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27. September 2015 Otto König / Richard Detje: IG Metall-Kampagne zu Werkverträgen

Gegen Missbrauch – für faire Arbeit und Mitbestimmung

Foto: www.igmetall.de

Das Outsourcing von Arbeit über Werkverträge als Instrument zur Lohndrückerei hat sich wie ein Krebsgeschwür im Fahrzeugbau, auf Werften, in Stahlbetrieben und in der Luftfahrtindustrie ausgebreitet. Allein in der Automobilindustrie stehen den etwa 770.000 Stammbeschäftigten ungefähr 100.000 Leiharbeiter und 250.000 Werkvertragsbeschäftigte gegenüber.

Immer mehr Unternehmen missbrauchen Werkverträge, um Flexibilitätsspielräume auszuweiten sowie Tarifverträge und arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen zu unterlaufen. So entsteht in den Montagehallen der Automobilproduzenten eine Dreiklassengesellschaft: Der tariflich gesicherte Materialversorger erhält als Beschäftigter des Fahrzeugbauers einen Stundenlohn von 15,90 Euro. Der ausgelagerte Materialversorger bekommt gerade noch 11,74 Euro, wenn er nach Speditionstarifvertrag bezahlt wird. Ohne Tarifbindung erhält er im Zweifelsfall nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro.

»Der missbräuchliche Einsatz von Werkverträgen führt zu Wettbewerbsverzerrung, Lohndumping und unsicherer Beschäftigung«, heißt es in einem Aufruf von 24 Gesamtbetriebsratsvorsitzenden aus Konzern- und Zuliefererbetrieben, den die IG Metall bundesweit als Anzeige in Tageszeitungen schaltete. An die Politik appellieren sie, »gesetzliche Rahmenbedingungen« zu schaffen, die ihnen »die notwendigen Instrumente an die Hand« gibt.

Mit einer betrieblichen und gesellschaftspolitischen Kampagne soll gegen den Missbrauch von Werkverträgen vorgegangen werden. Am ersten Aktionstag am 24. September machte die Gewerkschaft an nahezu allen Standorten der deutschen Automobilhersteller mobil. Sie erhöht damit den Druck auf die Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Regelungen zu Werkverträgen und Leiharbeit endlich umzusetzen.

Für die politische Debatte hat sich die IG Metall mit Ergebnissen einer Betriebsrätebefragung[1] munitioniert. Die aktuelle Umfrage belegt: In zwei von drei Betrieben (69%) werden mittlerweile Arbeiten über Werkverträge fremdvergeben. Die Betriebsräte verzeichneten in den vergangenen drei Jahren in fast einem Viertel der Unternehmen (22%) eine Zunahme von Werkverträgen.

Der Einsatz von Werkvertragsfirmen nimmt mit der Größe der Unternehmen zu: In Betrieben mit mehr als 1.000 Beschäftigten beobachteten die Betriebsräte in 34% der Fälle deutlich mehr Einsätze von externen Dienstleistern. Bei Betriebsgrößen bis 300 Beschäftigten verzeichneten sie in jedem fünften Unternehmen eine Zunahme von Werkverträgen.

Outsourcing von Arbeit betrifft nach Aussagen der betrieblichen Interessenvertreter auch Arbeiten mit zentraler Bedeutung für die Produktion. In 19% aller Unternehmen stellen Betriebsräte Fremdvergaben im Bereich Forschung/Entwicklung/Engineering fest. Großbetriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten lagern Arbeiten aus diesem Bereich sogar in 36% der Fälle aus, 41% der Logistiktätigkeiten vergeben sie an externe Dienstleister. Mit dem Einsatz von Werkverträgen wird also direkt in die Wertschöpfungskette eingegriffen.

Dabei verstärken Werkverträge den Druck auf die Stammbelegschaften. So stieg der Anteil derjenigen Betriebe, die Stammarbeitsplätze durch Werkverträge ersetzen, von 5 (2012) auf 13% (2015), bei Großbetrieben mit mehr als 1.000 Beschäftigten sogar auf 20%. Die befragten Betriebsräte, die über die Werkvertragsunternehmen informiert sind, berichten zu fast drei Vierteln (73%) von schlechteren Arbeits- und Entgeltbedingungen in den beauftragten Fremdfirmen im Vergleich zu ihrem Stammbetrieb. In nur 27% der Fälle sind die Entgelt- und Arbeitsbedingungen überwiegend gleich (23%) oder besser (4%).

Der gestiegene Anteil von Werkverträgen deutet auf eine gezielte Ausnutzung mangelhafter gesetzlicher Regelungen hin. Die Existenz von Tarifverträgen ist in den Werkvertragsfirmen eine Ausnahme. Informationen darüber, ob es Tarifverträge in den Werkvertragsfirmen gibt oder nicht, hatten die befragten Betriebsräte in 64% der Fälle. In fast der Hälfte der Unternehmen (44%) fehlen tarifliche Regelungen. Nur in jedem fünften Werkvertragsunternehmen gibt es Tarifverträge (20%).

Die aktuelle Studie des Sozialforschungsinstitut sociotrend zum Automobilcluster Leipzig[2] bestätigt die Ergebnisse der Betriebsrätebefragung und stellt fest, dass bei BMW und Porsche noch viel mehr Kernaufgaben der Autoproduktion an industrielle Dienstleister vergeben werden: So entwickeln Ingenieure von Aton großteils die Autos. Beschäftigte von Rudolph Automotive Logistik versorgen den Karosseriebau mit allen Rohmaterialien, bestücken und entsorgen die Presse und liefern Teile bis ans Produktionsband. Thyssen-Krupp-Arbeitnehmer montieren die Vorderachsen, die von Leiharbeitern der Firma WISAG angeliefert werden. Die Firma HQM bringt Türen an und baut Motoren und Anlasser ein. Die Tachometer werden von Trescal geeicht.

Laut der Leipziger IG Metall zählen nur rund 8.300 der 18.000 Beschäftigten zu den Stammbelegschaften der ansässigen Automobilisten. Sociotrend ermittelte, dass die meisten Beschäftigten der Werkvertragsfirmen inklusive aller Zuschläge weniger als 2.000 Euro brutto im Monat verdienen, 28,6% sogar weniger als 1.750 Euro; 8% gaben an, ihren Lohn mit Hartz IV aufstocken zu müssen.

Ähnliche Erfahrungen machen auch Metaller im prosperierenden Wirtschaftsraum Ingolstadt. Besonders im Güterverkehrszentrum (GVZ), dem Logistikpark vor den Toren des Audi-Werks, treibe der Missbrauch von Werkverträgen kräftige Blüten, »um mit Billiglöhnen höhere Profite zu erreichen«, kritisierte der IG Metall-Bevollmächtigte Johann Horn (Donaukurier, 9.9.2015).

Zweifelhafte Werkvertragskonstruktionen kommen nicht nur in Automobilfabriken zum Einsatz. Im Sommer 2014 berichteten verschiedene Medien von Plänen des Flugzeugherstellers Airbus, sich am Standort Hamburg-Finkenwerder von etwa 1.000 der seinerzeit rund 2.800 Leiharbeiter zum Jahresende zu trennen. Im Laufe des Jahres machten etliche Airbus-Leiharbeiter, darunter Entwickler und technische Zeichner, die Erfahrung, dass sie nach jahrelanger Arbeit »abgemeldet« wurden – um dann das »Angebot« zu erhalten, für deutlich weniger Geld im »work package« weiterzuarbeiten (Gegenblende, 1.6.2015).

Die Ergebnisse der Betriebsrätebefragung stießen prompt auf den Widerspruch der Arbeitgeberverbände und ihrer publizistischen Stoßtruppen wie der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM). Ihre Parole lautet: »Werkverträge sind gute Arbeit!« Mit ihren »Pseudoumfragen« gehe es der IG Metall nicht um »den Verstoß gegen geltendes Recht, sondern um ihre organisationspolitischen Interessen«, sie wolle mit einer breit angelegten Kampagne die »seit Jahrzehnten bewährten Werkverträge zu einem Problemfall der modernen Arbeitswelt machen«, äußerte sich der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, Oliver Zander, gegenüber den VDI-Nachrichten (11.9.2015).

Der Geschäftsführer der von Gesamtmetall gesponserten INSM, Hubertus Pellengahr, hält das Interesse der »Gewerkschaften, ihre Mitbestimmungsrechte auch auf strategische Entscheidungen der Unternehmensführung auszuweiten«, zwar für nachvollziehbar, doch dies widerspreche der »unternehmerischen Freiheit, die grundgesetzlich geschützt« sei. Eine Ausweitung der bestehenden Regulierung von Werkverträgen sei weder aus rechtlicher noch aus ökonomischer Sicht notwendig. Für Südwestmetall-Chef Stefan Wolf steht deshalb fest: »Hier darf es aber keine Mitsprache von Betriebsräten geben«.

Damit ist die kommende Auseinandersetzung vorprogrammiert: Denn mit ihrer Kampagne »Werkverträge – Gegen Missbrauch – Für faire Arbeit und Mitbestimmung« will die IG Metall gemeinsam mit den Betriebsräten die Bundesregierung dazu drängen, wirkungsvolle Instrumente zur verbesserten Regulierung der Arbeit zu schaffen. »Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden«, hatten die schwarz-roten Koalitionäre CDU/CSU und SPD im Herbst 2013 in ihren Koalitionsvereinbarung geschrieben. Werkverträge müssen klarer von der Arbeitnehmerüberlassung abgegrenzt werden. Daran werde die IG Metall den von Arbeitsministerin Andrea Nahles für den Herbst geplanten Gesetzentwurf zu Werkverträgen und Leiharbeit messen, so der 2. IG Metall-Vorsitzende Jörg Hoffmann.

»Wichtig ist, dass Kriterien ins Gesetz kommen, die eine Arbeitnehmereigenschaft vermuten lassen«, erklärt Helga Nielebock, Abteilungsleiterin Recht beim DGB-Bundesvorstand, wie Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber, Tätigkeiten, die vorher Stammbeschäftigte erledigt haben, und das Nutzen von Geräten und Werkzeugen, die der Auftraggeber stellt. Unverzichtbar sei auch eine Beweislastumkehr: Könne ein Werkvertragsnehmer anhand eines vorher definierten Kriterienkatalogs glaubwürdig darlegen, dass er seine Arbeit nicht selbständig erledigt, würde dies ausreichen, vor Gericht einen Fall von Arbeitnehmerüberlassung und damit einen Scheinwerkvertrag festzustellen.

Für die IG Metall und den DGB sind wirkliche Mitbestimmungsrechte für die Betriebsräte notwendig und damit die Möglichkeit, Werkverträgen die Zustimmung zu verweigern, wenn die Interessen der Stammbelegschaft berührt sind. Doch schon jetzt ist absehbar, dass die Bundesregierung der Arbeitnehmerseite keinesfalls mehr Mitsprache einräumen, sondern die Arbeitgeber lediglich verpflichten will, die Betriebsräte zu informieren.

Auf einer Betriebsrätekonferenz der IG Metall Küste im April dieses Jahres erklärte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, im Kern gehe es in dem Gesetzgebungsverfahren um vier Punkte: mehr Transparenz, genauere Abgrenzungskriterien, besseren Arbeitsschutz und mehr Kontrollen. Ein Punkt fehlt. Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte wird ihr Gesetzentwurf zu Leiharbeit und Werkverträgen nicht enthalten. Es werden noch weitere Aktionstage folgen müssen.

[1] Die IG Metall führte zwischen dem 27. April und 18. Mai 2015 eine Befragung zum Einsatz von Werkverträgen in den Betrieben durch. Der Fragebogen wurde per E-Mail an 10.380 Betriebsratsvorsitzende verschickt. Insgesamt haben sich 4.061 Befragte an der Umfrage beteiligt. Das entspricht einer Quote von 39,1%.
[2] Sozialforschungsinstitut sociotrend: Sozialreport Automobilcluster Leipzig. Zur Lage der Beschäftigten bei industriellen Dienstleistern – Wege zu einem gemeinsamen tariflichen Ordnungsrahmen, IG Metall Frankfurt 2015.

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