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5. Mai 2020 Joachim Bischoff: BVerfG tadelt EU-Institutionen und deutsche Verfassungsorgane

EZB Anleihekäufe teilweise verfassungswidrig?

Der Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) verstößt teilweise gegen das deutsche Grundgesetz, weil Bundesregierung und Bundestag die EZB-Beschlüsse nicht geprüft haben. Dies haben mit sieben zu eins Stimmen die Richter*innen des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden.

Mitten im Abwehrkampf gegen die ökonomischen Folgen des »Lockdowns« im Zusammenhang mit der Corona-Virus-Krise fällt das deutsche Verfassungsgericht ein restriktives Urteil über ein zentrales Instrument der Krisenpolitik der EZB. Zugleich wird ein folgenreicher Riss zwischen den europäischen Institutionen EZB bzw. Europäischer Gerichtshof (EuGH) und einem Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland sichtbar.

Die Beschlüsse der Notenbank seien kompetenzwidrig ergangen. Bundesregierung und Bundestag hätten durch ihr tatenloses Zusehen Grundrechte verletzt. »Bundesregierung und Deutscher Bundestag sind aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, der bisherigen Handhabung der PSPP entgegenzutreten«, heißt es in dem von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle verkündeten Urteil. Eine verbotene Staatsfinanzierung stellten die Richter des Zweiten Senats aber nicht fest.

Der Rechtsstreit zieht sich bereits seit Jahren hin und hat mehrere Stufen durchlaufen. Gegenstand des juristischen Verfahrens ist das laufende und bereits mehrfach verlängerte EZB-Programm zum Kauf von Staatspapieren der Euro-Länder (»Public Sector Purchase Programme« – PSPP). Die Währungshüter*innen begannen mit den Käufen im März 2015, um ein Abrutschen der Wirtschaft im Euro-Raum in eine gefährliche Deflation zu verhindern. Ziel des Ankaufprogramms war und ist es, unter anderem die Konjunktur im Euro-Raum zu fördern.

Seit 2015 hat die EZB in monatlich unterschiedlichem Umfang insgesamt Wertpapiere über etwa 2,7 Bio. Euro erworben, darunter rund 2,2 Bio. Euro an Staatsanleihen der Euro-Länder. Das entspricht fast einem Drittel der in der Euro-Zone ausstehenden Staatsschulden. Die Käufe haben laut Berechnungen der Notenbank das Bruttoinlandprodukt und die Inflation im Euro-Raum über die Jahre insgesamt um rund 1,9% erhöht.

Zugleich sind durch die große Nachfrage nach Staatsanleihen die Refinanzierungskosten der Mitgliedsländer stark gesunken, was sicherlich für viele Finanzminister*innen ein willkommener Nebeneffekt der EZB-Geldpolitik ist. Nach einer zeitweiligen Unterbrechung nahmen die Währungshüter*innen das Kaufprogramm im November 2019 wieder auf, zunächst in vergleichsweise geringem Umfang von 20 Mrd. Euro im Monat.

Schon 2017 meldete das Bundesverfassungsgericht starke Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Programms an und legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor. Der EuGH entschied, dass das EZB-Programm mit EU-Recht vereinbar sei. Nun hat das Bundesverfassungsgericht abschließend entschieden, dass ein teilweiser Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz vorliegt.

Mit Beginn der Corona-Krise hat die EZB ihre Anleihekäufe wieder deutlich ausgeweitet. Laufende Kaufprogramme wurden um 120 Mrd. Euro bis Ende 2020 aufgestockt. Dieses Geld soll vor allem in Unternehmenspapiere – d.h. Schuldverschreibungen von Unternehmen – fließen. Ein Extra-Krisenprogramm mit 750 Mrd. Euro soll mindestens bis Jahresende laufen - und bei Bedarf »ohne Einschränkung« ausgeweitet werden. Diese Hilfsmaßnahmen waren nicht Gegenstand der Entscheidung, wie Voßkuhle gleich zu Beginn ausdrücklich klarstellte. Trotzdem liegt auf der Hand, dass die Entscheidung in Karlsruhe Einfluss auf die jüngsten Stützungsmaßnahmen der EZB im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Virus-Pandemie haben wird.

Mit den Anleihekäufen im Volumen von 750 Mrd. Euro bis zum Jahresende 2020 wird Geld in den gesellschaftlichen Umlauf geschleust. Die Notenbanken – nicht nur die EZB, sondern auch die anderen Notenbanken nutzen dieses Instrument – kaufen über die Möglichkeit der Geldschöpfung Wertpapiere. Durch diese Käufe erreichen sie eine Absenkung des Zinsniveaus, was weitere Investitionen begünstigen soll.

Die Kehrseite ist eine negative Verteilungswirkung auf die Sparvermögen. Strittig ist, inwieweit damit auch Impulse auf eine Preissteigerung ausgehen, und ob diese inflationäre Bewegung außer Kontrolle geraten und die bestehende Geld- und Vermögensordnung unterminieren könnte. Die EZB strebt mittelfristig eine Teuerungsrate knapp unter 2,0% an und eine dynamische Preisbewegung ist nicht in Sicht.

Mit den Verfassungsbeschwerden werfen die Kläger – zu denen neben dem Unternehmer Patrick Adenauer, einem Enkel des ersten deutschen Bundeskanzlers, auch der CSU-Politiker Peter Gauweiler sowie die Ex-AfD-Politiker Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel gehören – werfen der EZB vor, mit dem Geld – hier der deutschen Steuerzahler*innen – finanziell überschuldeten Eurostaaten unter die Arme zu greifen.

Außerdem betreibe die EZB Wirtschafts- statt Währungspolitik. Beides sei ihr durch die bestehenden Verträge untersagt. Das Programm habe »erhebliche ökonomische Auswirkungen auf nahezu alle Bürgerinnen und Bürger, die als Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer betroffen sind«, sagte Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle.

Für Sparvermögen ergäben sich deutliche Verlustrisiken, die Immobilienpreise stiegen überproportional. Außerdem begebe sich das Euro-System in Abhängigkeit von der Politik der Mitgliedstaaten. Das deutsche Verfassungsgericht verlangt, dass die Notenbank die angestrebten Vorteile – Sicherung der Investitionen und Stabilisierung der Konjunktur – mit den negativen Auswirkungen nachvollziehbar gewichten und so den Institutionen eine Beurteilung ermöglichen soll. Anders sei eine effektive gesellschaftliche und gerichtliche Kontrolle nicht möglich, hieß es.

Den Klägern, deren politische Einordnung im rechtskonservativen Spektrum kaum strittig sein dürfte, ging es auch um den Vorwurf, dass die Notenbank mit den Anleihekäufen überschuldeten Euro-Staaten unter die Arme greift, also verbotenerweise Staatsfinanzierung betreibt. In diesem Punkt formulierten die Richter allerdings, dass eine offensichtliche Umgehung des Verbots nicht feststellbar sei.

Mit dem Urteil folgte das Gericht dennoch teilweise den Klägern der Verfassungsbeschwerden. Der Bundesbank ist es demnach untersagt, nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten an der Umsetzung des EZB-Aufkaufprogramms mitzuwirken, sofern der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nicht nachvollziehbar darlegt, dass das Programm verhältnismäßig ist, heißt es in dem Urteil.

Außerdem erklärte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil des EuGH vom Dezember 2018 zum Kaufprogramm der EZB, das vom EuGH in allen Punkten gebilligt wurde, für willkürlich und damit als für die Bundesrepublik nicht bindend. Das Gericht stelle erstmals in seiner Geschichte fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt seien, sagte Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. Sie könnten daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten. Allerdings – und das ist der entscheidende Punkt – stellten die Richter klar, liege kein Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung vor.

Die Richter bemängelten, dass die Bundesregierung es unterlassen habe, »dagegen vorzugehen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) in den für die Einführung und Durchführung des PSPP erlassenen Beschlüssen weder geprüft noch dargelegt hat, dass die hierbei getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind«. Bundesregierung und Bundestag hätten durch ihr tatenloses Zusehen Grundrechte verletzt.

Auch wenn das Gericht den Verfassungsbeschwerden in dem Kritikpunkt, das Vorgehen der EZB sei eine versteckte Staatsfinanzierung von verschuldeten Eurostaaten, nicht folgte, dürfte die Auswirkung des Urteils auf die aktuelle Bekämpfung der Folgen des gesellschaftlichen »Lockdowns« selbst den Verfassungsrichtern nicht entgangen sein – selbst wenn die aktuellen Hilfen im Zuge der Corona-Krise nicht Gegenstand der Entscheidung waren.

Denn was heißt es denn, wenn die Verfassungsrichter es der Deutschen Bundesbank durch das Urteil untersagen, an der weiteren Umsetzung und dem Vollzug der Staatsanleihekäufe der EZB mitzuwirken? Und was bedeutet es konkret, dass sie dies nur noch tun darf, wenn der EZB-Rat innerhalb von drei Monaten darlegt, dass die mit den Staatsanleihekäufen angestrebten währungspolitischen Ziele im Vergleich zu den damit verbundenen schädlichen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen »verhältnismäßig« sind?

Das läuft auf eine Verlängerung des eh schon anhaltenden Streits unter ökonomischen Experten über die »Verhältnismäßigkeit« hinaus. Es sollen die Kollateralschäden einer ultraexpansiven Geldpolitik der Notenbanken gewichtet und nachvollziehbar aufgezeigt werden. Die Verfassungsrichter weisen in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die Bundesbank verpflichtet ist, im Rahmen des Euro-Systems dafür Sorge zu tragen, dass die bei der EZB akkumulierten Bestände an Staatsanleihen wieder abgebaut werden müssen.

Das Problem der Rückabwicklung von Wertpapieren ist in der Debatte um die Rolle der Zentralnotenbanken ebenfalls ein heikler Punkt. Ein Blick auf die Bilanzen der Notenbanken zeigt, dass ein Rückbau von Staats- und Unternehmensanleihen seit der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff. zwar immer wieder eingefordert wurde, aber die praktischen Konsequenzen minimal waren.

Es gibt seitens der EZB öffentlich keinerlei Überlegungen, wie und in welchen Zeiträumen der Bestand an Anleihen abgebaut werden könnte. Die Verfassungsrichter geben nicht vor, den Ankauf von Wertpapieren einzustellen. Sie bekräftigen, dass mit der expansiven Geldpolitik nicht der verbotene Pfad der Monetarisierung der Staatsschulden beschritten wurde. Sie wollen den Nachweis einer gewichteten »Verhältnismäßigkeit« zwischen den Zielen der Stabilisierung des kapitalistischen Systems und den negativen Folgeschäden. Die Vorgabe hat schwerwiegende Folgen für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Zentralbank.

Und das Verfassungsorgan erteilt zugleich anderen deutschen Verfassungsorganen einen Verweis: Die Verfassungsrichter verpflichten die deutsche Bundesregierung und den Bundestag, ihrer bestehenden Integrationsverantwortung innerhalb der europäischen Einigung gerecht zu werden. Die beiden Organe müssten auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der Staatsanleihekäufe durch die EZB hinwirken.

In einem Punkt haben die Verfassungsrichter recht: Ein Blick auf die zurückliegende und aktuelle Debatte macht deutlich, dass die fehlende Güterabwägung ein ungelöstes Problem ist. Die expansive Geldpolitik, d.h. das Kaufprogramm von Staats- und Unternehmenspapieren, schließt neben den Effekten auf den Wirtschaftsgang auch erhebliche Risiken und Nebenwirkungen ein – nämlich für die Stabilität des gesamten Banken- und Finanzsystems sowie für die Verteilungsverhältnisse, denn Aktionär*innen, Mieter*innen, Eigentümer von Immobilien, Sparer*innen und Versicherungsnehmer sind von den Wirkungen betroffen.

Abgesehen von dem institutionellen Konflikt auf europäischer Ebene und den massiv erweiterten To-Do-Listen von Bundesregierung und Bundestag kommt es wohl einer Quadratur des Kreises gleich, mitten in einer der schwersten ökonomisch-sozialen Globalkrisen innerhalb von drei Monaten eine Reparatur des aktuell zentralen Instrumentes der Krisenbekämpfung – expansive Geldpolitik der Notenbanken und Monetarisierung der Staatsschulden – zustande bringen zu wollen.

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