19. Dezember 2013 Joachim Bischoff
Die US-Notenbank beginnt die Umsteuerung
Die amerikanische Zentralbank wird ab Januar 2015 den Fuß vorsichtig vom geldpolitischen Gaspedal nehmen. Ben Bernanke hatte im Februar 2006 den Vorsitz der Fed übernommen, er senkte als Reaktion auf die ausbrechende Krise die Leitzinsen von 5,25% faktisch auf null und initiierte ein Programm von Anleihekäufen, das mittlerweile als »quantative easing« in dritter Ausgestaltung praktiziert wird.
Das Bond-Aufkaufprogramms von bisher 85 Mrd. $ monatlich soll nun um 10 Mrd. $ geringer ausfallen. Mit der Drosselung der Anleihekäufe leitet der aus dem Amt scheidende Fed-Vorsitzende selbst noch das Ende des wohl größten geldpolitischen Experiments in der hundertjährigen Geschichte der Fed ein.
Der Leitzins liegt seit Dezember 2008 bei 0 bis 0,25%. Um trotz des faktischen Nullzinses noch beweglich zu sein, hat die Fed seither in drei Runden in großem Stil langfristige Staatsanleihen und zur Stützung des Häusermarktes hypothekenbesicherte Anleihen gekauft. Allein mit der im Herbst 2012 begonnenen dritten Runde weitete sie ihre Bilanzsumme von 2,8 Billionen auf über 4 Billionen Dollar aus.
Gleichwohl, die Geldpolitik bleibt faktisch im kommenden Jahr expansiv, wie Bernanke auf seiner letzten Pressekonferenz betonte. Die Fed-Bilanz steigt somit weiterhin. Sie hat kürzlich die Marke von 4 Bio. $ überschritten. Vor der Krise 2007/2008 hatte sie bei etwa 800 Mrd. $ gelegen. Mit dem Erwerb langfristiger Wertschriften drückt das Fed die längerfristigen Zinsen, was die Wirtschaft und hier besonders den Hypothekarmarkt stützen soll. Durch die niedrigen Zinsen sollen Konsum und Investitionen und damit die Gesamtwirtschaft stimuliert werden.
Keine Frage: Die Notenbankpolitik mit der Kombination von einem Zinssatz von nahe null Prozent und dem Ankaufprogramm hat die fragile Konjunkturentwicklung in den letzten Jahren erheblich stabilisiert. Die weiteren Perspektiven sind klar umrissen: Die US-Ökonomie soll 2014 mit rund 3% wachsen, bei geschätzten 2,3% für das laufende Jahr. Bei der Arbeitslosigkeit wird ein weiterer Rückgang auf 6,5% im vierten Quartal 2014 erwartet, von derzeit rund 7%. Derweil dürfte die Teuerung mit 1,5% auch 2014 unter den 2% bleiben, mit denen das Fed längerfristig Preisstabilität verbindet. Was sich seit der Sitzung im September aber verringert hat, ist die Unsicherheit, mit der diese Prognosen behaftet sind. Das Risiko, dass es schlechter kommt als erwartet, wird geringer eingeschätzt.
Die US-Notenbanker haben zugleich deutlich gemacht, dass der Leitzins noch geraume Zeit nahe null bleiben werde, selbst wenn der Rückgang der Arbeitslosigkeit anhalten wird. Dies gelte besonders dann, wenn die prognostizierte Teuerung weiter unter den 2% verharre, mit denen das Fed Preisstabilität verbindet. Mit dieser Aussage soll klargestellt werden, dass die Verringerung der Anleihenkäufe nicht gleichbedeutend ist mit einer rascheren Erhöhung des Leitzinses. Vielmehr wies Bernanke darauf hin, dass die Unterstützung durch das Fed mehr oder weniger gleich bleibe: Es kaufe zwar etwas weniger Anleihen, dafür habe die Notenbank signalisiert, dass sie sich für eine erste Zinserhöhung noch viel Zeit lassen werde.
Mit Rückblick auf die jahrelange Niedrigzinspolitik räumen die Fed-Banker ein, dass man ursprünglich davon ausgegangen worden war, mit der expansiven Geldpolitik erfolgreicher zu sein, mit dem Ziel die Lage der US-Wirtschaft zu verbessern. Als Grund für den sehr zögerlichen Erholungsprozess sehen sie die Vielzahl dramatischer Ursachen für die Krise: Die geplatzte Immobilienblase, die darauf folgende Finanzkrise, die Probleme in Europa und die deutlichen Bremseffekte durch tiefere Staatsausgaben. Die Überwindung dieser Verwerfungen habe Zeit beansprucht.
Bernanke unterstreicht, dass die US-Erholung verglichen mit anderen Ländern auf besserem Weg ist, wenn sie auch nach wie vor unbefriedigend sei. Die Arbeitslosenquote in der Eurozone lag im Juni 2009 bei 9,4% und in den USA bei 9,5%. Seitdem ist sie in der Eurozone auf 12,1% geklettert, während sie in Amerika rückläufig war.
An den Märkten wurde die Ankündigung des Ausstiegs von der ultralockeren Geldpolitik zunächst mit großer Nervosität aufgenommen, weshalb weltweit die langfristigen Zinsen zeitweilig angestiegen waren. Die Notenbank will das »Tapering« nicht als Bremsmanöver verstanden wissen: »Wir nehmen bloss den Fuß etwas vom Gaspedal«, hatte Bernanke erklärt. Die Zinserhöhung und die Unsicherheit um das US-Staatsbudget angesichts des Politikerstreits hat das Fed im September für viele überraschend veranlasst, das Tapering vorerst auf Eis zu legen. Bessere Zahlen von der US-Wirtschaft – insbesondere vom US-Arbeitsmarkt haben jetzt das Manöver möglich gemacht.
Wie geht es weiter? Sofern die Risiken durch die immer noch zu hohe Arbeitslosigkeit und durch die Haushaltspolitik weiter zurückgehen, sollen die Anleihenkäufe mit den gleichen moderaten Schritten weiter zurückgeführt werden. Dafür gebe es aber keinen Zeitplan. Für Ende 2014 erwartet die Fed eine Arbeitslosenquote zwischen 6,6 und 6,3%.
Die entscheidende Frage bleibt für die US-Ökonomie wie für die der anderen kapitalistischen Zentren: Wird die Politik des Deleveraging und der Stabilisierung des Finanzsektors eine Rückkehr zu den Wachstumsraten bringen, wie sie vor der Großen Krise gegeben waren oder hat sich die fallende Tendenz jetzt in den Übergang in einer Phase der säkularen Stagnation umgesetzt? Unter säkularer Stagnation wird eine massive Abschwächung der Wachstumsraten und damit eine langsamere Ausweitung der Zahl der Erwerbstätigen sowie rückläufige Produktivitätszuwächse verstanden.
In einer solchen Phase sich von einer Politik der Austerität eine Linderung der wachsenden gesellschaftlichen Probleme zu versprechen, ist fahrlässig und gefährlich. Auch eine offensive Politik der Zentralbank kann keinen Ausweg erzwingen. Aber sie kann vermeiden, dass sich das Problem verschlimmert, indem sie die Zinsen so niedrig wie möglich belässt, um wirtschaftliche Aktivitäten zu unterstützen.
Eine andere Überlegung geht davon aus, dass die Immobilienblase die eigentliche Ursache für die Überdehnung des Akkumulationsprozesses und die Ausweitung des Finanzsektors war. Die Auswirkungen der Fehlentwicklungen, die keineswegs auf die USA konzentriert waren, sind immer noch nicht überwunden. Schulden sind ein Belastungsfaktor für künftige Einnahmen und Ausgaben. Die Verschuldung der privaten Haushalte in den USA kletterte bis Ende 2008 auf 13,8 Billionen Dollar. Im Jahr 2000 hatte ihre Schuldenlast noch sieben Billionen Dollar betragen.
Diese Schulden übersteigen den Zuwachs bei den Einkommen nach Steuern um mehr als drei Billionen Dollar. Die US-Haushalte sind seit der Krise von 2008 damit beschäftigt, ihre Schulden zu vermindern, bislang um 884 Milliarden Dollar. Dadurch wurden Mittel abgezweigt, die andernfalls während der Erholungsphase vielleicht in den Konsum geflossen wären.
Bernanke hatte 2010 in einer Rede darauf hingewiesen, dass Länder wie Großbritannien, Schweden und Australien in Sachen Zinspolitik einen restriktiveren Kurs verfolgt hätten. Und dennoch seien sie mit einem Immobilienboom konfrontiert gewesen, der sogar noch ausgeprägter gewesen sei. Der Fed-Chairman macht daher nicht die Niedrigzinspolitik, sondern andere Faktoren für die Exzesse auf dem Häusermarkt verantwortlich, wie etwa eine miserable Regulierung des Finanzsektors, eine Explosion exotischer Hypothekenprodukte und eine Bargeldflut.
Aber nicht nur die privaten Haushalte und Unternehmen führen ihre Schulden zurück. Seit dem Ende der Rezession im Jahr 2009 ist die inflationsbereinigte Jahresrate der staatlichen Ausgaben auf staatlicher, kommunaler und Bundesebene ohne Anwartschaften um insgesamt 6,1% gesunken. Dies entspricht dem größten Rückgang in einer solchen Zeitspanne seit dem Ende des Korea-Kriegs. Laut den Schätzungen des Haushaltsbüros des Kongresses hätte das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr um 1,5 Prozentpunkte stärker zugelegt, wären die Steuern nicht erhöht und die Ausgaben nicht derart umfangreich beschnitten worden.
Die Notenbanken haben in den USA, Japan und Europa während der Politik des umfassenden Schuldenabbaus Verwerfungen im gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozess verhindert und eine minimale Wachstumsrate gesichert. Der Preis der expansiven Geldpolitik ist freilich, dass die Investitionen bescheiden bleiben und erneut eine Steigerung der Vermögenspreise einsetzt. Die Risiken der neuen Finanzblase, hervorgerufen durch die massive Expansion der Geldpolitik, können aktuell nicht bestritten werden. Die Anhebung der Preise finanzieller Vermögenswerte ist die problematische Konsequenz einer Politik, mit der das Fed die Konjunktur stabilisiert hat. Die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Bewältigung dieser Fehlentwicklung stellt sich also auch im Zuge des schrittweisen Kurswechsels der Notenbankpolitik.