22. Dezember 2012 Bernhard Sander: Zwischen Steuerflüchtlingen und kommunistischen Entwürfen
Französische Arbeit an der Wirklichkeit
Das bürgerliche Lager in Frankreich kann die sozialdemokratische Regierung des Landes momentan kaum unter Druck setzen, weil die größte Oppositionspartei, die konservative UMP, ermattet vom innerparteilichen Bloodfight um den Parteivorsitz in den Seilen hängt und eine neuerliche Mitgliederbefragung auf September 2013 verschoben hat, in der Hoffnung, dass die Kommunal- und Europawahl Anfang 2014 eine disziplinierende und klärende Wirkung entfalten werden.
Die Vertrauenswürdigkeit der Regierung Hollande wird bis dahin nicht nur im Unternehmerlager hinreichend erschüttert sein, um zu sehen, woher der Wind weht. Die Arbeitslosigkeit steigt derweil auf 4,59 Mio. (einschl. der geringfügig Beschäftigten). Währenddessen regt sich nun doch noch einmal etwas Widerstand in der PS gegen den Kurs der eigenen Regierung. 15 linke Abgeordnete mahnen an, dass die Anliegen der Bezieher kleiner Einkommen auf materielle Besserstellung berechtigt seien.
Eine nennenswerte Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns erschien der Regierung Hollande ebenso wenig opportun wie die angedrohte befristete Verstaatlichung des Stahlwerks von Florange. Damit aber gibt Hollande einen symbolträchtigen Kampf um die Arbeitsplätze in der Provinz auf. Die in Aussicht gestellten Alternativen durch Forschung & Entwicklung am Standort wirken zu vage, nachdem auch ein ministeriell angekündigter Retter für den Standort erst anonym und dann ganz ausgeblieben war. Neueste Meldungen besagen, dass sich der Eigentümer Mittal doch nicht um europäische Fördergelder für das Projekt der Kohlendioxid-Abscheidung in der Stahlproduktion beworben habe.
Der Schauspieler Gérard Depardieu, gelernter Buchdrucker, hat unterdessen, weil der Wohlfahrts- und Polizeistaat seinen drogensüchtigen Sohn nicht vom Suizid habe abhalten können und wegen der angeblichen konfiskatorischen Steuern seine Nationalität aufgekündigt und Wohnsitz in Belgien bezogen. Die FAZ, die eine Woche lang täglich darüber schrieb, bezifferte die effektive Steuerbelastung Depardieus mit 40%. Sein Kollege Christian Clavier, der zu Sarkozys berüchtigter Bande gehörte, die seinerzeit den Wahlsieg im Schicki-Micki-Lokal »Fouquets« feierte, hat sich bereits vorher nach London abgesetzt.
Die Steuererhöhungen müssen aber schon deswegen durchgezogen werden, da Frankreich in der Zwickmühle sitzt: Man hat den Unternehmen umfangreiche Entlastung angekündigt (20 Mrd. Euro), steht aber andererseits unter dem Druck, den Haushalt zu konsolidieren, um die Zinszahlungen reduzieren zu können. Im November hat wieder eine Agentur das Rating für das Land herabgesetzt und so die Sparbemühungen zunichte gemacht. Hinzu kommen weitere Zahlungen in Höhe von acht Mrd. Euro für die Stabilisierung der Dexia-Nachfolgeinstitute, die vielfältige französische Kommunalkredite halten.
Die französische Finanzwelt tauscht gleichwohl ihre Anlagen in Griechenland, Italien usw. gegen französische Staatspapiere. Da die sicheren Anlagen begrenzt sind, das Ausmaß der Staatsverschuldung teils doppelt so hoch ist (Japan) und die jährliche Neuverschuldung oft doppelt so hoch liegt (USA), greifen auch viele ausländische »Investoren« zu französischen Titeln, sodass sich das Land zum Teil mit negativen Zinsen refinanzieren kann.
Aufgrund der hohen wirtschaftlichen Verflechtung zwischen Frankreich und Deutschland bestände eine minimale Chance, von der wettbewerbsorientierten europäischen Politik abzugehen. Staatspräsident Hollande hält wiederholt an seiner Forderung fest, Deutschland müsse »Solidarität lernen« (FAZ vom 15.11.2012), doch wird diese Forderung zunehmend abstrakter, während der französische Defizitabbau immer stärker den Alltag der BürgerInnen berührt. Einer Lockerung der Defizitvorgaben auf Europäischer Ebene oder gar einer Politik, die realwirtschaftliches Wachstum ankurbeln könnte, widersetzt sich die Bundesregierung mit Unterstützung der Niederlande und Finnlands. Ohne die Wirtschafts- und Finanzkraft Frankreichs sind aber die Euro-Rettungsschirme nur dünne Drahtgestelle; diese potenzielle Verhandlungsmacht wurde durch die Moodys-Abwertung geschwächt.
Die Analysten der Bank Société Genérale werden von der FAZ am 21.12.2012 mit der Prognose zitiert: »Weltweit wird die Welle von Abwertungen staatlicher Emittenten fortschreiten, es sei denn Regierungen nehmen es mit ihrer Haushaltssanierung und ihren Reformen ernst. Das schwache Wachstum, die prozyklische Fiskalpolitik und die immer wieder verfehlte Senkung von Schuldenquoten werde zur Abstufung staatlicher Emittenten führen.« Auch Frankreich bleibt also im Dreieck sinkender Einnahmen, Kürzungsdruck und sinkende Wirtschaftsraten gefangen.
Eine der geplanten Reformen zielt auf den Finanzsektor, der durch gesellschaftsrechtliche Ausgliederung des Eigenhandels, des Hochfrequenzhandels und von Kreditgeschäften mit unbesicherten Hedgefonds den Steuerzahler vor Rettungsaktionen schützen soll. Diese Töchter zum Zwecke der Spekulation sollen durch höhere Eigenkapitalvorschriften und durch eine Art Versicherungsfonds (Endstufe 20 Mrd. Euro) geschützt werden. Das Prinzip der Universalbank wird durch diesen Gesetzentwurf nicht in Frage gestellt und es ist umstritten, ob es sich nicht eher um Symbolpolitik handelt, mit der man dem mächtigen Finanzsektor nicht begegnen kann. Allein für die BNP Paribas seien nur Geschäftsfelder im Umfang von 0,5% des Konzernumsatzes berührt, signalisiert ein Experte der FAZ.
Außenpolitisch wird der Präsident zunehmend aggressiver. Als erstes Land erkannte Frankreich die syrische Opposition an und heizt mit Interventionsvorschlägen den Bürgerkrieg an. Die Soldateska, die mit westlichen Waffen aus Gaddafis Arsenalen den rohstoffreichen Norden Malis zum eigenen Scharia-Staat erklärt hat, will Frankreich mit einer Militärintervention verjagen, auch wenn für den blutigen Teil die Truppen der Vasallen in den ehemaligen Kolonien vorgeschickt werden sollen. Bisher verweigert sich die EU jedoch allzu direkten Eingriffen.
In der Kommunistischen Partei bereitet man sich auf den Parteitag im kommenden Frühjahr vor. Dazu standen den Basisorganisationen jetzt vier programmatische Entschließungen zur Abstimmung, die in etwa das Spektrum abdecken, wie es auch in der deutschen Linkspartei zu finden ist. Die Themen: Selbstverständnis als Kommunistische Partei auch im Verhältnis zu der seit vier Jahren bestehenden Linksfront, Einschätzung des gegenwärtigen Kapitalismus, anstehende Aufgaben und Europa.
In der Frage der Einschätzung der jetzigen Situation geht es dann aber kreuz & quer. Die beiden linksradikalen Strömungen beharren darauf, dass es »Kapitalismus und nicht Neoliberalismus oder Finanzialisierung« zu heißen habe (Alternative 3), schließlich seien die »Kapitalisten nicht die Lösung der Krise, sondern ihre Ursache« (Alternative 2). Aber das Spezifische der Situation wird nicht erfasst, wenn festgestellt wird, dass »Arbeitgeber und Kapital dabei sind, mit der neuen Regierung eine Super-Austerität einzurichten« (Alternative 3) bzw. Hollande als »freiwilliger Gefangener des kapitalistischen Systems“ (Alternative 2) bezeichnet wird.
Der dem Forum Demokratischer Sozialismus der Linkspartei ähnliche Flügel (es fehlen entsprechende Etiketten- und Strömungsbezeichnungen) weigert sich, »die Aktionen der KPF auf Abwehrkämpfe zu reduzieren«, »uns in der Linken der Linken einzuschließen« und »zielt auf eine mehrheitsfähige Sammlung im Volk«, steht aber für die »nationale Selbstbestimmung und gegen die EU als Gefängnis der Völker«.
Die beiden dem Denken der Antikapitalistischen Linken der deutschen Linkspartei nahekommenden Resolutionsentwürfe befürchten eine Schwächung der Partei, sollte sie sich »nur darauf beschränken, die Folgen des Kapitalismus zu bekämpfen, ohne seine Fundamente in Frage zu stellen« (A2) bzw. man müsse wieder zu einer Kommunistischen Partei wie die griechische oder kubanische auf der Basis ihrer marxistisch-leninistischen Theorie werden und die historischen Positionen gegen die EU des Kapitals und seiner Waffe, den Euro, ergreifen (A3). Ein »soziales Europa auf Basis des Kapitalismus sei eine Chimäre« (A2).
Im Verhältnis zum Bündnis in der Linksfront betonen die Alternativen 1 (FDS) und 3 (ML) eine ablehnende Haltung. Vor allem letztere fühlt sich unter »sozialdemokratischer Vormundschaft«, die »ihre reformistischen Positionen nur schwer hinter linksradikalen Worthülsen verbergen« könne.
Der Mehrheitsentwurf (75% der abgegebenen Mitgliederstimmen in den Basisversammlungen) bemüht sich gegenüber diesen nicht nur sprachlich hölzernen Versatzstücken untergegangener Partei-Ideologie um einen moderneren Ansatz, doch fehlt es an analytischer Schärfe und programmatischer Konzentration. Man betont die Notwendigkeit, »auf den Weg der Teilhabe, der Demokratie und des Menschlichen abzuzweigen«, spricht von »emanzipatorischer Absicht« und »bürgerschaftlichen Revolution«, »einer Demokratisierung vom Stadtteil bis zum Unternehmen«, für die es nicht nur notwendig sei, »das Europa des Sparzwangs aufzubrechen«. Dazu müsse eine neue Etappe der Linksfront eingeleitet werden, die eine »größtmögliche Sammlung der Linken« erlaube. Die Wahlkämpfe 2014 (Kommunal- und Europawahl) seien die Felder, auf denen die KPF ihre Kräfte einbringen müsse, um in der Jugend, in den Unternehmen und in den Vierteln der kleinen Leute die alten Stärke zurückzuerobern. Vor dem Kongress im März 2013 werden wir den Entwurf an dieser Stelle noch ausführlicher behandeln.