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25. Februar 2019 Alban Werner: Zum Bonner Europaparteitag der LINKEN

Fünfjährlich grüßt das EU-Murmeltier

Europaparteitag der LINKEN in Bonn. Foto: Martin Heinlein/DIE LINKE/flickr.com (CC BY 2.0)

Die europapolitische Debatte in der LINKEN gleicht einem Murmeltier, das die meiste Zeit unbemerkt schlafend-still verbringt, um regelmäßig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament dann mit umso lauteren Fanfaren heraufbeschworen zu werden.

So auch drei Monate vor der Europawahl 2019: Im Vorfeld regierte medial eine krasse Dramatisierung des Europaparteitages, der am 22.-24. Februar auf dem Bonner UN-Campus stattfand. Eine sachgerechte Aufarbeitung inhaltlicher Differenzen schien dabei nicht einmal nachrangig zu interessieren.

Medial betriebener Spießrutenlauf

Nahezu alle Medien und auch linke publizistische Plattformen unternahmen alles, um die innerparteiliche Gefechtslage der LINKEN in das Deutungsmuster »mehr EU vs. zurück zum Nationalstaat« zu pressen, obwohl das weder einer sachlichen Wiedergabe innerlinker noch innereuropäischer Konfliktlinien entsprach. In der LINKEN will nahezu niemand die EU ersatzlos abschaffen, schon gar nicht mit dem Ergebnis, die deutsche Vormacht auf dem Kontinent zu stärken. Andererseits will in Europa bspw. auch die in Polen regierende, nationalistisch-autoritäre PiS gerne »mehr Europa«, solange es sich denn auf eine Freihandelszone ohne weitergehende politische Vergemeinschaftung beschränkt. Die deutschen Unionsparteien hingegen wollen politisch wie wirtschaftlich »mehr Europa«, solange darin das geopolitische und geoökonomische Machtgefälle zugunsten Deutschlands erhalten bleibt – eben weiter »in Europa deutsch gesprochen wird«.

Statt sich auf derlei Feinheiten einzulassen, gerieten selbst solche Journalist*innen ob ihrem Eskalationseifer gegenüber dem anstehenden LINKEN-Parteitag in Schnappatmung, die nicht als unkritische Verteidiger*innen des Status quo bekannt sind. Von Stefan Reinecke war etwa im Vorfeld des Parteitages in der taz zu lesen: »Verlieren aber die Realos auf dem Parteitag, folgt die Linkspartei den Sirenengesängen des Nationalismus, dann verabschiedet sie sich damit faktisch vom Internationalismus. Wenn sie populistische Vorbehalte gegen die EU bewirtschaftet, wird sie sich zu Recht den Vorwurf gefallen lassen müssen, der AfD sehr nah zu kommen. Sie hat die Wahl.«

Angespannte Kulisse, entspannter Parteitag

Diese mehr künstlich geschaffene Frontstellung griff eine Gruppe um den ehemaligen Fraktionssprecher und heutigen Vorsitzenden der Europäischen Linken, Gregor Gysi, die scheidende Sprecherin der Linksfraktion in Europäischen Parlament, Gabi Zimmer, und den Berliner Kultur- und Europasenator, Klaus Lederer, gerne auf. Im direkten Vorfeld des Parteitages bezogen sie mit einem »Ja, wir sind Europäerinnen und Europäer« überschriebenen Papier Stellung gegen die den Wahlprogrammentwurf eröffnende (und ähnlich bereits im Erfurter Grundsatzprogramm von 2011 verankerte) Formulierung, wonach die undemokratisch, neoliberal und militaristisch geprägten Teile der aktuell geltenden EU-Verträge zu revidieren seien. Unbeschadet dieses stark medial getriebenen Streits waren beide Papiere kein großer Wurf. Das Statement von Gysi & Co. blieb vor allem ökonomisch erheblich unterbelichtet. Letztlich nahm der Parteivorstand durch eine Umformulierung der beanstandeten Anfangspassage kurz vor dem Parteitag bereits viel Dampf aus dem Kessel.

Verglichen mit der zuvor aufgebauten, beinahe für DIE LINKE apokalyptisch anmutenden Kulisse, aber auch mit den vorigen Europaparteitagen 2009 und vor allem 2014, verlief der Kongress letztendlich überraschend unaufgeregt, beinahe langweilig, sodass vor allem zwei Grußworte unter seinen überschaubaren Höhepunkten gut im Gedächtnis bleiben. Weder die überraschend knapp ausgefallene programmatische Grundsatzentscheidung zu Beginn bewegte übermäßig die Gemüter, noch die Personalentscheidungen, zumal der Parteitag neben den nominierten Spitzenkandidat*innen Özlem Alev Demirel und Martin Schirdewan weitestgehend den Personalvorschlag des Bundesausschusses bestätigte.

Die Grundsatzentscheidung fiel recht früh und überraschend knapp direkt zu Beginn der Programmdebatte, als es um die Charakterisierung der EU und den Horizont linker Reform- oder Neustartanstrengungen gegenüber der EU ging. Lucy Redler von der Strömung »Antikapitalistische Linke« (AKL) argumentierte für die Wiederherstellung der ursprünglichen Formulierung der Programm-Präambel mit einer Metapher der EU als »schiefes Haus«: Solange man darin wohne, müsse man jede machbare Reparatur vornehmen. Auf Dauer jedoch brauche man Grundlagen für einen nicht schief stehenden Neubau. Das vom anderen Ende des innerparteilichen Spektrums stammende »Forum Demokratischer Sozialismus« (FDS) bemühte sich nach dem Bundestagswahlprogramm zum zweiten Mal um ein Bekenntnis der Partei, eine »Republik Europa« aus der EU heraus schaffen zu wollen. Die Kritiker*innen dieses Vorschlags argumentierten vor allem mit dessen unzureichender Schärfe und Konkretion.

Der ehemalige Europa- und heutige Hamburger Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi bemerkte zutreffend, dass pauschale Forderungen nach »mehr« oder »weniger Europa« wenig hilfreich seien, sondern es auf das jeweilige Politikfeld ankomme. So müsse man unbedingt für europäische Regelungen gegen Steuerdumping und Steuervermeidung, zugleich aber dafür dankbar sein, dass bislang subeuropäische Einheiten wie die Wallonie im Falle CETAs Sand ins Getriebe der (Neo)Liberalisierung streuen können. Ihren besten Anwalt fand die »Republik Europa« im sächsischen Delegierten Tillman Loos, der durch Entkräftung wichtiger Gegenargumente die Latte für die Antragsgegner höher legte. Der Parteivorstand selbst blieb in der Debatte eher blass. Am Ende unterlag die »Republik Europa« überraschend knapp mit 214 zu 256 Stimmen.

Aneinander vorbei

Auf Nachfrage zu diesem Ergebnis betonte ein Vertreter des FDS, man habe überdeutlich mit der Forderung Boden gutgemacht. Erfolgreich sei man damit gewesen, dass die Partei linke (Teil)Erfolge im Europäischen Parlament bei Entsenderichtlinie, öffentlicher Auftragsvergabe u.a. Bereichen anerkenne. Aus der AKL wurde das knappe Ergebnis und der Debattenverlauf überhaupt als Ausdruck großer Unklarheit in der Mitgliedschaft über die Implikationen der jeweiligen Vorschläge interpretiert, sodass das Abstimmungsergebnis kein belastbares Abbild der Positionsvielfalt liefere. Ein Vertreter sah die nach 2009 und 2014 wiederum zur Geltung kommende programmatische Unklarheit der Partei in ursächlichem Zusammenhang zur Mobilisierungsschwäche, die DIE LINKE bei bisherigen Europawahlen geplagt hatte. Aus der Strömung »Sozialistische Linke« (SL) kam indessen auch Selbstkritik am Vorgehen der »Parteilinken«.

Man habe es versäumt, die eigenen Vorschläge und Änderungsanträge stärker unter das Dach einer positiv besetzten Vision zu stellen und die Debatte noch deutlicher auf konkrete Reformforderungen herunterzubrechen. Andernfalls werde nicht deutlich, dass auch die gegenüber einer »Republik Europa« skeptischen Linken bspw. für eine eigene Steuererhebungsfähigkeit der und Kreditaufnahme durch die EU zur Finanzierung fortschrittlicher Vorhaben seien. So zeichnet sich das Bild einer LINKEN ab, die europapolitisch durchaus zwar einige substanzielle Differenzen aufweist, vor allem aber oft aneinander vorbeiredet. Unterschiedliche Standpunkte hinsichtlich der Lageeinschätzung, des Wünschenswerten und des Erreichbaren in der EU prallen auf Parteitagen und in deren Vorfeld unsortiert aufeinander.

Grußworte als Höhepunkte

Zu einem überraschenden Höhepunkt wurde die Rede von Dietmar Bartsch, dem Ko-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion (seine Amtskollegin Sahra Wagenknecht war wegen Krankheit entschuldigt). Bartsch berichtete von unzureichend bekannten und gewürdigten (Teil)Erfolgen der LINKEN in der Rentenpolitik, über ein gemeinsames Vorgehen mit Grünen und z.T. auch mit der FDP auf den Gebieten Parteienfinanzierung und Schwangerschaftsabbrüche gegenüber der schwarz-roten Koalition, der er eine Stillstandspolitik bescheinigte. Er trug ein Plädoyer für Einheit und Pluralismus der LINKEN vor und verwies als Negativbeispiel auf Italien, wo eine einstmals starke und traditionsreiche Linke nach etlichen Spaltungen in der Bedeutungslosigkeit verschwinde.

Gegen den rechtspopulistischen Kulturkampf in Deutschland und Europa, dessen Erfolg sich auch der Krisenpolitik Angela Merkels und Wolfgang Schäubles verdanke, propagierte Bartsch einen »Dreiklang gegen Rechts«: erstens die Verteidigung von Rechtsstaat und Demokratie, zweitens eine soziale Offensive, drittens (bewusst oder unbewusst Oskar Lafontaines berühmte Rede vom Mannheimer SPD-Parteitag 1995 zitierend) »Begeisterung«. DIE LINKE müsse selbst begeistert sein, um andere zu mobilisieren. Die Kündigung des INF-Vertrags durch die USA deutetet Bartsch als Ende der Nachkriegsordnung. Deutschland müsse dagegen bei der Entspannungspolitik Vorreiter sein. Die EU beurteile er heute schlimmer als vor fünf Jahren. »Für oder gegen Europa ist falsche Alternative«, bemerkte Bartsch, es gehe vielmehr um »autoritäres oder soziales Europa«. Dagegen fiel die Rede Gregor Gysis uninspiriert und blass aus. Der Vorsitzende der EL wiederholte nur die aus der Presse bekannten Statements.

Emotionales und symbolisches Highlight der Veranstaltung wurde das Grußwort der Seenotretter-Kapitänin Pia Kemp von Seawatch. Kemp zeichnete in ihrer mit stehenden Ovationen empfangenen Rede ein realistisch-bedrückendes Bild der Menschenrechtslage an den europäischen Außengrenzen. Nicht nur werde die Seenotrettungsarbeit von Nichtregierungsorganisationen von rechten Regierungen mit beträchtlichem Aufwand kriminalisiert. Aus Angst vor politisch betriebenen Sanktionen kämen auch immer weniger Handelsschiffe ihrer seerechtlichen Pflicht zur Seenotrettung nach, würden ertrinkende Geflüchtete von europäischen Schiffen ignoriert (die Sprecherin sei selbst nicht auf See, weil ihr in Italien Untersuchungshaft drohe).

Der »Schlepper-Kriminalität« beschuldigt würden neben den NGOs auch Helfer*innen auf Lesbos, tunesische Fischer, italienische Bürgermeister*innen, französische Bauern und ein deutscher Diakon. »Es ist traurig, dass es mittlerweile Zivilcourage braucht, um sich auf dem Mittelmeer an internationales Recht zu halten«, so die eindringliche Botschaft der Kapitänin, die zur weiteren Unterstützung der Seenotrettung und zum Feuereifer bei der Verteidigung der Menschenrechte aufrief. Leider verpasste DIE LINKE die Gelegenheit, eine diesem wichtigen Signal entsprechende Signatur eines durch Selbsttätgkeit erwachsenden und erwachenden »Europas von unten« auch stärker in ihrem Programm zu verankern. Der in diese Richtung weisende Präambel-Entwurf der Basisorganisation Brüssel hatte zuvor keine Mehrheit gefunden.

Vorwärts immer…

Ein eher unrühmliches und unfreiwillig realsatirisches Bild gab hingegen eine Aktion ab, bei der eine Gruppe von Delegierten mit »Hands off Venezuela« bzw. »Hände weg von Venezuela – Vorwärts zum Sozialismus«-Spruchbannern auf die Bühne stieg. Es wurde vor einer US-amerikanischen Intervention in das südamerikanische Land gewarnt, allerdings blieben die von der Maduro-Regierung selbstverschuldete, ökonomisch und versorgungsmäßig katastrophale Lage des Landes unerwähnt. An diesem Beispiel (und immer wieder an Auseinandersetzungen um die Bewertung russischer Geopolitik unter Putin) wird deutlich, wie stark selbst 30 Jahre nach dem Mauerfall Außen- und Sicherheitspolitik noch durch die Brille des Kalten Krieges gelesen wird. Hier erscheint DIE LINKE noch lange nicht auf der Höhe der Zeit.

Es zeigt sich: Einerseits verlief der Kongress verglichen mit vormaligen europapolitischen Parteitagen erheblich weniger emotional zugespitzt, was wahrscheinlich auch an der geringeren Virulenz der Euro-Exit-Frage und geringeren Verdichtung von Sach- in Personalfragen im Unterschied zu 2009 und 2014 lag. Andererseits: Ohnehin eignen sich weder die massenmedial betriebene Aufladung im Vorfeld, noch die Showdown-Situation während eines Parteitages als Rahmung einer europapolitischen Debatte, die den Anforderungen an eine Linke im Vormachtland Deutschland und dem Reformbedarf aus fortschrittlicher Sicht entspricht. DIE LINKE muss aus dem Zyklus ausbrechen, der europapolitische Positionierungen und Zuspitzungen nur vor Europawahlen oder bei allgemein aufsehenerregenden Themen wie TTIP aufruft, die sich mit klaren Feindbildern und überkommenen Parteiroutinen und -ritualen beantworten lassen.

Alleine weil die Bundesrepublik als »sicherer Hafen« für Kapital sowie als Aufnahmeland etlicher junger qualifizierter Menschen aus Europa Profiteurin innereuropäischer Verwerfungen ist, muss europäische Politik ständig Thema bleiben und eine größere Rolle einnehmen. Will DIE LINKE einen Beitrag leisten, den Teufelskreis aus Neoliberalismus, Austerität, Abschottung und Rechtspopulismus in Europa zu durchbrechen, muss sie auf die Fähigkeit hinarbeiten, die Tagesordnung der dominanten politischen Kräfte mit unübersehbarer Kritik und fortschrittlichen Alternativen empfindlich zu stören. Das wäre in der jetzigen Konjunktur realistisch betrachtet der pro-europäischste Beitrag, den man von einer Linken gerade in Deutschland erwarten sollte.

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