13. Januar 2025 Joachim Bischoff/Bernhard Müller/Gerd Siebecke
Ein »starkes, gerechtes und souveränes Deutschland«
mit dem BSW?
Die Namensgeberin und Partei-Chefin des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) geht optimistisch in den Wahlkampf für die vorgezogene Bundestagwahl, denn ihr Projekt der Neugründung einer Partei sei politisch und organisatorisch sehr erfolgreich.
Ähnlich zuversichtlich äußerten sich alle Redner*innen auf dem BSW-Parteitag in Bonn, auf dem das Wahlprogramm nahezu einstimmig beschlossen und die Kanzlerkandidatin frenetisch bejubelt wurde. Für die stellvertretende Parteivorsitzende Amira Mohamed Ali könne Deutschland nur mit dem BSW wieder stark, gerecht und souverän werden.[1]
Ausgangspunkt war im Oktober 2023 die Abspaltung von der Partei Die Linke. Nach langem Richtungsstreit trat Wagenknecht gemeinsam mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten, die allesamt auf Listenplätzen der Linkspartei gewählt worden sind, aus der Partei aus, behielten gleichwohl ihr Mandat. Zwei Monate später wurde die Auflösung der Linksfraktion im Bundestag beschlossen, es entstanden zwei Parlamentsgruppen (BSW und Die Linke), die am 2. Februar anerkannt wurden.
In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) bilanziert Wagenknecht: »Wir sind angetreten, die Politik in Deutschland zu verändern. Wir haben so viel Unterstützung bekommen und so viel erreicht wie vor uns noch nie eine Partei im ersten Jahr ihres Bestehens. 6,2% bei der Europawahl, zweistellige Ergebnisse bei drei Landtagswahlen, Einzug in zwei Landesregierungen. Dass die SPD in der Friedensfrage nicht komplett gekippt ist, ist auch unser Verdienst. Jetzt stehen wir vor der fünften und wichtigsten Wahl unserer kurzen Parteiengeschichte.«[2]
Jüngste Umfragen allerding deuten auf einen Abbruch der Erfolgssträhne hin: Der ARD-Deutschlandtrend taxiert die Partei nurmehr bei 5%, im ZDF-Politbarometer würde das BSW mit 4% den Einzug in den Bundestag verpassen. In ihrer Rede auf dem Bonner Parteitag machte die Parteichefin groteskerweise die Mainstream-Medien dafür verantwortlich (als hätten diese sie und das BSW-Projekt nicht häufig in den Vordergrund der Berichterstattung gerückt). In dem NOZ-Interview begründete sie das mit der noch fehlenden Stammwählerschaft: »Bundestagswahlen sind für neue Parteien schwer, weil oft taktisch gewählt wird. Noch nie hat es eine beim ersten Mal geschafft. Aber die Lage ist heute eine andere. Unser Land befindet sich in einer schweren Krise. Die Kriegsgefahr wächst. Es kann doch nicht sein, dass nach der Wahl die alten Parteien, die uns die Misere eingebrockt haben[…] einfach in neuer Konstellation weitermachen. Und die Trump-Freunde von der AfD sind auch keine Alternative. Wir haben die besseren Konzepte.«
Die besseren Konzepte des BSW für die Lösung der Krisensituation bestünden aus zwei Schwerpunkten: der Friedensfrage und Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftskrise. Zentral bleibe vor allem der erste Punkt: »Der Satz von Willy Brandt stimmt: Ohne Frieden ist alles nichts. Derzeit überbieten sich alle Parteien von Grünen bis zu Union und AfD in Forderungen, noch mehr Geld in Waffen zu stecken. Die Menschen in Deutschland sollen an den Gedanken gewöhnt werden, dass Krieg irgendwann auch zu uns kommt.« Demgegenüber will Wagenknecht, dass Deutschland seine Außen- und Sicherheitspolitik grundlegend ändert.
Außerdem sehe Ihre Partei die USA als globalen Aggressor. »Wir müssen diese verdammten Raketen verhindern!«, ist die zentrale Forderung, die sie auch in die Koalitionsverträge in Thüringen und Brandenburg hinein verhandeln ließ. Damit sind allerdings nicht die Raketen gemeint, die in der Ukraine oder dem Nahen Osten vielen Menschen den Tod gebracht haben, sondern die geplante Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland, die der Abschreckung gegen Russland dienen sollen.
Zudem gehöre Deutschland zu den größten Waffenexporteuren in Kriegsgebiete. »Es fließen immer mehr Ressourcen in die Aufrüstung und wir sollen an den Gedanken gewöhnt werden, dass der Krieg irgendwann auch zu uns kommt. Diesen Wahnsinn wollen wir stoppen! Unser Land kann schon deshalb nicht ›kriegstüchtig‹ werden, weil wir einen großen europäischen Krieg im Atomzeitalter nicht überleben würden.« Und ganz im Tenor früherer Behauptungen über die Einzigartigkeit ihrer politischen Konzeptionen heißt es auch jetzt: »Das BSW ist die einzige Friedenspartei im Deutschen Bundestag, die die aktuelle Hochrüstung ebenso konsequent ablehnt wie Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.« Es müsse ein Kurswechsel eingeleitet werden, der mit dem Wegfall der Unterstützungsleistungen für die Ukraine beginnen solle.
Die Entstehung des BSW war stark dadurch geprägt, dass sowohl in der Linkspartei als auch in der Sozialdemokratie angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine der Gedanke der gemeinsamen Sicherheit und der Entspannung an politischem Gewicht verlor. Mittlerweile aber hat sich das geändert und eine aktive friedenspolitische Ausrichtung ist nicht mehr das Alleinstellungsmerkmal des BSW, was auch ein Faktor für die rückläufigen Zustimmungswerte dieser Neugründung sein dürfte.
Das muss selbst Wagenknecht einräumen: In ihrer Rede auf dem Parteitag und bereits zuvor in dem NOZ-Interview sprach sie davon, dass das BSW mit verantwortlich sei für die Haltung der der SPD und ihres Kanzlers in Sachen Tauris-Lieferung: »Herr Merz will der Atommacht Russland mit der Lieferung von Taurus-Raketen praktisch den Krieg erklären. Die Standhaftigkeit der SPD in dieser Frage wird davon abhängen, ob es ein starkes BSW im nächsten Bundestag gibt.«
Zum anderen gehe es um ein Bündel von Maßnahmen zur Überwindung der »schweren Wirtschaftskrise in Deutschland«. In dem auf dem Parteitag beschlossenen Wahlprogramm heißt es dazu: »In einer Welt voller Konflikte und Instabilität muss Deutschland sich auf seine Interessen und auf seine Stärken besinnen. Wir brauchen weder ein Durchregieren der Milliardäre wie in Amerika noch Politiker, die mit den gescheiterten Rezepten der letzten Jahre die Krise verschlimmern. Das deutsche Erfolgsmodell ist die soziale Marktwirtschaft mit einem starken Mittelstand, sozialem Zusammenhalt, Gerechtigkeit statt Gier, Aufstiegschancen und Wohlstand für alle, die sich anstrengen, und Gemeinwohl vor Kommerz, wo es ums Existentielle geht: bei Gesundheit, Pflege, Wohnen oder Bildung.«
Neben richtigen Überlegungen und Forderungen nach einer Reform der Schuldenbremse zur Finanzierung eines »großes Investitionsprogramm zur Runderneuerung unserer Infrastruktur«, einer Steuerreform mit höherer Belastung der Vermögen, einem Mindestlohn von 15 Euro, einer Mindestrente und einer Bürgerversicherung sowie einem Mietpreisdeckel, sollen aber auch »Irrwege« wie die CO2-Abgabe oder das »klimapolitisch unsinnige Verbrenner-Verbot« wieder rückgängig gemacht werden.
Und auch mit einer eindeutigen Position zur Migration will das BSW die Lebensverhältnisse verbessern: Wer aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, hat nach Auffassung des BSW kein Recht auf Aufenthalt und damit auch keinen Anspruch auf ein Asylverfahren oder soziale Leistungen.
Die Parteiführung des BSW ist zudem davon überzeugt, dass der Kurs aller anderen Parteien keinen Ausweg aus der wirtschaftlichen und politisch-kulturellen Krise der Berliner Republik eröffne. Daher sei es die Aufgabe des BSW, die »Lücke im Parteiensystem« wieder zu füllen. Diese These von der Lücke im Parteiensystem ist eine eindeutige Überzeichnung, die die Entwicklung nicht trifft. Mit der weiteren Forderung nach der Notwendigkeit eines »Kompetenzkabinetts« verliert das BSW mitsamt ihrer Namensgeberin vollends die Bodenhaftung oder den Realitätsbezug, wenn es im Wahlprogramm heißt: »Die wirtschaftliche Lage ist ernst, daher ist es Zeit für ein Kompetenz-Kabinett aus Fachleuten, denen es tatsächlich um das Wohl des Landes und nicht um die Anschlussverwertung in der Wirtschaft geht und die das verloren gegangene Vertrauen in den Staat und die Demokratie wiederherstellen können.«
In der aktuellen Polykrise geht es nicht nur hierzulande um scharfe Verteilungsauseinandersetzungen. Eine die Verfassung übergreifende Mehrheit einschließlich der Unternehmen und ihres Managements ist in keinem der angeschlagenen westlichen Gesellschaften abseh-, geschweige denn realisierbar. Insofern ist der Ruf nach einem Kompetenz-Kabinett eine Flucht in die politische Fiktion.
Es ist zwar durchaus einleuchtend, wenn man gegen die Forderung von 3,5% der deutschen Wirtschaftsleistung für Militär und Rüstung von Seiten des grünen Kanzlerkandidatenscharfen Einspruch einlegt. Aber bei der Parteivorsitzenden des BSW sehen wir eine Polemik, die den Boden der Realität verlassen hat und ins sektiererische abgeleitet: »Gerade bei den Grünen erleben wir eine Politik, die sich mit einer Arroganz sondergleichen für besonders moralisch hält, aber sich überhaupt nicht dafür interessiert, ob die Heizkosten der Menschen explodieren oder immer mehr Rentner sich das Nötigste nicht mehr leisten können.«[3]
Wagenknecht sagt zwar auch der AfD den Kampf an, in der sie vor allem kein »Zurück zum deutschen Erfolgsmodell einer sozialen Marktwirtschaft mit einem starken Mittelstand und sozialem Zusammenhalt [sieht]. Die Gesellschaft, für die sich Trump, Musk und die AfD engagieren, ist eine Rücksichtslos-Gesellschaft, in der Großunternehmen und Milliardäre sich jeder Verantwortung für das Gemeinwohl entziehen können.«
Die Herausforderung besteht ja nun gerade darin, nicht durch Träumereien von einem Kompetenz-Kabinett die aktuellen Krisen auf das Terrain der Verfassung zu heben, sondern das spezifische Rechtspopulistische oder das AfD-Paradoxon aufzubrechen, von dem DIW-Chef Marcel Fratzscher spricht: Denn die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen.[4] Die AfD ist in der Berliner Republik die rechtspopulistisch-völkische Erscheinung der schweren Krise, die sich – wie man in anderen Nachbarländern (Frankreich, Österreich, Italien und Niederlande) sieht – zu einer strukturellen Blockade im politischen System entwickeln kann.
Insgesamt ist das BSW als Partei bei den bevorstehenden Wahlen mit der Existenzfrage konfrontiert: Etabliert sie sich im Parlament oder scheitert sie? Der Höhenrausch der Anfangszeit jedenfalls ist nach der rasanten Erfolgsgeschichte bei den ostdeutschen Landtagswahlen vorbei. Die internen Auseinandersetzungen und die Kritik in den eigenen Reihen am rigiden Aufnahmekurs und der »Führungsstruktur« nehmen zu. Die Bundesspitze beäugt jeden Interessenten, Wagenknecht begründet dies damit, dass vor allem junge Parteien »auch sehr destruktive Menschen« anziehe, was sie verhindern wolle. Es kommt deswegen zu Konflikten um die interne demokratische Verfasstheit de Partei.[5] Es läuft längst nicht mehr alles rund. Und mit den bislang etwa handverlesenen 1.100 Mitgliedern bleiben die Möglichkeiten eines offensiven Wahlkampfes überschaubar.
Anmerkungen
[1] Rede uf dem Bonner Parteitag am 12.1. 2025.
[2] »Wagenknecht trotz schlapper Umfragewerte optimistisch für die Bundestagswahl«. Interview mit Thomas Ludwig in: Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) vom 11.1.2025. Die folgenden Zitate stammen daraus.
[3] Die Themen Sektierertum und Spaltung der progressiven Kräfte spricht auch Torsten Teichert, der das Projekt ursprünglich unterstützt hatte, in einem offenen Brief an Sahra Wagenknecht an: »Wir müssen die Spaltungen innerhalb des linken Lagers überwinden und wieder bündnisfähig werden. Wir müssen begreifen, wo die wirklichen Gegner stehen. Die heißen nicht Habeck und nicht Scholz. Unsere Gegner sind weit mächtiger und viel gefährlicher. Aus dem BSW ist eine Sektiererpartei geworden, die Dir noch blind folgt. Viele in der Partei halten den Atem an, denn die ausländerfeindlichen Parolen des BSW stinken zum Himmel. […] Du hast der gesellschaftlichen Linken eine weitere Spaltung zugefügt, nur um danach zu erklären die einstigen Linken, die nicht selbstgerecht sein wollten, müssten nun ›moderne Konservative‹ werden. Das ist komplett irre – und historisch schwerwiegend falsch.« (Dokumentiert unter https://akopol.wordpress.com/2025/01/12/bundestagswahl-das-bsw-eine-linke-alternative/
[4] Das AfD-Paradox: Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen, DIW aktuell 88-2023.
[5] So beklagte der BSW-Europaabgeordnete Friedrich Pürner in der Berliner Zeitung den »autoritären Stil« seiner Partei und denkt offen über einen Parteiaustritt nach.