15. Mai 2024 Redaktion Sozialismus.de: Der Streit in der Ampel geht weiter
FDP-Attacken auf Rente und Arbeitszeit
Die FDP will Kürzungen bei den Renten vornehmen, eine andere Ausrichtung bei der Beschäftigung und fordert zudem die Abschaffung der Rente mit 63. Widerstand gegen diese Pläne kommt auch von den Partnern der Ampel-Koalition aus der SPD und den Grünen.
Schon mit ihrem Zwölf-Punkte-Papier (siehe dazu Redaktion Sozialismus.de, Der liberale Unfug von der »Wirtschaftswende«) sorgten die Liberalen für Aufruhr in der »Fortschrittskoalition«. Mit ihrem aktuellen Fünf-Punkte-Papier, das das FDP-Präsidium beschlossen hat, fordert die Partei vordergründig eine »generationengerechte Haushaltspolitik«. Faktisch werden aber Grundpositionen der sozialen Sicherung in Frage gestellt.
Politiker*innen von SPD und Grünen haben sich ablehnend zu diesem Plan ihres liberalen Koalitionspartners mit Vorschlägen zum Bundeshaushalt und zur Rente geäußert. Die Angriffe der FDP wie auch der Union auf die Rente seien »zu einem ermüdenden Ritual geworden«, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Die geltenden Regeln des Rentenrechts umzumodeln, »wäre für Millionen Beschäftigte eine Rentenkürzung.« Zuvor hatten bereits Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und SPD-Ko-Parteichefin Saskia Esken Einschnitte für Rentner*innen abgelehnt.
Die Grünen können die Differenzen innerhalb der Ampel-Koalition um das Rentenpaket nach den Worten von Vizekanzler Robert Habeck nicht nachvollziehen: »Kurz gesagt verstehen wir den Streit um das Rentenpaket nicht wirklich. […] Denn es gibt ja eine Einigung, und zwar der gemeinsame Wille, das Rentenniveau zu stabilisieren bei 48%.«
In dem Fünf-Punkte-Papier fordern die Liberalen eine Haushaltspolitik, die die Schuldengrenze des Grundgesetzes einhalte und junge Menschen bei der Finanzierung der Renten nicht überfordere, heißt es darin. Die Wirtschaftswende müsse »sich auch in der Haushaltspolitik des Staates widerspiegeln«. Der Bundeshaushalt müsse ein Entlastungshaushalt sein, der Betriebe und Fachkräfte stärke und es ihnen ermögliche, neuen Wohlstand zu schaffen. Die Sozialsysteme müssten reformiert werden. Die »Rente mit 63« und das Bürgergeld in seiner jetzigen Ausgestaltung setzten Fehlanreize, die sich Deutschland nicht leisten könne. Korrekturen seien auch am gesetzlichen System der Altersvorsorge nötig.
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz kritisierte die FDP-Forderung nach Einhaltung der Schuldenbremse 2025: »In Zeiten, in denen unsere Freiheit von einem aggressiven Russland und Extremisten aller Couleur so unter Druck gesetzt wird wie derzeit, muss man Gewissheiten auf den Prüfstand stellen – auch die Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Form.« Mit Blick auf notwendige Investitionen in die Bundeswehr, Polizei und Cybersicherheit gehe es »um sehr grundsätzliche Fragen für unser Gemeinwesen« und nicht um Investitionen, von denen es schön wäre, sie machen zu können.
Folgen der Abschaffung der Rente mit 63 Jahren
Die Rente mit 63 ist ein umgangssprachlicher Begriff und bedeutet, dass man nach einer Versicherungszeit von 45 Jahren abschlagsfrei früher in Rente gehen kann. Sie wird auch Altersrente für besonders langjährig Versicherte genannt. Mit welchem Alter man in Rente gehen kann, hängt von dem Geburtsjahr ab.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte der Bild am Sonntag, die Rente mit 63 entziehe dem Arbeitsmarkt wertvolle Fachkräfte. Wer länger arbeiten möchte, solle dies »unter attraktiven Bedingungen machen können«. Laut FDP-Finanzexperte Max Mordhorst wäre eine »Rente mit 63« auch nur noch für Geringverdiener denkbar. Mittelfristig müsse sie ganz weg.
Doch welche Szenarien wären denkbar, wenn die »Rente mit 63« abgeschafft wird? Betroffen wären ungefähr 250.000 Menschen. Laut der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) bezogen in den letzten Jahren etwa 30% der Neu-Rentner*innen eine Frührente. 2023 waren das ungefähr 256.500. Ein Teil der 250.000 Menschen, die eigentlich diese Frührente in Anspruch nehmen würden, müsste dann mit den Regeln der FDP bis zur Regelaltersgrenze weiterarbeiten.
Ein anderer Teil wird mutmaßlich aber stattdessen Abschläge in Kauf nehmen und sich einfach mit weniger Rente zufriedengeben. Ob der FDP-Vorstoß für die »Rente mit 63« wirklich mehr Menschen in Arbeit halten würde, ist offen. Möglich ist nämlich auch, dass stattdessen mehr Menschen durch niedrigere Renten im Laufe ihres Lebensabends in die Altersarmut rutschen. Eine Mischung aus beiden Szenarien ist ebenfalls denkbar.
Auch das Rentenpaket II könnte noch auf dem Prüfstand kommen, denn inzwischen ist durchgesickert, dass die Ampel-Koalition den Beschluss über ihr geplantes Rentenpaket verschiebt. Mit dem eigentlich schon von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner ausgehandelten Rentenpaket soll ein Rentenniveau von 48% bis 2039 garantiert werden.
Das kostet zusätzliches Geld, auch Zuschüsse zur Rentenversicherung. Also wird der Beitragssatz steigen und ein größerer Posten wird aus Steuereinnahmen zugeschossen. Keine Überlegung kommt dagegen zu anderen Vorschlägen zur Einnahmeverbesserung der Rentenkasse. Denkbar wäre etwa die Aufhebung der bisherigen Sonderregelungen für Beschäftigte des öffentlichen Sektors, also eine Verbreiterung der Basis für Beitragszahlungen.
Konservative und Liberale: Teilzeitarbeit einschränken, zurück zur 40-Stunden-Woche
Die FDP-Vorschläge für die »Rente mit 63« haben wenig mit der Aufstellung des Bundeshaushaltes für 2025 zu tun. Faktisch will die FDP-Bundestagsfraktion eine deutliche Veränderung des bestehenden Rechtes der Altersrenten. Einer Allianz von rechtem Flügel der Christlichen Union und der FDP geht es darum, die Verfügbarkeit der Lohnabhängigen am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Drei Punkte werden dabei verfolgt:
- Das faktische Renteneintrittsalter soll erhöht werden. Den vorzeitigen und abschlagsfreien Eintritt nach langjähriger Einzahlung in die Rentenversicherung will man abschaffen, weil dadurch erfahrene Fachkräfte länger für das Kapital zur Verfügung stehen.
- Die Teilzeitarbeit oder die Reduktion der Wochenarbeitszeiten sollen eingeschränkt werden
- Besser noch: Die 40-Stunden-Woche für alle. Propagandist ist hier der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Diese Kampagne richtet sich gegen Forderungen vor allem aus dem linken Spektrum (angeführt von den Gewerkschaften), nur 35 Stunden oder sogar noch weniger zu arbeiten. Kretschmer, Linder und Co sind der Auflassung: »Wir können nicht mehr Geld ausgeben als wir haben. So eine Politik führt in den Staatsbankrott. Wir müssen dafür sorgen, dass wir mit Wachstum und Vollbeschäftigung – das bedeutet die 40-Stunden-Woche für alle – aus der Krise kommen. Dann geht es relativ schnell.«
Dieses rechtskonservative Bündnis will also auch die Teilzeitarbeit ein- und den Übergang zur 32-Stunden-Woche beschränken. »Es war ein Fehler, dass wir Möglichkeiten wie die Teilzeit von der Ausnahme zur rechtlich abgesicherten Regel erklärt haben. Teilzeit ist die Ausnahme, nicht die Regel. Nur so ist der Wohlstand Deutschlands zu erhalten. Und dieser besteht in sehr elementaren Gütern: dem kostenlosen Studium, dem hohen Maß an innerer Sicherheit, Rentenversicherung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung.«
In Deutschland liegt die Beteiligung an der Beschäftigung insbesondere in den Altersgruppen zwischen 25 und 59 Jahren schon bisher auf einem sehr hohen Niveau. So standen 2022 beispielsweise knapp 94% der Männer im Alter von 35 bis 39 Jahren und fast 88% der Frauen der gleichen Altersgruppe für ein Lohnarbeitsverhältnis zur Verfügung.
Außerdem arbeiten heute aber immer mehr Menschen in Teilzeit – 2023 traf dies auf rund 31% aller Angestellten zu. Bei der verkürzten Arbeitszeit sind Frauen und darunter besonders Mütter stark überrepräsentiert. Sie reduzieren häufig für die Familie ihre Arbeitszeit. Hier könnte mit einem Ausbau der sozialen Infrastruktur (Kitas etc.) die Erwerbsbeteiligung von Frauen deutlich ausgebaut werden.
Migrant*innen stabilisieren Arbeitsmarkt, Chancen für Arbeitslose werden geringer
Wichtigster Faktor gegen die Schrumpfung der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter bleibt gleichwohl die Integration von Migrant*innen. So kommen aktuell etwa 113.000 Beschäftigte aus der Ukraine, 123.000 aus Indien, 567.000 aus der Türkei. Der deutsche Arbeitsmarkt würde ohne die Arbeitskräfte aus Drittstaaten längst zusammenbrechen. Nach Auskunft der Vorstandvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, waren im Jahr 2023 Menschen von außerhalb der Europäischen Union die größte Gruppe derer, die einen Job in Deutschland annahmen.
Allein aus der Ukraine kamen von Juni 2022 bis Juni 2023 insgesamt 53.000 Menschen hinzu, die in Deutschland eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben. Aus Indien waren es im selben Zeitraum 24.000. »Nach unserer Prognose wird das in Zukunft zunehmen«, so Nahles. Hintergrund sei schlichtweg die Demografie.
Die geburtenstarken Jahrgänge beginnen, in Rente zu gehen. Es fehlen Arbeitskräfte an allen Ecken und Enden. Und für diejenigen, die bereits in Deutschland leben – ob als Einheimische oder Zuwanderer – und derzeit keinen Job haben, wird die Suche schwieriger. Sie sind häufig zu alt oder zu schlecht ausgebildet. Hinzu kommt, dass aus EU-Beitrittsstaaten wie Rumänien, Bulgarien oder auch Polen immer weniger Menschen nach Deutschland kommen. Die Länder hätten inzwischen selbst demografische Probleme.
»Deutschland hat den höchsten Beschäftigungsstand in der Geschichte, den wir jemals verzeichnet haben«, sagte der Bundeskanzler bei einer Generalaussprache zum Haushalt im Bundestag. Die Beschäftigungspolitik der Ampel-Koalition betrachtet er als vollen Erfolg.
Auch Arbeitsminister Heil zeigte sich angesichts der hohen Zahl von Beschäftigten und freien Stellen optimistisch und betonte ebenfalls: »Hier ist deutlich zu sehen, wie sehr wir auf Zuwanderung in den Arbeitsmarkt angewiesen sind.« Der Aufwuchs an Beschäftigung zum Vorjahresmonat um 217.000 sei ausschließlich auf Beschäftigte aus dem EU-Ausland und Drittstaaten zurückzuführen.
Obwohl der Arbeitsmarkt in starkem Maße auf Zuwanderer angewiesen ist und die Zahl der Langzeitarbeitslosen mit fast einer Million (960.000) noch immer deutlich höher ist als vor den Pandemiejahren, werden die Chancen für Arbeitslose, einen neuen Job zu finden, kleiner. Im April waren nach Angaben der Bundesagentur 701.000 Arbeitsstellen als offen gemeldet. Das sind 72.000 weniger als vor einem Jahr.
Nach wie vor schwierig bleibt die Situation auf dem Ausbildungsmarkt. Viele Lehrstellen, die von Betrieben angeboten werden, können nicht besetzt werden. In der sogenannten Nachvermittlungszeit waren den Angaben zufolge von Oktober 2023 bis Januar 2024 mit 64.000 gut 1.000 junge Menschen mehr auf Ausbildungssuche als im Jahr zuvor. Dem standen 85.000 gemeldete Ausbildungsstellen in Betrieben gegenüber, knapp 4.000 mehr als im Vorjahr.
Der Ampel-Streit geht weiter
Grüne und Sozialdemokraten gehen mit der Auseinandersetzung um sozialstaatliche Absicherung (Rente, Bürgergeld) und die Arbeitszeitfrage bisher eher zurückhaltend um. Der Versuch der FDP mit ihren Vorschlägen – allesamt Maßnahmen zur Verschärfung der gesellschaftlichen Spaltung – Profil zu gewinnen, zeigt in den aktuellen Umfragen keine Wirkung. Die Freien Demokraten müssen weiterhin um einen Wiedereinzug in den Bundestag bangen.
Zugleich geht der Koalitionsstreit über den Bundesetat für das Jahr 2025 weiter. Mehrere Ministerien wollen die strengen Sparvorgaben von Finanzminister Lindner nicht einhalten und meldeten Mehrbedarfe an. Bundeskanzler Scholz pocht auf eine Einigung bis Juli, also noch vor der parlamentarischen Sommerpause.
Zugleich sprach er sich gegen Einschnitte für Rentner*innen aus: »Auf deren Kosten sollte das nicht gehen.« Er betonte zudem: »Für mich ist ganz klar, dass eine Sache für unser Land wichtig ist, nämlich, dass wir den sozialen Zusammenhalt nicht infrage stellen.« Dazu passt denn auch seine Forderung nach einer weiteren Erhöhung des Mindestlohns auf zunächst 14 Euro, dann 15 Euro. Der von Scholz im letzten Bundestagswahlkampf propagierte Respekt vor der Lohnarbeit ist offensichtlich noch nicht ganz vergessen.
Auch die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze (SPD), warnte erneut vor zu großen Einsparungen im Etat ihres Hauses. Im Entwicklungsbereich sei schon sehr stark gekürzt worden.