24. April 2018 Otto König/Richard Detje: Miguel Díaz-Canel zum neuen Staatspräsidenten Kubas gewählt
Eine neue Ära
In Kuba bricht eine neue Ära an. Nach zehn Jahren an der Staatsspitze ist Präsident Raúl Castro (86) abgetreten. 603 der 604 im März gewählten Abgeordneten der Asamblea Nacional del Poder Popular (Nationale Volksversammlung) haben in Havanna Miguel Díaz-Canel (57) zum neuen Staatspräsidenten gewählt.
Vizepräsident wurde der afrokubanische Gewerkschafter Salvador Valdés Mesa (72), der sich vor allem als Chef des kubanischen Gewerkschaftsbundes CTC einen Namen gemacht hat. Von den fünf Vizepräsidenten sind drei Frauen, über die Hälfte des neugewählten 31-köpfigen Staatsrates ist ebenfalls weiblich, schließlich sind 53,2% der Abgeordneten Frauen.
Mit der Wahl von Miquel Díaz-Canel erfolgt eine Zeitenwende. Die »historische Generation« der kubanischen Revolution von 1959, die noch selbst in den Bergen gekämpft und den Diktator Fulgencio Batista aus dem Land vertrieben hatte, übergibt die Regierungsgeschäfte an die jüngere Generation, die zum großen Teil erst nach der sozialistischen Revolution geboren wurde und wie 70% der kubanischen Bevölkerung das Land nur mit einem Castro an der Spitze kennt.
Raúl Castro, der nach zwei Amtsperioden nicht wieder kandidierte, übernahm 2006 die Amtsgeschäfte von seinem erkrankten und 2016 verstorbenen älteren Bruder Fidel. Er wird bis zum nächsten Parteitag 2021 Generalsekretär der Kommunistischen Partei (PCC) bleiben. Neben Castro schieden weitere Mitglieder der sogenannten historischen Generation der Revolutionäre aus dem Staatsrat aus.
Seine ersten politischen Erfahrungen sammelte Diaz-Canel in der sogenannten »Sonderperiode« Kubas, also während der wirtschaftlich schwierigen Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Als oberster PCC-Repräsentant auf kommunaler Ebene hat er sich den Ruf eines effizienten Managers und eines Mannes aus dem Volk erworben. Sein Weg zur Präsidentschaft führte ihn Schritt für Schritt durch die Institutionen: 1991 Mitglied im Zentralkomitee der PCC, 2003 mit 43 Jahren jüngstes Politbüromitglied, 2009 Minister für Hochschulbildung und seit 2013 Erster Vizepräsident Kubas.
Der von den USA und einigen Mitgliedstaaten der »Organisation Amerikanischer Staaten« (OAS)[1] erhoffte Systemwechsel wird ausbleiben. »Die Revolution endet nicht bei ihren Guerilleros«, sagte der neue Präsident in seiner Antrittsrede, »jenen die aus Dummheit oder Arglist an unserer Entschlossenheit zweifeln, müssen wir sagen, dass die Revolution jetzt und in Zukunft weitergeht.« Auch unter der Führung des neuen Präsidenten wird das Ziel nicht aufgegeben, ein alternatives Gesellschaftsmodell weiterzuentwickeln.
Gerade die vorsichtige wirtschaftliche Öffnung durch den von Raul Castro schrittweise in Gang gesetzten Reformprozess hat den Menschen auf der Insel persönliche und soziale Freiräume gebracht. Dadurch wurde das Haushaltsdefizit gesenkt, eine Umschuldung mit internationalen Gläubigern erreicht, die Wirtschaft für ausländisches Kapital geöffnet, der Staatssektor reduziert und mehr Privatinitiative zugelassen.
Doch die Fortschritte reichen bei Weitem nicht aus. Nach wie vor ist die Beschäftigung vor allem im staatlichen Dienstleistungssektor zu groß – Schätzungen zufolge müssten rund eineinhalb Millionen Stellen abgebaut werden, gemessen am realen Arbeitsvolumen. Demgegenüber fehlen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Das gute Bildungssystem hat dazu beigetragen, dass auch die Kinder der Landarbeiter studieren konnten und die ländlichen Regionen verlassen haben. Als sich 2009 in der Weltwirtschaftskrise die Lebensmittelpreise verdoppelten (in anderen Ländern gab es Hungerrevolten), wurde in Kuba eine Kampagne gestartet, Arbeit im Agrarsektor attraktiver zu machen und in den Städten die Stadtgärten (organiponicos) zu kultivieren. Rund 150.000 Neubauern wurden 920.000 Hektar Staatsland zur eigenen Nutzung für zehn Jahre übertragen.
Die Förderung der Privatinitiative erstreckt sich auch auf andere Bereiche: Seit der Ausweitung des Kleinunternehmertums im Oktober 2010, »trabajo por cuenta propia« (Arbeit auf eigene Rechnung), haben sich laut Arbeitsministerium 579.415 Kubaner, rund zwölf Prozent der Werktätigen, in Dienstleistungen und Handwerksberufen selbständig gemacht. Darüber hinaus erlaubte die Regierung den Kauf und Verkauf von Autos und Immobilien, baute den Internetzugang für die Bevölkerung aus und hob Reisebeschränkungen auf.
Diese gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen wurden auf dem VI. Kongress der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) im April 2011 in 313 Leitlinien gefasst, die als Richtschnur für die »Aktualisierung des sozialistischen Modells« dienen – dem vorausgegangen war ein breiter, öffentlicher Diskussionsprozess. Da die konkreten Beschlüsse im Konsens gefällt werden müssen, geht die Umsetzung jedoch teilweise nur schleppend voran. 2014 trat auch ein neues Investitionsgesetz in Kraft, das ausländischen Unternehmen ermöglicht, in fast alle Bereiche der kubanischen Wirtschaft zu investieren – ausgenommen bleiben Bildung, Gesundheit und Militär. Von seinem Ziel, jährlich 2,5 Milliarden US-Dollar an ausländischem Kapital ins Land zu holen, ist Kuba derzeit jedoch noch weit entfernt.
Der kubanische Sozialwissenschaftler Juan Valdés Paz schätzt, dass die Regierung noch auf die Unterstützung von 70% der Bevölkerung setzen kann, doch in den jüngeren Generationen nimmt diese ab. »Die Wirtschaft muss wachsen, um die Situation der Bevölkerung zu verbessern: Basiskonsum, Gesundheit, Bildung sind gesichert, aber es gibt andere Forderungen und Erwartungen der Bevölkerung, die nicht erfüllt werden können, ohne dass sich die Wirtschaft erholt. Deshalb ist das Thema Wirtschaft politisch entscheidend.«[2]
Die personellen Veränderungen an der Spitze des Staates erfolgen in einer Zeit weiteren wirtschaftlichen Wandels, der das Land vor Herausforderungen stellt. Kuba erholt sich noch von den Folgen des Hurrikan Irma und muss zugleich eine umfangreiche Reduzierung von Hilfen aus Venezuela sowie anhaltende wirtschaftliche Engpässe durch das nach wie vor geltende US-Embargo verkraften.
Nach dem historischen Handschlag von Barack Obama und Raul Castro im Frühjahr 2016 in Havanna, hat sich das Verhältnis zwischen beiden Staaten seit dem Amtsantritt von Donald Trump wieder deutlich abgekühlt. Reisen von Bürger*innen der USA auf die Insel wurden wieder eingeschränkt und die Möglichkeiten neuer Geschäftsbeziehungen beschnitten. Während Länder wie Russland und China sowie Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) ihre Politik darauf ausrichten, den Wandel auf der Insel zu befördern, zelebriert die aktuelle US-Außenpolitik gegenüber Kuba das Wiederaufleben des Kalten Krieges. Die Administration in Washington setzt auf eine Verschärfung der Wirtschaftsblocklade gegen die Insel und auf eine Ermutigung zur Subversion durch Gegner des kubanischen Gesellschaftssystems. »Die Opposition und die Dissidenz müssen sich vorbereiten. Sie müssen Bedingungen schaffen, die es ihnen erlauben, zu handeln und Druck auszuüben, um die künftige Entwicklung zu beeinflussen«, fordert das von Madrid aus betriebene und über das »National Endowment for Democracy« (NED) aus US-amerikanischen Staatsgeldern finanzierte Internetportal Diario de Cuba.[3]
Miquel Díaz-Canel wird enorme Aufgaben zu bewältigen haben. Der Sozialist muss den Spagat wagen: Kuba wirtschaftlich weiter öffnen und gleichzeitig das Erbe der Revolution verteidigen. Zu den Erwartungen der Bevölkerung gehören der Erhalt und Ausbau des kubanischen Sozialmodells,[4] die Abschaffung der Doppelwährung, damit die Einkommensunterschiede durch die Öffnung des Privatsektors nicht noch weiter auseinanderklaffen. Marguerite Rose Jiménez vom Washington Office on Latin America (Wola) fordert in der Zeitschrift »Foreign Affairs«, Diaz-Canel solle »nach seiner Leistung bewertet werden, nach seiner Fähigkeit, Versprechen einzulösen über Reformen, (...) mehr Zugang zu Informationen, Verbesserung der Lebensqualität und mehr Chancen für junge Leute.« Die Aussetzung der Wirtschaftsblockade wäre eine Bedingung, um selbstbestimmte Reformen auf Kuba zu stärken.
China und Russland investieren bereits massiv auf der KaribikInsel. China war 2017 mit Exporten im Wert von 1,8 Milliarden Dollar der größte Handelspartner Kubas. Der russische Handel mit Kuba hat in den letzten beiden Jahren ebenfalls exponentiell zugenommen, die Exporte nach Kuba wuchsen 2017 um 81%. Zum ersten Mal seit den 1990er Jahren exportiert Russland auch Öl nach Kuba, um den Verlust der Öllieferungen aus Venezuela auszugleichen.[5]
Auch die Europäische Union (EU) stärkte ihre Beziehungen zu Kuba Ende letzten Jahres mit einem Rahmenabkommen für politischen Dialog und Zusammenarbeit. So unterzeichnete Brüssel nicht nur Vereinbarungen über erneuerbare Energien und eine nachhaltige Landwirtschaft, sondern unterstützt auch größere Strukturreformen auf der Insel. »Es gibt Möglichkeiten für Handel, Investitionen, gemeinsame Lösungen bei globalen Herausforderungen wie Migration und Klimawandel«, erklärte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zuletzt. »Wir können mit Kuba über alles sprechen, weil es trotz aller Differenzen eine Bereitschaft zu Dialog gibt.«
Grundvoraussetzung der Außen- und Außenwirtschaftsbeziehungen ist, dass die Souveränität Kubas gewahrt bleibt, um die Arbeit an einem nichtkapitalistischen, alternativen Entwicklungsmodell in schwierigen Zeiten fortsetzen zu können.
[1] Das US-Außenministerium beklagte, der Machtübergang sei undemokratisch verlaufen und die Bürger in Kuba hätten keinen echten Einfluss nehmen können. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verkündete, dass der Übergang in Kuba unrechtmäßig sei und der Triumph der Diktatur über die Freiheit kaum »Revolution« genannt werden könne.
[2] Interview im ND v. 18.4.2018.
[3] Vgl. Waldo Mendiluza: Trump, Lateinamerika und der Gipfel von Lima, Portal Amerika 21 v. 13.4.2018.
[4] Gesundheitsversorgung und Bildung bleiben in Kuba frei zugänglich. Das Land hat das höchste Ärzteaufkommen pro Kopf in Süd- und Nordamerika, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 79 Jahren. Die Analphabeten-Quote ist gering. Zudem hat die die Kubanische Revolution den tiefen Rassismus überwunden, der zuvor die kubanische Gesellschaft prägte. Kriminalität und Prostitution gingen auf ein Minimum zurück.
[5] Vgl. Marguerite Rose Jiménez: Kuba nach den Castros, IPG v. 12.4.2018.