11. Januar 2019 Redaktion Sozialismus
EU-Spitzenkandidat Weber (EVP, CSU) offen für die radikale Rechte
Manfred Weber ist der Spitzenkandidat der europäischen Konservativen (EVP) in den anstehenden Europawahlen. Schon im Wahlkampf versucht er, eine Mehrheit im EU-Parlament für sein Ziel als EU-Kommissionspräsident zu organisieren.
Jeder Kommissionspräsident muss die Mehrheit im Parlament erringen. Und diese Mehrheit hat Weber bislang nicht. Schon Ende des Jahres 2018 hatte sich der smarte CSU-Politiker für eine Kooperation mit radikalen rechten Parteien ausgesprochen: »Wenn ich mir heute die europäische politische Landschaft ansehe, dann sehe ich Salvini in Italien, Kaczynski in Polen, die rumänischen Sozialisten, [den ungarischen Ministerpräsidenten] Orbán. Wir würden uns natürlich etwas anderes wünschen, aber das ist die Realität. Also müssen wir mit allen zusammenarbeiten und auf alle hören, um eine gemeinsame Vision zu finden. Und offen gesagt, glaube ich nicht, dass dies so schwierig ist.«
Die Erweiterung des konservativen Spektrums nach rechts ist ein wesentlicher Aspekt des anlaufenden Wahlkampfes des EVP-Spitzenkandidaten. Der Hintergrund: Die »Große Koalition« der konservativen und sozialdemokratischen Parteien im Europäischen Parlament dürfte nach den Wahlen im Mai Geschichte sein. Den rechten und nationalistischen Parteien werden erhebliche Gewinne vorausgesagt. Insgesamt werden diese Parteien aber wahrscheinlich nicht mehr als 25% der Parlamentssitze gewinnen können. Dennoch könnte eine potenzielle gemeinsame Fraktion aller rechtsgerichteten Parteien zur zweitgrößten Gruppe im Parlament werden. Hauptverlierer dürften die Parteien der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament werden.
Die EVP wird wohl weiterhin die deutlich stärkste Partei bleiben. Durch das Ausscheiden der britischen Parteidelegationen könnte es den Konservativen sogar gelingen, ihre Führung zu festigen, da keine der wichtigsten und stärksten britischen Parteien der EVP angehört. Der EVP-Vorsitzende und Spitzenkandidat, Manfred Weber, will mit seiner Formation die künftige Kommissionarbeit prägen. Daher erklärt Weber, seine Partei sei offen für die Kooperation in verschiedensten Arten von Allianzen. »Für uns sind die Partner für die Zukunft Europas die Sozialdemokraten und die Liberalen«, so Weber. Schlussendlich hätten aber die europäischen Wähler*innen das letzte Wort: Man müsse das Ergebnis der Wahlen abwarten, ohne vorher Beziehungen zu anderen Fraktionen auszuschließen, so der EVP-Vorsitzende.
Entscheidend im Machtpoker auf der europäischen Ebene ist das weitere Schicksal der Fraktion der EKR (Europäische Konservative und Reformer). Diese Fraktion war von den britischen Tories unter Premierminister David Cameron gegründet worden, als diese aus der EVP austraten. Aktuell gehört der EKR unter anderem auch die rechte Regierungspartei Polens, Recht und Gerechtigkeit (PiS), an. Dazu stoßen könnten demnächst Abgeordnete der ENF-Fraktion (Europa der Nationen und der Freiheit) – der rechtsextremen Fraktion, in der beispielsweise Marine Le Pens Rassemblement National vertreten ist, zusammen mit Parteien wie der FPÖ aus Österreich, dem belgischen Vlaams Belang, der Partei für die Freiheit aus den Niederlande und der Lega aus Italien – sowie der euroskeptischen EFDD (Europa der Freiheit und der direkten Demokratie). In letzterer Fraktion sitzen derzeit Italiens 5-Sterne-Bewegung sowie die Alternative für Deutschland (AfD). Kommt es zu einer Kooperation von PiS und der italienischen Lega (Salvini) plus einigen weiteren rechts-nationalistischen Parteien könnte die EKR immerhin noch zur drittgrößten Fraktion im nächsten Europäischen Parlament werden.
Weber würde den Abstieg der europäischen Sozialdemokratie in eine machtlose Formation bedauern, will aber auch vorbereitet sein auf eine Zusammenarbeit mit der EKR oder sogar mit der von Matteo Salvini angeführten rechtsextremen Lega. Dadurch würden die sozialdemokratischen, grünen und linken Parteien endgültig in die Opposition gedrängt. Weber betont die Möglichkeiten der Kooperation mit einem Teil der europäischen Rechten: In der laufenden Legislaturperiode hätten die EKR-Abgeordneten konstruktiv mitgewirkt und öfter für die Aufnahme von Trilogen gestimmt als die Grünen. Außerdem hebt er die konstruktive Arbeit der derzeit regierenden polnischen Partei PiS im EU-Rat hervor.
Keine Frage: Das Treffen von PiS-Chef Jarosław Kaczynski in Warschau mit Matteo Salvini, der auch Innenminister Italiens sowie Vorsitzender der rechtsextremen Lega ist, Anfang Januar zielt auf diese Umgruppierung eines Teils der Rechten in Europa. Laut Weber könnten derartige Treffen dazu führen, dass die Lega die britischen Tories in der EKR-Fraktion des EU-Parlaments ersetzt, nachdem das Vereinigte Königreich die EU verlassen hat. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Landesführer wie Salvini ein Interesse daran hat, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der der EU und dem Euro derartig ablehnend gegenübersteht, wie Marine Le Pen«, sagte Weber.
Wäre aber eine Koalition nach österreichischem Muster – Kooperation einer rechtskonservativen, christlich geprägten Partei mit einer Partei der Rechtsnationalen wie der FPÖ ein Problem? Häufig werden die politischen Effekte der Kommissionsarbeit gegenüber dem europäischen Rat und den nationalen Regierungen unterschätzt. Der Milliardenschwere EU-Haushalt ist für die kleineren EU-Länder von wesentlicher Bedeutung. Die größten Brocken im Haushalt sind Zahlungen an Landwirte und vergleichsweise arme Regionen in den EU-Ländern. Für 2019 werden 148,2 Mrd. Euro ausgegeben, 2,4% mehr als 2018. Zusätzliches Geld wird es u.a. für die Forschungsförderung und das Austauschprogramm Erasmus geben. Die Unterstützung des Beitrittskandidaten Türkei wird dagegen um 146,7 Mio. Euro gegenüber früheren Planungen gekürzt.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger warnt zurecht vor den massiven Veränderungen nach dem Austritt von Großbritannien, vor allem bei einem chaotischen Brexit. Scheidet Großbritannien ohne Übergangslösung aus, wird die Gemeinschaft vor einem Milliardenloch im europäischen Budget stehen. Nötig wären dann »weitreichende Veränderungen«. Demnach würde durch einen Brexit ohne Austrittsvertrag im EU-Haushalt 2019 »ein kleinerer einstelliger Milliardenbetrag fehlen«. Im Jahr 2020 wäre es dann laut dem Kommissar »ein größerer einstelliger Milliardenbetrag«. Nach dem mit Brüssel vereinbarten Austrittsvertrag würde Großbritannien zwar am 29. März 2019 aus der EU austreten, aber in einer Übergangsphase noch bis Ende 2020 im EU-Binnenmarkt und der Zollunion bleiben. Dabei würde London weiter Mitgliedsbeiträge zahlen. Diese würden wegfallen, wenn das britische Parlament das Brexit-Abkommen nicht ratifiziert und es zu einem ungeordneten Austritt kommt.
Diese Umbruchsituation in Europa wird verschärft durch eine sich abschwächende Konjunktur. Vorläufige Zahlen zum Bruttoinlandprodukt und zur Industrieproduktion weisen in vielen Ländern eine schwächere Entwicklung aus. Nach Europäischer Zentralbank und mehreren Instituten erwartet auch die Bundesbank eine schwächere Konjunktur. Das Bruttoinlandsprodukt in der Währungsunion dürfte 2018 um 1,9% und 2019 um 1,7% zulegen, teilten die Ökonomen der EZB mit. Für 2020 werden unverändert 1,7% vorhergesagt und für 2021 soll die europäische Wirtschaft um 1,5% zulegen. »Unsicherheiten in Bezug auf geopolitische Faktoren, die Gefahr von Protektionismus, Anfälligkeiten in Schwellenländern und die Schwankungen der Finanzmärkte bleiben nach wie vor groß«, sagte EZB-Präsident Mario Draghi in Frankfurt.
Im Euroraum (ER19) lag die Arbeitslosenquote im November 2018 bei 7,9%. Dies ist ein Rückgang gegenüber 8,7% im November 2017 und ist die niedrigste Quote, die seit Oktober 2008 im Euroraum verzeichnet wurde. In der EU28 lag die Arbeitslosenquote im November 2018 bei 6,7%. Auch dies die niedrigste Quote, die seit Beginn der monatlichen Reihen zur EU-Arbeitslosigkeit im Januar 2000 in der EU28 verzeichnet wurde.
Von den Mitgliedstaaten verzeichneten Tschechien (1,9%), Deutschland (3,3%) und die Niederlande (3,5%) im November 2018 die niedrigsten Arbeitslosenquoten. Die höchsten Quoten registrierten Griechenland (18,6% im September 2018) und Spanien (14,7%).
Die positiven Zahlen zeigen dabei aber vor allem, dass es nach der schwierigen Erholung von der Großen Finanz- und Wirtschaftskrise dennoch in den letzten Jahren wirtschaftlich gut lief in Europa. Die Arbeitslosenraten stiegen bis 2013 stark an, seitdem sank die Quote im Euroraum stetig, ebenso wie jene der EU.
Für die Zukunft könnten dem Kontinent und auch der ganzen Weltwirtschaft aber schwierigere Zeiten bevorstehen, die Zeichen für ein Stocken der Konjunktur mehrten sich zuletzt. So korrigierte die Weltbank ihre Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft nach unten – und verwies dabei vor allem auf die handelsfeindliche Wirtschaftspolitik des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Zugleich schrumpften die Produktion der deutschen Industrie und die Exporte, das Wort Rezession macht die Runde. Der Maschinenbau z.B. sieht turbulente Zeiten auf sich zukommen – wegen der amerikanischen Handelskonflikte, dem Brexit und schlechterer Wirtschaftsaussichten für China.
Die Weltbank hat ihre Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft nach unten korrigiert – und gleichzeitig der Wirtschaftspolitik von Donald Trump ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Der vom US-Präsidenten häufig bemühte Boom nach seiner Steuerreform werde nur kurz anhalten. Schon 2020 werde das US-Wachstum von 2,9% im Jahr 2018 auf 1,7% sinken, prognostiziert die Weltbank in ihrem Bericht.
Wirtschaftsexperten befürchten seit längerer Zeit, die prozyklische Stimulanzpolitik Trumps könnte nur ein Strohfeuer bedeuten. Allerdings wird das Wachstum laut Weltbank auch in anderen großen Wirtschaftsregionen etwas langsamer, etwa in China und in der Eurozone. Das weltweite Wachstum werde im laufenden Jahr 2,9% betragen. Die Weltbank prognostizierte damit einen leichten Rückgang des ohnehin bereits nach unten korrigierten weltweiten Wachstums von 3,0% im vergangenen Jahr.
Auch wenn die erhöhte Volatilität an den Finanzmärkten Besorgnis über China, Italien und andere Volkswirtschaften der Eurozone sowie über wichtige Schwellenländer widerspiegelt, sind die jüngsten Turbulenzen weitgehend auf das Agieren von Präsident Trump zurückzuführen. Das Jahr 2018 begann mit dem Inkrafttreten einer unverantwortlichen Steuersenkung, die die langfristigen Zinsen in die Höhe trieb und in einer Volkswirtschaft, die bereits nahe der Vollbeschäftigung war, für eine Überzuckerung sorgte. Bereits im Februar dann führten wachsende Befürchtungen darüber, dass die Inflation über den Zielwert der US Federal Reserve von 2% steigen könnte, zu einem ersten deutlichen Rückgang der Risikoneigung. Dann folgten Trumps Handelskriege mit China und anderen wichtigen US-Handelspartnern. Die Sorgen an den Märkten über die protektionistische Politik der Regierung sind im Jahresverlauf mal gestiegen und mal gefallen, doch nun erreichen sie einen neuen Höhepunkt.
Beim gegenwärtigen Stand der Dinge lässt sich ein ausgewachsener geopolitischer Konflikt mit China nicht ausschließen. Ein neuer Kalter Krieg würde faktisch zu einer Entglobalisierung führen und die Lieferketten überall auf der Welt in Mitleidenschaft ziehen, insbesondere jedoch – wie zuletzt die Fälle ZTE und Huawei signalisieren – im Technologiesektor. Zugleich scheint Trump auf Teufel komm raus darauf bedacht, den Zusammenhalt der Europäischen Union und der NATO zu untergraben, und das zu einer Zeit, in der Europa wirtschaftlich und politisch fragil ist.