30. Juni 2023 Peter Stahn: Vor den Landtagswahlen in Hessen
Droht das Scheitern der Linken?
In den westdeutschen Bundesländern ist DIE LINKE außer in Hessen nur noch in Hamburg und Bremen in den Landesparlamenten vertreten, wobei sie in Bremen seit August 2019 und erneut seit 2023 in einer rot-grün-roten Landesregierung unter SPD-Führung mitregiert.
In Hessen allerdings bangt DIE LINKE bei der Landtagswahl am 8. Oktober 2023 um den Wiedereinzug ins Landesparlament, dem sie seit 2008 ununterbrochen angehört. Rund vier Monate vor der Landtagswahl in Hessen liegt sie in den Prognosen des Insa-Instituts vom Juni mit 4% unter der 5%-Hürde, in anderen Umfragen kommt sie auf noch niedrigere Werte.
Die CDU, die seit 24 Jahren in Hessen regiert, seit neun Jahren zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen, liegt in der Prognose von Insa weiterhin vorn und kommt auf 29% – ein Prozentpunkt weniger als im Mai. Die SPD folgt mit 22%, die Grünen liegen bei 18%. Die AfD würde demnach 13% erreichen, die FDP 7%. Das Institut befragte nach eigenen Angaben 1.000 Bürger*innen.
Bei der letzten Landtagswahl in Hessen im Oktober 2018 hatte DIE LINKE noch 6,3% der Wähler*innenstimmen erreicht. Die Grünen und die SPD teilten sich Platz 2 mit jeweils 19,8% der Stimmen.
Im Vorfeld der Wahlen steht der umstrittene Asylkompromiss der EU im Vordergrund, den Nancy Faeser als Innenministerin und als SPD-Spitzenkandidatin für den Posten als Ministerpräsidentin vertritt. In der Debatte zeichnen sich zwei Lager ab: Zum einen die Jusos, die die Unterbringung Geflüchteter in Lagern rigoros ablehnen und in den Reformvorschlägen zum europäischen Asylsystem einen Verstoß gegen die »sozialdemokratischen Grundsätze von Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Solidarität« sehen (vgl. FR vom 17.6.2023).
Auch DIE LINKE verurteilt die Reform des europäischen Asylgesetzes als einen Anschlag auf die universellen Menschenrechte. Sie will die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpfen, anstatt Flüchtende zu bekämpfen und deren Fluchtwege zu blockieren. Zustimmung für den Asylkompromiss kommt dagegen vor allem von Vertretern aus der Kommunalpolitik und von Bundespolitikern, die es für immer schwieriger befinden, Unterkünfte für die Geflüchteten zu organisieren.
Daneben thematisieren SPD und DIE LINKE im Vorfeld der Wahlen die Verschleppung der politischen Aufklärung des rassistischen Attentats von Hanau vor mehr als drei Jahren. Jetzt ist klar: Den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses wird es erst nach der Hessen-Wahl geben. DIE LINKE und SPD wittern ein taktisches Manöver von Schwarz-Grün. Sie sprechen übereinstimmend von einem Skandal. Die Regierungskoalition habe den Beschluss zur Verschiebung mit ihrer Mehrheit durchgesetzt, um die Sache zu verschleppen, sagte Saadet Sönmez, Obfrau der Linken im Ausschuss.
Ziel sei es, »die Kette des Versagens der schwarz-grünen Innenpolitik vor dem Wahlkampf aus der Öffentlichkeit herauszuhalten« (Hessenschau vom 31.5.2023). Der Linken müsste es allerdings gelingen, die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit nicht nur auf die Verschleppungstaktik der an der Regierung Beteiligten zu richten, sondern vor allem auf die Gefahren, die von Vorurteilen und Alltagsrassismus ausgehen und zu einem wachsendem Wählerpotential bei der AfD von 13% in Hessen geführt haben.
Neben einer klaren Positionierung zu den Themen Fluchtbewegung und Rassismus will DIE LINKE vor allem mit ihrem zentralen Thema, der sozialen Ungerechtigkeit, in der Wählergunst punkten. Mit der Auftaktkundgebung in Frankfurt zur bundesweiten Umsteuern-Kampagne will sie ihr Profil auch mit Unterstützung der Parteivorsitzenden Janine Wissler im hessischen Wahlkampf schärfen.
Die Spitzenkandidat*innen Elisabeth Kula (wer die SPD mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser wähle, »der kann mit einer CDU-Regierung aufwachen«) und Jan Schalauske werfen der schwarz-grünen Landesregierung »Totalversagen«. In ihrer Regierungszeit sei die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer geworden. Für eine Umverteilungspolitik von oben nach unten und gegen einen weiteren Ausbau von Autobahnen brauche es eine starke linke Stimme im Landtag (Hessenschau vom 22.4.23).
So tritt auf der Landesliste überraschend die Umweltaktivistin Barbara Schlemmer an – mit ehemals grünem Parteibuch und Kritikerin von Hessens Verkehrsminister Al-Wazir. Sie ist überregional bekannt für Ihren Einsatz gegen den Ausbau der Autobahn A49 in Hessen. Allerdings gräbt Al-Wazir in dieser Frage der LINKEN das Wasser ab, indem er sich kritisch zu den Vorschlägen von Bundesverkehrsminister Wissing zum Ausbau der Autobahnen verhält und Ihnen teilweise eine Absage erteilt. Ob es in diesem Punkt der LINKEN gelingt, sich als sozial-ökologische Partei vor allem gegenüber den Grünen zu profilieren, bleibt deshalb fraglich.
DIE LINKE benennt in dem Entwurf ihres Wahlprogramms zur Landtagswahl folgende Probleme in Hessen: »Unter Schwarz-Grün ist die Armut gewachsen, der Reichtum von Wenigen gestiegen, die Mieten sind weiter in die Höhe geschnellt, Energie-, Verkehrs- und Agrarwende stocken. Die Bildung ist nach wie vor unterfinanziert, der Ausbau von Ganztagsschulen kommt nicht voran, Kita-Plätze fehlen und der Bildungserfolg ist weiterhin stark abhängig von Einkommen, Vermögen und Herkunft der Eltern. Krankenhäuser, Schulen und öffentliche Einrichtungen sind oft marode oder werden vielfach ihren Ansprüchen nicht gerecht. Hass, Hetze und Ausgrenzung sind der Nährboden, auf dem rechte Gewalt erwächst. Zu oft hat der Staat im Kampf gegen den rechten Terror versagt: die Morde des NSU, die Ermordung Dr. Lübckes und der rassistische Terroranschlag in Hanau belegen das«.
Ob es ihr aber mit Beginn der heißen Wahlkampfphase im August gelingt, mit ihren Antworten auf diese Probleme deutlich zu machen, dass es nur mit der LINKEN einen grundsätzlichen Politikwechsel geben kann, bleibt abzuwarten.