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24. März 2015 Bernhard Sander: Erste Runde der Départementswahlen in Frankreich

FN: Schritt für Schritt zur Macht

Bei den Départementswahlen in Frankreich ist es zu einer deutlichen Verschiebung des politischen Koordinatenkreuzes nach rechts gekommen. So ist die rechtsbürgerliche UMP von Ex-Staatschef Sarkozy mit ihren Bündnispartnern (Stimmenanteil von 36,02%) aus der ersten Runde der Wahlen mit einem klaren Vorsprung vor den regierenden Sozialdemokraten (28,2% für PS plus Verbündete) und dem rechtspopulistischen Front National (25,2%) als Wahlgewinnerin hervorgegangen.

Allerdings ist nur die Hälfte der zur Wahl aufgerufenen BürgerInnen (50,1%) ist überhaupt zur Wahl gegangen. Um das Ausmaß der Rechtsverschiebung deutlich zu machen, sind Vergleiche mit vorhergehenden Wahlen hilfreich. Sie sind allerdings in diesem Fall schwierig, weil die Departements- die bis 2011 durchgeführten Kantonalwahlen ersetzen, die auf einer verschlankten territorialen Organisation Frankreichs aufsetzen. [1] Zudem wurde in der Hälfte der Kantone 2011 nicht gewählt, was die Aussagen zur Wahlbeteiligung relativiert.

Gleichwohl gibt ein Vergleich mit den Kantonalwahlen 2011 Hinweise auf die dramatische Verschiebung der Kräfteverhältnisse. Entfielen damals im 1. Wahlgang 2011 auf den bürgerlichen Block (31,9%) und den Front National (15,1%) etwa 47% der Stimmen, waren es diesmal 61% (UMP und Gefolge: 36%; FN 25,1%). Die Linke (SP und Gefolge, Front de Gauche und Öko-Partei) kommt nurmehr auf einen Stimmenanteil von etwa 36%. Bestätigt werden damit die Tendenzen der Regional- und Europawahlen 2014.

Offenbar haben viele Wähler nach »Nützlichkeit« gewählt. Ein großer Teil der grünen Anhängerschaft hat den Streit über eine Wiederannäherung an den PS praktisch entschieden, sodass nur noch ein Kern von ca. 2% bei der Partei bleib. Ein Teil der ebenfalls völlig orientierungslosen Linksfront blieb zu Hause und ein Teil wollte offenbar den »Aufständischen« im PS den Rücken stärken und sicherstellen, dass auf jeden Fall noch eine linke Partei im zweiten Wahlgang vertreten wäre. Das führte zu einem Ergebnis von 5,9%.

Man hatte nicht überall Kandidaten, in Paris, Lyon und in Übersee wurde gar nicht gewählt und die Vielfalt der Bündnisse (je mit oder ohne PS, PCF, Grünen) erschwert die Zuordnung, aber an der Niederlage der Linken besteht kein Zweifel. Die Gruppierungen der Linksfront werden es in einer Dreierkonstellation noch schwerer haben, sich mit einer Alternative Gehör zu verschaffen.

Dem PS wird dieser vorläufig letzte Vertrauensvorschuss nichts nutzen, wenn die Regierung sich nicht bis zu den Regionalwahlen spürbar gegen den Druck von Deutschland und EU-Kommission zu wehren beginnt. Der UMP-Sieg bedeutet im europäischen Kräftespiel allerdings eine weitere Verringerung der Möglichkeiten für eine aktive Wirtschaftspolitik in Frankreich, Griechenland und anderen europäischen Ländern.

Der Vorsitzende der UMP wertete die Wahlen sofort unter dem taktischen Gesichtspunkt des zweiten Wahlgangs aus. Er weiß, dass seine Anhängerschaft und die des FN in vielen Punkten ähnlich ticken. Er verstehe die Wut der FN-Wähler. »Aber eine Partei, die dasselbe Programm hat wie die extreme Linke und die den Wahlsieg Syrizas begrüßt hat, wird den Franzosen keine Lösung bringen.« Sollte es zu Duellen zwischen FN- und PS-Kandidaten kommen, bleibt Parteichef Sarkozy bei der »Weder – Noch«-Haltung.

Seine Position gegenüber den parteiinternen Konkurrenten ist durch das Ergebnis gestärkt, auch wenn das inhaltliche Profil noch unklar ist. Klar ist, dass dem PS in der zweiten Runde die operative Basis vor Ort großflächig zerschlagen und damit die Macht einer »amerikanisierten« Politikentwicklung und Wahlkampf-Führung steigen wird.

Die Kommentatoren der großen Medien lehnen sich entspannt zurück: »Die große Springflut hat nicht stattgefunden. Die republikanischen Parteien haben sich besser behauptet als erwartet«, schreibt der Chef von Libération, um daraus schlussfolgernd die Linke zur Einheit aufzurufen, damit es 2017 nicht doch noch zu einem FN-Durchbruch kommt. Für diese »Entwarnung« gibt es allerdings nicht den geringsten Anlass.

Erstens sind auch bei dieser Wahl nur die Hälfte aller Berechtigten zur Wahl gegangen (21 von 42 Mio.) Die Enttäuschung über die politische Klasse sitzt tief, insbesondere bei den BürgerInnen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen. Zweitens haben wir es mit einem deutlich nach rechts verschobenen bürgerlichen Lager zu tun, das Forderungen des FN aufgreift (Einwanderung etc.), um den »Frontisten« das Wasser abzugraben. Drittens ist der eindeutige Sieger dieser Konstellation der Front National, der sein Ergebnis von 2011 um 10% verbessern und den in 2014 bei den Regional- und Europawahlen erreichten Terraingewinn (»Entdiabolisierung«) verfestigen konnte. Es ist den Rechtspopulisten gelungen, sich breit in der in der Fläche zu verankern und damit die Grundlage für eine erfolgreiche Regionalwahl im Dezember und den Kampf um die Präsidentschaft 2017 zu legen.

Schon die Zahl der Kandidierenden konnte der FN gegenüber 2008 annähernd verdoppeln und ist somit in 93% der Stimmbezirke vertreten, während die Linke es nur auf 75% bringt. Dies liegt auch daran, dass die von den Sozialdemokraten eingeführte vollständige Quotierung der Kandidaturen vom PS selbst nicht durchgehalten werden konnte.

Allerdings befinden sich aufgrund der raschen Aufblähung der Kandidaturen im Kreis dieser Personen Vorbestrafte des »Identitären Blocks«, wenig geschulte rassistische Dampfplauderer und andere schwer kontrollierbare Elemente, die das Saubermann-Image des »gemäßigten« Front National beflecken können. Vor allem aber, und dies begrenzte den Wahlerfolg, mangelte es diesen Kandidaturen an Bekanntheit und an arbeitsfähigen Strukturen vor Ort. Das Ergebnis der Wahl stellt zwar rechnerisch keinen Fortschritt gegenüber den Wahlen zum Europaparlament (25%) dar, doch waren dies erstens Verhältniswahlen und zweitens bedurfte es nur weniger zentraler Listen.

Die Anhängerschaft des FN ist bei guten Aussichten in einer Stichwahl am besten zur Urne zu bringen, das zeigten Umfragen. Auch wenn das Wahlrecht das Durchbringen von eigenen Kandidaten erschwert, so befindet sich die »Marineblaue Bewegung« Marine Le Pens vielerorts in der Rolle der Königsmacher. Beides wird die Verankerung in der Fläche vorantreiben.

Frankreich ist eines der kränkeren Länder Europas. Die Erträge von Finanzanlagen stagnierten schon vor der der großen Rezession 2008. Die Entnahmen aus den Unternehmensgewinnen steigen hingegen. Die Investitionen sinken in der Folge seit über einem Jahrzehnt. Die Abgabenquote wiederum liegt mit über 46% sehr hoch, allerdings verliert das Land diesen Wettbewerb mit Deutschland klar.

Die Arbeitslosenquote stieg seit 2008 also seit Sarkozys Niedergang und während der gesamten Regierungszeit der Sozialdemokraten und verharrt erst seit ein paar Monaten auf 10% im Landesmittel. Dabei ist der Anteil am BIP, den die Regierungen für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgeben, deutlich höher als der EU-Durchschnitt oder in Deutschland.

Die Aussagen Hollandes, die Finanzmärkte seien seine Gegner, er werde die Arbeitslosenkurve wieder nach unten zwingen usw. sind allesamt folgenlos geblieben. Stattdessen werden die Erhöhung der Spitzensteuersätze zurückgenommen und die Arbeitsmärkte flexibilisiert.

Gegen das deutsche Lohndumping kommt Frankreich nicht an. Es fehlt an einem Konzept, mit der die Wachstumspotenziale jenseits der verbliebenen exportfähigen Cluster Rüstung, Luftfahrt, Luxusgüter, Hochgeschwindigkeitszüge erschlossen werden könnten. Diese Felder entstammen allesamt noch der strategischen Industrieplanung der fordistischen Periode.

Wenn weder die sozialdemokratische PS noch die Komponenten des Front de Gauche hier zündende Ideen präsentieren, wird als einziges Versprechen der Rückzug aus dem Euro, die Bevorzugung der heimischen Industrie und die Beschränkung der Sozialleistungen auf die wirklich Anspruchsberechtigten (also die mit französischen Pass) verbleiben, um den Erhalt von Lebensstandard, Sozialstatus und Lebensweise zu sichern. An einen ökonomischen Aufschwung, der die Sozialdemokraten über die Präsidentschaftswahl 2017 retten könnte, ist nicht zu denken.

Die Verlust- und Bedrohungsängste werden also weiter in der französischen Gesellschaft rumoren. Je entfernter die politische Handlungsebene, desto mehr Misstrauen bringt man den Akteuren entgegen, die Demokratie als System funktioniert für drei Viertel der Bevölkerung nicht mehr richtig, die Regierung kümmere sich nicht um Leute wie du & ich – das sind die Allgemeinplätze des »juste milieu«, mit denen die Bevölkerungsmehrheit ihre Politikverdrossenheit zum Ausdruck bringt. Die Revolutions-Rhetorik Mélenchons von einer neu zu gründenden 6. Republik hat keine längerfristige mobilisierende Wirkung gehabt, mit der das Gewicht der abstiegsbedrohten Mittelschichten hätte kompensiert werden können. Denn ihr fehlt das wirtschaftliche und soziale Reformprogramm.

In einer Umfrage vor den Départementswahlen waren es gerade jene, sich in ihrem prekären Wohlstand bedroht fühlenden Gruppen der französischen Gesellschaft, die über das politische Wirken der Marine Le Pen ein »sehr/eher günstiges« Bild hatten: Wo im Durchschnitt 31% dieser Auffassung waren, urteilten bei den Rentnern 38,5% so günstig über die Führerin des FN. Interessant auch die Bewertung in den verschiedenen Einkommensgruppen. In der Gruppe von 1.200 bis 2.000Euro, also um den Median der Haushaltsnettoeinkommen, lag die Zustimmung um den Durchschnitt (31,6%) und in der Gruppe darüber (3.000 Euro und höher) sogar deutlich unterdurchschnittlich (21,1%). Aber in den Mittelschichten mit einem Nettoeinkommen von 2.000 bis 3.000 Euro liegt das günstige Votum für Madame Le Pen bei hohen 38,7%.

Diesen Ton angebenden Mittelschichten haben sich die armen Schichten (unter 1.200 Euro/41,6%) und die Arbeiter (37%) angeschlossen. Als offiziell arm gelten in Frankreich etwa 13% der Bevölkerung. Und in der Industrie arbeiten heute nur noch etwa 20%. Das heißt, dass selbst diese hohen Zustimmungsquoten den Front National noch nicht zu einer »Arbeiterparte« machen – allzumal sich gerade diese Schichten zunehmend in die Wahlenthaltung und aus der Republik zurückziehen. In einer Befragung eine Woche vor der Wahl zählten bei einem Durchschnitt von 44% potenziellen WählerInnen die ArbeiterInnen mit 32% zu den am schlechtesten motivierten und die RentnerInnen mit 63% zu den überdurchschnittlich motivierten Urnengängern. Die Zahl derjenigen, die zur Wahlteilnahme entschlossen waren, lag nur noch bei knapp der Hälfte derjenigen von 2012 (erste Runde Präsidentschaftswahl).

Die FN-AnhängerInnen sind davon überzeugt, dass man sich im eigenen Land nicht mehr zuhause fühlen könne, und dass man die traditionellen Werte nicht genügend verteidige – weil es zu viele Immigranten gäbe und man den Moslems und dem Islam zu viele Rechte zugestehe. Bei den kritischen Aussagen zu den kulturellen Verhältnissen in Frankreich hat der Front National gegenüber anderen politischen Richtungen nahezu ein Alleinstellungsmerkmal, allerdings werden diese Punkte von einer mehr oder weniger großen Mehrheit der Franzosen geteilt. Nur bei der Schuldzuweisung auf eine Bevölkerungsgruppe sind die Meinungen faktisch gespalten.

Roger Cukierman, Vorsitzender des Zentralrats der Juden Frankreichs, findet, man könne Marine Le Pen »persönlich nichts vorwerfen«, auch wenn sich hinter ihr die Geschichtsrevisionisten, Vichy-Anhänger und Petain-Verehrer sammelten. Das Bedrohungsgefühl in diesem Teil der französischen Gesellschaft, der bisher zur Stammwählerschaft des PS und der liberalen MoDem zählte, ist offenbar nach den progromartigen Ausschreitungen und den Attentaten von Paris derart angestiegen, dass man die Grenzen zur islamophoben Agitation des FN nicht mehr erkennt. Hinter dieser Agitation tritt der Antisemitismus zwar zurück, fühlt sich aber gleichwohl ermutigt, wie die Schändung des jüdischen Friedhofs in Sarre-Union durch eine Bande von Jugendlichen (ohne migrantischen Hintergrund) vermuten lässt.

Marine Le Pen selbst hatte unmittelbar nach der Tötung der Attentäter gar nicht besonders auf deren »islamistischen Hintergrund« hinweisen müssen, sondern sich auf den Diskurs einer »notwendigen« Verschärfung der inneren Sicherheit beschränkt. Erst nach der Normalisierung des Alltags kam dann auch die Forderung nach mehr Polizeipräsenz in den Vororten hinzu, die man sonst gewöhnlich als Brutstätten der Parallelgesellschaft etikettiert.

Während des Gaza-Krieges 2014 hatte sie erklärt: »Ich höre nicht auf, gegenüber den französischen Juden zu wiederholen: Nicht nur ist der Front National nicht Ihr Feind, sondern er ist zweifellos in der Zukunft Ihr bester Schutzschirm. Er steht an Ihrer Seite in der Verteidigung unserer Meinungs- und Religionsfreiheit angesichts Ihres wahren Feindes, dem islamistischen Fundamentalismus.« Heute glauben in einer Umfrage für die Tageszeitung Libération 36% der FranzösInnen, dass »der Front National die republikanischen Werte verkörpert«.

Die Rechtspopulisten werden das Klima in den Kleinstädten der Provinz prägen, weil sie bis ins Detail die angebliche kulturelle Überfremdung des Landes durchbuchstabieren konnten und nun daran gehen werden, in den Départementsräten Vorschläge zu initiieren, um diesen Alltag umzugestalten: Bibliothekssäuberungen, Änderungen in den Speiseplänen der Schulkantinen, Verbot »islamischer« Badeanzüge und Frauen-Öffnungszeiten in öffentlichen Schwimmbädern, Bewaffnung der Stadtpolizei, Streichung von Baugenehmigungen für Moscheen, Streichung von Zuwendungen für verdächtige linke und sozial engagierte Projekte und Vereine, Benachteiligung durch neue Zuweisungsregeln von Sozialwohnungen und Sozialleistungen werden aus einem Teil der Bevölkerung Fremde im eigenen Land machen.

Die Mehrheit (54%) in FN-regierten Städten glaubt, dass sich seit den Kommunalwahlen vor einem Jahr die Lage zum Besseren gewendet habe – aber nur 42% in den anderen Städten zwischen 10.000 und 100.000 Einwohnern. 71% glauben, der Bürgermeister und seine Mannschaft hätten ihre Versprechen gehalten (64% in den anderen Städten). Dies gilt für die öffentliche Sauberkeit und Sicherheit am meisten (78%) und für die Nahversorgung (58%) und öffentliche Verschuldung (55%) am wenigsten. Es werde gut mit den lokalen Abgaben und Steuern umgegangen, behaupten 72% in den FN-Städten und nur 59% in den anderen. Eine Mehrheit ist über das Bild ihrer Gemeinde, das die Medien entwerfen, irritiert und nur ein Drittel ist »über gewisse Maßnahmen der Stadtverwaltung geschockt.«

Le Pen und die ihren geben sich als Stimme der Mehrheit, daher als die wahren Demokraten und berufen sich auf die Werte des laizistischen und republikanischen Frankreich. Da nur noch eine Minderheit der UMP-Anhängerschaft zur Enthaltung (16%) oder zu einer Empfehlung eines PS-Kandidaten (25 %) neigt, wenn man selbst in der 2. Runde nicht mehr vertreten ist, und 50% Wahlbündnisse vor Ort mit den Rechtspopulisten befürwortet, kann von der Bereitschaft dieser Wohlmeinenden ausgegangen werden, solche Initiativen zu unterstützen oder durch eigene Vorschläge »abzumildern«. Sarkozy hatte sich im Wahlkampf bereits die Forderung zueigen gemacht, in den Schulkantinen solle man auf die »Alternativ-Menus« verzichten.

[1] Im Rahmen einer noch 2010 unter Sarkozy beschlossen Reform der Gebietskörperschaften sind die 4.182 General- und 1.880 Gebietsträte abgeschafft worden und durch 3.500 Gebietsräte ersetzt worden. Diese haben zugleich einen Sitz im General- und Regionalrat inne.

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