Nix’ Klassiker und
Gramscis Geist
Dienstag, den 8.10.2024 | Dillenburg | 19:00 Uhr | Wilhelm-von-Oranien-Schule, Jahnstr. 1

Christoph Nix ist Schriftsteller, Regisseur, Strafverteidiger, Wissenschaftler, Honorarkonsul von Malawi – und noch vieles mehr. Das Multitalent kommt an seine alte Dillenburger Schule und liest aus seinen Klassikern sowie aus seinem neuesten Werk »Gramscis Geist. Ein Sardisches Tagebuch«.

Die Entzauberung eines Kanzlers
Mittwoch, den 9.10.2024 | Hamburg | 19:30 Uhr | Buchhandlung Quotes, Waitzstr. 16.

Die wahre Geschichte ist hässlicher als alle Gerüchte. In diesem Sinne stellt der VSA: Autor Torsten Teichert  seine in diesem Frühjahr erschienene Flugschrift über Olaf Scholz vor und stellt sich den Fragen des Publikums. Eintritt frei.

Michael Brie
Projekt »Schönes China«
Die ökologische Modernisierung der Volksrepublik
Eine Flugschrift
120 Seiten | € 12.00
ISBN 978-3-96488-232-5

Peter Renneberg
Handbuch Tarifpolitik und Arbeitskampf
5., aktualisierte Ausgabe
232 Seiten | € 19.80
ISBN 978-3-96488-224-0

Hans-Jürgen Urban (Hrsg.)
Gute Arbeit gegen Rechts
Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie – Ausgabe 2024
136 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-225-7

Dieter Klein
Gemeinsame Sicherheit –
trotz alledem

Überlegungen für zeitgemäße
linke Strategien
Eine Veröffentlichung
der Rosa-Luxemburg-Stiftung
232 Seiten | EUR 16.80
ISBN 978-3-96488-213-4

Giuseppe Fiori
Das Leben des Antonio Gramsci
Herausgegeben von Christoph Nix
304 Seiten | EUR 19.80
ISBN 978-3-96488-218-9

Gine Elsner
Die Ärzte der Waffen-SS und ihre Verbrechen
144 Seiten | Hardcover| € 16.80
ISBN 978-3-96488-214-1

Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

28. April 2020 Otto König/Richard Detje: Trump in der Corona-Krise

Die Schuld der Anderen

Foto: dpa

»Befreit Minnesota!«, »Befreit Michigan!«, »Befreit Virginia« und »rettet unseren großartigen zweiten Verfassungszusatz, der attackiert wird!«, twitterte Donald Trump und rief zum Widerstand gegen den von Gouverneuren der Bundesstaaten angeordneten »Shutdown« auf.

Nachdem der US-Präsident zuerst versucht hatte, die Stunde der Exekutive in der Krise für seinen längst begonnenen Präsidentschafts-Wahlkampf zu nutzen, schaltete er schnell wieder auf eine Politik organisierter Verantwortungslosigkeit und vermeintliches Eliten-Bashing um. Der Hinweis auf den 2. Zusatzartikel lässt Schlimmes befürchten – in ihm ist das Recht, Waffen zu besitzen, verfassungsrechtlich geschützt.

Trump reagierte damit wohlwollend auf die deutliche Zunahme von Waffenkäufen in etlichen Bundesstaaten im bisherigen Krisenverlauf. »Befreiung« in Wildwest-Manier? Durch Schusswaffen wurden im vergangenen Jahr in den USA 15.352 Menschen getötete und 24.090 verletzt.

Fakt ist: Die US-Administration hat sorglos und herablassend auf die Corona-Pandemie reagiert. Der US-Präsident präsentiert sich wie beim Klimawandel als Meister der Realitätsverweigerung – tatenlos, abwiegelnd, verharmlosend. Die USA ließen Wochen verstreichen, ehe die Administration reagierte. Die hohe Betroffenheit der USA durch die Corona-Pandemie hat ebenso wie die Geiselnahme von New York als deren Epizentrum der Präsident zu verantworten.

Während die Auswirkungen der Pandemie auf die US-Wirtschaft die Situation auf dem Arbeitsmarkt dramatisch verschlechtern,[1] setzen Trump und sein Wahlkampfteam auf die Strategie der »Schuld der Anderen«. Erst musste die Obama-Regierung herhalten, dann die Demokraten, schließlich wurde China verurteilt – wiederholt wurde der Covid-19 als »Chinavirus« bezeichnet, vermeintlich gezüchtet in einem Labor bei Wuhan.[2]

Spätestens seit der Lüge über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen in der Präsidentschaft von Bush I muss ein solcher Hinweis als Drohung aufgefasst werden, bei Bedarf eine Legitimation für neue Aggressionen zu schaffen. Zuletzt wurde die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an den Pranger gestellt und ein Stopp der US-Beitragszahlungen an die UN-Organisation in Genf veranlasst, mit der Begründung, diese habe zu sehr auf die Angaben aus Beijing vertraut. Dieser Logik folgend verklagt der US-Bundesstaat Missouri die chinesische Regierung sowie die Kommunistische Partei der Volksrepublik vor einem US-Gericht auf Entschädigung für erlittene Pandemie-Verluste.

Zu Erinnerung: Am 31.12.2019 haben die chinesischen Behörden die WHO über Fälle von Lungenentzündung unbekannter Ursache in Wuhan informiert. Am 8. Januar 2020 wurde der Krankheitserreger SARS-CoV-2 erstmals identifiziert, drei Tage später stellte China vollständige Genomsequenzen des neuartigen Coronavirus öffentlich zur Verfügung, teilte die genetischen Daten mit der WHO und informierte die Fachbehörden der westlichen Staaten, auch der USA.

Am 20. Januar bestätigte China aufgrund von fundierten epidemiologischen Untersuchungen die Übertragung des neuartigen Coronavirus von Mensch zu Mensch. Die Millionenmetropole Wuhan wurde abgeriegelt und noch nie dagewesene umfassende, gründliche und rigorose Quarantänemaßnahmen ergriffen.

In einem WHO-Bericht von Ende Februar ist zu lesen: »Angesichts eines bisher unbekannten Virus hat China die vielleicht ehrgeizigsten, agilsten und aggressivsten Bemühungen zur Eindämmung von Krankheiten in der Geschichte eingeführt.« Im Bericht heißt es weiter: »Die bemerkenswerte Geschwindigkeit, mit der chinesische Wissenschaftler und Experten des öffentlichen Gesundheitswesens das auslösende Virus isoliert, Diagnosewerkzeuge bereitgestellt und wichtige Übertragungsparameter wie den Ausbreitungsweg und die Inkubationszeit bestimmt haben, lieferte die entscheidende Evidenz für Chinas Strategie. So konnte wertvolle Zeit für die Reaktion gewonnen werden.«

Laut New York Times soll Trumps Berater Peter Navarro schon Ende Januar den Präsidenten gewarnt haben, dass eine Epidemie drohe, die Millionen US-Bürger betreffen könne. Ende Februar wiederholte er diese Warnung mit dem Hinweis auf die Gefahr von mehr als einer Million Toten und Billionen Dollar wirtschaftlichen Schadens.

Trumps Erklärung, davon nichts gewusst zu haben, ist eine glatte Lüge. Zuerst verniedlichte er den Corona-Virus als normale Grippe, dann prahlte er mit angeblichem Fachwissen und inszenierte sich als »Kriegspräsident«, der eine Schlacht schlägt: »Kein Land ist besser vorbereitet und ausgestattet, um dieser Krise entgegenzutreten.« Er verbreitete Fake News und versuchte die Verantwortung den Gouverneuren zuzuschieben, strafte politische Gegner mit dem Entzug von Zuwendungen, Informationen und lebenswichtigem Schutz-Materialen für medizinisches Personal.

Die Corona-Krise, so der Dortmunder Wirtschaftsprofessor Henrik Müller, entlarve Nationalisten und Populisten »als das, was sie sind – als gefährliche Scharfmacher, die sich allein auf kommunikativen Bullshit stützen, nicht um die Wahrheit scheren und genau deshalb folgenschwere Fehler machen«.

Forderungen an die Adresse Chinas nach finanzieller Wiedergutmachung kommen nicht nur aus den Vereinigten Staaten. »Was China uns jetzt schon schuldet« – mit diesem reißerischen Aufmacher zog die BILD-Zeitung in die Auseinandersetzung und verlangte in detaillierter »Rechnung« das, was die Corona-Pandemie »uns« kostet, von der Volksrepublik in Heller und Euro zurück.

Hinter der Kampagne verbirgt sich die Befürchtung, dass China im Verlauf der Covid-19-Krise an Einfluss gewinnen könnte. »Das betrifft den wirtschaftlichen Aufbau von Staaten, zum Beispiel im Nahen Osten oder auch in Afrika, die noch nicht sichtbar von der Epidemie betroffen sind, aber mit Sicherheit direkt oder indirekt von Corona schwer getroffen werden dürften«, sagt Matthias Rogg, Co-Vorstand des German Institute für Defence and Stategic Studies (GIDS), ein Think-Tank der Bundeswehr. In den Ländern werde sich die Volksrepublik »durch finanzielle, aber auch durch materielle Hilfe« neuen Einfluss sichern. Schließlich habe man es mit China, das beispielsweise in Italien Soforthilfe angeboten hatte, mit Systemkonkurrenten zu tun. Und es sei unklar, »wie die USA aus dieser Krise wirtschaftlich hervorgehen werde« (German Foreign Policy, 21.04.2020).

Positiv ist, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die EU und zahlreiche weitere Staaten ihre Ressourcen im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie nun bündeln wollen. So soll eine globale Initiative die Arbeit an Medikamenten, Tests und Impfstoffen beschleunigen und die Ergebnisse allen Ländern zur Verfügung stellen. »Wir sind mit einer gemeinsamen Bedrohung konfrontiert, die wir nur gemeinsam besiegen können«, erklärt WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Dies gilt nicht für die USA, die sich daran nicht beteiligen werden. Dafür hat der US-Präsident eigene Therapieansätze entdeckt: helles Licht, das dem Virus zusetze, oder das Spritzen von Desinfektionsmitteln. »Das ist bislang einer der gefährlichsten und bescheuertsten Vorschläge zur Behandlung von Covid-19«, erklärt Professor Paul Hunter von der Universität East Anglia, hochgradig verantwortungslos, weil es traurigerweise Menschen gebe, die diese Art von Unsinn glaubten.

»Auf die Sprache kommt es an«, schreibt die US-Autorin Siri Hustvedt. »Trump und seine Kumpane vermischen das reale Virus mit einem metaphorischen. Das virale Fremde, das den reinen Staat befällt, ist ein alter Topos. ›Das Judentum stellt eine infektiöse Erscheinung dar, die ansteckend wirkt‹ (Goebbels, Sportpalastrede, 1943). ›Der Islam ist ein Virus‹ (Neil Boortz, rechtsstehender amerikanischer Radiomoderator, 2006). ›Enorme Mengen an Infektionskrankheiten strömen über die Grenzen‹ (Trump, 2015). … Hier in New York, dem neuen Epizentrum des Virus, fürchte ich mich vor beidem: der Krankheit, die meine Heimatstadt heimsucht, und der hässlichen Rhetorik von höchster Stelle. Beide sind potenziell tödlich.«[3]

Doch dabei kann man nicht stehen bleiben, gerade wenn stimmt, dass das Ende der Pandemie noch lange nicht erreicht ist. »Wir stehen erst am Anfang eines medizinischen Katrina«, schreibt der US-Soziologe Mike Davis in Anspielung auf den vernichtenden Hurricane im Golf von Mexiko im August 2005. Und so, wie es damals an der Südküste der USA versäumt worden war, belastbare Schutzdämme zu errichten, so fehlt es heute an medizinischer Infrastruktur und Sozialversicherung.

»Seit der Jahrhundertwende ist das Gesundheitswesen wiederholt kollabiert. Sowohl 2008 wie auch 2018 haben beispielsweise Grippewellen immer wieder die Kapazitäten der Krankenhäuser gesprengt aufgrund der vorangegangenen dramatischen Einsparungen von Krankenhausbetten zugunsten des Profits. Die Krise lässt sich zurückdatieren auf die Offensiven der Geschäftswelt, die Reagan an die Macht gebracht haben und führende Demokraten zu Sprachrohren des Neoliberalismus werden ließ. Der American Hospital Association zufolge ist die Zahl der stationären Krankenhausbetten zwischen 1981 und 1999 um 39% gesunken.«[4]

Ein universelles Gesundheitssystem, das alle zu versorgen in der Lage ist, lautet die erste Schlussfolgerung, die Davis aus der Krise zieht. Die zweite: Aufbrechen der beherrschenden Stellung der Pharmakonzerne (»Big Pharma«). Drittens, eine internationale Infrastruktur an öffentlicher Gesundheitsvorsorge (Public Health), um die Explosion der Krise in Staaten des globalen Südens zu bekämpfen. Sein strategischer Ratschlag: »Wir müssen nun den nächsten Schritt unternehmen und öffentliches Eigentum und die Demokratisierung wirtschaftlicher Macht fordern, mit den Gesundheit- und Pharmakonzernen als unmittelbare Ziele.«

Das ist in der Tat ein Gegenprogramm zu der erratischen Politik der Trump-Administration. In seiner wirtschaftsdemokratischen Zuspitzung allerdings eines, das, wie Davis bemerkt, selbst Bernie Sanders und Elisabeth Warren im Vor-Präsidentschaftswahlkampf der Demokraten nicht offensiv vertreten haben. Und es ist im bisherigen Krisenverlauf weiterhin unklar, ob selbst der reaktionäre Widerstand gegen Obama-Care tatsächlich gebrochen werden kann.

Wie hierzulande wird auch in den USA diskutiert, den herrschenden Block zumindest zu entscheidenden Kurskorrekturen zwingen zu können, indem Kritik auf die Privatisierungsstrategien und Alternativen öffentlicher Gesundheitsvorsorge konzentriert werden. Das Thema steht gegenwärtig im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Es ist von lebenserhaltender Bedeutung – ohne Zweifel. Aber reicht das aus für eine politische Erzählung, die Trump und seine diversen Nachahmer zu entsorgen in der Lage ist?

Wir fürchten: eher nicht. In der neuen Krise 2020 schieben sich für größere Bevölkerungskreise Sicherheits- und Existenzängste in den Vordergrund, die unmittelbar mit der Arbeitswelt verknüpft sind. Die Entlassungs- und Arbeitsmarktkrise wird zur neuen Bedrohung. Dafür bedarf es Alternativen. Die Herausforderung besteht in einer politisch relevanten Erzählung, die die naheliegende strukturkonservative Zuflucht in der Wiederherstellung vermeintlicher Vor-Krisen-Sicherheiten (dabei in erster Linie der Arbeitsplatz) mit dem Streben nach einem realistischen und besseren Morgen zu verknüpfen in der Lage ist.

In den USA gelang dies in der Großen Krise des letzten Jahrhunderts – der 1930er Jahre – im Zuge des New Deal. Der war kein großer Strategieentwurf, sondern im besten Sinne »Work-In-Progress«. Ein strategischer Lernprozess in alltäglichen Klassenauseinandersetzungen. Innerhalb der Arbeiterbewegung, aber ebenso in den Kreisen der Bourgeoisie, die in weiten Teilen Roosevelt des Klassenverrats bezichtigte. Den populistischen Nährboden der Trump-Kampagne durch eine Gesundheit und Arbeit umfassende Erzählung eines besseren Amerika trocken zu legen, könnte der großer Schritt sein.

Anmerkungen

[1] Besonders betroffen sind die Arbeitnehmer*innen. Anders als in Deutschland gibt es in den USA keine »Lohnfortzahlung im Krankheitsfall« und kein »Kurzarbeitergeld«. Seit Mitte März stieg die Zahl der Arbeitslosen auf 26 Millionen. Damit wurden im Laufe eines guten Monats mehr Jobs zerstört, als die Unternehmen in den elf Jahren nach Überwindung der Finanzkrise von 2008 neu geschaffen hatten. Die Krise trifft diejenigen, die es finanziell ohnehin schwerer haben als andere, am härtesten: Hispanics, Schwarze, Geringqualifizierte und Frauen. So gaben in einer Untersuchung des Pew-Forschungszentrums 61% der Befragten mit lateinamerikanischen Wurzeln an, dass sie selbst oder jemand in ihrem Haushalt den Job oder einen Teil des Einkommens verloren habe. Bei Schwarzen waren es 44, bei Weißen 38% (Süddeutsche Zeitung, 24.4.2020).
[2] Belege für eine etwaige Herkunft des Virus aus einem Labor gibt es nicht; wissenschaftliche Studien kommen klar zu dem Schluss, es sei durch Übertragung von Wildtieren zum Menschen gelangt. »Diese Fledermaus-Coronaviren, die dem neuen Erreger ähnlich sind, existieren nur in Hufeisennasenfledermäusen – und die hält man nicht so einfach im Labor«, so der Berliner Virologe Christian Drosten (SZ, 25.04.2020).
[3] Siri Hustvedt: Auch Worte können ansteckend sein, FAZ, 14.4.2020.
[4] Mike Davis: The Monster Enters, in: New Left Review No. 122, March/April 2020.

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