19. Februar 2020 Rudolf Hickel: Jörg Huffschmid wäre heute 80 Jahre alt geworden
Ein genial universaler Politischer Ökonom für eine nachhaltig gerechte Gesellschaft
Im letzten Jahr der »Großen Koalition« mit Karl Schiller als Wirtschaftsminister und Franz-Josef Strauß als Finanzminister erschien in der edition suhrkamp 1969 ein Buch mit dem programmatischen Titel »Politik des Kapitals«. Darin wurde messerscharf nachgewiesen, dass auch mit der neu entdeckten Globalsteuerung das »Allgemeininteresse« den Gewinninteressen von machtvollen Großunternehmen untergeordnet wird.
Dieses Buch wurde schnell zur »Bibel« weit über Studentenbewegung hinaus. Es stammt aus der Feder von Jörg Huffschmid, der heute 80 Jahre alt geworden wäre und leider bereits am 5. Dezember 2009 nach einer schweren Erkrankung verstorben ist. Aus der riesigen Fülle seiner Publikationen sollte ein zweites Buch epochale Bedeutung erhalten.
Denn 30 Jahre später, 1999, legte er seine »Politische Ökonomie der Finanzmärkte« vor. Das im VSA: Verlag erschiene Buch (eine aktualisierte und erweiterte Neuauflage folgte 2002) wurde ebenfalls zu so etwas wie einer »Bibel« – diesmal als Lern- und Arbeitsgrundlage der globalisierungskritischen Bewegung und insbesondere des Attac-Netzwerks, in dem er während der jährlichen Sommerakademien engagiert vortrug und mitdiskutierte.
Damit gehörte Jörg Huffschmid zu den wenigen, die belegt den Absturz des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und damit die heutige Finanzmarktkrise nachlesbar vorhergesehen haben. Wäre dieses geniale Werk von den politischen Verantwortlichen und vor allem von Bankern nicht totgeschwiegen worden, hätte die Finanzmarktkrise zumindest in Deutschland eingedämmt werden können.
Jörg Huffschmid steht heute mehr denn je für eine kompromisslose, exzellent fundierte Analyse der ökonomisch, sozial und ökologisch selbstzerstörerischen Kräfte einer entfesselten Profitwirtschaft. Durch seine substanzielle Kritik am Marktfundamentalismus mit einem willfährigen, antidemokratischen Staat hat er frühzeitig die gefährliche Ideologie des Neoliberalismus dechiffriert. Dieser Einsatz als Forscher und Publizist hat ihn weit über die Grenzen Deutschlands berühmt gemacht. Er war ein gefragter Wissenschaftler im In- und Ausland.
Er bleibt aber auch vielen Studierenden als begnadeter Hochschullehrer in Erinnerung. 1973 wurde er Professor für Politische Ökonomie und Wirtschaftspolitik. Erinnert sei daran, wie nach seiner Anhörung vor der Berufungskommission Walter Jens, der dem Senat der Universität Bremen angehörte, aus dem Raum stürmte, um seine Begeisterung über diesen Wirtschaftswissenschaftler zu verkünden.
Zu jeder Vorlesung, zu jedem Seminar legte Jörg Huffschmid vor Beginn eine Orientierungsskizze vor. Seine so produktive, interdisziplinäre Ausrichtung glich gelegentlich einem »Studium generale«, das heute (leider) ein Fremdwort an deutschen Universitäten ist.
Im Jahr 1975 hatte er maßgeblich die Idee, die »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik« zusammen mit Herbert Schui und mir zu gründen. Diese sogenannten »Alternativökonomen« sind immer wieder ausgegrenzt worden. Dennoch, ohne staatliche Finanzierung und ohne Sponsoring aus der Wirtschaft wurden ihre jährlichen Memoranden zu einem wichtigen Zentrum kritischer Wirtschaftswissenschaft.
Von Jörg Huffschmid stammte das Credo: Es gibt Alternativen gegen die soziale Spaltung der Gesellschaft und die Umweltvernichtung. Mit Ernst Bloch gesprochen: Wenn die wirtschaftlichen Machtverhältnisse durch demokratische Kräfte gebändigt werden, dann ist die Utopie der Hoffnung auf eine bessere Welt realisierbar.
Der Ökonom Huffschmid nahm die Erkennungsmarke »Politisch« sehr ernst. Er ließ sich trotz inhaltlicher Anfeindungen nicht entmutigen, auch auf der politischen Bühne in Bonn und dann Berlin Einfluss zu nehmen. Seine wohl wichtigste Beratertätigkeit brachte er in die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestag zur »Globalisierung der Wirtschaft« ein.
Wenn heute auch von den ehemaligen Globalisierungsfanatikern in Politik und Wissenschaft die Gefahren gesehen werden, dann hätten sie das schon viel früher durch Jörg Huffschmid, den sie verachtet haben, bekämpft hatten, begreifen können. In den Botschaften, die unmittelbar nach seinem Ableben im Internet kursierten, fiel eine Wertschätzung besonders auf.
Eine Kollegin aus Berlin lobt ihn dafür, dass er in den Abschlussbericht dieser Bundestagskommission an vielen Stellen die Position der Frauen in der Globalisierung wie überhaupt in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht hat. Gleichberechtigung nicht nur auf den Chefetagen, sondern bei der Lohnarbeit sowie eine Ökonomie, die sich besonders der Überwindung der Diskriminierung stellt, war ihm eine Herzensangelegenheit.
Jörg Huffschmid war mit seinem unerbittlichen Einsatz für eine gerechtere Welt im persönlichen Umgang hartnäckig und damit nicht immer einfach. Wer ihn jedoch näher kannte, der schätzte seine Freundlichkeit. Seine Lust zum Kochen konnten die Gäste auf seinem Bauernhof bei Bassum genießen.
In Erinnerung gehalten wird seine erklärungsrelevante Politische Ökonomie mit der Vergabe des Jörg-Huffschmid-Preises durch die Organisationen Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und der EuroMemo-Gruppe sowie vom Wissenschaftlichen Beitrat von Attac und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. »In Gedenken an das wissenschaftliche Werk und das gesellschaftspolitische Engagement des kritischen Ökonomen Jörg Huffschmid«, wie es in der Begründung von Attac heißt, ist der Preis im Oktober 2019 bereits zum fünften Mal »für herausragende Arbeiten aus dem Feld der Politischen Ökonomie« verliehen worden. Er soll auch zukünftig insbesondere junge Wissenschaftler*innen dazu ermutigen, Wissenschaft im Sinne seines Wirkens zu fördern.
Rudolf Hickel, Bremen, ist zusammen mit Jörg Huffschmid und Herbert Schui Mitbegründer der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik«, sowie zusammen mit Axel Troost Herausgeber eines Sammelbandes von dessen Arbeiten.