aufgaben einer sozialistischen Partei. Die zentrale Herausforderung bleibt: Wie kann den starken rechts-radikalen Parteien in den kapitalistischen Hauptländern ihre Massenverankerung eingegrenzt und zurückgedrängt werden?

Die AfD organisiert in Deutschland auf dem Boden von Unbehagen und Ressentiments Hass und rechte Gewalt. Die SPD hat das Ziel einer nichtkapitalistischen Gesellschaft längst aufgegeben, ruht sich auf den schlechtesten Stimmergebnissen ohne selbstkritische Analyse aus, schiebt viele Anhänger*innen ihres linken Flügels ins Abseits und organisiert sich eine Regierungsbeteiligung.

Die Linke aber will die Hoffnung organisieren, die so viele Menschen im ganzen Land neu in diese Partei gesetzt haben, erklärt die Ko-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Heidi Reichinnek. Sie will wieder da sein für die Menschen, will sich kümmern, mit Haustürgesprächen auch ohne Wahlkampf, mit Sozialsprechstunden auch auf dem Land.

Ko-Parteichefin Ines Schwerdtner argumentiert, die neuen Mitglieder müssten auch geschult werden in den Grundlagen des demokratischen Sozialismus. »Wir sagen, wir sind eine organisierende Klassenpartei. Das heißt, unsere Mitglieder sollten eine Vorstellung davon haben, was bedeutet das?«


Kapitalismus überwinden, aber wie?

Schwerdtner, Reichinnek und auch der frühere thüringische Ministerpräsident und jetztige Vizepräsident des Deutschen Bundestags, Bodo Ramelow (letzterer unter Bezug auf die Aussage des verstorbenenes Papstes »Diese Wirtschaft tötet« und der Mahnung für Bündnisfähigkeit), bekannten sich zu dem Ziel, den Kapitalismus letztlich zu überwinden. Das sei keine Phrase, so Schwerdtner, »das ist der Glutkern unserer Politik.«

Reichinnek interpretiert: »Ja, wir wollen ein Wirtschaftssystem abschaffen, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.« Dieses System habe mit Demokratie nichts zu tun. »Und wenn es radikal ist zu fordern, dass alle Menschen das bekommen, was sie zum Leben brauchen, wenn es radikal ist zu fordern, dass Rechte und Freiheiten für alle gelten und niemand ausgegrenzt oder angefeindet wird, ja, dann sind wir radikal.«

Allerdings bleibt es in Chemnitz bei Vorsätzen, also nicht um die großen Themen, es gibt keine Wahlen (mit Ausnahme der Schieds- und Finanzrevisionskommissionen), kein neues Parteiprogramm. Aber einen wiederum zu langatmigen Leitantrag und einen neuen Sound, zu dem zwei Formulierungen gehören: Die Linke betont stark den Sozialismus als tragendes Konzept und sich selbst als sozialistische Partei.

Der Kapitalismus führe zu ungleicher Verteilung von Vermögen, den man deshalb überwinden müsse (Schwerdtner). Und daran schließt sich die Formulierung »Reiche und Mächtige« für diejenigen an, gegen die man vorgehen will. Dabei habe man nichts gegen ein bisschen Reichtum, man habe nichts gegen Menschen, die eine Million oder zwei besitzen, meint Parteichef van Aken. Aber Milliardäre müsse es nicht geben. Diesen unverhältnismäßigen Reichtum habe keine einzelne Person verdient, sondern immer die arbeitende Bevölkerung, der ein größerer Anteil daran zustehe.

Aus neuen Mitgliedern Genoss*innen machen, das bleibt das zentrale Anliegen. Dazu gehören Seminare über die Geschichte der Partei oder über konkrete Argumente, wenn es um Kernforderungen der Partei geht: Wer profitiert unter welchen Bedingungen von einer Vermögenssteuer oder dem Mietendeckel?

Dass die Delegierten des Parteitags vor dem Hintergrund des erreichten Wiedereinzugs in den Bundestag mit 8,8% und insgesamt 64 Abgebordneten in Fraktionsstärke auf der einen Seiten und dem Zugewinn von 55.000 Neumitgliedern seit Jahresbeginn (16.000 in ostdeutschen und 39.000 in westdeutschen Landesverbänden) dies und das Spitzenpersonal ausgiebig feierten, war zu erwarten. Ebenso erfreulich war, dass der Parteitag im Unterschied zu manch vorhergehenden ausgesprochen konzentriert und diszipliniert arbeitete. Insofern kann davon gesprochen werden, dass dieser Teil der neuen politischen Debattenkultur umgesetzt wurde.

So hatte vor allem die Antragskommission dafür gesorgt, dass wichtige Passagen aus ergänzenden Vorschlägen zur Präzisierung des Leitantrags übernommen wurden. Dass allerdings in der Generaldebatte nur die wenigsten Redner*innen Bezug darauf und damit auf die politischen Herausforderungen, vor denen das Land und auch die Partei stehen, nahmen, an dieser Facette von Analyse- und Diskussionskultur muss weitergearbeitet werden. Und sicherlich müssen strategische Lücken geschlossen und teilweise wenig präzise Analysen der nationalen wie internationalen Verhältnisse genauer bestimmt werden.

Auch die vier Reden der Partei- und Fraktionsvorsitzenden stellten vor allem die erreichten Erfolge in den Vordergrund und orientierten in erster Linie auf zukünftige Landtags- und vor allem Kommunalwahlen. Zu Recht stellte etwa Jan van Aken heraus, dass in zukünftigen vor allem Kommunalwahlkämpfen konkrete Forderungen zum Mietendeckel wichtige Anknüpfungspunkte dafür existieren, um nicht nur Hoffnungen zu organisieren, sondern auch konkrete Erfolge zu erreichen. Ob das gleich zu einer ersten Regierenden Bürgermeisterin in Berlin reichen wird, wie Heidi Reichneck in Aussicht stellte, auch dafür müssen sicherlich noch einige Konkretisierungen erfolgen.


Kontroverse Debatten nicht aufschieben

Die Herausforderungen, vor denen sowohl die Partei mit den vielen neu hinzugewonnenen vor allem jüngeren Mitgliedern als auch die Bundestagsfraktion mit ebenfalls vielen Abgeordneten steht, die keine parlamentarische Erfahrungen haben, wurden sowohl in den Reden von Ines Schwerdtner, die von einer »lernenden Partei« sprach, als auch vom Ko-Fraktionsvorsitzenden Sören Pellmann angesprochen. Was das dann aber konkret heißt, müsste zügig präzisiert werden. Die nach wie vor rhetorisch gern bemühten Floskeln einer »organisierenden Klassenpartei« oder auch häufig bemühten Formeln »antifaschistischer« Wirtschafts-, Sozial- oder neuerdings auch Wissenschaftspolitik helfen da nicht weiter.

Bis zum Jahr 2027 soll die Partei »einen Programmprozess abschließen«, das 2011 in Erfurt beschlossene Parteiprogramm soll »an einigen Stellen im Heute verankert« werden. Dass man allerdings schon vorher Antworten auf neue Fragen und schon bisherige Konflikte finden muss, machen diverse Redebeiträge und teilweise Beschlüsse in Chemnitz deutlich. Sowohl was das Abstimmungsverhalten der an Landesregierungen in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat zur Grundgesetzänderungen in Sachen Schuldenbremse und Aufrüstung betrifft, als auch die Zustimmung der linken Bundestagsfraktion zur Durchführung eines zweiten Wahlgangs des Bundeskanzlers gab es teilweise Wortmeldungen, die hart an der Grenze dessen waren, die einen solidarischen Umgang miteinander markieren.

Und gelegentlich konnte man auch den Eindruck gewinnen, dass manche Delegierte noch immer die Transformation der Sowjetunion in einen autoritären Kapitalismus Russlands nicht wahrhaben wollen. Insofern muss auch hier weiter diskutiert werden, was es denn heißt, Die Linke bleibe eine Friedenspartei, die »bedingungslos für das Völkerrecht und den Schutz derjenigen« eintrete, »die unter den Kriegen dieser Welt leiden« und wie da die Differenzen in der Partei bewegt werden sollen.

Insbesondere gilt das in der Israel-Palästinafrage und damit auch indirekt zum Thema Antisemitismus. Zu den weniger angenehmen Seiten in Chemnitz gehörte, dass die Delegierten kurz vor dem Ende der Konferenz eine höchst umstrittene Resolution zum Thema verabschiedeten. Die Mehrheit dafür war knapp: 213 Delegierte stimmten dafür, 181 dagegen, 48 enthielten sich. Zuvor hatte sich Jan van Aken deutlich dagegen ausgesprochen, die Erklärung »Antisemitismus, Repression und Zensur bekämpfen – Jerusalemer Erklärung umsetzen, tragfähiges Fundament schaffen!« zu beschließen. Er empfahl eine Ablehnung des Antrags, weil sich der Parteitag im Oktober in Halle ausdrücklich auf keine Antisemitismusdefinition festgelegt habe. »Ich bin dagegen, dass wir qua Parteitagsbeschluss eine wissenschaftliche Debatte beenden, das können wir nicht tun.«

Es bleibt also noch einiges an politischen und theoretischen Debatten zu führen, die nicht bis 2027 aufgeschoben werden sollten. Denn Hoffnungen müssen nicht nur organisiert, sondern sie dürfen auch nicht enttäuscht werden.

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