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1. Juli 2016 Hinrich Kuhls: Die britischen Rechtsparteien vor dem Umbruch

GB: »Nervenzusammenbruch des politischen Systems«

Im britischen Parteiensystem legt sich der Fallout der politischen Kernexplosion Brexit auf alle Parteien. Er durchdringt nicht nur die Konservative Partei und die Labour Party, sondern selbst die Partei, die als Gewinner aus dem Brexit-Referendum hervorgegangen ist, die United Kingdom Independence Party (UKIP). Das Wochenmagazin The Economist titelt: »Anarchie im UK«.

Aus dem Nichts heraus ist Britannien zum »kranken Mann am Rande Europas« geworden. Die Buchverluste in den ersten beiden Börsentagen nach dem Brexit beliefen sich weltweit auf fünf Billionen US-Dollar. Vier Millionen BritInnen haben innerhalb einer Woche nach dem Referendum eine Petition unterzeichnet, mit der eine Wiederholung der Volksabstimmung gefordert wird. Die schottische Ministerpräsidentin führt mit der EU-Kommission Eruierungsgespräche über die Fortsetzung der EU-Mitgliedschaft der unselbständigen Region Schottland, während gleichzeitig nach 43 Jahren erstmals der Europäische Rat ohne den britischen Premier zusammenkommt.

David Cameron hat seinen Rücktritt angekündigt, Jeremy Corbyn sieht sich einer Abwahlattacke seitens der Mehrheit seiner Labour-Fraktion gegenüber. In der Primeminister Question Time, einer traditionellen Gepflogenheit des Unterhauses, wird als lahme Ente ein Premier, der faktisch den Bettel abgegeben hat, von einem Oppositionsführer befragt, dessen eigentlichem Gegenspieler er nicht auf der Regierungsbank in die Augen schaut, sondern der als Opposition aus den eigenen Reihen ihm im Nacken sitzt. Und der UKIP-Vorsitzende Nigel Farage wird vom Großfinanzier und Mitbegründer dieser rechtspopulistisch-nationalistischen Partei als unfähig angesehen, die politische Form des britischen Rechtspopulismus entsprechend ihres großen Zulaufs angemessen weiter zu entwickeln.

Die in den letzten Jahren erstarkte UKIP hat die Konservative Partei in ihre heftigste Krise gestürzt. Das deutete sich schon bei der Festlegung des Brexit-Termins Ende Februar an, unmittelbar nach Abschluss der Verhandlungen zwischen der Regierung des Vereinigten Königreichs und dem Europäischen Rat über die Neuregelung der Position Britanniens in einer »reformierten Union«. Während der Brexit-Kampagne ist dann die Spaltung der Konservativen Partei in einen neoliberalen und rechtspopulistischen Flügel zunehmend schärfer geworden. Der Riss geht quer durch Mitgliedschaft, Parlamentsfraktion und Kabinett hindurch, auch nach dem Referendumstag.


Wer ersetzt Cameron als Tory-Vorsitzenden?


Nachdem Cameron sofort mit Bekanntgabe des Brexit-Ergebnisses seinen Rücktritt angekündigt hatte, hat sich der Krisenmodus dieser Partei verstärkt. Schnell ist deutlich geworden, dass das Austrittslager – sowohl in der Konservativen Partei als auch bei den Rechtspopulisten und bei linkssektiererischen Kleingruppen – keine realistische Perspektive für ein Britannien außerhalb der Europäischen Union vorzuweisen hat. Das laute gesellschaftliche Nein dröhnt jetzt in den Ohren jener, die es evoziert haben.

Die Bewerbungsfrist für Kandidaturen für den Tory-Parteivorsitz und damit für das Amt des Premierministers war knapp bemessen und endete am 30. Juni. Die Endauswahl der beiden Kandidaten, aus denen dann die 150.000 Mitglieder der Konservativen Partei die Vorsitzende oder den Vorsitzenden per Briefwahl wählen, wird von den Abgeordneten der Tory-Parlamentsfraktion vorgenommen. Das Ergebnis der Wahl soll am 7. September bekannt gegeben, zwei Tage später die neue Regierung  installiert werden. Der Parteitag der Konservativen ist für Anfang Oktober geplant. Abgesprochen ist, dass der oder die neue PremierministerIn das Verfahren nach Artikel 50 des EU-Vertrags zur Einleitung des Austrittsverfahrens erst zum Januar 2017 beim Europäischen Rat beantragen wird.

Die beiden aussichtsreichsten BerwerberInnen sind der jetzige Justizminister Michael Gove und die Innenministerin Theresa May. Beider Kandidatur hat den Vorteil, dass bei ihrer Wahl die neue Regierung nicht durch eine Parlaments-Neuwahl legitimiert werden müsste, da sie auf dem Cameron-Ticket ins aktuelle Parlament gewählt worden sind.

Gove hatte sich frühzeitig dafür entschieden, die Brexit-Kampagne zu unterstützen. Neben Boris Johnson war er das Aushängeschild der offiziellen Out-Kampagne; es war erwartet worden, dass er eine Kandidatur Johnsons unterstützen würde. Der wichtigste Aspekt seiner Begründung für die eigene Kandidatur lief darauf hinaus, dass er Johnson für unfähig hält, als Teamplayer eine Regierung zusammenstellen zu können – eine aufschlussreiche Beurteilung sowohl seines eigenen Agierens als Regierungsmitglied als auch der Fähigkeiten seines Out-Kampagnen-Partners, mit dem er zusammen seine Kollegen in der Regierung als Angstmacher lächerlich zu machen versucht hatte.

Am aussichtsreichsten ist die Kandidatur der seit 2010, also seit der ersten Regierung Cameron, als Innenministerin amtierenden nationalkonservativen Theresa May. Nachdem sie anfangs mit der Brexit-Kampagne geliebäugelt hatte, hat sie den gegenüber Johnson diametral entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Sie hat ihre ursprüngliche Anti-EU-Orientierung im Herzen bewahrt, ihre Unterstützung der Position Camerons für den Verbleib zu Protokoll gegeben und während der gesamten Kampagne geschwiegen. Jetzt schließt sie sich dem Siegesruf der Rechtspopulisten an: »Brexit ist Brexit«.

In ihrer Amtszeit ist May durch eine harte Linie gegenüber der Einwanderung aufgefallen. Sie hat eine erhebliche Verschlechterung der Studienbedingungen ausländischer Studierender durchgesetzt. Wenn sie an ihrer harten Position der Kontrolle der Immigration und vor allem der Beschränkung der EU-Immigration festhalten und sich das als Bestandteil ihres Verhandlungsmandats ausbedingen sollte, dann würde das für die Exit-Verhandlungen bedeuten, dass das Vereinigte Königreich auch nicht die geringste Chance haben würde, weiterhin zum Binnenmarkt Zugang zu haben. Für die Handelsbeziehungen zwischen dem UK und der EU würden dann die ganz allgemeinen Regeln der Welthandelsorganisation WTO zur Anwendung kommen.


Johnsons »Verzicht« auf eine Kandidatur

Als Überraschung war zu vermelden, dass der weithin als Favorit gehandelte Boris Johnson nach der Eigenkandidatur seines Kampagnen-Weggefährten Gove sein persönliches »Leave« vollzogen hat. Wortreich kündigte er an, dass er seine Kandidatur nicht anmelden wird – aufgrund der zu erwartenden Probleme der neu zu bildenden Tory-Regierung eine weise Entscheidung.

Gleichwohl lässt sich die Vermutung nicht ganz aus den Weg räumen, dass es sich hier um eine weitere Inszenierung des Gespanns Gove-Johnson handelt. Eine Dolchstoßlegende – der böse Gove vernichtet die Kandidatur seines beim rechten Publikum beliebten politischen Gefährten Johnson durch üble Nachrede - macht sich immer gut für die Begründung eines abrupten Wechsels in der politischen Karriere, zu welchem Zeitpunkt auch immer.

Jeremy Corbyn hatte gleich anfangs seiner Zeit als Oppositionsführer darauf gedrängt, das politische Feld, insbesondere die parlamentarische Bühne, zu ent-theatralisieren – dieses Spiel von Eigenkandidatur auf der einen Seite und Rückzug der allseits erwarteten, aber nie ausgesprochenen Kandidatur auf der anderen Seite wäre als Exempel für eine Verdeutlichung seiner These geeignet gewesen – berührte da nicht schon wie in einem Shakespeareschen Drama die Dolchspitze seiner Parteifeinde seinen Rücken.

Schon kurz vor dem Referendumstag hatte die Guardian-Kolumnistin Polly Toynbee in einer Reportage aus sozialen Brennpunkten in Labour-Hochburgen die Problematik realistisch aufgezeigt, die künftige Verhandlungen über die Migrationsfrage sowohl bei einer Entscheidung für den Verbleib als auch für den jetzt eingetretenen Fall des Austritts begleiten werden, sofern die Exit-Verhandlungen scheitern oder nicht den Erwartungen der Brexit-Anhänger entsprechen sollten: »Stellen Sie sich vor, die Brexit-Anhänger siegen, und zwei Jahre später wäre ein Premierminister Boris Johnson immer noch mit zänkischen Austrittsverhandlungen beschäftigt.«

Die Leute in den sozialen Brennpunkten »sehen keine Veränderungen, sondern immer noch die Migranten und haben das gleiche Gefühl der Ohnmacht wie jetzt. Die Rezession schlägt zu, sie sehen sich mit stärkeren Einschränkungen der Sozialleistungen konfrontiert. Die WählerInnen werden das dann nicht mehr mit ihrer törichten Entscheidung für den Brexit in Verbindung bringen. Alle alten Probleme sind ungelöst – eine Wirtschaft, die vom Finanzsektor abhängt, die Immobilienblasen, das schlechte Qualifikationsniveau, die geringe Produktivität, die verkümmerten öffentlichen Dienste, die erst angefachten, dann zunichte gemachten Hoffnungen. Gove und Johnson riskieren, die Kontrolle über die entfesselten Geister, die sie gerufen haben, zu verlieren.«

Man muss nicht die Vorahnung teilen, die Toynbee im Weiteren in wenigen Zeilen in Richtung Zunahme von Fremdenhass und nationalsozialistischen Syndromen andeutet, doch was die Skizze einer explosiven sozialen Situation in einer ökonomisch angespannten Situation aufgrund erfolgloser oder unzureichender, jedenfalls die Austerität verschärfender Austrittshandlungen angeht: da dürfte sie einen starken Realitätsgehalt für sich beanspruchen können.

Dass es dann aussichtslos sein sollte, eine kurz nach dem Abschluss der Austrittsverhandlungen folgende Parlamentswahl für die Konservative Partei – sollte sie in ihrer heutigen Zusammensetzung bis dahin überlebt haben – zu gewinnen, dürfte heute auch Gove und Johnson klar sein. So greift dann ihre bewährte Arbeitsteilung. Gove bleibt im Kabinett und gibt den rechtspopulistischen Kräften eine laute Stimme, auch wenn er die Wahl zum Tory-Vorsitz gegen May als Vertreterin des neoliberal-autoritären Flügels verlieren sollte. Und Johnson wartet auf neue Aufgaben in einer neuen politischen Situation.


UKIP und die Leave.EU-Kampagne als Keim einer neuen Partei?

UKIP ist nicht nur zur drittstärksten Kraft herangewachsen, was bei Wahlen nach dem Mehrheitswahlrecht (Parlamentswahlen und Lokalwahlen) in den Hintergrund rückte, sondern schaffte es immer wieder, die Themen der politischen Debatte zu besetzen. Aus den Europawahlen 2014, durchgeführt nach dem Verhältniswahlrecht, ging UKIP mit 27% als stärkste britische Partei hervor, bei der letzten Unterhauswahl hatte sie einen Stimmenanteil von 13% erreicht und in den diesjährigen Kommunalwahlen in England ihre Wählerbasis konsolidiert. Die Anti-EU-Kampagne machte zudem deutlich, in welch großem Umfang sich die Auffassungen des euroskeptisch-rechtspopulistischen Flügels der Tories und der rechtspopulistisch-nationalistischen UKIP überlappen.

Den Rechtspopulisten gelang es, in der Anti-EU-Kampagne Vote Leave ihre beiden Kernthemen, die Frage einer angeblich eingeschränkten Souveränität durch die Brüsseler EU-Bürokratie und die Frage der unkontrollierten Migration miteinander zu verknüpfen und sie als Position der offiziellen Austritts-Kampagne mehrheitsfähig zu machen.

Der Mitbegründer von UKIP und Hauptsponsor der Austritts-Kampagne, der Versicherungsunternehmer Arron Banks, hat jetzt eine neue Partei ins Gespräch gebracht, die für Mitglieder von UKIP, der Konservativen Partei und der Labour Party offen sein soll. UKIP müsse reformiert werden, mit ihren bisherigen Strukturen könne sie nicht mit dem großen Zulauf fertig werden. Auf die Frage, ob das von Farage als UKIP-Vorsitzender umgesetzt werden könne, sagt der Hauptfinanzier, dass es gut seine könne, dass es für »Farage genug ist« und dass der jetzt errungene Erfolg ein guter Zeitpunkt für seinen Rücktritt sein könne.

Als offizielle Out-Kampagne war Vote Leave als parteiübergreifende Kampagne von der Wahlkommission bestimmt worden, sie wurde vor allem von Gove und Johnson sowie der Labour-Abgeordneten Stuart in der Öffentlichkeit repräsentiert. Leave.EU war hier unterlegen, koordinierte aber weiterhin die Brexit-Kampagne von UKIP, der Grassroots-Out-Bewegung mit europaskeptischen Tory-Abgeordneten als Aushängeschildern, von Labour Leave als Mini-Kampagne der Labour-Abgeordneten Hoey sowie mehrere kleinere Gruppen. Finanziert wurde diese Kampagne in erster Linie von Banks, der jetzt eine Summe von insgesamt 11 Mio. £ nannte, die er hineingesteckt hatte. Da die gesetzliche Ausgabengrenze in Zeitraum  der zweimonatigen offiziellen Kampagne auf 700.000 £ begrenzt war, müssen die anderen  10,3 Mio. £ zwischen Juli 2015 und 15. April 2016 ausgegeben worden sein, bevor die offizielle Kampagne begann.

Das ist plausibel, erklärt es doch die Tatsache, dass zunächst Leave.EU in der Öffentlichkeit von sich reden gemacht hatte und als offizielle Out-Kampagne gehandelt worden war. Und ihre frühzeitige Kampagnentätigkeit kann ein Grund mit dafür gewesen sein, dass die Ablehnungshaltung gegenüber EU-Einwanderern bei der Hälfte der britischen WählerInnen zum Zeitpunkt der letzten Parlamentswahl im Mai 2015 sich schon früh in einer Brexit-»Tiefenströmung« verfestigt hatte.

Banks kündigte an, das Leave.EU als eine rechte Basisbewegung aufrechterhalten werden solle und im Verhältnis zur neuen Partei eine ähnliche Rolle einnehmen solle, wie es bei der AktivistInnen-Bewegung »Momentum« und der Labour Party der Fall ist. Banks sieht Leave.EU als Pressuregroup, in der die eine Million Unterstützer und Anhänger, die sich leidenschaftlich in der Brexit-Kampagne engagiert haben, auch weiterhin aktiv bleiben. Die Aufgabe der Rechtspopulisten bestehe jetzt darin, »"durch diese Bewegung und durch UKIP auf die Konservative Partei einzuwirken, dass sie keinen Rückzieher bei den Austrittsverhandlungen macht. Ich habe nie geglaubt, dass Boris für den Brexit steht. Wir werden die Armee der Leave.EU-Aktivisten einsetzen, um die Konservativen weiterhin unter Druck zu setzen. Wir müssen dafür sorgen, dass umgesetzt wird, was entschieden worden ist. Bei uns machen viele Parteimitglieder der Konservativen mit. Wir sind in der Lage, auf die Kandidaten großen Einfluss auszuüben.«


Zukunftsperspektiven für Johnson

Wenn die Perspektive eines – in der Selbstzuschreibung – vormals erfolgreichen Bürgermeisters der Landeshauptstadt London darin liegt, dereinst in einer allgemeinen Parlamentswahl als Person ein politisches Programm zu verkörpern und erfolgreich aus einer Machtposition heraus umzusetzen, dann setzt er sich heute nicht einer Situation aus, in der die Perspektive des Austritts aus der Europäischen Union schon mit dem Scheitern des neu zusammengesetzten Tory-Kabinetts verbunden ist. Er entgeht dem unmittelbaren Druck der Rechtspopulisten, der anhalten und anwachsen wird, je mehr in den Verhandlungen deutlich wird, dass der gordische Knoten des britischen Rechtspopulismus – freier Zugang zum Binnenmarkt bei eigenständiger Kontrolle und radikaler Beschränkung der Zuwanderung aus der EU – nicht gelöst werden kann.

Das politische Kräfteverhältnis vor dem Brexit hat Johnson richtig eingeschätzt, indem er sich sofort gegen Cameron gestellt hatte. An der Seite Camerons wäre seine politische Karriere beendet gewesen, gleich wie das Referendum entschieden worden wäre. Auch die Situation nach dem Brexit schätzt Johnson richtig ein. Als britischer Verhandlungsführer der Austrittsverhandlungen hätte er nur verlieren können. Sein Rücktritt vom angestrebten Parteivorsitz zeigt an, dass es für die jetzt umzusetzende Austrittsoption nur einen ökonomisch begründeten Plan geben kann, der zugleich die soziale Situation breiter sozialer Schichten verschärft – auch jener, die sich mehrheitlich von den Rechtspopulisten repräsentiert sehen. Das von Johnson verhöhnte »Projekt Angst« seines langjährigen Weggefährten Cameron wäre jetzt von ihm als »Projekt Untergang« zu realisieren gewesen – und er kneift.

Das politische Kräfteverhältnis zum Zeitpunkt der nächsten Parlamentswahl ist unbestimmt. Nach dem Brexit-Fallout in den drei derzeit bedeutendsten britischen Parteien dürfte sich das britischen Parteisystem aber anders darstellen als heute. Das Entstehen einer neuen rechtpopulistischen Partei oder die Weiterentwicklung der UKIP mit einer neuen Massenbewegung ist eher wahrscheinlich als ausgeschlossen. Das politische Kräfteverhältnis wird aber auch dann von Boris Johnson richtig eingeschätzt werden. Die Konservative Partei wird, gleich ob jetzt der neoliberal-konservative oder der rechtspopulistische Flügel den Ton angeben wird, wegen Erfolglosigkeit nach einem weißen Ritter rufen. Doch auch eine neue politische Formation des Rechtspopulismus benötigte neben ihren programmatischen Kernaussagen als Aushängeschild einen klugen und auch bekannten Kopf. Blond ist eine Haarfarbe, die immer im Trend liegt.

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